Protokoll der Sitzung vom 13.07.2012

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Danke, Herr Fraktionsvorsitzender Schröder. - Ich möchte Gäste auf der Tribüne willkommen heißen: Schülerinnen und Schüler der Ganztagssekundarschule Wanzleben und Seniorinnen und Senioren der Sportgruppe Hettstedt. Herzlichen willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Um das Wort hat der Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff gebeten.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die konkreten Anfragen, die gestellt wurden, hat Herr Robra nach bestem Wissen und Gewissen und nach Zuarbeit aus den einzelnen Verwaltungsbereichen und Ministerien beantwortet. Ich möchte einige grundsätzliche Aussagen machen, die in diesen Kontext gehören.

Erstens. Ich bin jetzt 22 Jahre lang in Verwaltungen - im übertragenen Sinn - tätig und habe in diesen Verwaltungen für viele - man kann schon sagen - Milliarden Euro Verantwortung getragen - Milliarden.

Wenn ich allein an die zehn Jahre in der Arbeitsverwaltung denke und mir vor Augen führe, welche Maßnahmen- und Leistungsvolumina tagtäglich zu verantworten waren, und zwar als Verwaltungsspitze, verbunden mit dem jeweiligen Amt des Direktors oder Verwaltungschefs, dann ist daraus eine Erfahrung gewachsen, die sich bezogen auf das heutige Thema vielleicht auf folgende Punkte konzentrieren lässt.

Erstens. Wir haben in den neuen Bundesländern seit mehr als 20 Jahren ein riesengroßes Finanzvolumen zur Realisierung von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu bewegen gehabt, wofür Verwaltungen aufzubauen und wofür Richtlinien zu schaffen waren. Trotz aller Schwächen am Anfang haben viele verantwortliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den verschiedenen Ebenen hervorragend gearbeitet und diese Mittel vernünftig eingesetzt.

Alle diese Dinge sind mit unmittelbaren Kontakten zur Wirtschaft, zu Wirtschaftsunternehmen, zu einzelnen Handelnden verbunden gewesen.

In den mehr als 20 Jahren gab es folgende Erfahrung: Weit über 99 % all dessen, was gelaufen ist, ist sehr gut gelaufen und hat etwas bewirkt, das wir heute auch mit der Zwischenbilanz der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes verbinden und positiv ausweisen können.

Es gibt aber immer wieder auch kriminelle Energien. Und es ist nicht selten, sondern regelmäßig vorgekommen, dass ich dann, wenn etwas Derartiges aufgetreten ist, die Überweisung der betreffenden Unterlagen an die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls versehen mit vorgeschalteten Prüfvorgängen, persönlich vorgenommen habe - bis zum heutigen Zeitpunkt. Damit möchte ich auch zum Ausdruck bringen, dass ich genau weiß, worauf es in diesen Zusammenhängen ankommt.

Ich weiß aber auch - das ist das, was Herr Robra aufgrund der Aktenlage, die uns zur Verfügung steht, zu rekonstruieren versucht hat -, was im Jahr 2006, unter anderem nach dem Regierungsantritt, zu tun war. Das war die Auflösung eines riesigen Finanzstaus kurz vor dem Ende der operationellen Förderperiode, verbunden mit der Gefahr, dass erhebliche Mittel für das Land verlorengehen.

Damals sind wir alle auf der Basis der Richtlinien in die Offensive gegangen. Ich danke ausdrücklich allen, die damals mitgewirkt haben, im Landesverwaltungsamt, in meinen Abteilungen und Referaten und in der gesamten Mitarbeiterschaft, weil dort hervorragend gearbeitet worden ist.

Trotzdem ließ es sich - das lässt die objektive Rekonstruktion aller Fakten und Daten auch transparent werden - nicht vermeiden, dass es dort zu einem Rückstau kam, dass es zu Schwierigkeiten kam, dass Dinge, die laufen sollten, nicht gelaufen sind und dass es zu Interventionen kam, unabhängig davon, über welchen Weg diese gekommen sind, übrigens auch über die genannten Fälle, die hier in Rede standen, hinaus. Diese sind dokumentiert.

Es sind nicht nur diese Fälle. Es sind generell Interventionen gekommen, bei denen das Signal ausgesandt wurde: Es ist eigentlich alles bearbeitet worden, nur sind die Finanzmittel noch nicht

nach unten durchgereicht worden. Und dieser Vorgang ist beschleunigt worden. All das ist nachlesbar. Das hat in der entsprechenden notwendigen Frist doch noch einen Beginn in dem laufenden Jahr für die genannten 48 Maßnahmen ermöglicht.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle auch Folgendes, und zwar mit dem Blick auf alle Fraktionen, weil ich das in den zehn Jahren meiner Regierungsmitarbeit erlebt habe: In diesen zehn Jahren ist allein in jeder Landtagssitzung mindestens in jeder halben Stunde einer aus seinem Wahlkreis gekommen und hat gesagt: Hier gibt es ein Problem, hier steht etwas im Stau, dort klemmt die Säge, kümmern Sie sich bitte darum. Dann geht das generalstabsmäßig in den Apparat.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Auch aus Ihrer Fraktion, Herr Gallert, selbst von Ihnen persönlich. Das werde ich auch in Zukunft so tun, weil es richtig ist und weil es notwendig ist. In einem Unternehmen gibt es nichts Wichtigeres als die Bereiche, die sich mit dem Beschwerdemanagement und mit denjenigen, die zu Recht auf Schwierigkeiten hinweisen, beschäftigten. Der wichtigste Kunde ist der Kunde, der an dieser Stelle etwas zu benennen hat.

Die Auswertung dieser Vorgänge läuft dann routinemäßig über verschiedene Wege. Es ist sogar so geschaltet, dass das Büro selber - auch heute noch - automatisch bestimmte Dinge weitergibt. Das wird auch in Zukunft der Fall sein. Auch auf die Gefahr hin, dass bei solchen Transporten auch Personen dabei sein könnten, die sich in Zukunft irgendwie nicht rechtskonform verhalten, sage ich: Nicht der Bote ist das Entscheidende, sondern die Benennung des Problems, weil die Abarbeitung des Problems durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal ob im Ministerium oder im Landesverwaltungsamt oder wo auch immer, stets nach geltendem Recht erfolgt.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Trotzdem gibt es auch andere Erfahrungen. Ich nenne das Beispiel Ikea. Als Ikea in Gardelegen geschlossen worden ist und ein Investor mit einem plausiblen Konzept, mit zig Prüfungen versehen, kam, waren wir mit einem Kameratross vor Ort und waren voller Freude, dass es für die Fachkräfte in Gardelegen, Gott sei Dank, weitergeht, weil es sich ebenfalls um einen Holzverarbeitungsbetrieb handelte.

Wir mussten aber nach wenigen Monaten feststellen, dass wir einem Scharlatan aufgesessen waren. Alle - bis hin zur Deutschen Bank, bis hin zur Investitionsbank - haben sich täuschen lassen. Das können Sie im Leben nie ausschließen. Sie müssen nur konsequent reagieren, wenn so etwas auftritt: Dann wird die Staatsanwaltschaft einge

schaltet, dann wird ermittelt, dann wird zurückgefordert.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Dann wird auch eines getan: Es werden Konsequenzen gezogen. Wenn sich wie in diesem Fall zeigte, dass eine Richtlinie aus dem Jahr 2001, die hervorragend, flexibel und gut gemeint war, an einer bestimmten Stelle für eine nichtreguläre Nutzung anfällig war, dann haben wir dort reagiert.

Mein Abteilungsleiter und mein Referatsleiter haben einen hervorragenden Vorschlag gemacht und wir haben die Richtlinie geändert. Wir haben auch das Regime der Abarbeitung später vom Landesverwaltungsamt auf die Investitionsbank, wo noch mehr Routine mit solchen schwierigen Vorgängen besteht, übertragen usw. usf. Ich möchte nur sagen: Es gab ein klares Reaktionsschema.

Eines lassen Sie mich vielleicht auch noch sagen: Es gibt Dinge, die kann man selber steuern und im Griff halten; es gibt Dinge, bei denen muss man sich darauf verlassen, dass alle Mechanismen, die man in einen Apparat aufgebaut hat, gut funktionieren. Dazu gehört übrigens auch die Justiz. Denn die Fälle, die ich vorhin benannt habe und bei denen kriminelle Energie eine Rolle gespielt hat, sind alle in Sachsen-Anhalt aufgeklärt worden. Diesbezüglich lasse ich auch nichts auf die Justiz kommen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

An dieser Stelle sollte man auch einmal klar sagen, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem auch ein Staatsanwalt, wenn er Anklage erhebt, genau nachweisen muss, was geschehen ist. Auch dabei gibt es klare Rechte und Pflichten, auch Sorgfaltspflichten zu beachten.

Es ist gerade der Vorteil eines Rechtsstaates, dass dort nicht beliebig etwas getan und interveniert werden kann, sondern dass dort wirklich unabhängig, gegebenenfalls auch über einen längeren Zeitraum hinweg, gearbeitet wird. Wissen Sie, wie viele Vorgänge ich auch aus politischen Gründen schneller bearbeitet sehen möchte? Aber es ist ein Rechtsstaat, der hier handelt, und es ist gut, dass wir darauf keinen Einfluss nehmen können.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Zum Schluss auch in Richtung von Frau Dalbert mit ihren Sprüchen, die manchmal sehr markig sind. Das ist in Ordnung, das nehme ich gern hin. Aber ich schaue in diesen Landtag und man kennt mich in diesem Landtag inzwischen über zehn Jahre, und jeder von Ihnen weiß, was ich mache und was ich nie mache. Diese persönliche Integrität, die ich mir immer bewahrt habe, lasse ich mir nicht zerstören, durch welche Unterstellung auch

immer, die ich an dieser Stelle schon einmal vorsorglich zurückweise.

(Starker Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Es gibt eine Wortmeldung. Ist das eine Anfrage, Herr Kollege Gallert?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Nein, als Frak- tionsvorsitzender!)

- Okay, Sie haben das Wort.

Zuallererst, Herr Schröder, möchte ich mich bei Ihnen bedanken, und zwar für die Einschätzung, dass ich zu diesem offensichtlich sehr emotionalen Thema heute sehr zurückhaltend war. Das war mein Vorhaben; offensichtlich ist es mir in Ihren Augen auch gelungen. Das war nicht einfach - das sage ich Ihnen auch -,

(Herr Schröder, CDU: Das glaube ich Ihnen gern!)

weil die Emotionen in diesem Zusammenhang bei mir an verschiedenen Stellen deutlich stärker sind und nach der Debatte auch noch einmal deutlich stärker geworden sind. Mal sehen, ich glaube, ich werde es trotzdem weiterhin durchhalten.

Was ist eigentlich das Problem? Nach dem, was wir von Herrn Robra gehört haben, haben wir kein Problem, es gibt überhaupt keines. Es gibt Einzelfälle, es gibt keinen Skandal. Es gibt im Grunde genommen nichts, was man hätte noch besser machen können. Es war, wie es gelaufen ist, völlig in Ordnung.

Dazu sage ich schon einmal: Nach dem, was Sie, Herr Robra, gesagt haben, vervollständigen sich die Bilder bei mir langsam. Natürlich, offensichtlich war einer der wesentlichen Steuerungsfaktoren, der die missbräuchliche Verwendung von Fördermitteln möglich gemacht hat, der große politische Druck, das Zeug so schnell wie möglich abfließen zu lassen. Das Motiv „Mecklenburg-Vorpommern hat im Sommer nicht so viele Arbeitslose und wir wollten die rote Laterne nicht haben“ ist hochinteressant. Das hat offensichtlich dazu geführt, dass man politisch so viel Druck gemacht hat, dass man nicht mehr genau hingeschaut hat.

An einer Stelle glaube ich Ihnen, Herr Haseloff, ausdrücklich. Ich unterstelle Ihnen auch überhaupt nicht, dass Sie bei diesen in Rede stehenden Fällen absichtlich Druck gemacht hätten, um hinterher CDU-Parteispenden zu bekommen. Ich glaube Ihnen, dass Sie das nicht getan haben. Das wäre nun wirklich unter unser aller Niveau.

Aber objektiv sind die Dinge so gelaufen. Objektiv ist eine Firma, die noch nicht einmal eine Gewer

beerlaubnis hatte, aufgrund ministeriellen Drucks auf das Landesverwaltungsamt mit Fördermitteln versorgt worden. Vor diesem Hintergrund können wir doch nicht sagen, dass das alles ordentlich und vernünftig gelaufen sei. Nein, es lief nicht ordentlich und vernünftig.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Der politische Druck war so groß, dass man nicht mehr richtig hingeschaut hat. Es ist ein Stau entstanden, der offensichtlich schon in der Legislaturperiode davor im Wirtschaftministerium entstanden ist. Dafür waren auch Sie verantwortlich, als Staatssekretär. Deswegen sind all das Dinge, die, glaube ich, einer Aufarbeitung harren.

Aber wissen Sie, das wirklich eklatante politische - nicht juristische - Problem nach dieser Debatte ist tatsächlich das Verhältnis von Staat, staatlichen Funktionen und Partei. Dazu habe ich am Anfang noch gedacht, dass die CDU heute vielleicht einmal die Chance nutzt zu sagen: Von diesem Kreislauf: „Wir CDU-Mitglieder in öffentlichen Funktionen vergeben staatliche Gelder und am Ende kommen Parteispenden heraus“, distanzieren wir uns, das wollen wir so nicht.

Nach der Rede von Herrn Robra muss ich deutlich sagen: Eine Distanzierung war das überhaupt nicht. Das war die Aussage: Tja, Leute, das ist halt so; sonst können wir doch bald gar keine Spenden mehr annehmen; natürlich bekommen die fast alle Fördermittel von uns. - In Ordnung. Man kann die politische Frage stellen: Sind denn Parteispenden aus der Wirtschaft nicht generell schon immer irgendwie der Einstieg in die Korruption?

(Zustimmung bei der LINKEN)