Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt für die Landesbeauftragte ist die Opferberatung, die nach wie vor noch nicht abgeschlossen ist. Die Unrechtserfahrungen wirken auch 25 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur fort. In jüngster Zeit sind auch immer wieder neue Fälle von Unrecht bekannt geworden, die in der DDR mit Billigung oder gar auf Anweisung staatlicher Organe geschehen sind.

Ich erinnere nur an die sehr intensive Ausschussbefassung auf Antrag meiner Fraktion zum Thema „Venerologische Station in Halle“. Frauen wurden in der Poliklinik Halle durch medizinisch nicht notwendige Zwangsbehandlungen Opfer krimineller Handlungen. Es ist dabei völlig unklar, wie viele Frauen heute noch aufgrund dieser Zwangsbehandlungen traumatisiert sind.

Denken wir aber auch an die ehemaligen Heimkinder, von denen heute viele unter den Spätfolgen von Misshandlung und Arbeitszwang leiden, oder an die Vertuschungsversuche staatlicher Organe hinsichtlich der Infizierung tausender schwangerer Frauen mit Hepatitis.

Weiterhin wird im Gesetzentwurf klargestellt, dass die psychosoziale Betreuung auch weiterhin zu einer gesetzlichen Aufgabe der Landesbeauftragten gehört.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Zukünftig wird das Amt der Landesbeauftragten zu einer Einrichtung des Landtags, über die der Landtagspräsident die Dienst- und Rechtsaufsicht führt. Dies ist richtig so. Damit wird auch die inhaltliche Autonomie und Unabhängigkeit von staatlichen und po

litischen Weisungen für die Landesbeauftragte gestärkt.

Die neue Amtsbezeichnung der Landesbeauftragten ist auch den neuen Aufgabenschwerpunkten geschuldet. Dass der Begriff „SED-Diktatur“ historisch und politisch zutreffend ist, verdeutlicht uns nicht zuletzt die große Anhörung im Rechtsausschuss im vergangenen Jahr auf Initiative der Koalitionsfraktionen.

Der Bundesbeauftragte Roland Jahn hat die Formulierung „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ vorgeschlagen.

Abschließend bitte ich um Ihre Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke schön. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann schließen wir die Aussprache zu diesem Gesetzentwurf und zu der zur Abstimmung vorliegenden Beschlussempfehlung in der Drs. 6/4525.

In Anwendung des § 32 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtags schlage ich vor, über die Bestimmungen in der vorliegenden Beschlussempfehlung in ihrer Gesamtheit abzustimmen. Verlangt ein anwesendes Mitglied des Landtags an einer Stelle eine getrennte Abstimmung? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich darüber abstimmen.

Wer den Bestimmungen in der vorliegenden Form der Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD, der CDU und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind Teile der Fraktion DIE LINKE. Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Ebenfalls Teile der Fraktion DIE LINKE.

Ich lasse abstimmen über die Gesetzesüberschrift: „Gesetz über die Beauftragte oder den Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Aufarbeitungsbeauftragtengesetz Sachsen-Anhalt - AufArbG LSA)“. Wer dieser Überschrift zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD, der CDU und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion DIE LINKE.

Ich lasse nun über das Gesetz in seiner Gesamtheit abstimmen. Wer dem Gesetz zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind wieder die Fraktionen der SPD, der CDU und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind Teile der Fraktion

DIE LINKE. Wer enthält es sich der Stimme? - Ebenfalls Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. Damit ist das Gesetz mit großer Mehrheit beschlossen und dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Beratung

Fördermittel sind keine Wahlkampfmittel

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4527

Für die Einbringerin hat Herr Abgeordneter Dr. Thiel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahlkampfthemen auf parlamentarischem Weg aufzurufen ist eigentlich verpönt, obwohl uns gemeinsam in den vergangenen Wochen immer wieder der Zwischenruf „Wahlkampf! Wahlkampf!“ erreichte. Es ist aber nun einmal eine unbestrittene Tatsache, dass wir mitten im Wahlkampf sind.

Wir wollen mit unserem heutigen Antrag das Parlament nicht nur auf Mittel und Methoden des laufenden Wahlkampfs einstellen, sondern auch den Versuch unternehmen, die viel zitierte Fairness auf den Prüfstand der Realität zu stellen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Gerade deshalb scheint es uns angebracht, diesen Antrag hier und heute zu diskutieren und auch darüber abzustimmen, ohne das Verfahren durch irgendwelche Ausschusssitzungen unnötig zu verlängern.

Was ist der Anlass? - In den vergangenen Wochen und Monaten konnten wir feststellen, dass in den unterschiedlichsten Ministeriumsbereichen die Welle der Fördermittelbescheide anschwoll. Früher sagte man auch - beispielsweise im 13. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss -: Es entsteht ein Stau.

Nach wie vor häufen sich Beschwerden, dass auch bewilligte Bescheide, besonders dann, wenn es Vereinbarungen gibt, ihren Weg zum Empfänger mit der Auszahlung der Gelder nicht finden. Muss man denn immer auf die gute Tante Ministerin oder den guten Onkel Minister warten, damit zu einem geeigneten Termin in persönlicher Anwesenheit gewichtiger Personen und medienwirksam das Füllhorn ausgeschüttet werden kann?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Kollegin Dr. Paschke hat in der vergangenen Landtagssitzung mit einer Kleinen Anfrage, aber offensichtlich mit großer Wirkung die Problemlösung angefragt. Vom antwortgebenden Mi

nister Bischoff wurde umgehende Information zugesagt, auch die Weitergabe der durch die Ministerien aufgelisteten Problemfälle. - Das war am 16. Oktober 2015.

Zunächst passierte gar nichts. Dann gab es Nachfragen. Dann kam die Antwort, jedes Ministerium müsse in eigener Verantwortung antworten. Dann folgte das Vertrösten auf Ende der kommenden Woche für die Liste aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Dann ein Ultimatum und daraufhin die gestrige Zusage, die Liste heute an die Fragestellerin auszuhändigen. Das ist dann auch passiert. Fest steht jedenfalls: Ende Oktober 2015 ist die Landesregierung offensichtlich immer noch nicht willens und in der Lage, offene Zuwendungsbescheide aufzulisten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da stellt sich die Frage: Aus welchen Gründen werden diese zurückgehalten? - Man könnte den Schluss ziehen, diese sollen unter Verletzung des Neutralitätsgebotes der Landesregierung als Wahlkampfmittel in den letzten Wochen vor der Wahl eingesetzt werden.

Meine Damen und Herren! Wenn es auch vielfach keinen Anspruch auf Fördermittel gibt, so ist dieses Merkmal noch lange kein Freibrief, diese nach Gutdünken oder von besonderen Gunsterweisungen abhängig zu verteilen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weder das Grundgesetz noch die Verfassung unseres Landes verbieten Regierungshandeln in der Öffentlichkeit in zeitlichem Zusammenhang mit einem Termin zur Landtagswahl. Diese sehen also kein generelles Verbot vor.

Zur rechtlichen Bewertung von Aktivitäten eines Mitgliedes der Landesregierung, die auf Außenwirkung gegenüber dem Bürger abzielen, muss daher die bundesverfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung von 1977 herangezogen werden. Diese lautet, dass es einer Regierung sein möglich sein müsse, über ihre Entscheidungen und Maßnahmen zur Ermöglichung einer verantwortlichen Teilhabe des Bürgers an der politischen Willensbildung im Wege einer Öffentlichkeitsarbeit zu informieren. Nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr.

Den Gegenpol zu diesen Rechten bilden die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Schranken, nämlich das Neutralitätsgebot als Ausfluss des Demokratieprinzips einerseits sowie der Grundsatz der Chancengleichheit andererseits. Insofern ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass es nicht Aufgabe der Regierung sein kann, in den Parteienwettbewerb und die Wahlen einzugreifen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es obliegt ausschließlich den Parteien, der Regierung für die kommende Legislaturperiode eine Basis zu schaffen. Die Regierung selbst hat diese Auseinandersetzung im Hinblick auf das strikte Verfassungsgebot der Neutralität und Nichtintervention eben nicht zu führen.

Dem zuwiderlaufendes, auf Wahlbeeinflussung gerichtetes parteiisches Einwirken von Staatsorganen zugunsten oder zulasten am Wahlkampf beteiligter politischer Parteien oder Bewerber verletzt nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts das Schutzgut der Freiheit der Willensbildung des Volkes und damit das Demokratieprinzip.

Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass die Landesregierung in der gesamten Legislaturperiode grundsätzlich diesem Neutralitätsgebot unterliegt, nicht nur im Wahlkampf. Jedoch: Je näher ein Wahltermin rückt, umso enger ist das Neutralitätsgebot auszulegen.

Das Bundesverfassungsgericht bejahte in dem Grundsatzurteil von 1977 die Frage, ob die Bundestagswahl 1976 durch die als Öffentlichkeitsarbeit bezeichnete Kampagne mit Anzeigen in Zeitungen und Bilanzbroschüren der damaligen Bundesregierung beeinflusst wurde. Gleichzeitig wurde durch das Gericht die überragende Wichtigkeit des im Grundgesetz verankerten Grundsatzes von freien und unabhängigen Wahlen für die Demokratie festgestellt. Die Wählerinnen und Wähler sollen sich frei, offen und unbeeinflusst durch Staatsorgane ihre eigene Meinung bilden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sowohl das Neutralitätsgebot als auch das Gebot der Chancengleichheit gelten für die gesamte Wahlperiode. Allerdings ist laut einem in diesem Jahr veröffentlichten Gutachten aus Brandenburg mit dem Herannahen des Wahltermins von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der wahlbeeinflussenden Wirkung parteiergreifender Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit auszugehen, an deren Neutralität dementsprechend zunehmend höhere Anforderungen zu stellen sind.

Es ist sowohl bei uns als auch in anderen Bundesländern gelebte Praxis, den Zeitraum von fünf Jahren vor einer Wahl als Vorwahlzeitraum zu betrachten und die sechs Wochen vor der Wahl als sogenannte heiße Phase des Wahlkampfes.

Des Weiteren wurde durch verschiedene Urteile von Landesverfassungsgerichten, zum Beispiel aus dem Saarland oder Bremen, festgestellt, dass bei dem Begriff Öffentlichkeitsarbeit neben publizistischen Erzeugnissen auch regierungsamtlich organisierte, an die Öffentlichkeit gerichtete Veranstaltungen als Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen sind.

Meine Fraktion ist der Meinung, dass es gerade vor dem Hintergrund zweier laufender parlamenta

rischer Untersuchungsausschüsse zu eventuellen Unkorrektheiten bei der Fördermittelvergabe dringend notwendig ist, auch nur den Anschein einer Einflussnahme durch die Landesregierung zu vermeiden, um keinen weiteren Imageschaden für das Land zu verursachen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen sollte gerade die Landesregierung im Zeitraum von fünf Monaten vor der Wahl die öffentlichkeitswirksame Übergabe von Zuwendungsbescheiden, die Veröffentlichung von Bilanzbroschüren und ähnlichen Publikationen unterlassen.

Deshalb haben wir in unserem Antrag vier Forderungen artikuliert, die der Landtag der Landesregierung als Verhaltenskodex für die Wahlkampfzeit auferlegen möge. Das gilt nicht nur für die sogenannte heiße Phase von sechs Wochen vor dem Wahltermin, sondern auch für den Vorwahlkampf, der mit fünf Monaten charakterisiert ist. Wir sind also schon mittendrin.