Sie sind der Lobbyist für den gemeinsamen Unterricht, Herr Minister! Dann muss man auch erwarten können, dass Sie sich wahrnehmbar dafür einsetzen.
Zweitens geben wir Integrationsklassen den Vorzug vor der Einzelintegration. An dieser Stelle sei gesagt: Von den Grundschulen lernen, heißt siegen lernen. Wir hatten in den letzten Jahren ein Modellprojekt an 22 Grundschulen, bei dem eine - ich sage es einmal so - vorsichtige Konzentration der Kinder mit einer vorsichtigen Konzentration und damit auch mit einer verbesserten Lage der Ressourcen einhergegangen ist. Ich denke, es wäre der bessere Weg, als zur Einzelintegration zurückzukehren, die im Worstcase bedeutet: ein Kind in der Klasse oder an der Schule, zwei Lehrerwochenstunden, und wenn das Kind Schwierigkeiten macht, dann wird es aus dem Unterricht herausgenommen, und dann wird souffliert, was die Lehrkraft erzählt. Das kann es nicht sein!
Das ist nicht im Interesse der Schule, nicht im Interesse der Lehrkräfte und vor allem nicht im Interesse der Kinder, die ihrerseits auch einmal das Bedürfnis haben, Gleichgesinnte - so will ich es beschreiben - zu erleben und sich miteinander auszutauschen.
Drittens müssen wir eine schnelle Entscheidung über die Zukunft der Förderschulen treffen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Der Zuwachs an Lehrerwochenstunden für den gemeinsamen Unterricht führt dazu, dass die Arbeit an den Förderschulen in eine fragile Situation gelangt. Dort fehlen Lehrkräfte. Der Krankenstand betrug im letzten Jahr ca. 7 %. Das ist Indiz dafür, dass etwas getan werden muss. Den Lehrkräften muss eine Perspektive geboten werden. Diese Perspektive, meine Damen und Herren, ist in der Regel die Regelschule; denn dort brauchen wir ganz dringend diese Fachkräfte und Ressourcen.
Viertens braucht eine gelingende Integration Multiprofessionalität an den Schulen. Dazu gehören Lehrkräfte mit sonderpädagogischer Kompetenz. Dazu gehören pädagogische Mitarbeiterinnen. Ich sage es noch einmal: Die dürfen kein Auslaufmodell werden! Die Pläne müssen dringend überarbeitet werden! Wir haben über dieses Thema hier schon mehrfach diskutiert. Dazu gehören Integrationshelferinnen. Aus vielen Schulen wird immer wieder berichtet, dass das Antragsprocedere, wenn ich einen Integrationshelfer oder eine Integrationshelferin aus der Sozialhilfe haben will, unheimlich schleppend vorangeht und einen unheimlich großen bürokratischen Aufwand erfordert, letz
Fünftens. Ein entscheidender Schlüssel ist die Frage der Kompetenzentwicklung. Ein zentraler Punkt ist, das wir uns gemeinsam überlegen, wie man vor Ort eine größere Plattform für Erfahrungsaustausch und Fortbildung schafft. Ich glaube, die Art der Fortbildung, ich fahre nach XY, höre mir einen akademischen Festvortrag an, reise zurück an die Schule und erzähle davon meinen Kolleginnen, ist relativ wenig effektiv.
Ich denke, dass Fortbildung besser im System angesiedelt ist. Pädagogische Reflektion vor Ort und dezentrale Lösungen sind gefragt, indem sich die Lehrerinnen und Lehrer austauschen, die in der Praxis arbeiten und mit den Problemen konfrontiert sind, und fragen, wie machst du es, welche Lösungsoptionen sind dir eingefallen.
Wir werden in Kürze überlegen müssen, wie wir die momentan mit Mitteln der EU finanzierten Lehrerfortbildungen über das Jahr 2013 hinaus auf sichere Füße stellen.
Sechstens und letztens. Wenn sich ein Land zur Inklusion bekennt, dann heißt das natürlich, dass der Lehrer-Schüler-Schlüssel ein Stück weit überdacht werden muss. Ein Land, das dies konsequent tut und den Mut hat, mehr Lehrerwochenstunden für den gemeinsamen Unterricht aufzuwenden, kommt bundesweit natürlich immer in einen Erklärungsnotstand. Unsere Landesregierung liebt das Ranking, hat dazu ein emotionales Verhältnis. Wir müssen überlegen, wie man bundesweit aktiv werden kann, damit man darüber nachdenkt, welche Bildungsressourcen unter dem Label „Inklusion“ angemessen sind. Es ist sehr viel Initiative auf der Bundesebene gefragt, damit ein Land, das sich dieser Aufgabe konsequent widmet, nicht permanent in einen Erklärungsnotstand gelangt.
Was sind unsere wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Beantwortung der Großen Anfrage? - Die LINKE steht uneingeschränkt - ich sage es noch einmal ganz klar - für die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen. Wir denken, es ist ein Gewinn für alle. Wir sind in der Pflicht, ihn als solchen zu gestalten. Dafür gibt es zwei zentrale Schlüssel: Zum einen brauchen wir eine Fortbildungsinitiative, dezentral, vor Ort für Lehrkräfte in der Regelschule. Es geht um eine Fortbildungskultur, um eine Reflektionskultur an der Schule. Zum anderen müssen - Klammer auf - Ausrufezeichen - Klammer zu - die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden,
und zwar mindestens diejenigen, die jetzt im System des gemeinsamen Unterrichts zur Verfügung stehen.
Das sind in etwa 9 000 bis 10 000 Lehrerwochenstunden. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass der Gedanke der Inklusion, der Gedanke einer inklusiven Schule auf lange Zeit und nachhaltig ruiniert wird.
Danke schön, Frau Kollegin Bull. - Für die Landesregierung ergreift nunmehr der Minister für Kultur und Bildung das Wort. Bitte schön, Herr Minister.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum eine andere aktuelle bildungspolitische Aufgabe ist von einer solchen Tragweite, zum Teil auch von einer solchen Brisanz wie die Entwicklung der sonderpädagogischen Förderung. Dies gilt nicht nur für SachsenAnhalt, dies gilt deutschlandweit. Allerdings haben wir noch mehr Anlass als andere, uns um eine Weiterentwicklung zu bemühen.
Der letzte länderübergreifende Datensatz stammt aus dem Jahr 2008. Dieser sagt aus, dass bundesweit 4,9 % der Schülerinnen und Schüler eine Förderschule besuchen. In Sachsen-Anhalt waren es jedoch 8,7 %. Noch deutlicher war der Unterschied beim Förderschwerpunkt Lernen. Hierbei steht dem bundesweiten Anteil von 2,1 % der sachsen-anhaltische Anteil von 5 % gegenüber.
So wenig diese Befunde monokausal erklärt werden können, so wenig können sie einen gleichgültig lassen. Sie sind vielmehr ein weiterer Grund dafür, den gemeinsamen Unterricht als erklärten bildungspolitischen Schwerpunkt auszubauen. Schon zum Zeitpunkt der letzten Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Jahr 2008 - übrigens mit ziemlich identischen Fragestellungen - konnte ein stetiger Anstieg der sogenannten Inklusionsquote festgestellt werden.
- Es ist vielleicht sogar sehr vernünftig, es so zu machen, weil man dadurch eine gute Basis hat. Ich wollte das hier einfach ohne Wertung markieren.
Das heißt, der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf, die anstatt einer Förderschule den gemeinsamen Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule besuchen, ist gestiegen. Waren es im Schuljahr 2007/2008 noch 7 %, so sind es in diesem Schuljahr mit 3 127 Schülerinnen und Schülern fast 21 %. Auch wenn aktuelle Zahlen dazu noch nicht vorliegen, darf man annehmen, dass wir uns damit dem Bundesdurchschnitt angenähert haben.
Das heißt, wir bilden nicht die Spitze der Bewegung, sondern wir nähern uns dem Bundesdurchschnitt an. Wie gesagt, aktuelle Zahlen liegen hierzu noch nicht vor. Die letzten stammen aus dem Jahr 2008.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dieser Anstieg macht zweierlei deutlich. Er macht erstens deutlich, wie ernst wir den Ausbau des gemeinsamen Unterrichts nehmen. Er macht zweitens deutlich, dass wir nicht einem Aktionismus anheim fallen, der ausschließlich auf Quoten bedacht ist, die allein noch lange keinen pädagogischen Fortschritt ausmachen. Dazu bedarf es mehr als statistischer Korrekturen, nämlich einer Förderung, die diesen Namen wirklich verdient, die nicht ungewollt neue Traumata verursacht und die jungen Menschen für ihr Lernen und ihr späteres Leben eine bessere Perspektive bietet.
Mir liegt auch sehr daran, deutlich zu machen, dass der Ausbau des gemeinsamen Unterrichts eines definitiv nicht ist, nämlich eine Kritik an der bisherigen Arbeit der Förderschulen und erst recht keine Kritik an den Förderschullehrerinnen und -lehrern. Ihnen ist es kaum anzulasten, wie viele Kinder Förderschulen besuchen.
Ich bin davon überzeugt, dass es keine pädagogische Meisterleistung ist, bei Kindern schon vor dem Eintritt in die Schule den Förderschwerpunkt Lernen zu diagnostizieren. Eine solche Diagnose attestiert nämlich einen dauerhaften Lernrückstand von mindestens eineinhalb Jahren - und dies, bevor das schulische Lernen überhaupt begonnen hat.
Natürlich gibt es Kinder mit einer ungünstigen Lernausgangslage. Aber genau für diese Kinder haben wir die Möglichkeit geschaffen, die Schuleingangsphase in drei Jahren zu durchlaufen. Genau für diese Kinder haben wir die präventive Grundversorgung, mit der Förderschullehrer an den Grundschulen eingesetzt werden. Ich beanspruche bei diesem Punkt keine Originalität, sondern verweise dazu gern auf die Aussprache zu der Großen Anfrage im Jahr 2008.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Entwicklung der sonderpädagogischen Förderung ist aus meiner Sicht denkbar ungeeignet für ideologische Betrachtungen, auch wenn sie dafür immer wieder anfällig ist. Gerade hier lohnt es sich immer wieder zu fragen: Was genau dient dem Kindeswohl, dem Wohl eines jeden einzelnen Kindes am meisten? Dann wird man kaum zu Pauschallösungen kommen, weder im Sinne des Status quo noch in dem Sinne, möglichst bald alle Förderschulen zu schließen. Das kann auch nicht das Ziel sein.
Wie Sie wissen, habe ich eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die derzeit Vorschläge zur Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts erarbeitet.
Dieser Arbeitsgruppe gehören Vertreter verschiedener Lehrer- und Fachverbände, des Landeseltern- und Landesschülerrats, des Allgemeinen Behindertenverbandes, der kommunalen Spitzenverbände, aber auch des Landesschulamtes an. Damit ist gewährleistet, dass die anstehenden Fragen aus allen bedeutsamen Blickwinkeln heraus beraten werden.
Themen der Arbeitsgruppe waren und sind unter anderem die Erweiterung der präventiven Grundversorgung an Grundschulen, die sonderpädagogische Grundausstattung an weiterführenden Schulen, die sonderpädagogische Unterstützung des gemeinsamen Unterrichts an Gymnasien, die notwendige Schulausstattung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepte, und zwar ziemlich genau in dem Sinne, wie es Frau Bull gerade mit Blick auf die Weiterbildung dargestellt hat.
Die Arbeitsgruppe wird noch vor der parlamentarischen Sommerpause Empfehlungen erarbeiten. Wir werden auf der Grundlage dieser Empfehlungen dann einen Fahrplan erarbeiten.
Gern würde ich beides im Herbst dieses Jahres dem Ausschuss für Bildung und Kultur des Landtages vorstellen und auch mit ihm diskutieren. Ich wünsche mir, dass wir dazu eine öffentliche Debatte führen, um möglichst jenen Konsens zu erreichen, den wir gerade bei dieser Frage benötigen. Eine wichtige Grundlage für eine qualifizierte Diskussion sind die Fakten, die Sie mit Ihrer Großen Anfrage zur sonderpädagogischen Förderung in Sachsen-Anhalt erfragten. Auf die Entwicklung des gemeinsamen Unterrichts bin bereits eingegangen.
Wichtig scheint mir an diesem Punkt, auch auf die Qualifikation unserer Förderschullehrerinnen und -lehrer einzugehen. Dass der Anteil der Lehrkräfte mit Lehramt steigt, der Anteil der Lehrkräfte mit einer grundständigen sonderpädagogischen Qualifikation der DDR hingegen sinkt, ist nicht weiter erstaunlich. Wichtiger ist, dass der Gesamtanteil beider Gruppen bei über 70 % liegt. Das ist im nationalen Vergleich ein ordentlicher Wert. Obwohl viele Lehrkräfte im gemeinsamen Unterricht eingesetzt werden, liegt dieser Anteil an Förderschulen bei über 60 %.
Auch fast alle pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen über eine pädagogische Qualifikation, zum Beispiel als Lehrer für untere Klassen, Hort- oder Heimerzieher oder Kindergärtner. Etwa 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den beruflichen Abschluss der Krippenerzieherin bzw. des Krippenerziehers, der Krankenschwester bzw. des Krankenpflegers.
Rund 700 pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können eine Anpassungsfortbildung mit dem Abschluss der staatlich anerkannten Erzieherin bzw. des staatlich anerkannten Erziehers nachweisen.
Bei den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in therapeutischer Funktion haben mehr als 75 % einen Abschluss als Physiotherapeutin bzw. Physiotherapeut, als Krankenschwester bzw. Krankenpfleger, als Krankengymnastin oder Krankengymnast. Die übrigen verfügen über pädagogische Abschlüsse.
Wichtige Erkenntnisse für die künftige Arbeit lieferte uns der Modellversuch der Grundschule mit Integrationsklassen. Ein ausführlicher Bericht wird im März 2012 vorliegen und öffentlich zur Verfügung stehen. Allerdings wurden bereits im Schuljahr 2010/2011 erste Erkenntnisse aus dem Modellversuch in konkreten Maßnahmen abgebildet. Darüber haben wir an verschiedenen Stellen bereits gesprochen.
Ich verweise an dieser Stelle auf die Wandlung der ambulanten mobilen Angebote in eine präventive sonderpädagogische Grundversorgung für die Schuleingangsphase an Grundschulen, die Zuweisung der Lehrerwochenstunden für den gemeinsamen Unterricht als Stundenpool mit einem einheitlichen Schülerfaktor und die Einrichtung des Mobilen Sonderpädagogischen Diagnostischen Dienstes.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch in Zukunft werden wir nicht auf die Kompetenz verzichten können, die sich in den Förderzentren entwickelt hat. Im Land sind 40 Förderzentren tätig. Hiervon sind 36 regionale und vier überregionale Förderzentren. Mit diesen Förderzentren kooperieren 382 Schulen. Dies entspricht einem Anteil von etwa 50 % der allgemeinbildenden Schulen des Landes, die auf diese Weise in die Arbeit der Förderzentren eingebunden sind.
Aktueller Schwerpunkt der Förderzentrenarbeit ist der Kompetenztransfer. Über kooperative Fortbildungskonzepte und einen regen Erfahrungsaustausch zur individuellen Lernförderung im Unterricht sollen sich die Unterrichtsqualität und die Lernergebnisse verbessern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang jeder sonderpädagogischen Förderung steht das sogenannte sonderpädagogische Feststellungsverfahren. Die Zahl der angemeldeten Verfahren lag in der Vergangenheit Jahr für Jahr bei etwa 3 000. In den weitaus meisten Fällen - rund 80 % - wurde ein entsprechender Förderbedarf festgestellt.
Mit der Einführung der präventiven Grundversorgung und der Errichtung des Mobilen Sonderpädagogischen Diagnostischen Dienstes bestand ein Interesse daran, landesweit vergleichbare Verfahren anzuwenden und somit vergleichbare Förderentscheidungen zu erreichen. Das hat ein interessantes Ergebnis zutage gefördert, nämlich dass im ersten Jahr der Tätigkeit des MSDD die Zahl der Anträge zur Feststellung des sonderpädago
Ein sonderpädagogischer Förderbedarf wurde in 1 638 Fällen festgestellt. In ungefähr der Hälfte dieser festgestellten Bedarfe wählten die Eltern dann den gemeinsamen Unterricht als Förderort. Für Kinder vor dem Schuleintritt wurden 841 Anträge gestellt, die jedoch nur in rund 400 Fällen zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs führten. Insofern kann man sagen, dass die Einrichtung des MSDD ein richtiger Schritt war. Diesen erfolgreichen Anfang zu verstetigen ist allerdings keine Selbstverständlichkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen, dass wir in den kommenden Monaten insbesondere im Parlament vor der Herausforderung stehen, die sonderpädagogische Förderung in Sachsen-Anhalt weiterzuentwickeln. Dieses Thema gebietet es nicht, dass wir hier in uniforme Antworten auf höchst unterschiedliche Fragen verfallen. Was zum Beispiel für den Förderschwerpunkt Lernen richtig ist, gilt nicht automatisch für den Förderschwerpunkt der geistigen oder sozial-emotionalen Entwicklung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend noch auf einen Punkt hinweisen, den Sie auch in der Antwort auf die Große Anfrage finden und der mich sehr nachdenklich gemacht hat.