Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Inhalt einer Verordnung überlassen werden. Damit, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, würde dieses Hohe Haus seine Finanzhoheit über Mittel in Höhe von 70 Millionen € grundlos und ohne Not abgeben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Völlig außer Acht gelassen wird, dass seriöse Genehmigungen im öffentlichen Verkehr bzw. entsprechende Verträge zur Gestaltung und Durchführung öffentlicher Verkehre mindestens eine Laufzeit von fünf bis zehn Jahren haben.

Zweitens. Die differenzierte Behandlung des Schienenpersonennahverkehrs und des straßengebundenen ÖPNV bei den Ausgleichszahlungen für Leistungen im Ausbildungsverkehr.

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Ausgleichszahlungen für den Schienenpersonennahverkehr von der seit dem 3. Dezember 2009 in Deutschland geltenden Verordnung der Europäischen Gemeinschaft 1370/2007 ausgenommen werden. Die Auszahlung der gleichen Ausgleichsleistungen an Unternehmen im straßengebundenen ÖPNV soll jedoch nach dem Gesetzentwurf an eine der vorgenannten Verordnung gerecht werdende Satzung der Aufgabenträger gebunden werden.

An keiner Stelle, weder im Gesetzentwurf noch in der dazu gehörigen Begründung, wird diese ungerechtfertigte Differenzierung oder - wie man sie nennen sollte - Benachteiligung des straßengebundenen ÖPNV begründet. Wir halten diese Ungleichbehandlung für nicht haltbar.

Ebenso wenig haltbar ist die Begrenzung der Ausgleichszahlungen auf 90 % des Aufwandes der von den Verkehrsunternehmen erbrachten Leistungen. Entsprechend der vorgenannten Verordnung, nachzulesen sowohl in den Erwägungsgründen als auch in dem entsprechenden Verordnungstext, haben alle Verkehrsunternehmen, welche gemeinwirtschaftliche Leistungen erbringen, Anspruch auf vollständige Vergütung zuzüglich eines angemessenen Gewinns.

Was der Privatwirtschaft recht ist, sollte wohl den vorwiegend kommunalen Verkehrsunternehmen ebenso zugestanden werden. Die Landesregierung - ich fordere Sie, Herr Minister, ausdrücklich auf, dies in den Ausschüssen auch zu tun - möge plausible Gründe für diese weitere und vor allem gesetzeswidrige Benachteiligung der Verkehrsunternehmen nennen.

Drittens. Zu der aus unserer Sicht bevorstehenden Zerstörung gewachsener Strukturen im Ausbildungsverkehr.

Meine Damen und Herren! In der gesamten Bundesrepublik sind Semestertickets für Studierende üblich. Diese Semestertickets sind an eine sehr hohe Auflage und damit einen sehr hohen Preisvorteil gegenüber regulären Fahrscheinen gebunden.

Das Semesterticket als eine ausgeprägte Form des umlagefinanzierten öffentlichen Nahverkehrs wird es mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfs in unveränderter Fassung in Sachsen-Anhalt künftig so nicht mehr geben. Offenbar durfte das Kultusministerium bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs nicht mitreden. Es ist sogar zu befürchten, dass das Semesterticket bei Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfs unverzüglich auf die rote Liste aussterbender Spezies zu setzen ist.

Betriebswirtschaftlich gestalten die Verkehrsunternehmen das Semesterticket auf der Grundlage einer mittlerweile üblichen Finanzierung durch alle Studierenden und der damit untrennbar verbundenen auszugebenden Masse in Verbindung mit einer Kalkulation, dass nicht alle Inhaber des Tickets dieses auch umfassend nutzen.

Gegenwärtig zahlen zum Beispiel Studierende in Halle für ein „Semesterticket plus“ zwischen 71 € und 107 €. Mit der vorliegenden Regelung würde sich dieses Ticket auf das Dreifache, nämlich auf 223 bis 330 € verteuern.

Meine Damen und Herren! Für Magdeburg wurde erst im letzten Jahr ein Semesterticket für 55 € - also für nicht einmal die Hälfte des Preises für das hallesche Ticket - von den Studierenden abgelehnt. Bei der Umsetzung des Vorhabens der Landesregierung würde sich dieses nicht eingeführte Ticket auf 174 € verteuern.

Viertens. Zu dem Festhalten der Landesregierung an veralteten Grundlagen zur Berechnung der Ausgleichsleistungen im Ausbildungsverkehr.

Weder dem Gesetzentwurf noch der Begründung sind auch nur ansatzweise die Grundlagen der Berechnung der Ausgleichsleistungen im Ausbildungsverkehr zu entnehmen. Aus Gesprächen mit Betroffenen und eigenen Berechnungen wissen wir, dass die Basis der Zuwendungen an die Aufgabenträger nicht die in der Begründung genannten Zahlungen des Jahres 2008 sind, sondern die Berechnung nach wie vor auf der Basis eines spezifischen Kostensatzes aus dem Jahr 1993 erfolgt.

Die Preissteigerung betrug seitdem mehr als 50 %. Das heißt, anstatt die Ansprüche der Verkehrsunternehmen mit einem Kostensatz von 19 Eurocent zu berechnen, müssten der Ehrlichkeit halber 29 Eurocent angesetzt werden.

Da dies noch nicht genug ist, gibt es auch keine Aussagen der Landesregierung dazu, ob die im Gesetzentwurf genannten 31 Millionen € für Ausgleichleistungen für den Ausbildungsverkehr netto oder brutto über die Aufgabenträger an die Verkehrsunternehmen auszuzahlen sind. Sollten diese Zahlungen - das ist anzunehmen, da dies mit Dienstleistungsverträgen zwischen Unternehmen und Aufgabenträgern verbunden sein wird - brutto an die Verkehrsunternehmen fließen, würden dem System durch die Zahlung der Mehrwertsteuer sofort Mittel in Höhe von 6 Millionen € entzogen.

Da auch das noch nicht reicht, würde mit dem neuen Gesetz die für den öffentlichen straßengebundenen Verkehr zur Verfügung stehende Summe noch weiter reduziert, inklusive der Maßgabe, dass die den Aufgabenträgern gegenüber 2010 zur Verfügung stehende Summe um weitere 2 Millionen € gekürzt wird. Insofern, Herr Doege, stehen den Kommunen nicht Mittel in Höhe von 39 Millionen €, sondern lediglich Mittel in Höhe von 37 Millionen € zur Verfügung.

Statt, wie noch für den Haushaltsplan 2010 von diesem Hohen Haus beschlossen, einem Betrag in Höhe von 157 Millionen € inklusive Investitionen in den öffentlichen Verkehr und Fahrzeugförderung sollen den Kommunen und Verkehrsunternehmen ab 2011 somit nur noch Mittel in Höhe von 68 Millionen € bereitgestellt werden. Daraus sollen die Kommunen unter anderem auch noch Fahrzeuge fördern.

Konkret wird an folgenden Stellen gekürzt:

• Investitionen im straßengebundenen öffentlichen Per

sonennahverkehr aus dem Entflechtungsgesetz/Ge

meindeverkehrsfinanzierungsgesetz in Höhe von 59,3 Millionen €,

• Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Leis

tungen der Verkehrsunternehmen in Höhe von 21 Millionen € und

• für Investitionen im straßengebundenen Verkehr Mit

tel in Höhe von 20 Millionen €.

Diese Liste ließe sich fortsetzen. Höhepunkt ist, dass im aktuellen Haushaltsplan Mittel in Höhe von 40,7 Millionen € für Ausgleichsleistungen im Ausbildungsverkehr veranschlagt worden sind. Davon sollen künftig nur noch 31 Millionen € zur Verfügung stehen.

Daher fordern wir als LINKE:

• die Beibehaltung der Ausgleichsleistungen für den öf

fentlichen Verkehr mindestens auf dem Niveau des Jahres 2010,

• die Beibehaltung der Investitionsförderung für den öf

fentlichen Verkehr sowohl an Aufgabenträger als auch Verkehrsunternehmen mindestens auf dem Niveau des Jahres 2010

• und die Auszahlung von Ausgleichsleistungen in der

Schülerbeförderung auf der Basis der tatsächlich erbrachten Leistungen der Verkehrsunternehmen.

Meine Damen und Herren! Unser Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf beinhaltet eigentlich nur den heutigen Status quo - nicht mehr und nicht weniger.

Und wenn man überlegt, woher das Geld kommen soll, Herr Minister, dann rege ich an, sich mit den Trassenentgelten, welche Sachsen-Anhalt an die Deutsche Bahn AG zahlt, intensiv auseinanderzusetzen. SachsenAnhalt - das besagen Studien des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen - zahlt von allen Bundesländern mit Abstand die höchsten Trassenentgelte.

Meine Damen und Herren! Auch wir beantragen die Überweisung des Gesetzentwurfes in Verbindung mit unserem Änderungsantrag in den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr sowie in den Bildungsausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Rotzsch.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die Redebeiträge meiner Vorgänger eingehe, erst einmal etwas Lustiges: Wer regelmäßig Bus und Bahn fährt, bleibt eher schlank und nimmt leichter ab. Je mehr Straßenbahnen und Busse in einer Stadt unterwegs sind, desto schlanker und gesünder sind deren Bewohner. - Das haben amerikanische Forscher im Rahmen einer Studie herausgefunden.

(Heiterkeit - Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre - Weitere Zurufe)

Im Vergleich zu den Autofahrern nahmen die Bus- und Bahnfahrer durchschnittlich 3 kg ab. Dazu kann ich nur sagen: Gute Aussichten für unser Land, in dem laut einer Untersuchung die meisten Menschen mit Fettleibigkeit leben.

Das Fazit der amerikanischen Studie betrachte ich natürlich auch aufgrund der völlig unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zum öffentlichen Personennahverkehr in beiden Ländern etwas skeptisch. Aber dennoch ist sie aus meiner Sicht eine willkommene weitere wertvolle Argumentationshilfe dafür, dass ein gut funktionierender öffentlicher Personennahverkehr für alle Regionen unseres Landes ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Daseins- und Gesundheitsvorsorge ist

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU, von Herrn Gürth, CDU, und von Minister Herrn Dr. Daehre)

und sich das Land Sachsen-Anhalt mit seiner Politik im öffentlichen Personennahverkehr auf dem richtigen Weg befindet. Damit widerspreche ich Herrn Heft.

(Zuruf von der CDU: Aber heftigst!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um auch in Zukunft trotz der sich verändernden demografischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einen flächendeckenden öffentlichen Personennahverkehr anbieten zu können, trat am 1. Januar 2005 das neue ÖPNVGesetz in Kraft. Das Gesetz folgte der Notwendigkeit, die straßen- und schienengebundenen Verkehrsträger entsprechend ihren wirtschaftlichen Stärken in einem neuen Mix der Bus- und Bahnangebote sowie flexiblen Bedienformen zu optimieren.

Wesentliche Veränderungen wurden auch bei den Finanzierungsregelungen vorgenommen. Gemäß § 8 Abs. 8 des Gesetzes hat die Landesregierung die Wirkungsweise dieser neuen Finanzierungsmechanismen und -strukturen drei Jahre nach dessen Inkrafttreten überprüft und dem Landtag nun einen entsprechenden Bericht vorgelegt. Mit dem heute uns vorliegenden Gesetzentwurf sollen einige Konsequenzen aus dem Bericht gezogen werden, um somit den öffentlichen Verkehr in unserem Land weiter stärken zu können.

Ich will mich nun kurz auf einige wesentliche Aspekte konzentrieren. Ich schaue jetzt zu Herrn Heft. - Wo sitzt er denn? - Lieber Herr Heft, bei Ihrer Rede habe ich mich gefragt, mit welchem Gesetzentwurf Sie sich befasst haben. Kritik ist berechtigt, ganz klar, auch aus der Opposition heraus. Aber meines Erachtens war Ihre Kritik an diesem Gesetzentwurf doch ein Stück weit überzogen.