Protokoll der Sitzung vom 15.09.2006

Wo und wie auch immer es geregelt wird, in jedem Fall ist eine begleitende Regelung erforderlich. Es ist dringend geboten, zugleich von jeglichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber solchen Personen abzusehen, die gewissermaßen potenziell in eine Bleiberechtsregelung hineinfallen könnten. Bis zu einer Bleiberechtsregelung sollte ein Abschiebestopp gemäß § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes erlassen werden.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mir im Klaren darüber, dass eine Bleiberechtsregelung nicht alles lösen kann. Wir schaffen damit lediglich mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit für Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Humanität und Chancengleichheit sind Symbole demokratischer Gesellschaften. Das hat erst einmal nichts mit deutsch oder nichtdeutsch zu tun, sondern mit unserer generellen Einstellung dazu. Es wäre ein Hoffnungsschimmer für viele Flüchtlinge und für die in der Flüchtlingsarbeit Engagierten, wenn aus diesem Hause heute ein positives Zeichen gesendet werden würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleim schrieb im Jahr 1792:

„Was ist die Welt ohne Freunde? - Eine Wüste Sinai.“

Wir können heute einen bedeutenden Schritt tun. Ich bitte Sie, tun wir ihn.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Rente. - Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Hövelmann das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS gelesen habe, hatte ich zunächst noch ganz viel Sympathie dafür. Aber nach dem Redebeitrag von Frau Rente muss ich sagen: Hätten Sie das alles in Ihren Antrag geschrieben, dann hätten wir gleich gewusst, wohin der Hase läuft.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich werde Ihnen auch sagen, warum ich Ihrem Beitrag so kritisch gegenüberstehe. Mit dem vorliegenden Antrag der Linkspartei.PDS wird die Landesregierung aufgefordert, sich für eine zügige Verabschiedung einer bundeseinheitlichen Bleiberechtsregelung insbesondere für langjährig hier geduldete Ausländerinnen und Ausländer einzusetzen. Zudem soll im Vorgriff auf eine solche Bleiberechtsregelung durch einen Abschiebungsstopp die Aufenthaltsbeendigung für den betroffenen Personenkreis vermieden werden.

Das grundsätzliche Anliegen dieses Antrags, also die Forderung nach einer Bleiberechtsregelung, ist richtig. Ich will das ausdrücklich sagen; denn dies ist auch ein

wichtiger Punkt in der Koalitionsvereinbarung für unser Land. Im Rahmen der Ausländerpolitik hat es sich die Landesregierung zu einer dringenden Aufgabe gemacht, sich für eine entsprechende Altfallregelung einzusetzen.

Nun aber zu den konkreten Punkten des Antrags. Zunächst zur Bleiberechtsregelung einige grundsätzliche Anmerkungen. Der Ruf nach einer Altfallregelung besteht schon seit geraumer Zeit. Bereits im Rahmen der Diskussion über das Zuwanderungsgesetz wurden Stimmen nach einer entsprechenden Regelung laut. Eine Verständigung hierzu fand jedoch nicht statt.

Auch die Innenministerkonferenz beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dieser Frage. Auf der IMK im Herbst 2005 verständigten sich die Innenminister und -senatoren darauf, zunächst die nach dem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 von CDU/CSU und SPD vorgesehene Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes abzuwarten. Im Rahmen der Evaluierung sollte geprüft werden, ob die humanitären Probleme etwa mit Blick auf in Deutschland geborene Kinder durch das neue Zuwanderungsgesetz gelöst werden können. Die Innenministerkonferenz einigte sich zudem darauf, unter anderem zu diesem Zweck eine länderoffene Arbeitsgruppe auf Ministerebene einzurichten, die sich mit der Gesamtproblematik befasst und gegebenenfalls Verfahrensvorschläge entwickeln sollte.

Das Bundesministerium des Innern legte im Juli 2006, also vor wenigen Wochen, den Bericht über die Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes vor. In dem Bericht, der unter anderem unter Beteiligung der Länder erarbeitet wurde, kommt man zu dem Ergebnis, dass sich die neuen Regelungen im Wesentlichen bewährt haben.

Eine befriedigende Lösung der humanitären Probleme der langjährig hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer wurde jedoch nicht erreicht. So ist es auch zu erklären, dass die Anzahl der geduldeten Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland weiterhin auf einem hohen Stand ist. Sie haben die Zahlen genannt, Frau Rente. Es besteht also Handlungsbedarf. Diese Auffassung vertritt auch offenkundig Bundesinnenminister Dr. Schäuble, sprach er sich doch wiederholt deutlich für eine Altfallregelung aus.

Die an eine Bleiberechtsregelung geknüpften Erwartungen sollten aber nicht zu hoch sein. Die Zeiträume, die Sie genannt haben, sind unrealistisch. Die wird es nicht geben. Zum einen stehen bekanntermaßen einige Innenministerkollegen einer Bleiberechtsregelung eher skeptisch gegenüber.

Zudem ist zu bedenken, dass nicht alle langjährig sich in Deutschland aufhaltenden Ausländer unter den Anwendungsbereich eines etwaigen IMK-Beschlusses fallen werden. Erfahrungsgemäß werden Ausschlusskriterien formuliert, wie etwa Straffälligkeit. Auch die Frage der Lebensunterhaltssicherung, die bei allen bisherigen Bleiberechtsregelungen eine wichtige Rolle gespielt hat, ist in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation unseres Landes besonders bedeutsam und wird sicherlich ein Diskussionspunkt sein.

Auf der Innenministerkonferenz gilt es, die Verhandlungsspielräume auszuloten, um für Flüchtlinge, die bereits lange hier leben und sich gut integriert haben, eine Perspektive auf einen gesicherten Aufenthalt in unserem Lande zu schaffen.

Das betrifft - darin sind wir uns wiederum einig - in besonderer Weise Familien mit Kindern. In § 23 Abs. 1 des

Aufenthaltsgesetzes ist für Fälle dieser Art die Möglichkeit der Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden vorgesehen. Danach kann die oberste Landesbehörde unter anderem aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen anordnen, dass bestimmten Gruppen von Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Praxis wird auch regelmäßig zur Anwendung gebracht.

Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern. Das richtige Forum für derartige Vorhaben ist daher zunächst die Innenministerkonferenz. Erst dann, wenn sich die IMK auf ihrer Sitzung im November 2006, also in wenigen Wochen, nicht auf eine Bleiberechtsregelung verständigen sollte, wird sich die Frage nach einer entsprechenden gesetzlichen Regelung stellen, an der auch der Bundesrat beteiligt wäre.

Der Antrag der Linkspartei.PDS schießt also zumindest in diesem Punkt über das Ziel hinaus, soweit die Landesregierung sich bereits heute beim Bund und im Bundesrat einsetzen soll. Dafür besteht im Moment überhaupt kein Handlungsbedarf. Warten wir doch die Innenministerkonferenz im November ab.

Zu Punkt 2, zur Vorgriffsregelung. Die von mir eben gemachten Ausführungen belegen, dass noch nicht sicher ist, ob sich die Innenministerkonferenz auf eine Bleiberechtsregelung wird verständigen können. Es sind noch Fragen offen. Völlig offen sind die Kriterien einer solchen Regelung. Aus diesen Gründen schon ist eine Vorgriffsregelung abzulehnen; denn nach welchen Kriterien wollen wir den Personenkreis festlegen, der unter einen Abschiebungsstopp fällt, wenn wir die Kriterien für eine Bleiberechtsregelung für Altfälle noch überhaupt nicht kennen?

Zum einen würde ein entsprechender Abschiebungsstopp die Verhandlungen insbesondere mit den Ländern, die derzeit eine Bleiberechtsregelung nicht unterstützen, unnötig belasten. Daran sollten wir kein Interesse haben, wenn wir denn eine Regelung wollen. Zum anderen ist aufgrund der noch fehlenden Kriterien der begünstigte Personenkreis überhaupt nicht abgrenzbar.

Ich will hier aber deutlich sagen, dass das Innenministerium in Sachsen-Anhalt sehr wohl bereit ist, im Einzelfall zu prüfen, ob unter humanitären Gesichtspunkten aufenthaltsbeendende Maßnahmen ausgesetzt werden können. Sie haben das Beispiel aus Magdeburg von vergangener Woche angeführt. Auch hierbei ist es uns im guten Einvernehmen aller Beteiligten gelungen, eine Einzelfallentscheidung zu treffen.

Wir wollen also eine Bleiberechtsregelung haben. Sachsen-Anhalt setzt sich ein für eine Bleiberechtsregelung. Wir haben aber auch das Problem, dass wir eine Bleiberechtsregelung finden müssen, die nicht in wenigen Jahren erneut die Notwendigkeit einer Bleiberechtsregelung auf den Tisch bringt. Bisher war es so, dass eine Bleiberechtsregelung für Altfälle getroffen worden ist, worauf man nach wenigen Jahren feststellte: Wir haben schon wieder so viele Altfälle; wir müssen schon wieder eine Bleiberechtsregelung finden. Wenn eine Regelung gefunden werden soll, dann muss unser Anspruch sein, dass wir dies in einer dauerhaft bestehenden Rechtsform gelöst kriegen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen noch einmal grundsätzlich sagen, welchem Zweck eine Bleiberechtsregelung dient. Sie soll die

Menschen vor dem Abschieben schützen, die in ihrem Herkunfts- oder Heimatland entweder von politischer Verfolgung bedroht sind oder aus sonstigen Gründen in ihrem Leben gefährdet sind. Die Menschen, die nicht unter diese Kriterien fallen, brauchen aber Lebensperspektiven in ihrer Heimat, in ihren Herkunftsländern.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Das heißt, wir müssen eine Regelung schaffen, die nicht dazu führt, dass wir Menschen aus wohlgefälliger Solidarität einen Daueraufenthalt in Deutschland zubilligen, der sie daran hindert, in ihrer eigentlichen Heimat wieder eine Lebensperspektive zu entwickeln und aufzubauen.

Ich bin mir ganz sicher, dass die IMK im November eine Lösung finden wird. Die Fragen sind genannt. Das, was die Linkspartei.PDS hier in diesem Antrag fordert, ist aus unserer Sicht abzulehnen. - Danke.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Kos- mehl, FDP - Beifall bei der CDU)

Herr Minister, würden Sie eine Frage von Herrn Gallert beantworten?

Aber gern doch.

Bitte, Herr Gallert.

Herr Hövelmann, Sie haben am Anfang gesagt, der Antrag hätte viel Sympathie gehabt. Dann hat Frau Rente geredet. Sie waren fürbass erschüttert und mussten jetzt sagen, was eigentlich hier zu sagen war. Dann haben Sie aber Ihre Rede vorgelesen, in der begründet wurde, warum Sie den Antrag ohnehin ablehnen. Was war der Unterschied zwischen dem Antrag und der Rede von Frau Rente? Das ist mir nicht klar geworden.

Frau Rente hat in ihrem Redebeitrag, in der Begründung des Antrages, Kriterien für eine Bleiberechtsregelung genannt, unter anderem, dass Kinder nach zwei Jahren Aufenthalt schon einen dauerhaften Bleiberechtsstatus in Deutschland haben sollen, dass grundsätzlich ein Bleiberechtsstatus nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland zulässig sein soll. Die anderen Dinge habe ich mir nicht alle im Einzelnen gemerkt, aber das waren zumindest zwei, die ich mir gemerkt habe.

Diese Forderungen gehen erstens deutlich über das hinaus, was Sie im Antrag selber geschrieben haben. Zweitens sind sie - ich sage das hier so offen - völlig, also Lichtjahre entfernt von einer möglichen Kompromissregelung der Innenministerkonferenz. Einen solchen dezidiert kurzfristigen Aufenthalt in Deutschland, der gleichzeitig mit einem dauerhaften Bleiberecht verbunden ist, wird es auch in der IMK im November dieses Jahres nicht geben. Selbst wenn die Innenminister sich nicht einigen, wird es eine solche gesetzliche Regelung im Nachgang in der Intention auch nicht geben.

Insofern sind die Forderungen, die Frau Rente in ihrem Beitrag aufgestellt hat, völlig überzogen und unrealis

tisch und werden überhaupt nicht realisiert werden können. Wir können alle froh sein, wenn es uns gelingt, eine dauerhafte Bleiberechtsregelung für Altfälle zu finden, wenn sich Personen - ich sage mal eine Zahl - sechs Jahre in Deutschland aufgehalten haben. Dann haben wir schon richtig etwas gekonnt. Aber das auf zwei oder drei oder vier Jahre zu reduzieren, ist so etwas von unrealistisch - das wird es nicht geben.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Hövelmann. - Nun hören wir die Beiträge der Fraktionen. Es beginnt mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Das Wort hat Frau Fischer. Bitte.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! All denen, die sich mit Migration nicht erst seit heute befassen, ist diese Diskussion um eine Bleiberechtsregelung - auch Altfallregelung genannt - seit Jahren bekannt. Wie sieht denn die Lösung aus für diejenigen, die lange Jahre als Ausländer, vor allem auch mit ihren Familien, in Deutschland leben, als so genannte Geduldete? Das ist für mich für Menschen ein furchtbares Wort, ich kann mich mit dem überhaupt nicht anfreunden. Es wird überall genannt, auch in allen Behörden.

Erste Erwartungen für eine Regelung waren geknüpft an die Erarbeitung des Zuwanderungsgesetzes, das ja seit dem 1. Januar 2005 bei uns in Kraft ist. Sie alle wissen: Es war ein zähes Ringen im Bund zwischen der Union und der Koalition aus der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen um dieses Zuwanderungsgesetz, das beinahe völlig zu scheitern drohte und viele Wünsche und Erwartungen hinter sich lassen musste. Dazu gehört auch die besagte Bleiberechtsregelung.

Es ist weiß Gott nicht einfach, unter Einbeziehung vieler Kriterien und unterschiedlicher Auffassungen der Bundesländer alle unter den bekannten einen Hut zu bringen.

Um eine Altfallregelung im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes zu finden, gilt es, viele Fragen zu bedenken und vor allem auch zu beantworten. Nämlich zum Beispiel: Wie viele Jahre sollen sich die Antragsteller geduldet in Deutschland aufhalten? Frau Rente, Sie haben es eben angesprochen: Es ist ein Streitpunkt. Wie sollen sie die deutsche Sprache beherrschen? Mit anderen Worten: Hat in gewissem Maße und in welchem Umfang eine Integration hier in Deutschland stattgefunden? Wurde vielleicht im Vorfeld die Abschiebung hinausgezögert oder gar behindert? Wie sind die familiären Verhältnisse? Liegen Anhaltspunkte für ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis vor? Ich finde das auch schon wichtig. Ist vielleicht der Antragsteller oder die Antragstellerin vorbestraft mit einer Geldstrafe, Freiheitsstrafe oder Ähnlichem? Ich könnte vieles fortführen. Ich denke, Sie kennen alle genügend Gründe, die es dabei zu bedenken gibt.

In dem vom Bundesinnenministerium vorgelegten Bericht zur Bewertung des Zuwanderungsgesetzes wird festgestellt - Herr Hövelmann hat es eben ausgeführt -, dass es eben bisher zu keiner befriedigenden Lösung der humanitären Probleme der langjährig in Deutschland lebenden Ausländer gekommen sei. Dringender Handlungsbedarf sei gegeben. Das wissen wir, die wir uns mit