Protokoll der Sitzung vom 21.01.2010

(Zustimmung bei der FDP)

Es sind sich alle Parteien darin einig, dass es Inplausibilitäten im Steuersystem gibt. Jede Regierung und jede Koalition hat sich bisher an dieses Themenfeld herangewagt. In der letzten Legislaturperiode gab es im Koalitionsvertrag zwischen der SPD und der CDU auch die Vereinbarung, dass zum Beispiel zum Thema Energiesteuer eine europäische Kompatibilisierung herbeigeführt wird, weil etwa das Logistikgewerbe darunter leidet, dass die Unternehmen in den Anrainerstaaten günstigere Voraussetzungen hatten als die deutschen und immer noch haben, dass es den Tanktourismus und verschiedene andere Dinge gibt. Das alles sind Dinge, die auch im europäischen Kontext aufgegriffen werden müssen.

Natürlich reißt man in dem Moment, in dem man ein solches Feld aufgreift, das gesamte Paket mit vielen anderen Themen auf, was es umso schwieriger macht, dabei eine Kompromisslinie zu finden. So sehe ich die Mehrwertsteuerdiskussion ebenfalls ganz nüchtern und sachlich: Niemand bestreitet, dass es dringend eine Reform der Mehrwertsteuersätze geben muss.

(Zustimmung bei der FDP)

Wenn man sich einmal ansieht, was zurzeit - auch mit einer politischen Botschaft verbunden - Gesetzeslage ist, dann muss man sich schon fragen: Ist hier das Verfassungsgebot an verschiedenen Stellen richtig abgebildet? Ist die Prioritätensetzung dieser Gesellschaft richtig formuliert?

Die Mehrwertsteuer beträgt 19 % für Kinderwindeln, aber 7 % für Knabberstangen für Goldhamster. Auf Arzneimittel wird eine Mehrwertsteuer von 19 % erhoben, auf Schnittblumen von 7 %. Okay, in diesen Fällen kann man vielleicht noch eine Logik dahinter entdecken. Aber das fällt schon schwer bei einer Mehrwertsteuer von 19 % auf Mastdarm- und Herzschrittmacher und von 7 % auf Mastdarm- und Herzschrittmacherladegeräte. - So könnte man diese Reihe fortsetzen. Ein Reitpferd wird mit 7 % Mehrwertsteuer belegt, ein Fahrrad mit 19 %.

Hier ist - auch im Sinne der politischen Akzeptanz für diese Steuerart - dringend eine Kompatibilisierung, eine Anpassung an die Realität, an das gesunde menschliche Empfinden, aber auch an bestimmte politische Leitlinien erforderlich. Ich denke, es ist eine Herausforderung für die nächsten Jahre, die Steuerreform mit dem Thema Mehrwertsteuer zu verbinden.

Die Koalitionsfraktionen auf der Bundesebene haben, demokratisch legitimiert, inzwischen eine entsprechende Gesetzeslage durchgestimmt und haben das Thema Hotels herausgezogen und versucht, für diesen Bereich einen isolierten Freischlag vorzunehmen. Ich möchte über die Effekte, die dieses Gesetz bringen kann, nicht mutmaßen. Es kann selektiv durchaus positive Ergebnisse erzielen.

Das ist aber unwahrscheinlich schwer zu prognostizieren, und zwar deshalb, weil wir wissen - das merken wir auch bei unserer Förderrichtlinie der GA -, dass wir es bei uns mit einer sehr heterogenen Gesamtlage zu tun haben. Hier wurden nach der Wende viele neue Investitionen getätigt; es wurden hier erhebliche Kapazitäten aufgebaut.

Der Auslastungsgrad in diesem Bereich liegt bei etwa 30 % - manchmal sind es 20 %, manchmal 35 oder 38 %. Das bedeutet eine Unterauslastung der realisierten Kapazitäten. Deshalb haben wir uns abweichend von dem, was wir uns für die sonstige gewerbliche Wirtschaft für dieses Jahr vorgenommen haben, für diese konkrete Branche eine Abweichung vom Förderschema im Land Sachsen-Anhalt genehmigt: Wir haben überall eine Fördermöglichkeit eingeräumt, auch wenn die Arbeitsplatzzahlen in der sonstigen gewerblichen Wirtschaft konstant bleiben.

Auf der anderen Seite erwarten wir, dass es, wenn wir im Hotel- und Gaststättenbereich Investitionen fördern, einen weiterhin nachzuweisenden strukturpolitischen Effekt, verbunden mit sehr hohen Arbeitsplatzzuwächsen, gibt, von fünf plus x, sage ich einmal.

Daran sehen Sie, dass es hier um die Kapazitäten und die entsprechenden Qualitäten auf der einen Seite und um die Preisentwicklung vor dem Hintergrund eines sehr harten Wettbewerbs auf der anderen Seite geht. Deswegen haben wir durchaus Argumente dafür zu sagen: Wenn wir schon nicht zum Beispiel Rationalisierungs- und die Qualität verbessernde Investitionen fördern, dann lasst uns das über den Mehrwertsteuersatz abfangen. Denn der Investitionsbedarf ist auf jeden Fall gegeben.

Er ist auf jeden Fall auch in den Bundesländern - jetzt schauen wir einmal über Sachsen-Anhalt hinaus, zum Beispiel nach Österreich - gegeben, wo wir in Grenzlagen kommen zu Ländern, wo andere politische Entscheidungen gefällt worden sind. Dort ist die gleiche Situation wie im Logistikgewerbe zu verzeichnen. Wir haben hier ebenfalls eine europäische Wettbewerbssituation und Inkompatibilitäten, die in den betroffenen angrenzenden Bereichen schlicht und einfach zu Verwerfungen führen können.

Worauf möchte ich mit meiner Argumentation hinaus? - Ich möchte darauf hinaus, dass wir die Diskussion über notwendige Steuerreformen nicht auf einzelne Branchen und einzelne Segmente einengen sollten. Wir sollten sie vielmehr grundsätzlich positiv belegt lassen im Sinne eines politischen Auftrags für die Zukunft. Eine Steuerreform ist notwendig und alle Wege dahin sollten von uns auf jeden Fall positiv gesehen werden.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Wann setzt man eine Steuerreform im Sinne von Kompatibilisierung an? - Da haben wir das gleiche Thema wie beim EEG, das uns in Sachsen-Anhalt seit gestern sehr stark betrifft. Kein Mensch bestreitet aufgrund der Nachweisführungen - das war schon in der Vorgängerregierung so, als das Bundesumweltministerium noch von Herrn Gabriel und seinem damaligen Parlamentarischen Staatssekretär und meinem jetzigen Kollegen in Thüringen Herrn Machnig geführt wurde -, dass das EEG nachgeführt werden muss. Es ist ein deutlich größerer Aufwuchs an Kapazitäten erfolgt, als es der Gesetzgeber ursprünglich erwartet hat. Das ist gut für die klimapolitische Komponente und für die Reduzierung der CO2Emissionen.

Zugleich ist nachvollziehbar, dass hierzu Handlungsbedarf besteht. Man muss dieses Thema anfassen und besonders nachführen. Das ist die politische Begründung des jetzigen Bundesumweltministers, den ich dazu heute früh telefonisch kontaktiert habe, weil ich mir das erläutern lassen wollte.

Die Frage ist nur, ob das gerade in einer Phase passieren sollte, in der diese Branche nach dem dritten und dem vierten Quartal des letzten Jahres sehr schwierige Zeiten mit erheblichen Auftragseinbrüchen durchmacht, sodass das Gesamtsystem noch fragil ist. Aber Gott sei Dank laufen wieder Aufträge ein. In den nächsten Quartalen wird darüber entschieden, an welchen Standorten auf dieser Welt wieder nachhaltig produziert wird. Ist also der Zeitpunkt auch in Richtung eines Marktsignals richtig gewählt oder nicht?

Darüber muss man hart diskutieren. Darüber diskutieren wir auch hart. Das hat erst einmal nichts damit zu tun, wer welche Konstellation auf welcher Ebene stellt. Es hat vielmehr mit dem zu tun, was wir strukturpolitisch in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt und in ganz Mitteldeutschland gemacht haben und wofür wir inzwischen auch vom Bund ein Spitzencluster-Management bestätigt bekamen. Es geht darum, dass wir diese Kapazitäten, auch Forschungskapazitäten mit Rückbindungen an die Hochschulen und Universitäten, nicht zur Disposition stellen in dem schweren Fahrwasser, das sie zurzeit durchfahren müssen.

Deswegen stellt sich nicht die Frage, ob das EEG nachgeführt werden muss. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es jetzt und in dieser Drastik und Stärke sowie in dieser Kombination nachgeführt werden muss, bei der wir nicht genau sagen können, inwieweit die Schäden für unsere Volkswirtschaft größer sind als die Vorteile, die wir für den Verbraucher erreichen können. Das müssen wir in der Tat in den nächsten Monaten und Jahren regulieren; denn die EEG-Komponente in der Stromrechnung ist schlicht und einfach deutlich größer geworden, als wir erwartet haben und als sie allmählich auch für den gewerblichen oder privaten Endverbraucher zumutbar ist.

Lassen Sie mich zum Abschluss Folgendes sagen: Wir sollten diese Diskussion auch im Wirtschaftsausschuss produktiv weiterführen, wenn es darum geht, wie wir uns als Land auf diese Steuerdiskussion in den nächsten Quartalen und Jahren einstellen. Was ist erforderlich? Was ist auch im Sinne einer Akzeptanzfindung für Einzelentscheidungen dringend als Gesamtpaket notwendig?

Wenn man mich zum Beispiel gefragt hätte, dann hätte ich diese Mehrwertsteuerdiskussion auf jeden Fall vor dem Hintergrund geführt, dass man einige Dinge glattzieht, die der Bürger schon immer als unverständlich erachtet hat. Dann wäre es sogar möglich gewesen, in einer Krisenphase wie der jetzigen, in der alle öffentlichen Haushalte stöhnen, an diesen Stellen mit wirtschaftsförderndem Charakter Kostenneutralität zu erreichen.

Dann hätte man im Jahr 2011 den nächsten Schritt machen können, wenn sich die öffentlichen Einnahmen vielleicht wieder etwas besser darstellen lassen. Danach kann man die nächsten Schritte machen. Man sollte aber immer möglichst drei, vier Themen bündeln, damit die Bürger nachvollziehen können, dass es sich nicht um eine unlautere Privilegierung handelt.

Ich hatte vorhin schon gesagt, dass die Branche Erleichterungen im Bereich der Mehrwertsteuer durchaus drin

gend benötigt, weil die Probleme an anderen Stellen fördertechnisch nicht abgefangen werden. Das würden andere Branchen für sich jedoch genauso in Anspruch nehmen. Wenn man allein die von mir angesprochenen Probleme - die Liste ist viel länger - mit den jeweiligen Mehrwertsteuersätzen in Teilen aufgelöst hätte, dann hätte man diese Effekte hierbei wahrscheinlich sogar erreichen können, ohne dass es an dieser Stelle einen Einbruch bei den Einnahmen hätte geben müssen.

Das ist also eine taktische Empfehlung für zukünftige Diskussionen, die wir auch beim Bund durch unsere Partei hinterlegt haben, weil wir die grundsätzlichen, jetzt notwendigen Dinge nicht hinterfragen. Wir bestreiten nicht, dass man in Krisenzeiten auch Krisenmanagement betreiben muss und dass es durchaus gute Gründe für ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz gibt. Aber es muss eben kompatibel sein mit den Dingen, die wir uns im Zusammenhang mit unserer Investitionsquote in unseren öffentlichen Haushalten gerade in dieser Phase weiterhin zumuten wollen.

Wir hatten heute früh eine nicht ganz einfache Diskussion über einen Haushalt, der genau dadurch geprägt ist, dass die fehlenden Steuereinnahmen uns letztlich aus dem angestrebten gedeckten Haushalt hinaus in dieses nicht ganz einfache Fahrwasser geführt haben.

Unter dem Strich bitte ich das Parlament darum, eine Lösung zu finden, die dazu führt, dass wir der Beantwortung der von der FDP gestellten Fragen möglichst belastbare Daten zugrunde legen können. Das heißt, dass wir eine gewisse Laufzeit haben und dass man vielleicht eine Variante wählt, wie sie auch die Koalitionsfraktionen vorgeschlagen haben, bei der wir ohnehin eine Mittelstandsbewertung vornehmen müssen unter dem Blickwinkel der Auswirkungen der Krise und verschiedener anderer Komponenten. Diese sollten wir fortschreiben und schauen, ob es etwas Positives gebracht hat oder nicht.

Wichtig ist, dass wir den generellen Pfad nicht verlassen, dass die Steuerreform eben mehr sein muss als eine selektive Mehrwertsteuerreduzierung für eine einzelne Branche, der wir es zwar wünschen, aber der wir letztlich auch keine Privilegierung zukommen lassen wollen. Denn wir haben die Verantwortung für das gesamte Gemeinwesen in diesem Lande zu tragen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, der Abgeordnete Herr Franke hat eine Nachfrage. - Bitte sehr.

Herr Minister, nur eine Frage. Haben Sie am Koalitionsvertrag mitgearbeitet und haben Sie dem Koalitionsvertrag zugestimmt?

Ich kann Ihnen ganz klar sagen, dass ich an diesem Koalitionsvertrag in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales mitgearbeitet habe. Da war das nicht Thema. Bei den regelmäßigen Arbeitsgruppenbesprechungen, vor allen Dingen bei denen der Ostländer, haben wir zu diesem Thema genau diese Botschaft formuliert, die ich gerade genannt habe: Man kann es angehen, aber macht es bit

te ein bisschen breiter, damit wir - mit „wir“ meine ich uns als Berliner Koalitionspartner - auch Akzeptanz finden und uns eine Diskussion, wie sie Herr Gallert schon auf seinem Papier oder in seinem Kopf für seinen Redebeitrag gespeichert hat, ersparen.

An der Abstimmung habe ich nicht teilnehmen können, weil ich zu der Zeit in Israel weilte.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Da haben Sie aber Glück gehabt!)

Danke, Herr Minister. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Hampel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da die FDP ein großer Anhänger der europäischen Vergleiche ist - Herr Schrader, Sie haben es benannt, 21 von 27 EU-Staaten haben verringerte Mehrwertsteuersätze für die Hotellerie, das ist richtig -, will ich aber auch darauf aufmerksam machen, dass es in 20 von 27 EU-Ländern einen gesetzlichen Mindestlohn gibt.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich freue mich, die FDP bei diesem Punkt demnächst auch an unserer Seite zu haben.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

- Frau Hüskens, am Schluss gern. - Ich möchte jetzt trotzdem gern ein paar Ausführungen machen. Ich gebe zu, Minister Haseloff macht mir sonst den Einstieg etwas leichter; ich nehme immer noch ein paar Worte, meistens seine letzten, zu Beginn meiner Rede auf. Dieses Mal ist er aber etwas vom Thema abgeschweift.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Nehmen Sie die vor- letzten!)

- Auch mit den vorletzten klappt das nicht so gut. - Ich denke aber, dass in seiner Rede ziemlich deutlich geworden ist, dass der Antrag der FDP nicht so einfach zu fassen ist und dass es schwierig sein wird, im dritten Quartal dieses Jahres bereits die Auswirkung der Mehrwertsteuersenkung, die zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist, wissenschaftlich nachzuweisen.

Deshalb lag für die SPD-Fraktion die Ablehnung des FDP-Antrages zunächst nahe, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass das Statistische Landesamt Daten lediglich zu den Beschäftigten und zum Umsatz erhebt, nicht aber zu Investitionen in das Gastgewerbe oder zu Preisen für Übernachtungen. Ich glaube, dass Ihnen das nicht unbekannt ist.

Ihnen liegt der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vor. Betrachten Sie diesen als Zugeständnis in der Sache; denn - das möchte ich ganz deutlich sagen - die Tourismuswirtschaft ist ein wichtiger Teil der mittelständischen Wirtschaft unseres Landes, und selbstverständlich ist es auch im Interesse der SPD-Fraktion, wenn zusätzliche Mittel in die Bausubstanz und in die Lohntüten der Angestellten fließen.

(Beifall bei der SPD)

Das wünschen wir uns sehr. Wir sind gespannt auf möglichst zeitnahe neue Erkenntnisse in dieser Sache.

Neu ist allerdings, dass die FDP, die vehement für Bürokratieabbau und gegen zusätzliche statistische Erhebungen steht, hier zur Messbarkeit der eigenen Erfolge Bürokratie einfordert. Seit Jahren betet die FDP ihr Mantra von einem niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuersystem.

(Herr Kosmehl, FDP: Das ist auch gut so!)

Nach einhelliger Meinung nahezu aller Wirtschaftswissenschaftler, aber auch von Betroffenen hat der verminderte Mehrwertsteuersatz dies genau nicht erreicht.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)