Protokoll der Sitzung vom 08.06.2012

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hiermit eröffne ich die 27. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Ich begrüße alle auf das Herzlichste und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir beginnen die heutige Tagesordnung mit Tagesordnungspunkt 12. Ich erinnere daran, dass Herr Minister Webel heute ganztägig und Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff für die Zeit ab 9 Uhr entschuldigt sind.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung

Bauordnungsrechtliche Hürden bei der Nutzung erneuerbarer Energien abbauen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/1146

Zunächst erteile ich der Einbringerin, der Abgeordneten Frau Frederking, das Wort.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Energiewende heißt Richtungsänderung mit neuen Zielen. Auf dem Weg dorthin muss erst einmal alles weggeräumt werden, was behindert. Das gilt sowohl für das Große - das spielt sich zurzeit in Berlin ab - als auch für das Kleine; denn auch kleiner, feiner Sand im Getriebe stört und verzögert.

Über einen solchen Stör- und Behinderungsfaktor stöhnen zurzeit die Solarinstallationsbetriebe in Sachsen-Anhalt. Der Anlass ist die aktuell gültige Landesbauordnung, aus der hervorgeht, dass für Gebäudefotovoltaikanlagen, bei denen der produzierte Strom ins Netz eingespeist wird, eine Baugenehmigung erforderlich ist.

Wenn der Strom allerdings selber, also direkt im Gebäude, verbraucht und nicht in das Netz eingespeist wird, dann ist keine Baugenehmigung erforderlich. Die Installation dieser Anlagen ist verfahrensfrei. Das gilt genauso für solarthermische Anlagen, die Warmwasser erzeugen; auch hierfür ist eine Baugenehmigung nicht vorgeschrieben.

Nun kann man natürlich fragen, wie es zu diesem Unterschied kommt, der völlig unlogisch erscheint. Gemäß § 60 der Landesbauordnung ist die Errichtung, Änderung oder Aufstellung von Solaranlagen nur dann verfahrensfrei, wenn diese zur technischen Gebäudeausrüstung gehören. Sie müssen

also einen funktionellen Zusammenhang mit der Nutzung des Gebäudes haben. Das heißt, sie müssen zur Energieversorgung des Gebäudes beitragen.

Umgekehrt bedeutet dies, dass Solaranlagen, die nicht zur Energieversorgung des Gebäudes beitragen, einer Baugenehmigung bedürfen. Das ist bei Fotovoltaikanlagen, bei denen der Strom ins Netz eingespeist und verkauft wird, der Fall. Diese Anlagen dienen einer gewerblichen Nutzung; damit erfährt das Gebäude auch eine Nutzungsänderung. Ein Gebäude, das vorher ein reines Wohngebäude war, erfährt dadurch eine Nutzungsänderung; auch das erfordert eine Baugenehmigung.

Diese unterschiedlichen Regelungen bezüglich der Baugenehmigungspflicht haben nichts mit den Faktoren Sicherheit und Gestaltung zu tun. Das heißt, die Aspekte Sicherheit und Gestaltung sind nicht die Gründe für die Baugenehmigungspflicht.

Die Baugenehmigung für ins Stromnetz einspeisende Fotovoltaikanlagen umfasst derzeit zum einen einen Nachweis der Standsicherheit, also eine statische Berechnung, die die Tragfähigkeit des Daches ermittelt, und zum anderen einen Nachweis zum Brandschutz. Dies wird übrigens von den Bauordnungsämtern ganz unterschiedlich gehandhabt. Es gibt dazu keine einheitlichen Regelungen. Das zeigt auch schon, dass die Erteilung einer Baugenehmigung kein Garant für die Einhaltung der Brandschutzanforderungen ist.

Das Thema Denkmalschutzvorgaben wird derzeit noch abgeklärt. Wenn das Gebäude unter Denkmalschutz steht, dann müssen bestimmte Dinge beachtet werden. Unter Umständen kann eine solche Anlage auch nicht gebaut werden.

Nun stellt sich die Frage, ob es, wenn keine Baugenehmigung erforderlich wäre, a) zu einem Wildwuchs von Fotovoltaikanlagen kommen würde und b) Standsicherheit und Brandschutz nicht mehr gewährleistet wären. Die ganz klare und eindeutige Antwort auf diese Frage lautet: nein.

Nein, das wäre nicht so; denn auch ohne Baugenehmigung müssen alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Selbstverständlich muss der Denkmalschutz weiterhin berücksichtigt werden. Selbstverständlich müssen die Vorgaben der Gestaltungssatzungen weiterhin eingehalten werden, zum Beispiel wenn eine Gestaltungssatzung festlegen sollte, dass in einer Ortslage alle Dächer rot zu sein haben. Die Aspekte Standsicherheit und Brandschutz sind in den §§ 12 und 14 der Landesbauordnung ohnehin vorgeschrieben.

Ich möchte klarstellen, dass die Installationsbetriebe über die entsprechende Fachkunde verfügen, um das zu gewährleisten. Die genannten Anforderungen müssen von jeder baulichen Anlage, ob mit oder ohne Baugenehmigung, eingehalten werden.

Deshalb ist die Erteilung einer Baugenehmigung fachlich nicht nötig.

Diese Tatsache rechtfertigt dann auch die Schlussfolgerung, die wir mit unserem Antrag gezogen haben, nämlich dass auf die Baugenehmigungspflicht verzichtet werden kann.

Die Baugenehmigungspflicht führt in der Praxis zu drei wesentlichen Problemen und erschwert damit den schnellen Zubau von Fotovoltaik-Dachanlagen. Erstens. Es treten zeitliche Verzögerungen auf, da die Erteilung einer Baugenehmigung etwa ein Vierteljahr dauert. Der zeitliche Faktor wird jetzt noch wichtiger, weil die EEG-Novelle eine monatliche Degression bei der Einspeisevergütung von Solarstrom vorsieht. Jeder Monat, den die Solaranlage eher ans Netz geht, zählt also.

Zweitens. Es kommt zu zusätzlichen finanziellen Belastungen. Gerade bei kleineren Dachanlagen in der Größe von 2,5 bis 5 kWp fallen bei einer Nettoinvestitionssumme von 4 000 € bis 7 000 € Kosten in Höhe von 800 € bis 1 000 € für die Baugenehmigung ins Gewicht. Diese Größenordnung lässt sich häufig nicht mehr wirtschaftlich darstellen.

(Herr Felke, SPD: Das stimmt aber nicht!)

- Das sind die kompletten Kosten, Herr Felke, also einschließlich der statischen Berechnung und allem, was dazu gehört, also auch der Kosten für die Nachweise, die man einholt.

Drittens. Die potenziellen Anlagenbetreiberinnen und Anlagenbetreiber werden verunsichert. Viele scheuen den zeitlichen und bürokratischen Aufwand; er schreckt sie ab. Sie sind dann nicht mehr bereit, so eine Anlage zu bauen. Diese drei Punkte tragen dazu bei, dass einige vom Bau einer Fotovoltaikanlage absehen.

Das Vorhaben, die Baugenehmigungspflicht abzuschaffen, wird allseits als sehr positiv bewertet. Mehrere Bundesländer haben die Baugenehmigungsfreiheit bereits durchgesetzt, unter anderen Sachsen und Nordrhein-Westfalen.

Auch der Entwurf zur Änderung der Musterbauordnung sieht eine Verfahrensfreiheit vor. Darüber wird auch in der Bauministerkonferenz diskutiert. In diesen Entwurf ist jetzt sogar ein eigener Punkt mit der Überschrift „Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien“ aufgenommen worden. Es ist in der Tat die Intention des Entwurfes, mehr für die erneuerbaren Energien zu tun.

Wir schlagen mit unserem Antrag vor, dass die Landesregierung einen Gesetzentwurf erarbeitet, der inhaltlich dem Entwurf zur Änderung der Musterbauordnung in diesem Punkt entspricht. Der Entwurf datiert bereits auf den 1. Juni 2011. Er hat in der Bauministerkonferenz bereits ein positives Votum erhalten. Ich habe es eben schon erwähnt, über diesen Entwurf wird zurzeit mit den Akteuren diskutiert, auch hier in Sachsen-Anhalt.

Es gab in der letzten Woche eine Beratung mit den Kammern und Verbänden im Bauministerium. Die einhellige Meinung war, dass es sinnvoll ist, sich in Bezug auf diesen Punkt an die Musterbauordnung anzulehnen bzw. die Musterbauordnung in diesem Punkt umzusetzen. Das wird dann auch die Stellungnahme sein, die uns zu einem späteren Zeitpunkt erreichen wird; es sei denn, wir setzten das schon jetzt um. Der Vorschlag ist, dass wir diesen Punkt vorziehen.

Das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr hatte während der Frühjahrstagung des Landesverbands der erneuerbaren Energien schon gesagt, dass es sich um eine Baugenehmigungsfreiheit bemühen wird. So bewerten wir auch die Beratungen, die in der letzten Woche im Bauministerium stattgefunden haben.

Aus der Diskussion zur Musterbauordnung wird sich ergeben, was wir in Sachsen-Anhalt in unsere Bauordnung übernehmen werden. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass die Novelle zur Landesbauordnung nicht vor dem Ende des Jahres 2013 auf den Weg gebracht wird. So haben wir das auch im Ausschuss andiskutiert. Wir halten das aber für einen zu langen Zeitraum, in dem das bestehende Hemmnis bei Fotovoltaik-Dachanlagen weiterhin toleriert werden müsste. Das wäre auch fahrlässig; denn damit stehen Arbeitsplätze in kleinen und mittelständischen Betrieben auf dem Spiel. Deshalb wollen wir, dass das vorgezogen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch die Energiewende verträgt keinen Aufschub. Die solare Energie muss so weit wie möglich genutzt werden. Wir werden in Zukunft ganz viel regenerativen Strom brauchen, der auch in den Bereichen Wärme und Mobilität einen wesentlichen Beitrag leisten muss. Dieser Strom muss maßgeblich aus Wind und Sonne gewonnen werden; denn die Biomasse kommt an ihre Grenzen.

Deshalb ist es jetzt an der Zeit, den Aufbau von Fotovoltaikanlagen auf den Dächern zu vereinfachen und die Änderung der Landesbauordnung hinsichtlich der Verfahrensfreiheit für Fotovoltaikanlagen, die Strom einspeisen, zu vollziehen. Nur mit viel Sonnenstrom können wir das Ziel erreichen, den Strombedarf zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu decken. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Frederking. - Wir haben eine Fünfminutendebatte vereinbart. Als Erster in der Debatte spricht für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Felke. - Entschuldigung. Möchte für die Landesregierung jemand sprechen? - Nein. Dann Herr Abgeordneter Felke, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mittlerweile Allgemeingut: Wir stecken mitten in der Energiewende. Auch wenn in Sachsen-Anhalt bereits viel erreicht werden konnte, was den Anteil regenerativer Energien an der Stromerzeugung betrifft, müssen wir schauen, wo es Hemmnisse gibt, die beseitigt werden können, um einen weiteren Zuwachs zu ermöglichen. Dies gilt meiner Meinung nach in besonderer Weise für dezentrale Lösungen wie Fotovoltaikanlagen.

Insofern, liebe Frau Frederking, können wir Ihrem Antrag ohne Weiteres einiges abgewinnen. Es wird Sie auch nicht verwundern, dass wir den Antrag in den zuständigen Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr überweisen wollen.

Allerdings - darauf muss man, denke ich, hinweisen - befindet sich die Musterbauordnung derzeit noch immer im Entwurfsstadium. Erst im Herbst dieses Jahres soll sich nach meinem Kenntnisstand die Bauministerkonferenz intensiver damit beschäftigen und die Musterbauordnung gegebenenfalls bestätigen.

Da die Musterbauordnung bisher immer den Rahmen für eine Novellierung unserer Landesbauordnung darstellte, sollten wir uns die Zeit nehmen und die dann endgültige Fassung berücksichtigen. Ich gehe davon aus, dass das nicht erst, wie von Ihnen erwähnt, Ende 2013 passieren wird, sondern dass man vielleicht Ende 2012 oder Anfang 2013 dazu kommen kann, sodass wir, wenn wir im nächsten Jahr um diese Zeit hier stehen, vielleicht schon eine novellierte Bauordnung im Land Sachsen-Anhalt haben werden.

Auch mit dem Blick auf Planungsbüros, die es sich gar nicht leisten können, nur in einem Land tätig zu sein, spricht meiner Meinung nach viel für eine weitgehend einheitliche Herangehensweise.

Ich halte es für wichtig, dass Sie zumindest in der Begründung darauf eingegangen sind, dass ein verfahrensfreies Bauvorhaben nicht bedeutet, dass baurechtliche Bestimmungen und Anforderungen nicht eingehalten werden müssten. Denn der Fakt bleibt, dass Fotovoltaikanlagen bauliche Anlagen sind, bei deren Errichtung das öffentliche Baurecht zu berücksichtigen ist.

Gerade in diesem Punkt bringen die Fachleute aus den Bauordnungsämtern Bedenken gegen eine zu weitgehende Liberalisierung der Genehmigungspraxis vor. Kritisiert wird beispielsweise, dass manch eine Errichtung von Fotovoltaikanlagen im Hinblick auf den Brandschutz geradezu gedankenlos erfolgt.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Wie sensibel dieses Thema ist, kommt unter anderem auch dadurch zum Ausdruck, dass der Deut

sche Feuerwehrverband extra ein Handbuch mit Informationen für Feuerwehren und technische Hilfsdienste für den Einsatz an Fotovoltaikanlagen herausgegeben hat. Das Anliegen von Spannung und die Brandgefahr durch Lichtbogen bei beschädigten Anlagen zwingen zur Einhaltung entsprechender Sicherheitsabstände und machen auch die Forderung nach einem Abschaltmechanismus nachvollziehbar.

Ich begrüße es, dass der Entwurf der Musterbauordnung dem Rechnung trägt und dass das Thema Solaranlagen und Brandschutz an mehreren Stellen Berücksichtigung finden soll, beispielsweise bei § 6 - Abstandsflächen und Abstände -, bei § 27 - Außenwände - und bei § 31 - Dächer.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einige Worte zu dem in der Begründung aufgeführten Vergleich mit Bayern. Ich glaube nicht, dass baurechtliche Probleme ursächlich dafür sind, dass Sachsen-Anhalt in diesem Vergleich schlechter abschneidet.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)