Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

(Beifall bei der LINKEN)

Wollen wir dieses Thema wirklich angehen, ist deswegen, das sagen wir mit aller Deutlichkeit, die „Stolberger Erklärung“ der CDU der grundfalsche Weg. Sie reagieren auf Köln und Sie haben ein klares Feindbild: der kriminelle Ausländer. Es gibt niemanden anderen, der in irgendeiner Art und Weise an der Stelle zur Debatte steht.

(Zuruf von Herrn Weigelt, CDU)

Und es gibt übrigens auch nur eine einzige Antwort, mit dem Thema umzugehen, nämlich diejenigen, die es betrifft, abzuschieben.

(Herr Borgwardt, CDU: Ihre Antwort!)

Da sage ich mit aller Deutlichkeit: Unsere Antwort ist eine andere. Jeder, egal ob Flüchtling, Ausländer oder welchen Status er auch immer hat, der sexualisierte Gewalt ausübt, gehört verurteilt, und zwar ohne Ausnahme,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar nach unserem Strafrecht.

Die Debatte um die Ausweisung dieser Täter ist im Grunde genommen fern ab jeder Realität. Ich bitte

Sie, meine lieben Kollegen von der CDU, sich einmal mit den Praktikern zu unterhalten, die sich mit diesen Dingen auseinandersetzen müssen.

Jetzt gehen wir durchaus zu den Vorgängen in Köln. Die erste Variante, um die es ging, war, es seien im Wesentlichen syrische Flüchtlinge gewesen. - Falsch! Alles, was wir heute darüber wissen, ist, dass das, was dort passiert ist, im Wesentlichen

(Zuruf von Herrn Weigelt, CDU)

- das waren die ersten Debatten - organisiert worden ist von sehr wohl bandenmäßig strukturierten Leuten, jungen Menschen vor allen Dingen, die aus Marokko, Algerien und Tunesien kommen. Seit Jahren übrigens häufig dort leben. Wir wissen alle, die ein bisschen Ahnung haben, dass es so gut wie überhaupt keine Chancen gibt, Leute, die aus diesen Ländern kommen, dahin wieder abzuschieben.

Henriette Quade und ich haben übrigens ein solches Beispiel in Italien selbst erlebt. 150 Marokkaner kommen von Libyen mit einem Schiff nach Sizilien. Es gibt sogar ein Rückführungsabkommen zwischen Italien und Marokko. Da kommt der Gesandte von der Botschaft, guckt sich die 150 an und sagt: Von den 150 sind nur vier Marokkaner, die nehmen wir wieder zurück, den Rest müsst ihr behalten. Keine Chance irgendeiner Rückführung.

Was machen Sie eigentlich mit denen? - Das ist nicht die Ausnahme, das ist der Regelfall, dass sie überhaupt keine Abschiebung in die Herkunftsländer realisieren. Im Endeffekt passiert Folgendes: Abschiebung bedeutet letztlich Abschiebung in ein Drittland. Auf jeden Fall bedeutet Abschiebung, dass die Strafverfolgung nicht stattfinden wird.

Der sicherste Weg, um vor der Strafverfolgung zu fliehen, ist für einen Kriminellen, der hier zu uns kommt, abgeschoben zu werden. Als Nächstes reist der möglicherweise wieder ein und begeht dann wieder neue Straftaten. Deswegen ist das eine absolute Scheindebatte, sie ist schädlich, sie ist falsch und wir distanzieren uns davon.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wer wirklich Strafverfolgung will in diesem Bereich, braucht nicht über Abschiebung zu reden, weil er in dem Augenblick natürlich in die Situation kommt, jemanden abzuschieben, der überhaupt nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird. Unterhalten Sie sich bitte einmal mit den Praktikern. Dann wissen Sie, dass das stimmt.

Das große Problem ist nur, dass diejenigen, die diese Abschiebung fordern, das zum großen Teil wissen, aber meinen, mit dieser Forderung am besten populistisch anzukommen, und darauf hoffen, dass nicht nachgefragt wird. Wollen wir das

Thema sexualisierte Gewalt auch von denen, die zu uns kommen, ernst nehmen, dann müssen wir diese Frage stellen und wir müssen die Antwort darauf geben.

Wir sagen aber auch mit aller Deutlichkeit, wir halten das aus einem anderen Grund für eine völlige Scheindebatte. Wir müssen über die wirklichen Ursachen von sexualisierter Gewalt reden. Die wirklichen Ursachen von sexualisierter Gewalt liegen eben nicht selten in einer mangelnden gesellschaftlichen Ächtung dieser.

(Herr Rosmeisl, CDU: Worüber reden Sie? Am Thema vorbei!)

Es war schon interessant, als im Kontext der Kölner Vorwürfe ein bayrischer Polizeibericht auftauchte, in dem berichtet wurde, dass der spaßhafte Griff unter den Rock einer Besucherin auf dem Oktoberfest zwar dazu führte, dass diese sich wehrte und den entsprechenden Akteur mit einem Bierkrug schlug. Das Problem war aber, dass nicht etwa der verurteilt wurde, der sexuell belästigt hatte, sondern die Frau, die sich gewehrt hat. Das ist das Problem.

Wir brauchen eine gesellschaftliche Verständigung und Debatte darüber, dass sexualisierte Gewalt kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen ist, und zwar in der gesamten Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir sind diejenigen, die gefordert haben, dass übrigens auch Gewalt gegenüber LSBTI - das sind Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle - von vornherein Vermittlungsgegenstand in Schulen, ja sogar auch ein Stück weit in Kindergärten wird. Dagegen haben Sie sich, Kolleginnen und Kollegen von der CDU, vor allem in Baden-Württemberg gewandt. Wir sind hier in Sachsen-Anhalt immer noch keinen richtigen Schritt weiter, weil die Dinge viel zu lange gestockt haben.

Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte, wir brauchen gesellschaftliche Aufklärung und wir brauchen eine gesellschaftliche Parteinahme, die sagt, wir wollen das Thema angehen und es nicht missbrauchen als Argument gegenüber Flüchtlingen, die zu uns kommen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich möchte dazu noch die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes deutscher Soldaten e. V. zitieren. Sie selbst ist hier geboren, hat aber einen marokkanischen Hintergrund. Sie sagt:

„Vergewaltigung ist auch in Marokko strafbar und die Entehrung einer Frau ist für Muslime eine sehr schwerwiegende und schlimme Tat.... Die Selbstverständlichkeit, dass man anderen Menschen kein Leid zufügt, ist

übrigens universell und auch im Ausland bekannt. Moral ist keine deutsche Errungenschaft, bei der man nochmal nachfragen müsste, ob sie schon bei uns Zugewanderten verfügbar ist.“

Das ist, glaube ich, die richtige Reaktion auf diese Debatte.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann will ich noch einmal klar sagen, ja, es gibt Verfehlungen des Gesetzgebers, es gibt Verfehlungen, die seit langem im Deutschen Bundestag und in dieser Bundesregierung bestehen. Es gibt seit dem Jahr 2010 die Debatte, dass es ein großes strafrechtliches Defizit bei uns in der Bundesrepublik Deutschland gibt, nämlich dass bei uns Vergewaltigung nur als solche bewertet wird, wenn sie mit einer Nötigung verbunden ist, also wenn mit Gewalt Widerstand überwunden wird.

Es gibt seit dem Jahr 2010 Vorstellungen und Überlegungen, diesen Passus herauszustreichen. Denn nicht selten ist es so, dass diese sexuellen Übergriffe überraschend stattfinden, sodass gar keine Chance besteht, sich zu wehren, oder, was noch schlimmer ist, dass solche sexuellen Übergriffe deswegen nicht mehr auf körperliche Gegenwehr der Frau trafen, weil sie einfach aus Angst nicht mehr dazu in der Lage war.

Seit dem Jahr 2010 gibt es diese Debatte. Es war die Bundesregierung und es war die CDU, die verhindert hat, dass diese Strafrechtsverschärfung durchgeführt wird. Wir fordern sie ja heute. Deswegen verlangen wir, dass es auch hierzu eine entsprechende Positionierung gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie uns dieses Thema bitte ernsthaft angehen. Lassen Sie uns das Thema sexualisierte Gewalt in all seinen abscheulichen Facetten, in all seinen verästelten Ursachen bekämpfen. Aber tun wir uns bitte einen Gefallen: Lassen Sie es uns nicht in einer Art und Weise diskutieren, die als Argument und Unterstützung für rassistische Diskriminierung herhält. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Danke sehr für die Einbringung des Antrags. - Wir können Gäste bei uns begrüßen, und zwar Seniorinnen und Senioren aus der Region Tangermünde. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Ebenfalls begrüßen wir Damen und Herren der Städtischen Volkshochschule Halle. Seien auch Sie willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Landesregierung spricht Frau Professor Dr. Kolb-Janssen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren hier in diesem Hohen Hause nicht zum ersten Mal über das Thema sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hohen Hause einig darüber, dass wir jede Form von sexualisierter Gewalt, von sexuellen Übergriffen auf das Schärfste verurteilen.

Ich glaube auch, wir haben in den letzten Debatten und beispielsweise auch in unserem Landesprogramm für ein geschlechtergerechtes SachsenAnhalt ganz konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu geeignet sind, dass wir in unserer Gesellschaft ein Klima schaffen, in dem derartige Übergriffe eben nicht bagatellisiert und nicht toleriert werden.

Herr Gallert, ich gebe Ihnen Recht, gerade nach den Ereignissen in Köln wünsche ich mir auch eine sachliche Debatte. Aber ich habe das Gefühl, dass Ihr Wortbeitrag eben nicht ausschließlich Sachlichkeit als Hintergrund hatte.

(Zustimmung bei der CDU)

Denn dazu, wie wir die Probleme wirklich lösen, habe ich bei Ihnen leider ganz wenig gehört.

(Herr Schröder, CDU: Das ist nicht seine Stärke!)

Ein Thema, das Sie hier angesprochen haben, ist umstritten. Gestern hat das Kabinett in Berlin die geplanten Änderungen zum Aufenthaltsrecht entschieden. Im Antrag wird hier von einer Doppelbestrafung gesprochen. Das muss ich als Juristin mit aller Deutlichkeit zurückweisen.