Protokoll der Sitzung vom 07.10.2011

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hiermit eröffne ich die 11. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns hat die traurige Nachricht erreicht, dass am 4. Oktober 2011 das ehemalige Mitglied des Landtags Herr Wolfgang Gurke im Alter von 74 Jahren verstorben ist. Herr Gurke war Mitglied des Landtags der vierten Wahlperiode. Er gehörte der Fraktion der CDU an und war Mitglied des Ausschusses für Kultur und Medien.

Im Gedenken an den Verstorbenen darf ich Sie bitten, sich zu einer Schweigeminute von den Plätzen zu erheben. - Ich danke Ihnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir fahren in der Sitzung mit der Haushaltsberatung fort, die - Gott sei Dank - nicht ins Wasser gefallen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Erste Beratung

a) Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes für die Jahre 2012/2013 (HHBegleitG 2012/2013)

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 6/444

b) Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für die Haushaltsjahre 2012 und 2013 (Haushaltsgesetz 2012/ 2013 - HG 2012/2013)

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 6/445

Beide Gesetzentwürfe werden zunächst vom Minister der Finanzen eingebracht. Für die Debatte wurde im Ältestenrat eine Redezeit von 120 Minuten entsprechend der Redezeitstruktur F vereinbart. Zur Reihenfolge der Fraktionen in der Debatte und zu den Redezeiten werde ich mich vor der Eröffnung der Debatte noch äußern. Zunächst erteile ich dem Finanzminister Herrn Bullerjahn das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine verrückte Zeit. Auf der einen Seite haben manche Länder in der Welt Sorgen, die ich wirklich gern hätte: Sollen wir die Steuern senken oder uns noch an ein paar Unternehmen beteiligen? - Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Sorgen der Norweger. Sie haben in ihrem Öl-

und Gasfonds mittlerweile mehr als 400 Milliarden € angesammelt. Das sind 100 Milliarden € mehr, als der gesamte Bundeshaushalt umfasst.

Die Norweger müssen sich tatsächlich genau überlegen, wie sie das Geld für die Zeit nach dem Öl gewinnbringend anlegen. Das ist vernünftig, und es ist offenbar gar nicht so einfach, wie sie mir bei einem Gespräch in Berlin erzählt haben.

Sie haben aber - diese Botschaft will ich damit eigentlich übermitteln - die Qual der Wahl. Ihre Freiheit beim Fällen von finanzpolitischen Entscheidungen scheint schier unbegrenzt zu sein. Diese Frage nach der Chance der eigenen Entscheidungsfreiheit soll heute der rote Faden in meiner Rede sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der anderen Seite erleben wir seit Monaten, dass die Finanz- und Schuldenkrise europäische Länder mit einer langen, stolzen Tradition wie Griechenland, aber auch Portugal und Italien an den Rand des finanzpolitischen Kollapses drängt. Mit sehr ernsten Problemen - ich denke, Sie lesen auch darüber - kämpfen Spanien, Irland und Frankreich.

Beobachter sprechen mittlerweile von ernsten Gefahren für die parlamentarische Demokratie. Die jüngsten Streiks führen Griechenland - auch das können Sie täglich sehen - an den Rand des Erträglichen.

In vielen dieser Länder hat sich sozialer Sprengstoff angehäuft, wie wir ihn in den letzten zehn Jahren nicht gekannt haben. Gerade junge Leute sehen derzeit keine Zukunft in ihren Ländern. Das kommt uns irgendwie vertraut vor. So etwas, solche Auswirkungen habe ich mir vor Jahren noch nicht vorstellen können.

Die Freiheit dieser Länder bei finanzpolitischen Entscheidungen ist dramatisch eingeschränkt; sie liegt faktisch - das kann man auch sagen - bei null. Die dortigen Parlamente und Regierungen haben fast nur noch Auflagen anderer umzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Länder müssen wirklich harte Sparprogramme auflegen, insbesondere Griechenland. Dort müssen Staatsbedienstete auf 20 % ihres Einkommens verzichten; Zehntausende von Stellen werden abgebaut; die Renten sollen um bis zu 20 % gekürzt werden.

Die Kritiker hierzulande - auch die, von denen ich in den letzten Wochen im Zusammenhang mit unserer Vorlage gehört habe - sollten sich das alles einmal vor Augen führen. Sie sollten die Zahlen und die Auswirkungen dort genau beobachten.

Ich rede den Maßnahmen in Griechenland nicht das Wort. Ich sage aber ganz deutlich: Ohne nachhaltige Anstrengungen und Einschränkungen werden diese Länder die Konsolidierung bestimmt nicht schaffen.

Das Wohl dieser europäischen Länder ist derzeit davon abhängig, ob Ratingagenturen den Daumen heben oder senken, weil die finanzpolitische Lage dieser Länder - zum großen Teil auch selbstverschuldet - die Angriffsfläche für solcherlei Einschätzungen bietet. Gleichzeitig müssen diese Länder weiter harte Sparauflagen aus Brüssel und des IWF schultern.

Bei dieser ernsten Entwicklung in Europa und in der Welt muss man von einer Zäsur in der Nachkriegsgeschichte reden. Neben der Energie- und der Wirtschaftspolitik - diese hat uns vor wenigen Monaten noch beschäftigt, wurde aber mittlerweile völlig in den Hintergrund gedrängt - sowie der allgemeinen Sanierung der öffentlichen Haushalte ist der Erhalt der Eurozone die zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD, von Frau Niestädt, SPD, und von Herrn Schrö- der, CDU - Frau Budde, SPD: Das ist aber ein bisschen wenig für die Eurozone!)

Es geht um viel, auch für uns in Sachsen-Anhalt. Es geht um die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft. Durch sie hat gerade Deutschland in den letzten Jahren wirtschaftlich erheblich profitiert. Das sollten wir nicht vergessen.

Es gilt der Spruch: Wenn es Europa schlecht geht, dann geht es Deutschland nicht gut. Deshalb müssen gerade wir Deutschen für mehr Tempo beim Ausbau der Europäischen Union eintreten. Dieser Ausbau sollte zu einer viel stärkeren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einheit auch in Europa führen.

Es gibt Lösungen. Das deutsche Beispiel eines Stabilitätsrats kann und wird auch auf europäischer Ebene als Beispiel dienen; dessen bin ich mir ziemlich sicher.

Ich bin vor zwei Jahren in der Föderalismuskommission aus Überzeugung mit Herrn Professor Dr. Böhmer und den anderen Kabinettsmitgliedern dafür eingetreten, dass wir uns mit den aus meiner Sicht guten Instrumenten der Schuldenbremse und des Stabilitätsrats, der aus der Schuldenbremse folgte, der politischen Selbstbeschränkung unterwerfen. Dies wird auch die Grundlage künftiger Strukturen in Europa sein müssen.

Darüber hinaus - ich glaube, das ist mittlerweile unstrittig - müssen die Finanzmärkte weiter reguliert werden. Wir Deutschen sollten aber auch fair zu uns selbst sein: Ich glaube nicht, dass es derzeit an der deutschen Politik scheitert. Wer sich damit beschäftigt, der weiß, dass zum Beispiel die Briten bremsen, um ihren Finanzplatz London zu schützen. Ich denke, es wird sich dennoch etwas bewegen.

Mittlerweile ist es in Europa unstrittig, eine Transaktionssteuer zur teilweisen Finanzierung der Kri

senbewältigung einzuführen. Die Leute verlangen zu Recht, nicht alles auf die Steuerzahler abzuwälzen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Wie in Deutschland wird es auch auf europäischer Ebene über kurz oder lang zu Ausgleichszahlungen und - ich denke, das ist unstrittig - auch zu Teilentschuldungen kommen müssen. So etwas gibt es auf der kommunalen Ebene übrigens auch.

Wir sind schon jetzt in einer europäischen Haftungsgemeinschaft. Das weiß jeder und das sollte man auch so offen sagen, ohne es jeden Tag in das Zentrum der Diskussion zu rücken. Ansonsten kommen einige vielleicht doch zu falschen Schlüssen und sagen, die anderen werden schon unsere Probleme lösen. Das ist nicht der Ansatz; aber bei diesen Diskussionen sollte man nicht dauernd zusammenzucken.

Wir brauchen - ich glaube, damit tun wir Deutschen uns noch schwer - über kurz oder lang einen langfristigen europäischen Länderfinanzausgleich; denn die Unterschiede zwischen den europäischen Ländern sind viel zu groß.

Wer das nicht wahrhaben will, der muss nur einmal auf das deutsche System schauen: Zwischen Baden-Württemberg und dem Saarland, die dicht beieinander liegen, funktioniert es nur, weil es derzeit den Länderfinanzausgleich gibt.

Der zu gründende europäische Stabilitätsrat hat dann aber auch die Pflicht - dabei bin ich bei denen, die dies noch nicht umgesetzt sehen -, nach festen Kriterien und Parametern die europäischen Haushalte im Blick zu behalten und, wenn nötig, Sanktionen einzuleiten.

Es ist gut, dass sich die EU und viele Mitgliedstaaten auf den Weg gemacht haben, eigene Schuldenbremsen einzuführen. Die Sparpakete müssen dann in den jeweiligen Ländern genau wie in Deutschland umgesetzt werden.

Es stimmt: Wer sich überhaupt nicht müht, der hat keinen Anspruch auf Hilfe zur Selbsthilfe. Ich bitte aber auch darum, ehrlich zu sein: Wir müssen offen sagen, dass dieser Prozess Zeit braucht.

Wir in Deutschland lassen uns für die Umsetzung der Schuldenbremse zehn Jahre Zeit, erwarten aber von Griechenland, einem Land, das wirtschaftlich viel schlechter dasteht, dass es die Probleme innerhalb von einem halben Jahr in den Griff bekommt. Das kann nicht funktionieren.

Es ist auch klar: Allein durch Sparen kann es nicht gelingen. Auch Griechenland muss ähnlich wie Deutschland mit dem Konjunkturprogramm seine wirtschaftliche und wirtschaftsstrukturelle Basis durch Investitionen stärken, damit ein dauerhafter Aufschwung für eigene Einnahmen sorgt.

Das alles wird viele Jahre brauchen. Das müssen wir den Leuten sagen, weil das Hecheln nach dem Motto „In diesem Jahr ist das Problem erledigt!“, glaube ich, zu völlig falschen Lösungen führt.

Wer nicht von Banken, Ratingagenturen oder der Finanzwirtschaft im Allgemeinen regiert werden will, wer keine Auflagen des Stabilitätsrats schultern will, der muss konsolidieren.

Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, reden wir auch über uns; denn auch wir sind noch lange nicht über den Berg - weder Deutschland noch Sachsen-Anhalt.

Die deutsche Schuldenlast steigt in jeder Sekunde um 2 000 €. Die Schuldenuhr für ganz Deutschland tickt rasend und Ohrenzuhalten hilft dagegen nicht.

Mit unserem Finanzkonzept, das wir heute vorlegen, wollen wir weiter die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Zukunft Sachsen-Anhalts auch künftig hier im Land gestaltet werden kann.

Dazu brauchen wir die nötigen finanzpolitischen Spielräume. Nur dann können wir - ich glaube, diesbezüglich sind wir beieinander -, der Landtag und die Regierung, dafür sorgen, dass die Freiheit für eigene Entscheidungen beim Regieren und Gestalten auch erhalten bleibt.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist und bleibt ein Grundpfeiler unserer, meiner Finanzpolitik. Es mag sein, dass wir das vielleicht zu wenig erkennen und schätzen.