An diesem Tag war der Rechtsstaat in SachsenAnhalt wehrhaft und hat die rechten Chaoten zurückgeschlagen. Versagt hat am Tag des Angriffs aber ein Teil der Zivilgesellschaft vor Ort. Da gleichen die Bilder denen aus Rostock-Lichtenhagen. Mit dem Aufruf „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!“ wurden die Gewalttäter von Schaulustigen beklatscht, geradezu aufgestachelt. Es wurde gejubelt, wenn ein Wurfgeschoss sein Ziel gefunden hatte. Viele Anwohner schauten einfach nur weg. Nur ein Teil der Bevölkerung - so auch anwesende Vertreter der Kommunal- und Landespolitik - haben sich diesem Mob in den Weg gestellt.
Doch dieser schwarze Tag hat letztendlich ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Gewalt geschaffen, welches mit einer Mahnwache begann und friedlich - so wie es das Grundgesetz vorsieht - und ohne Waffen demonstrierte.
Beherzte Abgeordnete und Vertreter der Stadt haben noch vor Ort Gespräche gesucht. Genau hier hat sich dieses Hohe Haus vor 20 Jahren auch intensiv mit den ausländerfeindlichen Krawallen in Quedlinburg befasst. Zweifelsohne waren auch die traurigen Ereignisse ein Meilenstein für unsere politische Arbeit für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Welle ausländerfeindlicher Angriffe auf Asylbewerberheime zu Beginn der 90er-Jahre war nicht allein Ausdruck einer ausländerfeindlichen, hasserfüllten Gesinnung. Vielmehr kam darin auch die Entwurzelung vieler junger Menschen, die Frustration über fehlende Arbeit, Betriebsschließungen und der Irrglaube zum Ausdruck, hieran seien Hinzugekommene schuld. Junge Menschen waren so kurze Zeit nach der Wiedervereinigung in einem hohen Maße mit Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat konfrontiert.
Keine Frage, diese Perspektivlosigkeit damals war ein Gesellschaftsproblem, welches heute nicht mehr in diesem Ausmaß besteht. Ein Blick auf die Ereignisse vor 20 Jahren muss uns jedoch in unserer gemeinsamen Entschließung erneut und immerwährend darin bestärken, dass alle demokratischen Kräfte für ein Sachsen-Anhalt einstehen müssen, in dem sich jeder ohne Angst zu Hause fühlt und verschieden sein kann, ein Land, in dem
Zahlreiche Punkte des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN finden nicht unsere Zustimmung. Man hat die Menschen aus der Unterkunft nicht in einer Kapitulation vor der Gewalt oder im Nachgeben gegenüber Rechtsradikalen umquartiert, sondern um sie vor einer weiteren Eskalation der Gewalt zu schützen. Die Stimmung in der Stadt war - auch durch die vielen ortsfremden Provokateure - aufgeladen. Eine Kapitulation der Polizei oder gar ein Staatsversagen lag nicht vor. Trotz der massiven Angriffe auf die Mahnwache vor der Unterkunft hat die Polizei meiner Ansicht nach damals überlegt und fürsorglich gehandelt - wenn auch sicherlich nicht fehlerlos.
In der Folgezeit der Ereignisse wurde das Agieren der Polizei vor Ort oft als hilflos bezeichnet. Vielleicht waren damals viele aufgrund der Dimension der Eskalation und der Gewalt tatsächlich und verständlicherweise hilflos. Es konnte durch den Einsatz der Polizei vor Ort das verhindert werden, wozu es beim Brandanschlag in Solingen oder bei der Hetzjagd in Guben leider gekommen ist.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zur Überweisung des Antrages in den Innenausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kolze. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält Herr Striegel noch einmal das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Kolze, das mit den Bekannten ist immer so eine Sache. Auch ich hätte ein paar mitbringen und auf die Tribüne setzen können. Die hätten möglicherweise andere Erfahrungen beisteuern können.
Ich glaube, was wir uns einmal anschauen müssten - da hat die Landesregierung an vielen Stellen durchaus einen guten Beitrag geleistet -, ist die Frage: Wie denken Bürgerinnen und Bürger, wie denken Menschen in unserem Land? - Es gibt den Sachsen-Anhalt-Monitor. Da können Sie hineinschauen. Sie werden vermutlich der Landesregierung nicht unterstellen, dass sie Untersuchungen türkt. Da werden Sie feststellen:
Studien von anderen Auftraggebern bestätigt, von der Friedrich-Ebert-Stiftung, von Decker & Brähler, Heitmeyer; da kann man viele aufzählen. Wir müssen uns hier auch nicht über den Prozentsatz streiten. Aber wir müssen in den Blick nehmen, dass es relevante Anteile in der sachsen-anhaltischen Bevölkerung und in der bundesrepublikanischen Bevölkerung gibt - damit hier nicht die Nummer kommt, ich würde das Land stigmatisieren wollen -,
Jetzt komme ich zu der Frage, die Herr Stahlknecht aufgeworfen hat. Wo ist er? - Ach, er ist jetzt gerade nicht Minister, sondern Abgeordneter Stahlknecht. Das ist die Frage, inwieweit nicht auch Gesetzgebung rassistisch sein kann. Ich behaupte nicht, dass die Bundesrepublik als solche ein rassistisches Regime wäre. Im Gegenteil; ich glaube, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herrschen in diesem Land, und das ist gut so. Aber deswegen dürfen wir vor zum Teil rassistischer Gesetzgebung nicht die Augen verschließen, und die gibt es.
- Gucken Sie sich das Asylbewerberleistungsgesetz an. Das ist gerade vom Bundesverfassungsgericht mit Pauken und Trompeten für verfassungswidrig erklärt worden.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zuruf von der CDU: Verfassungs- widrig ist doch nicht rassistisch!)
Es ist ganz deutlich gemacht worden, dass der Mindeststandard der Gesellschaft für alle gilt. Da darf man nicht danach differenzieren, ob es ein deutscher Sozialhilfeempfänger oder ein Asylbewerber ist. Ich finde es gut, dass das Bundesverfassungsgericht das festgestellt hat.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Herr Borgwardt, CDU: Das hat doch nichts mit Rassismus zu tun!)
Ich glaube, das ist ein Punkt, an dem wir sagen müssen: Da ist die Gesetzgebung bisher rassistisch gewesen.
Dann zu der Frage, die Herr Stahlknecht hier auch aufgeworfen hat. Herr Kollege Stahlknecht, Sie haben ja deutlich gemacht, dass es mit Blick auf die
se Republik und auf dieses Land eine Ambivalenz deutschen Denkens und deutschen Seins gibt. Ich stimme Ihnen da zu. Aber genau wegen dieser Ambivalenz kommt mir der Satz: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, eben nicht über die Lippen; denn ich kann nur auf etwas stolz sein, was ich selbst erreicht habe. Deutscher bin ich sozusagen qua Geburt. Ich glaube, das ist der Punkt.
Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass es in Quedlinburg - anders als noch vor zehn Jahren - heute einen vielfältigen lokalen Erinnerungsdiskurs und eine lokale Erinnerungsgeschichte gibt. Ich bin froh, dass diesen lokalen Erinnerungsdiskurs viele mitgestalten, von Antifas auf der einen Seite bis hin zur Stadtverwaltung auf der anderen Seite.
Ich war sehr froh, in der letzten Woche den Oberbürgermeister der Stadt Quedlinburg, Eberhard Brecht, auf einer Veranstaltung bei uns begrüßen zu können, auf der er sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig Erinnerung ist. Er hat möglicherweise eine andere Position bei der Frage, ob nicht auch in Quedlinburg einen Gedenkort braucht. Ich glaube, das ist etwas, worüber diese Stadt streiten und im besten Sinne sich konstruktiv einigen muss. Aber er hat darauf verwiesen, dass es wichtig ist, dass Erinnerung in den Köpfen stattfindet und dass es immer wieder ein Gedenken daran geben muss, was in Quedlinburg passiert ist, und dass dieses Gedenken nicht einfach hinten runterfallen kann.
Zu diesem Gedenken gehört, dass es in Quedlinburg heute junge Leute gibt, die 1992 entweder gerade erst oder noch gar nicht geboren waren und die sich im Rahmen eines Filmprojekts mit der Geschichte der damaligen pogromartigen Ausschreitungen auseinandergesetzt haben. Sie haben einen spannenden Film gedreht, den ich Ihnen allen empfehle. Er ist in Quedlinburg in den letzten Tagen an vielen öffentlichen Orten gezeigt worden.
Nutzen Sie die Gelegenheit! Schauen Sie sich den an, wenn Sie die Chance dazu haben; denn er versucht tatsächlich, diese Ereignisse noch einmal aufzuarbeiten, bei denen es, Herr Kollege Kolze, in der Tat zu einem Staatsversagen kam. Das können Ihnen selbst beteiligte Polizistinnen und Polizisten bestätigen. - Herzlichen Dank.
Herr Kollege Striegel, der Kollege Hövelmann und der Kollege Herr Minister Stahlknecht würden Sie gern etwas fragen. - Jetzt ist Herr Hövelmann dran.
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Striegel, ich habe eine Frage zu Ihrer Darstellung, die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Regelsätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mit der Verfassung vereinbar sind, sei gleichzusetzen mit der Feststellung, es sei damit ein rassistisches Gesetz.
Darf ich Sie fragen, ob Sie diese Auffassung tatsächlich vertreten und ob Sie mir dann zustimmen müssten, dass in anderen Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht Regelsätze, die für Bevölkerungsgruppen in bestimmten Lebenssituationen gezahlt werden, für verfassungswidrig erklärt hat, dies nach Ihrer Definition dann auch als rassistisch angesehen werden müsste?
Ich will nur darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht unter anderem die Regelsätze nach SGB II - im Volksmund Hartz IV genannt - für verfassungswidrig erklärt hat. Es hat Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe von Grundfreibeträgen im Steuerrecht gegeben, in denen festgestellt worden ist, dass die damaligen Gesetze nicht verfassungskonform waren.
Meine Frage ist: Würden Sie all diese Feststellungen des Verfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit unter dem subsumieren, was Sie als rassistisch bezeichnet haben?
Die klare Antwort darauf, Herr Kollege Hövelmann, ist nein. Aber bei dieser konkreten Entscheidung sage ich ja; denn darin hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, es gibt ein absolutes Minimum und das gilt für alle. Wer bei der Bemessung dieses Satzes nach der Herkunft differenziert, wie es der Gesetzgeber in der damaligen Entscheidungssituation getan hat, der handelt rassistisch, weil er sagt: Es ist ein Unterschied, ob da ein Deutscher im Blick ist - für den gilt ein Minimum - oder ob es um jemanden mit einer anderen Herkunft geht. Genau da kommen wir hin.
(Herr Erben, SPD: Es geht nicht um Deut- sche und Ausländer, sondern es geht um Asylbewerber! Das ist Quatsch, was Sie hier erzählen!)
- Entweder, Herr Kollege Erben, gibt es ein Minimum, an dem alle partizipieren können, oder das gibt es nicht. Wenn, dann muss es für alle gelten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Striegel, ich habe die Definition für Rassismus eben noch einmal gegoogelt. Ich lese Ihnen diese vor und danach kommt meine Frage: