Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 54. Sitzung des Landtages der fünften Wahlperiode. Dazu begrüße ich alle Anwesenden ganz herzlich.
Ich hatte Ihnen bereits gestern bekannt gegeben, dass heute Frau Professor Kolb, Herr Bullerjahn und Herr Professor Böhmer nicht anwesend sein werden.
An dieser Stelle möchte ich Herrn Minister Haseloff, der gestern Geburtstag hatte, noch einmal herzlich gratulieren. Alles Gute und Gottes Segen!
Regierungserklärung des Staatsministers Herrn Rainer Robra zum Thema: „Europas Regionen stärken - Landesinteressen vertreten - Europawahl aktiv vorbereiten“
Daran wird sich eine Aussprache anschließen, meine Damen und Herren. Wir hatten eine Rededauer von etwa 30 Minuten avisiert.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte die Ehre, vor diesem Hohen Haus bereits im Mai 2004 eine Erklärung zur Europapolitik des Landes abzugeben. Damals haben wir gemeinsam die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Reformstaaten in die Europäische Union begrüßt.
Im Jahr 2009 begehen wir nun den 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und den 20. Jahrestag der friedlichen Revolution des Jahres 1989, der wir nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Wiedervereinigung verdanken. In diesem Jahr stecken wir aber auch in der schwersten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise seit Jahrzehnten. Im Kontext von historischen Errungenschaften und aktuellen Herausforderungen werden im Juni dieses Jahres 375 Millionen wahlberechtigte Europäer ein neues Europäisches Parlament wählen. Dieses Jahr ist also ein ganz besonderes europäisches Jahr.
Die Landesregierung will mit einer aktiven Europapolitik zur Lösung grundlegender Probleme des Landes beitragen. Zugleich wollen wir die vielfältigen Bezüge verdeutlichen, die der europäische Integrationsprozess auch in Sachsen-Anhalt zum Leben aller Menschen hat. Wir wollen einen sichtbaren Beitrag leisten, damit jeder Wahlberechtigte in unserem Land, also jeder, der dann 18 Jahre und älter ist, am 7. Juni 2009 sein demokratisches Wahlrecht zum Europäischen Parlament sachkundig wahrnehmen kann.
Die vielfältigen europäischen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, veranlassen mich, heute für die Landesregierung zu den Schwerpunkten unserer Euro
papolitik zu sprechen. Dies soll auch Ihnen, meine Damen und Herren, Gelegenheit geben, hier im Parlament einmal konzentrierter als sonst über europäische Themen zu diskutieren und damit gemeinsam den Startschuss für die aktive Vorbereitung der Europawahl zu geben.
In der Nachkriegsgeschichte war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das Erfolgsmodell für die Einigung des freien Teils unseres Kontinents in Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Es bleibt das Verdienst der Gründerväter, damit eine stabile europäische Nachkriegsordnung geschaffen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau vorangetrieben zu haben.
Diese Erfolgsgeschichte wird gekrönt von der friedlichen Überwindung des eisernen Vorhangs vor 20 Jahren, die von Mittel- und Osteuropa ausging. Erst dadurch konnte sich die auf Westeuropa beschränkte Annäherung zu einem gesamteuropäischen Integrationsprozess weiterentwickeln.
Diese historischen Begründungen reichen jedoch nicht mehr aus, um die Dimension, die der europäische Einigungsprozess heute erreicht hat und die ihm noch bevorsteht, überzeugend zu rechtfertigen. Meinungsumfragen zeigen eine zunehmende Kluft zwischen der Europäischen Union und ihren Bürgern. Sie kam auch im Scheitern des europäischen Verfassungsprozesses und in der schwindenden Beteiligung an den vergangenen Europawahlen zum Ausdruck. Diese Kluft muss überwunden werden, sonst gefährdet sie am Ende noch ein europäisches Projekt, das in Wirklichkeit ohne Alternative ist.
Wir alle, meine Damen und Herren, sind doch gemeinsam davon überzeugt, dass kein europäischer Staat, kein Land und keine Region in der Lage wäre, die Herausforderungen der globalisierten Welt allein zu meistern. Deshalb brauchen wir neue gemeinsame Anstrengungen aller politisch Verantwortlichen, um den europäischen Integrationsprozess neu und zukunftsweisend zu begründen und dies zugleich verständlich und überzeugend zu vermitteln.
Die Landesregierung tritt deshalb für eine starke Europäische Union ein, in der die Rechte und Zuständigkeiten der Politikebenen nach dem Subsidiaritätsprinzip klar definiert sind und in der sich die EU auf die Probleme konzentriert, die auch wirklich auf europäischer Ebene gelöst werden müssen.
Dazu brauchen wir transparente und demokratische Entscheidungsprozesse mit einer ausgewogenen Stellung des Europäischen Parlaments gegenüber den im Rat vertretenen nationalen Regierungen. Dazu brauchen wir eine starke Stellung der Länder und Regionen in der Europäischen Union; denn sie sind die wichtigsten Mittler zwischen der europäischen Politik und dem Bürger.
Sie kennen die Probleme und Schwierigkeiten, die beim Vollzug europäischen Rechts und europäischer Politik in der Praxis auftreten. Sie müssen die Möglichkeit haben, diese Erfahrungen wirksam in die europäische Meinungsbildung einzubringen. Gemeinsam mit ihren Kommunen stellen sie zugleich die dezentrale Ebene dar, auf der europäische Politik am ehesten bürgernah vermittelt werden kann. In diesem Sinne wirkt Sachsen-Anhalt von Anfang an im Ausschuss der Regionen aktiv mit und hinterlässt dort sichtbare Spuren.
Der Vertrag von Lissabon wäre ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung. Er stärkt die Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments, dehnt das Subsidiaritätsprinzip auf die regionalen und kommunalen Selbstverwaltungsgremien aus und gibt den nationalen Parlamenten, also auch Ihnen, meine Damen und Herren, Kontrollfunktionen über die Einhaltung dieses Prinzips. Er reduziert die mit dem Einstimmigkeitserfordernis im Rat verbundenen Blockadepotenziale und erhöht nicht zuletzt mit der Einführung der so genannten doppelten Mehrheit im Rat das Stimmengewicht Deutschlands, des bevölkerungsstärksten Mitgliedstaates.
Aus diesen und weiteren Gründen, die ich schon mehrfach im Landtag erläutern konnte, hält die Landesregierung an ihrer Zustimmung zum Vertrag von Lissabon fest, mit dem Europa nicht nur seine innere und äußere Handlungsfähigkeit stärken, sondern auch seine Reformfähigkeit unter Beweis stellen würde. Deshalb hoffen wir auch auf einen positiven Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht.
Die Richter haben zu Beginn des Verfahrens sehr deutlich erklärt: Die europäische Idee als solche stehe nicht zur Debatte und der Vertrag bringe gegenüber dem Status quo zunächst einmal einen Freiheitsgewinn für den Bürger und einen Gestaltungsgewinn für den deutschen Staat. Deutschland, das nach der Präambel zum Grundgesetz als gleichberechtigtes Mitglied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen verspricht, ist und bleibt europa- und völkerrechtsfreundlich.
Andererseits muss man die Sorge ernst nehmen, dass mit der Abgabe von Hoheits- und Selbstbestimmungsrechten an die EU vom Grundgesetz garantierte Werte und Prinzipien ausgehöhlt werden könnten, ohne auf der europäischen Ebene gleichwertigen Ersatz zu finden.
Es ist daher völlig legitim zu fragen, ob die europäische Rechtsordnung etwa im Bereich der so genannten dritten Säule, also der Innen- und Rechtspolitik, den gleichen Schutz der Grund- und Menschenrechte gewährleistet wie unsere Verfassung. Doch so weit geht nach meiner Überzeugung der Vertrag von Lissabon gar nicht. Er wird das Demokratie- und Rechtsstaatsdefizit der EU nicht vergrößern, sondern spürbar verringern.
Möge also das Bundesverfassungsgericht zu einem Urteil kommen, welches das Grundgesetz bewahrt, ohne die europäische Integration zu gefährden, das den Vertrag aufrechterhält und uns gleichwohl ermöglicht, europäisches Recht im Einzelfall autonom auf Grundrechtskonformität zu prüfen.
Meine Damen und Herren! Angesichts der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise sage ich in aller Deutlichkeit: Der Rückfall in eine protektionistische nationalistische Kleinstaaterei wäre keine Lösung. Er würde im Gegenteil die Gefahren vergrößern. Auch die Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt sind, auch unser Wirtschaftsleben ist so stark mit den internationalen Märkten verknüpft, dass eine Krisenbewältigung international abgestimmte Lösungsansätze voraussetzt. In dieser Situation bewährt sich die europäische Union gerade auch gegenüber dem amerikanischen Kontinent und Asien.
Die Abstimmung der Rahmenregelungen für die nationalen Programme im Europäischen Rat vom Dezember 2008 hat gewährleistet, dass die nationalen Anstrengungen in eine einheitliche Richtung weisen und sich nicht etwa gegenseitig neutralisieren. Auf europäischer Ebene gehören zum Maßnahmenpaket Erleichterungen in der europäischen Rechtsordnung und im Beihilfe- und Vergaberecht, die schneller umgesetzt werden konnten als die Änderung von 27 nationalen Regelungen.
Zum Paket gehören die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank für die Stabilität des Euro und der Einsatz europäischer Fördermittel zur Beschleunigung von Investitionen. Dazu gehört auch die Aufrechterhaltung der Grundregeln des europäischen Binnenmarkts, der Wettbewerbskontrolle und des freien Kapitalverkehrs, damit die Bemühungen um die Bewältigung der Krise nicht in einem Subventionswettlauf enden, den letztlich wir alle als Steuerzahler zu finanzieren hätten.
Die Europäische Union ist aber nicht nur eine Wirtschafts- und in weiten Teilen auch Währungsunion. Auch außenpolitisch brauchen wir eine starke Europäische Union. Ihr eigenständiger Beitrag zur Beilegung der Kaukasuskrise im letzten Sommer war ein überzeugender Beleg dafür, dass Europa als solches bei der Bewältigung internationaler Krisen und Konflikte eine wichtige Rolle spielen kann, wenn es mit einer Stimme spricht und entschlossen handelt.
Das hat sich auch im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine bewährt, der uns die herausragende strategische Bedeutung der Energieversorgungssicherheit für Europa einmal mehr vor Augen geführt hat.
Europa nimmt seit der deutschen Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 erfolgreich eine Vorreiterrolle in der weltweiten Klima- und Energiepolitik ein.
Die Zukunft wird zeigen, dass sich die Europäische Union ähnlich stark auch in die globalen Anstrengungen zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise einbringen muss, wenn es am Ende in den weltweiten Restrukturierungsprozessen, die eine solche Krise auslöst, nicht zu den Verlierern gehören will.
Aber nicht hinter uns liegende Schwierigkeiten, die wir erfolgreich bewältigt haben, sondern vor uns stehende Herausforderungen sind die eigentliche Begründung, das eigentliche Fundament für die europäische Integration in der Zukunft. Die Vertiefung der europäischen Einigung ist die Voraussetzung für die innere Stabilität Europas und für eine starke Stellung Europas in der globalisierten Welt.
Leider nimmt die Öffentlichkeit das viel zu wenig wahr. Europa wird zu oft mit Bürokratie und Institutionen und zu selten mit unserem eigenen Wirken und der europäischen Werte- und Kulturgemeinschaft identifiziert. Die Politik selbst hat mit wohlfeilen Stammtischparolen eine gewisse Mitschuld daran.
Deshalb setzt sich die Landesregierung bei ihrer Europapolitik zum Ziel, einerseits die Interessen unseres Landes auf der europäischen Ebene nachdrücklich zu vertreten, andererseits aber auch den Menschen im Land die europäischen Bezüge und Zusammenhänge unseres Handelns bewusst zu machen. Dafür wollen wir nicht zuletzt vielfältige europäische Projekte überall in Sachsen-Anhalt anstoßen, die die Europafähigkeit
von Wirtschaft und Verwaltung, Wissenschaft und Forschung, Bildung und Ausbildung nachhaltig stärken.
Meine Damen und Herren! Die Landesregierung unterrichtet das Parlament jeweils zu Beginn eines Jahres über die Schwerpunkte ihrer europapolitischen Arbeit. Der Bericht für das Jahr 2009 ist Ihnen vor wenigen Tagen zugegangen. Darin setzt die Landesregierung unter Berücksichtigung der Jahresprogramme der Europäischen Kommission und des Rates acht Schwerpunkte, die mit konkreten Vorhaben und Initiativen verbunden sind und die im Mittelpunkt der Vertretung von Landesinteressen in Brüssel und Berlin stehen, oft auch gemeinsam mit anderen Ländern und Regionen. Dies sind im Einzelnen:
der bessere Schutz der Bürgerinnen und Bürger im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie schließlich und nicht zuletzt