Protokoll der Sitzung vom 24.02.2012

(Herr Leimbach; CDU: Sowas!? - Zuruf von der LINKEN)

was die Aufgabenstellungen der Grundrechteagentur sind, die Sie hier dankenswerterweise vorgestellt haben - das ist für sich genommen schon einmal verdienstvoll -,

(Herr Czeke, DIE LINKE: Ja!)

so wenig kann man dabei mit dem Subsidiaritätsprinzip argumentieren, sei es als Rüge, sei es als Bedenken; denn das Subsidiaritätsprinzip dient nur einem einzigen Zweck, nämlich der Begrenzung von Zuständigkeiten der Europäischen Kommission.

Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet, dass die Kommission nur dort tätig werden darf, wo ihr ausschließliche Zuständigkeiten zugewiesen worden sind oder wo es ganz ausnahmsweise einmal aus ganz übergeordneten Gründen zwingend erforderlich ist. Unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip begrenzen wir Zuständigkeiten der Kommission.

Wo immer wir auf europäischer Ebene zusätzliche Aufgaben wahrgenommen wissen wollen, müssen wir das politisch durchargumentieren, müssen wir das im Bundesrat über Anregungen, Empfehlungen einbringen, aber nicht über das Subsidiaritätsprinzip. Das Subsidiaritätsprinzip ist das genaue Gegenteil.

Deswegen hat der Bundesrat am 10. Februar 2012, als er sich das erste Mal mit dieser Angelegenheit befasst hat, eben auch gerade keine Subsidiaritätsrüge erhoben, sondern hat von der Vorlage lediglich Kenntnis genommen.

Die Aufstellung des Mehrjahresprogramms obliegt auf der Grundlage eines Beitrages des Verwaltungsrats der Agentur der Kommission, die die Schwerpunkte dieser ihrer Kommissionsagentur festsetzt und dazu dann den mitgliedstaatlichen Konsultationsprozess einleitet.

Ich denke auch, dass das Mehrjahresprogramm, so wie es jetzt für die Jahre 2013 bis 2017 angelegt ist und in Aussicht genommen wird, es durchaus gestattet, sich auch mit den Problemen zu beschäftigen, die Sie hier geschildert haben und die im Kern der Bekämpfung neofaschistischer Umtriebe in Europa dienen.

Denn zu den Aufgaben der Agentur gehört es, sich mit Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder der sozialen Herkunft, genetischer Merkmale, der Sprache, der Religion oder des Glaubens, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, der Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu befassen. Auch gehört dazu - Sie haben es kurz gestreift -, sich mit allen Erscheinungen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und damit einhergehender Intoleranz zu beschäftigen.

Das sind letzten Endes durch die Bank weg Erscheinungsformen, in denen sich auch Neofaschismus äußert. Wir können also davon ausgehen, dass sich die Agentur mit diesen Fragen beschäftigen wird.

Der Beschluss des Bundesrates vom 10. Februar 2012 ist voraussichtlich nicht das letzte Wort des deutschen Gesetzgebers - Bundestag und Bundesrat - in dieser Angelegenheit.

Wenn es bei der von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsgrundlage, nämlich Artikel 352 des Zusammenarbeitsvertrages, bleibt, bedarf es gemäß § 8 des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union eines Gesetzes nach Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes, bevor der deutsche Vertreter im Ministerrat der Vorlage zustimmen kann. Dieses dann noch ausstehende Gesetz erfordert selbstverständlich auch die Zustimmung des Bundesrates. Spätestens dann ist dem Landtag abermals Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Ich stelle es Ihnen anheim, dann ihre Überlegungen noch einmal vorzutragen. Aber im Kern bleibt es dabei: Wenn Sie eine Erweiterung der Zuständigkeiten einer von der Kommission eingerichteten Agentur anstreben - deren gibt es bekanntlich viele -, muss das auf dem politischen Wege geschehen, und zwar schwerpunktmäßig durch das Europäische Parlament. Dann sind wir gefordert, über das Subsidiaritätsprinzip darauf zu achten, dass sie nicht in unsere Kompetenzbereiche eingreifen. Wenn wir uns damit zufrieden geben, ist es gut. Aber in diesem Fall wird man Ihrem Antrag leider schon aus rechtlichen Gründen nicht entsprechen können. - Danke sehr.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Es beginnt für die SPD der Abgeordnete Herr Tögel. Danach fahren wir wie folgt fort: GRÜNE, CDU und LINKE. - Bitte schön, Herr Tögel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel habe ich der Rede des Staatsministers nicht hinzuzufügen. Er hat auf die rechtlichen und auch auf die inhaltlichen Dinge hingewiesen. So lobenswert die Behandlung dieses Themas auch ist, aber in Verbindung mit der Subsidiaritätsrüge ist das hier völlig fehl am Platze.

Herr Czeke, eines frage ich mich wirklich. Wir reden seit fünf Jahren im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien darüber, wie wir mit der Subsidiaritätsrüge, mit Subsidiaritätsbedenken umgehen. Wenn Sie schon die überregionalen Anträge recyceln und hier in die Landtagsdiskussion einbringen, dann hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie nach fünf Jahren der Diskussion mitbekommen haben, dass man die inhaltlichen Themen nicht mit den formalen Themen mit Verbindung bringen kann.

Es ist nun einmal so: Bei einer Subsidiaritätsrüge geht es einzig und allein darum, ob in die Rechte der Mitgliedsstaaten oder Regionen eingegriffen wird. Es geht nicht darum, über das Vehikel Subsidiaritätsrüge Inhalte in ein von mir aus verbesserungsfähiges Gesetz oder eine Regelung einzubringen. Insofern ist es an dieser Stelle fehl am Platz. Wir werden den Antrag ablehnen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Tögel. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Herr Striegel. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein einigermaßen seltsamer Zustand, dass ich dem Staatsminister zustimmen kann. - Herr Czeke, Ihr Antrag hat auch mich aus zwei grundsätzlichen Gründen einigermaßen in Verwirrung gebracht. Der eine Grund ist das Juristische, das Formale; dazu ist das Notwendige gesagt worden. Der zweite ist das Inhaltliche, das Begriffliche.

Woher nehmen Sie eigentlich die Begrifflichkeit des Neofaschismus, die Sie hier leider nicht noch einmal erläutert haben? Ist das sozusagen ein bloßer Bezug auf den historischen Faschismus oder ist es eine Anlehnung an die Dimitroff-These oder an den generischen Faschismusbegriff oder an was auch immer? - Das ist nicht deutlich geworden. Ich glaube, es „verunklart“ am Ende die Debatte, wenn Sie nicht sagen, wohin Sie eigentlich wollen.

Die juristischen Bedenken und auch die begrifflichen Bedenken trennen uns. Gleichwohl gibt es in diesem Themenfeld gemeinsame Ziele - ich

denke, diese werden auch in weiten Teilen dieses Hauses geteilt; jedenfalls hoffe ich das trotz mancher Debatte in diesen Reihen noch immer -, nämlich das Zurückdrängen des Neonazismus in Deutschland und in Europa, der bisweilen den Charakter einer sozialen Bewegung trägt, die Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und natürlich die Stärkung der Demokratie.

Wer diese Ziele teilt und dazu auf europäischer Ebene notwendige neue Schritte gehen will, mehr Schritte gehen will, der sollte aber nicht anfangen, in seiner Begründung nur auf die Bundesrepublik Deutschland abzuheben. Das aber tun Sie, wenn Sie ausschließlich das Beispiel Dresden, den NSU und das Beispiel Magdeburg in diese Debatte einführen.

Wer von Neonazismus, wer von einer Bedrohung der Grundrechte auf der EU-Ebene redet, der kann über die Anschläge von Utoya und Oslo nicht schweigen, der darf über die Pogrome gegen Roma in Tschechien und Ungarn nicht schweigen. Er darf natürlich auch nicht schweigen angesichts der gewaltigen Gefährdung von Menschenrechten, von Grundrechten und Demokratie in Ungarn angesichts der Dinge, die wir unter der dortigen Regierung erleben.

Ihr Antrag ist - jedenfalls in seiner Begründung - nationalstaatlich beschränkt, auch wenn er in Richtung EU zielt. Es hätte durchaus neben den von mir schon genannten Beispielen auch Punkte gegeben, gerade in dem Kontext, den Sie in Ihrer Begründung anführen, nämlich die Grundrechte und die Neonazis, über die man hätte reden können.

Man hätte auch über die sogenannte sächsische Demokratie, also die Kriminalisierung aller, die sich gegen Neonazis einsetzen, während Neonazis dort über Jahre sehr massiv aufmarschieren konnten, reden können. Dresden zeigt, wie sich Neonazis erfolgreich zurückdrängen lassen. Das haben wir in diesem Jahr zum ersten Mal sehr deutlich erleben können.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Mit zivilem Unge- horsam!)

- Genau, da sind wir. Es zeigt sich, dass durch zivilen Ungehorsam etwas zu erreichen ist und dass es durch eine breite bürgerliche Mobilisierung möglich wird, Neonazis tatsächlich effektiv zurückzudrängen.

Aber es zeigt auch, wie Grundrechte in einer solchen Situation immer wieder gefährdet werden, nämlich durch die hunderttausendfache Erfassung von Handydaten, durch rechtswidrige Hausdurchsuchungen, durch die politisch instrumentalisierte Aufhebung der Immunität von Abgeordneten und durch politische Strafprozesse, wie wir sie beispielsweise gegen Lothar König erleben.

Insofern hätte es genug gegeben, worüber zu diskutieren sich gelohnt hätte. Ihrem Antrag können wir leider aus formalen Gründen und auch mit Blick auf die Begrifflichkeit nicht zustimmen. Wir wissen uns jedoch mit Ihnen mit Blick auf die Thematik durchaus auf einer Seite; denn auch wir wollen Rechtsextremismus und Neonazismus in Deutschland und auf der EU-Ebene zurückdrängen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Striegel. - Für die CDU spricht jetzt der Herr Kollege Kurze. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anspruch der LINKEN ist es - das wird gern auch mit nicht geringem Selbstbewusstsein vertreten -, in neuen und bisher noch nicht gedachten Kategorien zu denken. So ähnlich wird es wohl auch gewesen sein, als dieser Antrag formuliert wurde; denn zunächst - unabhängig von der inhaltlichen Forderung - ist ihr methodischer Ansatz zweifellos originell. Auf der einen Seite eine Subsidiaritätsrüge zu beantragen und auf der anderen Seite auf europäischer Ebene mehr regeln zu wollen - das ist ohne Frage etwas Neues.

Sie beantragen, den Mehrjahresrahmen der EUGrundrechteagentur für den Zeitraum 2013 bis 2017 um den Regelungsaspekt „Bekämpfung des Neofaschismus“ zu ergänzen. Warum Sie allerdings inhaltliche Ergänzungswünsche mit der Subsidiaritätsrüge durchsetzen wollen, erschließt sich mir persönlich nicht. Auch die Vorredner sind darauf bereits eingegangen.

Wie wollen Sie das gegenüber der Kommission nun kommunizieren? Hier die Subsidiaritätsrüge und dort die Forderung, inhaltlich noch mehr zu regeln.

Der Vorschlag für den Mehrjahresrahmen wurde am 10. Februar 2012 durch den Bundesrat zur Kenntnis genommen. Dem Text der Entschließung konnten wir entnehmen, dass dies gemäß § 35 der Geschäftsordnung des Bundesrates geschah. Wenn das richtig ist und wenn ich es richtig deute, Herr Staatsminister Robra, dann lagen aus der Sicht der zuständigen Fachausschüsse des Bundesrates keinerlei Bedenken gegen den Mehrjahresrahmen vor; denn sonst hätte man das Verfahren der Kenntnisnahme gemäß § 35 wohl nicht gewählt.

Offensichtlich wurde eine Notwendigkeit auf inhaltliche Ergänzung weder von einem der befassten Ausschüsse des Bundesrates noch vom Bundesrat selbst am 10. Februar 2012 gesehen.

Jetzt kommt DIE LINKE in Sachsen-Anhalt - wohlgemerkt am 14. Februar 2012, also nach der Bundesratssitzung - und möchte, weil es offensichtlich eben nur über ein Verfahren in der Europakammer möglich ist, eine Subsidiaritätsrüge erheben.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbst wenn man diese formalen Gründe nicht gelten lassen würde, stünden Ihrem Vorschlag erhebliche inhaltliche Bedenken entgegen.

In dem Vorschlag der EU-Kommission geht es um die Festlegung der zukünftigen Tätigkeitsbereiche der Grundrechteagentur. Die Grundrechteagentur ist eine Expertenkommission mit Sitz in Wien, die im Zuge der Umsetzung des EU-Rechts über die Einhaltung der Grundrechte durch die EU und die Mitgliedsstaaten wacht.

Der sogenannte Mehrjahresrahmen legt also thematische Schwerpunkte fest. Folgende Bereiche zählen dazu:

erstens Zugang zum Recht,

zweitens Opfer von Straftaten,

drittens Informationsgesellschaft unter besonderer Beachtung der Privatsphäre und des Schutzes personenbezogener Daten,

viertens Integration der Roma,

fünftens polizeiliche Zusammenarbeit unter besonderer Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten,

sechstens justizielle Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten in Strafsachen,

siebentens Rechte des Kindes,