„Wer von uns verweilt nicht lieber bei der geistreichen Unordnung einer natürlichen Flusslandschaft als bei der geistlosen Regelmäßigkeit eines begradigten Gerinnes?“
(Beifall bei der LINKEN - Herr Weigelt, CDU: Wie geistvoll! - Herr Schröder, CDU: Die El- be als begradigtes Gerinne!)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Wochen war ich Gast des tschechischen Ministerpräsidenten Nečas. Der Besuch in Prag verlief in einer sehr angenehmen und von gegenseitigem Interesse geprägten Atmosphäre.
Wir haben über das Engagement tschechischer Unternehmen in Sachsen-Anhalt gesprochen. Wir haben uns über Themen ausgetauscht, die unsere Länder gemeinsam betreffen. Ich nenne hier nur die Gestaltung der Energiewende. Dies ist übrigens ein spezielles Thema, bei dem die Netzunsicherheit in der Tschechischen Republik, die durch das Hineindrücken der Ökostromanteile, die in Deutschland nicht genutzt werden können, entsteht, schon ein erhebliches Problem darstellt. Und es ging auch um die Zukunft der EU-Förderung.
Ein Thema lag dem tschechischen Ministerpräsidenten jedoch besonders am Herzen - es war das Erste, das er mir gegenüber ansprach -: die Schiffbarkeit der Elbe. Hierfür hat er - das wiederhole ich auch in diesem Hohen Haus - mein vollstes Verständnis.
Die Elbe ist für die Tschechen eine sehr wichtige Verkehrsader und der einzige Zugang zum Meer. Vielleicht trägt ein kurzer Blick zurück in die Geschichte zur Versachlichung der Diskussion bei.
Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem Völkergewohnheitsrecht der Tschechischen Republik das Befahren der Elbe bis zum Seehafen Hamburg zu gewährleisten. Der Versailler Vertrag und die Elbeschifffahrtsakte von 1922 haben der Schifffahrtsfreiheit den Weg geebnet. Der nicht ernsthaft infrage gestellte Status einer internationalen Wasserstraße bedingt die durchgängige Schiffbarkeit von Tschechien bis zur Elbmündung; sie ist von allen Anrainern zu gewährleisten.
Im Jahr 2006 ist dies in einer gemeinsamen Absichtserklärung der Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik bekräftigt worden. Grundlage und Bestandteil der gemeinsamen Erklärung waren die im Jahr 2005 vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung entwickelten Grundsätze für das Fachkonzept der Unterhaltung der Elbe zwischen Tschechien und Geesthacht.
Was dies auf der deutschen Seite beinhaltet, wissen Sie alle: eine durchgängige Fahrrinnentiefe von 1,60 m von Geesthacht bis Dresden an durchschnittlich 345 Tagen im Jahr. Von Dresden stromaufwärts bis nach Děčín muss eine Fahrrinnentiefe von immerhin noch 1,50 m sichergestellt werden. Im dritten Teil der gemeinsamen Erklärung bekundet die Tschechische Republik ihre Absicht, zur Absicherung der Fahrrinnentiefe bei Děčín eine Staustufe zu errichten.
Auf diese Rechte, aber auch Verpflichtungen beruft sich die Tschechische Republik in der Diskussion um das Neuklassifizierungskonzept der Bundeswasserstraßen zu Recht.
Die Bundeskanzlerin hat daraufhin im Juni 2011 in einem Brief an den tschechischen Ministerpräsidenten Zweifel an der Haltung der Bundesregierung zur Elbe entkräftet und die Bedeutung der Elbe für die Schifffahrt hervorgehoben.
Wie Sie auf die Idee kommen, ich würde der Bundesregierung in den Rücken fallen, bleibt vor diesem Hintergrund rätselhaft.
Vielleicht liegt dem Antrag der LINKEN aber auch ein Missverständnis hinsichtlich der Definition des Begriffs Schiffbarkeit zugrunde.
Ich war vor einigen Tagen auf der Jubiläumsveranstaltung „Zehn Jahre Blaues Band“. Wie Sie alle wissen, liegt uns der Wassertourismus in SachsenAnhalt sehr am Herzen. Wir haben ihn in den letzten Jahren entsprechend gefördert. Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 mit dem Bau des Wasserstraßenkreuzes Magdeburg wurde aber nicht realisiert, um mit dem Paddelboot bequemer von Prag nach Berlin zu gelangen. Unter Schiffbarkeit verstehen wir schon ein wenig mehr, und das, so glaube ich, zu Recht.
Der Transport von Gütern auf Wasserstraßen ist nicht nur ökonomischer, sondern auch ökologischer als der Transport auf der Straße. Er kann Städte und Gemeinden insbesondere von Schwertransporten entlasten. Es entspricht weiterhin der EU-Politik, den Güterverkehr auf ökologische Verkehrsträger zu verlagern.
In diesem Zusammenhang werden die Binnenwasserstraßen ausdrücklich genannt. Hierzu gibt es ehrgeizige Vorstellungen, die in den Zielstellungen der künftigen EU-Finanzperiode auch zum Ausdruck kommen.
Tun wir bitte nicht so, als sei Sachsen-Anhalt das einzige der deutschen Bundesländer, das an der Schiffbarkeit der Elbe in diesem Sinne interessiert ist. Hamburg überlegt derzeit, ob und wie ein Modal-Split-Anteil für die Binnenschifffahrt zwingend vorgegeben werden kann. Als Vorbild dient der Hafen von Rotterdam, wo dies erfolgreich umgesetzt wurde.
In Lauenburg entsteht ein neuer Containerterminal zur Bewältigung der wieder anwachsenden Seehafenhinterlandverkehre. Brandenburg betreibt an der Elbe eine sehr aktive Hafenpolitik. Ich habe erst vor wenigen Tagen mit meinem Kollegen Platzeck darüber gesprochen. In Mühlberg wird ein Hafen gebaut und der Hafen in Wittenberge wird ausgebaut. Thüringen spricht sich für die Elbe aus, da von dort Schwerlasttransporte auf den Hafen Aken zulaufen. Auch die Sächsische Binnenhäfen Oberelbe GmbH, immerhin eine Landesgesellschaft, setzt sich sehr aktiv zugunsten der Elbe ein.
Doch über was für einen Fluss reden wir eigentlich? Was kennzeichnet die Elbe? - Vielleicht können wir uns zunächst darauf verständigen, dass es um diesen Fluss heute sehr viel besser steht als zu DDR-Zeiten.
Heute riecht man hier wieder den Blütenduft der Elbauen und nicht mehr die in den Fluss geleiteten Abwässer und Chemikalien. Das ist ein großes Verdienst, auf das wir zu Recht gemeinsam stolz sein können.
Ein Stück völlig unberührter Natur ist die Elbe dennoch nicht; das war sie in den letzten Jahrhunderten auch nie. Es gibt so gut wie keinen Flussabschnitt, der im Laufe der Jahrhunderte nicht von Menschenhand verändert worden wäre.
Deichbau zum Hochwasserschutz wurde unterhalb von Magdeburg schon in der Zeit um 1600 betrieben. Im 18. Jahrhundert erfolgte die Begradigung der Elbe bei Kilometer 353 im Auftrag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. Buhnen gehören ebenso zur Elbe wie rund 270 Schleusen, Wehre und Staustufen. In Deutschland finden wir eine Staustufe bei Geesthacht, in Tschechien sind es 24.
Der Verlauf der Elbe in Tschechien ist mit den Flussabschnitten in den verschiedenen Biosphärenreservaten auf deutscher Seite überhaupt nicht zu vergleichen. Umso irriger ist es, wenn der Endruck erweckt werden soll, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt plane, die Elbe nun auch bei uns mit Staustufen zu versehen. Das ist absoluter Unsinn.
Ich bin aber sehr wohl dafür, wassertechnische Anlagen weiter zu unterhalten, um die Schifffahrt auf der Elbe auch künftig zu ermöglichen. Das schließt nicht aus, dass auch ökologische Interessen gewahrt werden - ja, das ist sogar eines der wesentlichen Hauptanliegen.
Kommen wir auf das im Antrag erwähnte Eckpunktepapier der Bundesregierung zu sprechen. Dieses ist keineswegs, wie dargestellt worden ist, beschlossen; es spiegelt lediglich Meinungen der Arbeitsebene des Bundes wider und ist Teil eines Dialogprozesses, den der Bund zu einem Gesamtkonzept Elbe angeschoben hat. Dieses Konzept beschränkt sich auf das deutsche Hoheitsgebiet. Die Staustufe Děčín ist damit keineswegs Teil des Konzepts. Ein Gesamtkonzept Elbe wird es nach Abstimmungen, die noch laufen, nicht vor Beginn des nächsten Jahres geben.
Eines gibt es jedoch schon heute: die Prager Resolution der Kammerunion Elbe/Oder. Darin hat die Interessenvertretung von 40 Industrie- und Handelskammern aus Mittel- und Osteuropa im September 2011 eine Staustufe bei Děčín sogar ausdrücklich gefordert.
Ich hingegen habe lediglich die Position der souveränen Tschechischen Republik und ihrer demokratisch legitimierten Regierung respektiert. Ein deutscher Politiker hat einem tschechischen Ministerpräsidenten keine Vorschriften zu machen.
Was DIE LINKE von mir verlangt, widerspricht nicht nur den Regeln der Gastfreundschaft, es erinnert auch an Zeiten, die ich noch selbst erlebt
habe, in denen deutsche Politiker dem tschechischen Volk vorschrieben, was es zu tun und was es zu lassen hatte. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei und so soll es auch bleiben.
Danke schön, Herr Ministerpräsident. Herr Kollege Erdmenger hat eine Frage. Herr Ministerpräsident, möchten Sie diese beantworten?
Er hat alles zu dem Thema gesagt. - Dann fahren wir in der Debatte fort. Für die Fraktion der CDU spricht nun der Abgeordnete Scheurell.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lüderitz hat einen ganz netten Einstieg gegeben; unser Ministerpräsident hat die treffenden Worte gefunden, die es hierauf zu erwidern gibt.
DIE LINKE versucht, die Verlässlichkeit unseres Ministerpräsidenten und damit unseres Landes infrage zu stellen. Der Antrag basiert wahrscheinlich auf einer unvollständigen Recherche und auf einem mangelnden Verständnis der derzeitigen Lage an der Elbe. Diesem Mangel werde ich gern abhelfen.