Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Herr Staatsminister. - Wir treten jetzt in eine Debatte mit einer Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion ein. Zuvor begrüßen wir Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Stephaneum in Aschersleben. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Als erster Debattenredner wird der Abgeordnete Herr Geisthardt für die CDU-Fraktion sprechen.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wer sich mit diesem Thema, das ein ziemlich spezielles - im eigentlichen Sinne - ist, etwas näher beschäftigt hat und wer zugehört hat, was Herr Wagner und Herr Robra schon dazu gesagt haben, dem ist aufgegangen, dass die Thematik sehr kompliziert ist. Es ist ein Sachverhalt, den man Otto Normalverbraucher auf der Straße nicht einfach erklären kann. Und genau dort liegt das Problem. Wer nicht versteht, was dort vor sich geht, der ist leicht geneigt, bei der Beurteilung dieser ganzen Angelegenheit in extreme Positionen zu verfallen.

(Zustimmung bei der CDU)

Zum einen gibt es die berühmten Abwiegler, die sagen: Das ist alles überhaupt kein Problem.

(Zuruf von Herrn Striegel, GRÜNE)

Zum anderen gibt es die Verschwörungstheoretiker, die hinter jedem Buchstaben den Verfall der bürgerlichen Freiheiten sehen. Es ist, da wir alle betroffen sind, ein Thema, mit dem wir uns tatsächlich auseinandersetzen müssen. Es geht darum, wie wir sowohl den Urheberrechtsschutz als auch die freie Meinungsäußerung, sowohl die materiellen als auch die immateriellen Dinge auf eine Linie bekommen mit der Frage, wo Grenzen gesetzt werden müssen. Das ist ein ausgesprochen problembehaftetes Gebiet. Keiner von uns, so denke ich, möchte Zensur haben, weder im Bereich des Urheberrechts noch im Internet.

Bei denjenigen, die manchmal als die ganz großen Demokraten auftreten, ist durchaus der Verdacht möglich, dass sie auch andere Dinge dahinter verstecken wollen. Ich darf an das Beispiel der Rating-Agenturen erinnern. Die Herabstufung europäischer Länder durch amerikanische Rating-Agenturen lässt durchaus die Frage zu: Cui bono? - Ähnliches könnte man sich auch für bestimmte Dinge im Internet vorstellen. Was sich alles unter den Begriff „Kampf gegen den Terror“ subsumieren lässt, das wissen wir ja.

Aber es gibt auch Dinge, bei denen wir ganz klar sagen müssen: Hierbei geht es auch um Freiheitsrechte. Zu den geheimen Zusatzprotokollen: Natürlich sind die Vertragstexte im Internet abrufbar; aber die Zusatzprotokolle werden eben nicht veröffentlicht. Was geheime Zusatzprotokolle bewirken können, das kennt, so glaube ich, jeder aus der Geschichte. Das müssen wir hier nicht explizieren.

Natürlich sind wir uns alle darüber einig, dass der Schutz des geistigen Eigentums Priorität hat. Das muss auch so sein. Viele Leute leben davon. Manches ist nur deswegen möglich, weil wir diesen Schutz haben. In Deutschland und in der Europäischen Union ist das sehr ausgefeilt. Wir brauchen eigentlich keine Belehrungen von irgendeinem Außenstehenden, der sagt: Hier und dort müsst ihr etwas besser machen. Das wissen wir selber. So viel Standing sollten wir haben.

Aber wir leben in einer Gesellschaft, die sich sehr schnell verändert, in der Dinge, die heute als Recht gelten, morgen vielleicht schon infrage gestellt werden. Insofern müssen die Veränderungen auch sehr genau bearbeitet und beobachtet werden.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns dieser Sache im Landtag annehmen. Denn wir leben nicht außerhalb der Welt. Wir sind ein Teil von Europa und wir wollen in Europa mitbestimmen. Das ist auch der Anspruch, den unser Land berechtig

terweise hat und den unsere Bürger haben. Deswegen ist es eine Sache, die uns unmittelbar interessiert.

Es ist gut, dass sich zum Beispiel der Bundesrat im Jahr 2010 schon sehr eindeutig dazu geäußert hat, insbesondere was die Fragen der Transparenz betrifft und die Frage, wie diese ganzen Dinge, die man sich ausgedacht hat, umgesetzt werden sollen.

Mittlerweile hat die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass sie einem solchen Vertrag nicht zustimmen wird, und hat ihn auf Eis gelegt. Ich denke, dass der Europäische Gerichtshof dazu bestimmte Leitlinien verabschieden wird. Ich hoffe, er wird es in einer Weise tun, die auch den deutschen Interessen gerecht wird. Das muss man an dieser Stelle einmal deutlich sagen.

Meine Damen und Herren! Es gibt Leute, die fordern die absolute Freiheit im Netz bzw. die Freiheit von jeglichen Beschränkungen. Das geht natürlich nicht. Absolute Freiheit im Netz ist unmöglich.

Ich möchte ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit bringen. Es gab eine Netzgemeinde, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Plagiate aufzufinden. Sie hat dann den einen oder anderen überführt, der sich am geistigen Eigentum anderer vergriffen hatte. Aber genau diese Leute fordern nun völlige Freiheit im Netz. Ja, was denn nun, bitte schön?

Wenn ich völlige Freiheit im Netz fordere, dann hätte es keine Causa Guttenberg geben dürfen, weil doch allen alles gehört. Insofern ist das ein bisschen pharisäerhaft, wenn man auf der einen Seite absolute Freiheit fordert und auf der anderen Seite jemandem vorhält, er habe das geistige Eigentum eines anderen in einer Weise genutzt, die nicht in Ordnung ist.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Was hat das mit Freiheit zu tun?)

Meine Damen und Herren! Wie aber solche Dinge ins Absurde gehen, war heute in der „Volksstimme“ zu lesen. In der heutigen Ausgabe der „Volksstimme“ gibt es eine Notiz, in der es um einen Kindergarten in Wildetaube in Sachsen geht. Dort hat sich eine Kindergruppe „Die kleinen Riesen“ genannt. Warum denn nicht? „Kleine Riesen“ ist ein herrlicher Name für Kinder.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Das haben wir ver- standen!)

- Danke, Herr Kollege. Das freut mich für Sie ganz besonders.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ich habe den Arti- kel auch gelesen! - Heiterkeit und Zustim- mung bei der CDU und bei der LINKEN)

Diese Gruppe bekam nun einen Brief aus BadenWürttemberg, wo jemand ein Urheberrecht verletzt

sieht, weil er sich diesen Namen „Kleine Riesen“ hat schützen lassen. Also, meine Damen und Herren, so etwas ist Irrsinn. Das muss ich wirklich einmal so sagen. Vielleicht sind nicht alle meiner Meinung; aber ich halte es für Blödsinn.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der LINKEN)

Vielleicht geht es noch so weit, dass dann ein Mineralölkonzern - die Tankstellenkette Gulf verlangt für das Aufpumpen von Autoreifen jetzt Geld - ein Urheberrecht für die Luft, die die Leute in die Reifen pumpen, reklamiert. Das klingt vielleicht etwas spaßig. Ich möchte damit sagen: Dieses ganze Thema hat mehr Facetten, als wir in zehn Minuten diskutieren können.

Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass wir unserer Landesregierung den Rücken stärken wollen, damit sie im Bundesrat gemeinsam mit der Bundesregierung dafür sorgt, dass zum einen diese Auswüchse, die sich bei ACTA offensichtlich ergeben haben, nicht wirksam werden und dass zum anderen dennoch ein effektiver Rechtsschutz für unsere geistig und materiell Schaffenden vorhanden ist.

Das Land Sachsen-Anhalt sollte jedenfalls nicht darunter leiden müssen, dass - aus welchen Gründen auch immer - unter dem Deckmantel des Schutzes vor Produktpiraterie Regelungen entstehen, die uns und der Demokratie schaden. Wir befinden uns im 20. Jahr unserer jungen Demokratie; das sollten wir uns nicht gefallen lassen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Alternativantrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Herr Kollege Geisthardt. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzter Herr Kollege Geisthardt, ja, was sagt man nach so einer Rede? - Ich weiß es nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Man versucht, noch einmal zu erklären! - Beifall bei der LINKEN)

Sie haben einen interessanten Bogen gespannt - das wäre für mehrere Proseminare interessant - vom Kampf gegen den Terror über den Islamismus - - Da fragt man sich: Geht al Kaida in Magdeburg auf die Straße?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gehen ja viele Leute gegen ACTA auf die Straße. Sie haben über Besitztümer für alle, die allen gehören, und damit irgendwie über Kommunismus gesprochen. Es ist schwierig, direkt daran anzuschließen. Ich möchte einen Appell an Sie richten: iPads statt ACTA! - Aber Sie sind auf einem guten Weg dorthin; denn dann kann man sich nachträglich noch über alles informieren.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Dann sieht man auch einmal, wie das abseits des ausgedruckten Internets funktioniert.

Meine Damen und Herren! Man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung zu der Frage sein, ob die digitale Epoche noch voll am Laufen ist oder ob sie schon abgeschlossen ist. Das ist vor allem eine Frage des Blickwinkels. Aber ich glaube, klar ist doch, dass wir heute in der digitalen Gesellschaft leben. Wir sind mittendrin.

Alles, was digitalisierbar ist, das wird früher oder später auch digitalisiert. Ob es sich um Filme, Bücher, Musik, Karten oder Bilder handelt - alles ist digitalisierbar und deswegen wird es auch digitalisiert. Diese Frage ist entschieden - darauf können wir uns, glaube ich, einigen.

Insofern ist es jetzt an der Zeit, uns die Frage zu stellen, wie wir mit diesem Phänomen, dass alles digitalisierbar ist, umgehen. ACTA beschäftigt sich neben dem Schutz klassischer Marken, Produkte und Patente auch mit der digitalen Welt, aber eben nur „auch“. Worum geht es bei ACTA eigentlich wirklich? - Das wurde heute schon gesagt: Als ein Handelsabkommen beschäftigt es sich hauptsächlich mit Fragen des Urheberrechts.

Jetzt könnte man fragen: Wie konnte denn nun ein trockenes juristisches Spezialthema wie das Urheberrecht in den Fokus des allgemeinen öffentlichen Interesses gelangen, sodass so viele Menschen dagegen auf die Straße gehen? Die Antwort ist doch: Nur durch den Sieg des Digitalen.

Die Inhalte sind digital und sie können mit einem Klick weitergereicht werden. Im Unterschied zur Weitergabe einer Zeitung an eine Kollegin oder einen Kollegen können Sie den Inhalt gleichzeitig selbst behalten. Ist das nun Verleih? Ist das eine Kopie? Oder ist es Diebstahl? - Sie können den Inhalt auch duplizieren, Sie können ihn verschlimmbessern oder verändern. Ist das nun Vandalismus? Ist es Kunst? Oder ist es eine Straftat?

Inhalte fließen heute so leicht wie nie zuvor. Gleichzeitig ist es so schwierig wie nie zuvor, dafür eine angemessene Vergütung zu finden. Aber natürlich bleibt diese notwendig. Im Kern der Debatte steht also die Aufgabe, die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten, der Inhalte Schaffenden und der Verwertenden miteinander in Einklang zu bringen.

Es geht nicht um eine Gratiskultur nach dem Motto: alles für alle. Es geht auch nicht um die Abschaffung des Urheberrechts. Aber technische Neuerungen sind eben nicht rückgängig zu machen, und das ist auch gut so. Deswegen müssen wir eine Debatte über eine moderne Ausgestaltung des Urheberrechts führen, das die digitale Gesellschaft als Realität akzeptiert und damit umgeht.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

ACTA als Handelsabkommen geht an diesen notwendigen Diskussionen leider völlig vorbei. ACTA ist ein recht behäbiger pflanzenfressender Dinosaurier aus einer anderen Zeit. Für uns in Deutschland hat das Abkommen sogar recht wenige Konsequenzen, weil wir nahezu alle Empfehlungen und Regelungen längst in unseren Gesetzen umgesetzt haben.

Aber dieser Dinosaurier kommt aus einer anderen Zeit und er findet sich in der digitalen Gesellschaft überhaupt nicht zurecht. Darüber hinaus hat dieser Dinosaurier die falschen Freunde. Es sind andere Dinosaurier, deren Interessen er vorrangig vertritt. Und so schützt ACTA eben vor allem die großen Rechte- und Monopolinhaber und soll ein international durchlässiges Rechtsgefüge zur Durchsetzung deren kommerzieller Interessen gewährleisten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)