Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

Trotz der an dieser Stelle angenommenen Tatsache, dass ein Gespräch mit dem Innenminister nicht den normalen hierarchischen Gepflogenheiten entspricht, wäre es angesichts des öffentlichen Interesses und aufgrund der vielen Fragen und Probleme aus unserer Sicht zwingend notwendig gewesen, diesem Gesprächswunsch zu entsprechen.

Zum anderen sahen sich die drei Beamten zunehmend einem falsch verstandenen Korpsgeist innerhalb der Polizei ausgesetzt, welcher für sie letztlich immer mehr zu einer dienstlichen Ausgrenzung und zunehmend auch zu physischen und psychischen Belastungen führte.

Mit einem Blick auf die komplizierte Personalsituation in der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt muss man sich fragen, ob es sich das Land wirklich leisten kann, drei gut ausgebildete und hoch motivierte Beamte so zu behandeln.

(Herr Kosmehl, FDP: Das war doch abzusehen!)

Denn aus bislang ausgezeichneten Beurteilungen für die drei Staatsschützer wurden plötzlich kritikbehaftete, weitaus schlechtere Einschätzungen. Auch der Studienwunsch eines der Staatsschützer wurde erst über den Klageweg genehmigt, das Ausstellen einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zunächst verweigert. Wochen nach einem privat geführten Gespräch wurden Mitstudenten aufgefordert, ein Gedächtnisprotokoll zu fertigen, ohne dass ein einziges Mal mit dem Betroffenen geredet wurde.

Ein anderer Beamter wurde ausschließlich auf dem Papier als Leiter eingesetzt, ohne aber wirklich Leitungsfunktionen wahrnehmen zu dürfen. Ein Dienstposten wurde ihm zwar angeboten, jedoch mit der Maßgabe, seine Klage zurückzuziehen. Als dies dann geschah, erhielt er den Dienstposten trotzdem nicht. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Letztlich gipfelte es darin, dass einer der drei Beamten, der Zeuge Ennullat, seine Versetzung nach Berlin beantragte, weil er im Land Sachsen-Anhalt für sich keine Zukunft mehr sah. Die Versetzung erfolgte dann mit all den persönlichen Schwierigkeiten, die ein solcher Wechsel mit sich bringt.

Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten sieht aus unserer Sicht wahrlich anders aus. Die Unterzeichnung eines einzigen Protokolls hat das Leben der drei Zeugen Gratzik, Ennullat und Kappert völlig verändert. Die Verantwortlichen in diesem Land müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie das alles nicht hätten verhindern können oder besser hätten verhindern wollen oder müssen.

Ein weiterer trauriger Höhepunkt ist die Datensicherung in der Polizeidirektion Dessau, die wohl bis heute anhält, und das, obwohl der Datenschutzbeauftragte des Landes eindeutig festgestellt hat, dass sie rechtswidrig war und ist. Wir erwarten deshalb, dass diese Daten umgehend gelöscht werden.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der FDP)

Ich möchte jetzt noch auf einen weiteren Komplex - die Zeit erlaubt es mir nicht, auf sämtliche im Einsetzungsbeschluss enthaltenen Vorwürfe einzugehen -, und zwar auf den rechtsextremistischen Überfall auf Mitglieder des Nordharzer Städtebundtheaters in Halberstadt eingehen.

Dieser Vorfall war auch Inhalt der Reden zum Gedenken an den 66. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz mit den mahnenden Worten „Wehret den Anfängen!“.

Wir finden es schon fast skandalös, wenn im Abschlussbericht der Mehrheit der Mitglieder des Zehnten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses vom „Empfängerhorizont“ ausgegangen wird, das heißt ganz klar von der Perspektive der rechtsextremistischen Gewalttäter. Doch keine Äußerung und kein Äußeres dürfen auch nur ansatzweise als Begründung herhalten, um rechtsextreme Gewalttaten zu relativieren. Doch genau das ist mit dieser Einschätzung geschehen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nach dem Überfall bot sich nach übereinstimmenden Zeugenaussagen ein Bild des Grauens. Der Platz habe wie ein Schlachtfeld ausgesehen. Und dann stellen sich Polizeibeamte hin und erklären, es hätten sich ihnen keine Geschädigten zu erkennen gegeben.

Fest steht, dass nach dem Überfall sowie während der Ermittlungsarbeit den am Einsatz beteiligten Polizeibeamten massive Fehler und gravierende Versäumnisse unterliefen, infolge deren letztlich rechtsextremistische Handlungen - zumindest fahrlässig - begünstigt worden sind. Notwendige Ermittlungen, Täterverfolgung, Opferschutz, Zeugenbetreuung und eine sofortige Tatortsicherung wurden nur mangelhaft realisiert. Ursachen für dieses Fehlverhalten lagen aus unserer Sicht auch in der mangelnden Sensibilität für die Thematik der politisch motivierten Kriminalität.

Das Fehlverhalten der Polizei in Halberstadt und die Versäumnisse in der polizeilichen Ermittlungsarbeit behinderten zu guter Letzt auch die Arbeit der Justiz. So musste das Amtsgericht drei der vier Angeklagten freisprechen; nur einer wurde verurteilt. Das ist für die Opfer nur ganz schwer zu ertragen.

Unser Fazit nach drei Jahren Untersuchungsausschuss ist letztendlich: Der Untersuchungsausschuss war notwendig und richtig - nicht zuletzt auch deshalb, um unmissverständlich klar zu machen, dass es uns zu keinem Zeitpunkt darum ging, die Polizei in Sachsen-Anhalt zu verunglimpfen und unter Generalverdacht zu stellen.

(Unruhe bei der CDU)

Wenn Ihnen die Sachargumente ausgehen, ziehen Sie sich gern auf diese plumpe Behauptung zurück.

Wir wissen sehr wohl und erkennen auch uneingeschränkt an, dass die Mehrzahl der Polizistinnen und Polizisten in Sachsen-Anhalt unter schwierigen Personal-, Besoldungs- und Beförderungsbedingungen eine ausgezeichnete Arbeit leistet.

(Beifall bei der LINKEN)

Desto wichtiger ist es, die strukturellen und persönlichen Defizite zu benennen und auszuwerten. Das war das Anliegen des Untersuchungsauftrages des Zehnten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und diesem Anliegen sind wir gerecht geworden. In den meisten der zu untersuchenden Fälle haben wir festgestellt, dass Vorgängen mit rechtsextremistischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund nur unzureichend entgegengetreten wurde.

Die Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass es vor allem in Teilen der Polizeiführung, auf der polizei

lichen Führungsebene, aber auch im Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern strukturelle Probleme gab. Ein weiteres Umdenken und ein konsequentes Entgegenwirken durch entsprechende Maßnahmen sind notwendig.

Ich stimme dem Herrn Innenminister in einem Punkt zu: Erste Schlussfolgerungen wurden bereits gezogen. Weitere Konsequenzen müssen jedoch folgen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Für die SPD-Fraktion spricht Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man das Mehrheitsvotum und die Sondervoten miteinander vergleicht, dann sehe ich durchaus ein hohes Maß an Übereinstimmung in der Bewertung der Sachverhalte bei vier von fünf der untersuchten Sachverhaltskomplexe. Der Einsetzungsbeschluss enthält einen sechsten Komplex, auf dessen Untersuchung die Antragsteller verzichtet haben. Nach meinem Eindruck geschah dies deshalb, weil an den Vorwürfen nichts dran war.

Zu dem Komplex Sawadogo gibt es kein Sondervotum. Diesbezüglich sind wir uns offenbar in der Beurteilung einig, dass die Anzeigenaufnahme im Polizeirevier in Bernburg fehlerhaft war. Bei intensiver Nachfrage hätten gleich die Sachverhaltselemente festgehalten werden können, die später zu der Verurteilung der Person führten, die den Schwarzafrikaner Herrn Sawadogo bedroht hatte.

Bei dem Überfall auf die Halberstädter Schauspielergruppe - Kollegin Tiedge hat diesen Vorgang zu Recht besonders angesprochen - registriere ich einen Konsens bei allen Ausschussmitgliedern insoweit, als der polizeiinterne Untersuchungsbericht den Sachverhalt zutreffend beschrieben und bewertet hat. Auf diesen Bericht bezieht sich bereits das Votum der Ausschussmehrheit. Die der Fraktion DIE LINKE angehörenden Ausschussmitglieder haben es sich aber nicht nehmen lassen, in ihrem Sondervotum diesen von der Polizei selbst erstellten Bericht ausführlich zu zitieren.

Bei dieser Qualität der polizeiinternen Aufklärung hätten wir dem Rat des Kollegen Dr. Brachmann folgen und uns manche Zeugenvernehmung ersparen können.

Ja, in Halberstadt sind Fehler gemacht worden. Dieses polizeiliche Fehlverhalten ist gründlich ausgewertet worden. Dabei war es weniger ein Versagen der Beamten, die unmittelbar vor Ort zum Einsatz kamen,

(Widerspruch von Herrn Kosmehl, FDP)

als der unmittelbaren vorgesetzten Führungsebene. Ich meine damit den Dienstgruppenleiter und den Kommissar vom Lagedienst, auch wenn Sie, Herr Kosmehl, das zu Recht in der Bewertung noch etwas differenziert haben. Ich denke, im Grundsatz sind wir uns hierin jedoch einig.

Der Halberstädter Vorfall ist von der Polizei selbst nicht nur gut aufgeklärt worden, sondern es wurden auch zeitnah Konsequenzen gezogen. Hierzu gehört, dass bei

derartigen Lagen der Dienstgruppenleiter des Reviers die Führung vor Ort übernehmen soll und dass der Kommissar vom Lagedienst der Polizeidirektion Fachkommissariate und andere unterstützende Kräfte rechtzeitig einzubeziehen hat.

Bei zwei weiteren Sachverhaltskomplexen gibt es ein Sondervotum der der Fraktion DIE LINKE angehörenden Ausschussmitglieder, aber auch viel Übereinstimmung in der Sache, und zwar in Bezug auf das, was der Ausschussvorsitzende an Bewertungen vorgeschlagen hat. Beide Vorgänge haben sich im Bereich Wittenberg abgespielt. Das ist zum einen der Fall Andersch und zum anderen der Fall Bergwitzsee.

Meine Damen und Herren! Die weitaus meiste Zeit haben wir der so genannten Dessauer Polizeiaffäre gewidmet. Wir befassten uns dort ausführlich mit dem Gespräch, das der damalige Abteilungsleiter Polizei mit drei Staatsschutzbeamten am 5. Februar 2007 geführt hat, und den Folgerungen daraus.

Die Vertreter der Fraktionen sind sich nicht einig geworden in der Bewertung hinsichtlich der Vorwürfe zur Polizeidirektion Dessau, wie sie in dem Einsetzungsbeschluss enthalten sind. Es wurde folglich ein mehrheitlicher Beschluss gefasst. Zudem gibt es zwei Sondervoten der der Fraktion DIE LINKE und der der Fraktion der FDP angehörenden Ausschussmitglieder.

Die Mehrheit der Ausschussmitglieder hält die Vorwürfe, dass Veränderungen in der Schwerpunktsetzung der Behörde vorgenommen wurden und dass die Fürsorgepflicht gegenüber den drei Beamten verletzt wurde, nicht für begründet. Insoweit kommt auch das der Fraktion der FDP angehörende Mitglied des Untersuchungsausschusses zu demselben Ergebnis.

Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass, wenn man sich die personelle Entwicklung der drei Beamten anschaut, auch aus der Sicht des der Fraktion der FDP angehörenden Ausschussmitglieds keine Fürsorgepflichtverletzung festzustellen ist. Ich meine damit das Verhalten des Dienstherrn gegenüber den Beamten, nicht aber den bisweilen mehr oder manchmal auch weniger kollegialen Umgang innerhalb der großen Familie der Polizei.

Wenn die der Fraktion DIE LINKE angehörenden Ausschussmitglieder vom Korpsgeist in der Polizei sprechen, dann räume ich ein: So etwas gibt es in der Tat. Die kontroverse Bewertung der Vorgänge um die drei Beamten hatte in der Polizeidirektion Dessau Auswirkungen auf das Dienstklima. Ja, offenbar haben manche Kollegen die drei Beamten für Nestbeschmutzer gehalten, nachdem deren Vermerk über das Gespräch mit dem Abteilungsleiter Polizei öffentlich geworden war, und zwar - wie es heißt - aus dem Umfeld des Petitionsausschusses.

Nicht nur in der Polizei gibt es die Einstellung: Einen Vorgesetzten stellt man nicht öffentlich bloß. Das kann man für ein Zeichen von Obrigkeitsgehorsam halten - oder auch für normal.

(Herr Kolze, CDU: Es gibt auch beamtenrecht- liche Vorschriften, die einzuhalten sind!)

Die Frage, ob in dem Sondervotum der der Fraktion DIE LINKE angehörenden Ausschussmitglieder zu Recht von einer Remonstration der drei Beamten die Rede ist, möchte ich verneinen.

Rechtsgrundlage für eine Remonstration ist § 36 des Beamtenstatusgesetzes des Bundes. Danach tragen Beamtinnen und Beamte für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung; Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben sie unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sie sich, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächsthöhere Vorgesetzte oder den nächsthöheren Vorgesetzten zu wenden. - So ist das explizit im Beamtenstatusgesetz geregelt.

Nach meiner Einschätzung haben die drei Dessauer Staatsschützer nicht unverzüglich gehandelt. Wann genau der Vermerk weitergegeben wurde, ist unklar geblieben; jedenfalls erfolgte dies nicht unverzüglich. Und der Leiter des Rechtsdezernats, an den der Vermerk dann gegeben wurde, war ganz sicher nicht der nächsthöhere Vorgesetzte des Abteilungsleiters Polizei.

(Widerspruch von Herrn Kosmehl, FDP)

Das ist in etwa vergleichbar damit, dass ich mich über die parlamentarische Geschäftsführerin meiner Fraktion beim Landtagsdirektor beschweren würde.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)