Protokoll der Sitzung vom 10.12.2010

(Unruhe bei der FDP - Herr Wolpert, FDP: Ja, ge- nau!)

Der Einzige, der den Gesetzentwurf der Bundesregierung damals offensiv vertreten hat, war der Kollege Haseloff als Vertreter der Landesregierung. Ob es allerdings die Position der Landesregierung ist, das wollen wir heute zu erfahren versuchen; denn dann müsste man nach deren Positionierung am 17. Dezember 2010 eigentlich zustimmen.

Was hat der Landtag damals gemacht? - Er hat keine Positionierung beschlossen, sondern er hat beschlossen, man möge sich einmal im Ausschuss für Soziales und im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit des Landtages mit der Berechnung beschäftigen.

(Zuruf: Richtig!)

Nun sage ich mal: Das war ein pädagogischer Alternativantrag, denn das hätten wir alle auch selbst machen können, und zwar im Selbststudium. Der Antrag war offensichtlich auch nicht richtig ernst gemeint; denn bis zum heutigen Tag ist in beiden Ausschüssen diesbezüglich nichts passiert.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Bei Ihnen passiert doch auch nichts! Machen Sie mal!)

Es ist also ein typischer Ausweichantrag, weil man sich in der Sache nicht positionieren will.

(Herr Kosmehl, FDP: Man muss wissen, wann Schluss ist!)

Das ist die Situation, um die es geht.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Ach!)

Jetzt will man sich zwei Tage vor dieser Abstimmung im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit das erste Mal überhaupt mit dieser Geschichte auseinandersetzen. Dazu sage ich ganz deutlich: So darf man politischen Entscheidungen, die anstehen, nicht ausweichen.

(Unruhe bei der FDP - Zuruf von der FDP: Na, wunderbar! Machen Sie das!)

Andere waren da fleißiger. Meine eigene Bundespartei hat eine entsprechende Berechnung vorgelegt,

(Oh! bei der FDP - Herr Stahlknecht, CDU: 1 500 € fürs Nichtstun! - Herr Kurze, CDU: Ach!)

und zwar ausdrücklich auf der politisch-logischen Grundlage von Hartz IV, so wie es ursprünglich in dem Gesetz aufgeschrieben gewesen ist und wie das Bundesverfassungsgericht es auch verlangt hat.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Dabei ist ein Regelsatz für einen Alleinstehenden in Höhe von 460 € herausgekommen.

Nun habe ich erwartet, dass es - aus meiner Sicht völlig unverständlicherweise - in diesem Hohen Hause möglicherweise Misstrauen gegen die Berechnung meiner eigenen Partei zu diesem Thema gibt.

(Zuruf: Wieso?)

Es gibt aber ein anderes interessantes Papier. Deshalb ist es wichtig, dass wir als politische Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt uns mit dieser Geschichte auseinandersetzen und beschäftigen.

(Herr Dr. Eckert, DIE LINKE: Richtig!)

Das ist ein Papier der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland bzw. der Diakonie Mitteldeutschland, die eine solche Berechnung ebenfalls angestellt haben. Die sagen: Wenn wir die politischen Voraussetzungen von Hartz IV erfüllen sollen, auch das, was im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt worden ist, bräuchten wir für den Alleinstehenden einen Regelsatz in Höhe von 480 €,

(Herr Gürth, CDU: Ganz schön!)

also noch mehr als das, was meine eigene Partei ausgerechnet hat.

(Herr Gürth, CDU: Manche rechnen noch mehr aus! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Und? - Zuruf von der CDU)

Sie begründen das auch. Sie begründen das ausdrücklich mit einer detaillierten Berechnung, die sie vorgelegt haben.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Dazu sage ich: Man kann das ignorieren.

(Zuruf von der CDU: Wie bitte?)

Man kann sich darüber hinwegsetzen.

(Zuruf: Ach!)

Man kann sich darüber auch lustig machen.

(Herr Wolpert, FDP: Man kann sich auch damit auseinandersetzen! Machen Sie das!)

Aber: Im Interesse derjenigen, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt haben, haben wir die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, uns ernsthaft mit deren Papieren auseinanderzusetzen und nicht so einfach und ohne Weiteres darüber hinwegzugehen.

(Starker Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Fangen Sie mal an damit! - Herr Wolpert, FDP: Sagen Sie das mal der Gegenseite, ohne dass wir gleich in die Ecke gestellt werden!)

Was sagt die Diakonie dazu, was die entscheidenden Fehler der Berechnung der Bundesregierung sind?

Erstens. Die Bundesregierung ist völlig ohne eine inhaltliche Begründung davon ausgegangen, dass nicht mehr 20 % der ärmsten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland zur Berechnung herangezogen werden, sondern nur noch 15 %. Dafür gibt es überhaupt keine Begründung. Das ist einfach mal so gemacht worden.

(Herr Scharf, CDU: Welche Begründung gibt es denn für die 20 %?)

- Die 20 % sind ausdrücklich in der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben. Gucken Sie sich das doch mal an! Deswegen sind die 20 % so wichtig.

(Zuruf: Quatsch!)

Zweitens. Des Weiteren bringt die Diakonie vor: Der nächste Fehler war, dass die Bundesregierung eines nicht gemacht hat: Die Bundesregierung hat die Aufstocker, die ja im Wesentlichen faktisch ein Haushaltseinkommen wie Hartz-IV-Familien haben, nicht herausgerechnet. Das bedeutet, im Endeffekt hat man einen Zirkelschluss realisiert. Man hat sich angeguckt, was bekommen die Menschen, die in etwa in einer ähnlichen Situation sind, und hat dann auf einmal festgestellt, sie sind in einer ähnlichen Situation und können nicht mehr Geld ausgeben als diejenigen, die jetzt im Hartz-IV-Bereich sind. Das ist aber ausdrücklich eben nicht vernünftig und sinnvoll im Herangehen.

(Zurufe)

Man hat die verdeckten Armen nicht herausgerechnet. Verdeckte Armut, was ist das? - Wir wissen, dass ein Großteil der Dinge, die im Bereich der Sozialleistungen eigentlich anspruchsfähig sind, überhaupt nicht abgeholt werden,

(Herr Gürth, CDU: Nee!)

dass diese von den Menschen überhaupt nicht in Anspruch genommen werden, was das Einkommen der Betroffenen weiter mindert.

Außerdem sagt die Diakonie Mitteldeutschland: Es gibt weitere völlig unlogische Abzüge, die wegen der so genannten Vermischung zwischen Statistikmodell auf der einen Seite und Warenkorbmodell auf der anderen Seite passieren. An zwei Beispielen will ich das kurz erläutern.

Erstens. Es ist so, dass wir bei diesen Sozialleistungen in dem so genannten Bildungspäckchen jetzt das kos

tenlose Mittagessen, das kostengünstige Mittagessen haben. Da sagen wir: Das ist gar nicht so schlecht. Das haben wir bei uns auch im Landeswahlprogramm. Als nur wir es darin hatten, hat Kollege Haseloff noch gesagt, das sei völlig überflüssig, wir bräuchten das alles nicht. Jetzt hat es die Kollegin von der Leyen auch aufgenommen.

Wir haben einmal ausgerechnet, was das kosten würde.

(Zuruf von der FDP: Sagen Sie es doch!)

Das würde pro Jahr aus dem Bundeshaushalt mehr kosten, als das so genannte Bildungspäckchen überhaupt an Geld beinhaltet, nämlich 1 Milliarde €.