Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

Ich kann nun den Tagesordnungspunkt 20 aufrufen:

Erste Beratung

Hauptschulabschlussbezogenen Unterricht sichern

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2871

Ich bitte wiederum Herrn Kley, den Antrag einzubringen. Bitte schön.

Her Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte ich die Gelegenheit nehmen, mit diesem Antrag den Fokus noch einmal auf eine Schulform zu richten, die in letzter Zeit in Deutschland immer wieder als aussterbend diskutiert wurde, die häufig zu Unrecht negativ in die Schlagzeilen kam und wozu man auch in Sachsen-Anhalt zu einem gewissen Zeitpunkt der Meinung war, dass man durch ihre Abschaffung automatisch die Qualität der Schüler verbessern könnte.

Dieses war nicht eingetreten. Wer sich daran erinnert, als der Hauptschulgang reduziert und es nur noch A- und B-Klassen gab, der weiß, welche Probleme dies für die Schülerinnen und Schüler mit sich brachte, der weiß, dass damals der Anteil derer, die ohne Abschluss die Schule zu verlassen drohten, anstieg. Deshalb ist bewusst wieder dahin gegangen worden, in der Sekundarschule, die bei uns besteht und die deshalb auch als einheitliche Schule weiterhin bestehen soll, einen klaren Hauptschulabschluss zu ermöglichen und dies, wenn möglich, auch in eigenen Klassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer sich die Statistik der jüngsten Zeit einmal anschaut, der stellt fest, dass auch hier der demografische Wandel seine Spuren hinterlässt und dass zunehmend weniger Schüler unsere Schulen aufsuchen. Deshalb tritt an den kleineren Schulen, die wir aber auch lokal belassen wollen, auch das Problem auf, eigenständige Klassen zu bilden, die ab Klasse 7 auf den Hauptschulabschluss vorbereiten.

Wenn man sich die Entwicklung im Bildungsbericht anschaut, dann stellt man fest, dass sich in jüngeren Jahrgängen kaum noch eigenständige Klassen bilden. Zunehmend wird der Unterricht in kombinierten Klassen organisiert mit der Folge, dass zum einen die Hauptschüler in einer äußeren Differenzierung in der Klasse mitgenommen werden müssen, da vielfach der Anteil zu gering ist, um eigenständige Lerngruppen zu bilden, und zum anderen auch für diejenigen, die einen Realschulabschluss anstreben, ein kombinierter Unterricht not

wendig ist, der auch andere Gesichtspunkte in die klassische Unterrichtsgestaltung einbezieht.

Wer mit den Lehrerinnen und Lehrern spricht, stellt fest, dass das häufig sehr gut funktioniert, dass auch die Schulleiter mit dieser Struktur zufrieden sind. Jedoch breitet sich parallel dazu in diesen Schulen schleichend das produktive Lernen aus. Das heißt, angesichts der Gesamttendenz besteht die Gefahr, dass offensichtlich ein Verdrängungswettbewerb stattfindet. Wir haben an dieser Stelle die Hoffnung, dass in dem Fall, in dem dem Hauptschulabschluss bzw. dem Hauptschulgang wieder mehr Bedeutung zugemessen wird und die Klassen verkleinert werden, die Chancen für die jungen Menschen eher gegeben sind, den Anschluss zu finden und damit einen Abschluss zu erreichen.

Wer sich die Klassenteile einmal anschaut, der stellt fest, dass bei dem Anstreben des Realschulabschlusses bei 20 Schülern eine Klasse zu bilden ist und bei Hauptschulgängen ausnahmsweise auf bis zu zehn Schülern bei der Bildung einer einzelnen Klasse herabgegangen werden kann. Gerade die Möglichkeiten, individuell auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen, sind es, die den jungen Menschen in der Schule die Fördermöglichkeiten vermitteln, ihnen die Chance geben, einen Abschluss zu erreichen und damit später in das duale System einzusteigen, einen Beruf zu ergreifen und eben nicht als Empfänger von Arbeitslosengeld II abzugleiten, sondern sich eine eigene Lebensperspektive aufzubauen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb haben wir mit dem heute vorliegenden Antrag den Fokus auf diese Schüler gelenkt, weg von der Diskussion, ob alle einen Hochschulzugang brauchen, hin zu denen, über die wir eigentlich wirklich diskutieren müssen. Denn diejenigen, die gegenwärtig den Hauptschulabschluss anstreben, bedürfen unserer besonderen Fürsorge. Wenn wir zukünftig über die Fragen der Integration und der Inklusion in einem stärkeren Maße diskutieren, dann ist auch die Frage der Erlangung des Hauptschulabschlusses wieder stärker mit in den Fokus zu rücken.

Immer wieder führen wir in Deutschland die Debatte über die Abschaffung des Hauptschulganges. Alle sollen den Realschulabschluss erreichen, und das Leben wird besser für jedermann. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die besondere Betreuung und die besondere Ausgestaltung der Rahmenrichtlinien und der Lehrpläne, die auf einen stärkeren Praxisbezug eingehen, könnten damit verlorengehen. Ein stärkerer theoretischer Anteil könnte die Schülerinnen und Schüler überfordern und zu einer abseitigen Haltung führen. Eine Zurücknahme aus dem Schulbetrieb führt dazu, dass der Abschluss nicht erreicht wird und dass die Bildungskarrieren nicht zum Erfolg gelangen.

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir diesen Antrag vorgelegt. Anhand der Entwicklung ist zu erkennen, dass in den Sekundarschulen stets und mit einem steigenden Anteil mindestens ein Drittel aller Schüler den Hauptschulabschluss anstrebt. Mittlerweile steigt dieser Anteil wieder. Im Moment betrifft dies in Klasse 7 fast 40 % der Schülerinnen und Schüler, die sich jedoch nur zur Hälfte in eigenständigen Klassen wiederfinden, während der Großteil der Klassen mittlerweile kombinierte Klassen sind.

Der sehr hohe Anteil an kombinierten Klassen lässt schlussfolgern, dass ein oder zwei Hauptschüler in diesen Klassen sind und natürlich die Gefahr besteht, dass

diese ein wenig an den Rand gedrängt werden, dass die spezielle Betreuung verlorengeht und dass dann gerade in den höheren Klassenstufen, in der es um die Vorbereitung auf den Realschulabschluss geht, für diese Schüler Probleme auftreten könnten.

Wir haben hierzu nicht die Allgemeinlösung. Man muss mit Sicherheit eine Kombination aus Lehrerstundenzuweisung und aus der Frage der direkten Empfehlung für die Eltern, welche Schule die Kinder aufsuchen können, finden. Wenn sich mehrere Sekundarschulen in einem bestimmten Bereich befinden und dort erreicht werden können, dann muss man die Schuleinzugsbereiche aufheben, dann muss man die Möglichkeit schaffen, dass sich eine Schule auf diese Ausbildungsgänge konzentriert und spezialisiert, während die andere Schule frei gewählt werden kann, und dann muss auch den Schülern die Möglichkeit gegeben werden, gezielt die ihnen empfohlene Schule aufzusuchen.

Das bedeutet auch eine Koordinierung der Schülertransporte, um die jeweilige Schule anzufahren. Andererseits heißt das auch die Spezilaisierung der Lehrer, die erweiterte Stundenzuweisung oder im Rahmen von erweiterten Ausnahmegenehmigungen mit kleinen Klassen diese Betreuung zukünftig vornehmen zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir glauben, dass mit der Diskussion über die Sekundarschule nicht nur das Thema immer wieder aufkommen muss, dass mit dem Besuch der Sekundarschule, wie vom Bildungskonvent besprochen, die Möglichkeit eröffnet werden sollte, direkt eine Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen. Das betrifft immer nur einen ganz kleinen Anteil, und das sind nicht die Menschen, über die wir debattieren, und nicht die, die den Anteil von mehr als 11 % ohne Abschluss ausmachen. Für diese Menschen brauchen wir mehr als nur warme Worte. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen, um gerade in Sachsen-Anhalt noch einmal eine Diskussion über den Hauptschulgang anzustoßen und hiermit für junge Menschen Chancen zu eröffnen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kley. - Nun bitte Frau Ministerin Wolff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich gibt es weiterhin den Hauptschulabschluss. Wer diesen ablehnte, müsste entweder bereit sein, die Anforderungen an den Realschulabschluss zu senken oder mehr Schüler ohne Abschluss und ohne eine Leistungsverschlechterung hinzunehmen.

Selbstverständlich halten wir uns an die Festlegungen der KMK zum Stundenumfang und zum Fächerkanon, wie sie in der KMK-Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I vom 3. Dezember 1993 in der Fassung vom 9. Oktober 2009 festgelegt wurden, sowie an die Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss.

Betrachtet man die Versetzungsverordnung und die einschlägige Verwaltungsvorschrift, den Runderlass des MK über die Arbeits- und Unterrichtsorganisation in der Sekundarschule vom 10. Mai 2010, dann stellt man fest, dass sich Grund und Kriterien der Differenzierung in der Sekundarschule nicht geändert haben.

Auch im aktuellen Schuljahr 2010/2011 gelten die folgenden Grundsätze: Ab dem 7. Schuljahrgang wird der Unterricht abschlussbezogen gestaltet, und zwar auf der Grundlage einer Einstufung. Die abschlussbezogene Differenzierung erstreckt sich auf Lernziele, Lerninhalte und die Systematik in den Fächern. Kriterien dafür sind erstens Umfang und Niveau der zu erwerbenden fachbezogenen Kompetenzen, zweitens die Komplexität der Methoden und Arbeitsweisen, drittens der Grad der Selbständigkeit und Eigenverantwortung beim Lernen sowie viertens Abstraktionsgrad, Komplexität und Grad der fächerübergreifenden Vernetzungen.

Um dem Abschlussbezug gerecht zu werden, gibt es die folgenden drei Organisationsformen: erstens abschlussbezogene Klassen, also Real- und Hauptschulklassen. Zweitens kombinierte Klassen mit abschlussbezogenen Lerngruppen in den Differenzierungsfächern Deutsch, Mathematik, Englisch ab dem 7. Schuljahrgang und Physik ab dem 9. Schuljahrgang. Das sind im 7. Schuljahrgang immerhin zwölf Wochenstunden. In den anderen Fächern erfolgt der abschlussbezogene Unterricht binnendifferenziert durch klasseninterne Lerngruppen. Drittens gibt es kombinierte Klassen mit binnendifferenziertem Unterricht durch klasseninterne Lerngruppen.

Welche dieser Organisationsformen gewählt wird, obliegt grundsätzlich der Entscheidung der einzelnen Sekundarschule. Allerdings hängt die Breite der Wahlmöglichkeiten von der jeweiligen Schülerzahl ab. Jetzt wird es noch einmal kompliziert: Um eine Hauptschulklasse zu bilden, sind mindestens 15 Schülerinnen und Schüler erforderlich. Lerngruppen in den Differenzierungsfächern können mit mindestens zehn, aber mit höchstens 14 Schülern gebildet werden.

Unter bestimmten Voraussetzungen hat die Schule weitere Gestaltungsmöglichkeiten.

So können auch Hauptschulklassen mit zehn bis 14 Schülern gebildet werden, wenn die sich aus der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler des Schuljahrgangs ergebende Klassenanzahl nicht überschritten wird und kein zusätzlicher Stundenbedarf entsteht. In diesen Fällen kann die Höchstschülerzahl für Realschulklassen überschritten werden und dann erhält die Schule eine zusätzliche Zuweisung von sechs Lehrerwochenstunden.

Es tut mir leid, dass ich Sie mit diesen technischen Details langweilen musste. Aber diese Mindestgrößen von Klassen und Lerngruppen erscheinen mir nicht wirklich überzogen. Sie lassen manches andere Land erstaunen und tragen einen guten Teil zu der überaus günstigen Schüler-Lehrer-Relation in Sachsen-Anhalt bei, die ein Finanzministerium naturgemäß immer wieder Fragen stellen lässt.

Hat die Schule in einem Jahrgang 15 Schüler oder mehr dem Hauptschulabschluss zugeordnet, muss sie keine eigenen Klassen bilden. Sie kann es tun, sofern sich dadurch die Anzahl der zu bildenden Klassen im Schuljahrgang nicht erhöht. Bei gleich bleibender Klassenanzahl ist auch das zugewiesene Stundenvolumen unverändert. Bildet eine Schule Lerngruppen, muss der Unterricht in den Differenzierungsfächern gegebenenfalls auch klassenübergreifend erfolgen.

Die Schulen haben also eine relativ große Organisationsfreiheit, in der sie allein ihrer pädagogischen Verantwortung verpflichtet sind. Soweit ich weiß, geht diese Freiheit der einzelnen Schulen wesentlich auf die von

der FDP im Jahr 2002 mit unterzeichnete Koalitionsvereinbarung zurück.

Was einer Veränderung unterlag, sind die Voraussetzungen, unter denen nach dem 6. Schuljahrgang eingestuft wird. Statt der bisherigen Anforderung - Notendurchschnitt 3,3 - gilt eine modifizierte Versetzungsregelung. Das heißt, in den realschulabschlussbezogenen Unterricht wird eingestuft, wer versetzt wird und höchstens eine ausgeglichene Fünf in einem so genannten sonstigen Fach hat, also nicht Deutsch, Mathe oder Englisch.

Umgekehrt klingt es ein wenig komplizierter. Es ist aber das Gleiche. In den hauptschulabschlussbezogenen Unterricht wird eingestuft, wer eine Fünf ohne Ausgleich hat oder, auch wenn er ausgleichen kann, eine Fünf in einem Kernfach - Deutsch, Mathe oder Englisch - oder zwei Fünfen in sonstigen Fächern.

Für diese Veränderung war zum einen der Blick auf Entwicklungen in anderen Ländern maßgebend. Die Einstufungsbedingungen in Sachsen-Anhalt sollen nicht großzügiger, aber sie müssen auch nicht strenger sein als anderswo. Hinzu kommt, dass die Schuljahrgänge 5 und 6 entgegen einer landläufigen Ansicht keine differenzierende Förderstufe mehr bilden.

Das spricht dafür, dass man mit den Bestehensleistungen nach der 6. Klasse grundsätzlich für den Unterricht in den Jahrgängen 7 bis 10 vorbereitet ist.

Richtig ist, dass die neue Regelung zwar nicht erwarten lässt, dass es künftig keine Hauptschüler mehr gäbe, aber es war schon zu erwarten, dass es weniger werden würden.

Vergleicht man die Klassenbildungen in diesem Schuljahr mit dem Vorjahr, ergibt sich folgendes Bild: Wurden im Schuljahr 2009/2010 die Schüler zu Beginn des 7. Schuljahrgangs noch im Verhältnis von 75 : 25 zugunsten des Realschulabschlusses eingestuft, liegt in diesem Schuljahr das Verhältnis bei 90 : 10.

Der Anteil der kombinierten Klassen stieg von 52,3 % auf 58,8 %, wobei diese steigende Tendenz auch schon in den Jahren zuvor zu beobachten war.

Auch der Anteil reiner Realschulklassen nahm zu, und zwar von 34,9 % auf 39,9 %. Das entspricht fast dem Anteil, den wir auch im Schuljahr 2007/2008 hatten, der aber zuvor noch deutlich höher lag.

Eine bildungspolitische Grundsatzfrage kann ich allerdings nicht erkennen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist immer zu beachten, dass wir hierbei nicht darüber sprechen, wer unter welchen Anforderungen welchen Abschluss erhält, sondern nur darüber, wer zu Beginn der 7. Klasse erstmals in welchen Unterricht eingestuft wird. Es geht also um die viel beschworene Durchlässigkeit bis zum Abschluss.

Zweitens ergibt sich die zunehmende Zahl von kombinierten Klassen, und zwar auch solcher mit Binnendifferenzierung, eigentlich zwingend aus zwei Prämissen, die mir in diesem Haus allgemein geteilt zu werden scheinen: zum einen daraus, dass junge Menschen die Chance auf einen möglichst guten Schulabschluss erhalten sollen, und zum anderen daraus, dass wohnortnahe und damit häufig kleine, also einzügige, Sekundarschulen erhalten bleiben sollen. Dort sind Hauptschulklassen oder Lerngruppen natürlich häufig nicht mehr möglich.

Was die individuelle Förderung betrifft, steht den Schulen außerdem ein Stundenpool für verschiedene För

dermaßnahmen zur Verfügung, um das Ziel der Sekundarschule zu erreichen.

Vor dem Hintergrund des neuen, kompetenzorientierten Lehrplans in diesem und im nächsten Schuljahr bedeutet das vor allem, dass die verschiedenen Lernausgangslagen, das unterschiedliche Lernverhalten und die Lernsituation der Schülerinnen und Schüler zu beachten sind und diesen durch differenzierten Lehr- und Lernverfahren zu entsprechen ist.

Denn, meine Damen und Herren, wir sind uns doch darüber einig, dass wir mehr Bildung brauchen, nicht weniger.

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der LIN- KEN)

Mit Recht sprechen Sie an, dass in kombinierten Klassen die Berufsorientierung für Hauptschüler nicht eingeschränkt werden darf. Das geschieht dann automatisch nicht, wenn sich diese Berufsorientierung an alle wendet.

Zunehmend beteiligen sich Schulen an Praxisprojekten wie „Brafo“ ab dem 7. Schuljahrgang und organisieren Praxistage auch ab dem 7. Schuljahrgang. Damit alle Schülerinnen und Schüler an den verbindlichen Betriebspraktika teilnehmen können, wurden sie in den 8. und 9. Schuljahrgang gelegt.