Protokoll der Sitzung vom 20.09.2012

Zwei Beispiele will ich nennen: Das eine ist die Heimatverbandsgemeinde des Finanzministers. Dort findet eine erfreuliche Debatte zu eben jenem Thema statt. Oder wer sich die Situation in der Stadt Oberharz am Brocken anschaut, der wird zur Kenntnis nehmen müssen: Dort kann man konsolidieren wie man will, man wird am Ende mit den Mitteln des FAG dort keine leistungsfähige Struktur hinbekommen. Das sage ich auch selbstkritisch - weil ich schon den Zwischenruf mitbekomme -: An dieser Stelle haben wir bei der Gebietsreform vielleicht die Freiwilligkeit bei freiwillig gefundenen Strukturentscheidungen etwas zu hoch gehängt.

(Zustimmung bei der SPD)

Schließlich: Was sollten wir nach der heutigen Debatte in den Mittelpunkt der Diskussion stellen? - Wir werden uns viele Details anschauen müssen. Eines hatte der Kollege Weihrich angesprochen: die Frage Bildungs- und Teilhabepaket und in den Rückspiegel schauen und durch die Frontscheibe schauen.

Ich sehe zum Zweiten die Frage des Verhältnisses von besonderen Ergänzungszuweisungen zu Schülerbeförderung, Kreisstraßen und Dünnbesiedlungszuschlag. Auch ich war überrascht, als ich das Rechenergebnis aufgrund des Gesetzentwurfs gesehen habe. Ich habe nämlich gedacht, dass wir den Flächenlandkreisen Salzwedel und Stendal mit der besonderen Ergänzungszuweisung zum Unterhalt von Kreisstraßen nachhaltig helfen, während ihnen der Dünnbesiedlungszuschlag nicht so sehr viel nützt. Das scheint offensichtlich anders zu sein.

Deswegen müssen wir uns dieses Gesamtsystem aus Dünnbesiedlungszuschlag, besonderen Ergänzungszuweisungen für Schülerbeförderung und Kreisstraßen noch einmal sehr genau anschauen. Dies ist eine Verteilungsfrage.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich sage aber auch - das habe ich vorhin in der Debatte bezüglich der Kreisstraßen ein wenig gemerkt -: Wir haben natürlich keinen Zuschuss für Kreisstraßenunterhaltung, sondern haben eine besondere Ergänzungszuweisung. Und es wird auch in Zukunft so sein müssen, dass ein Landkreis die eingenommene Kreisumlage natürlich anteilig da

für verwenden muss, dass er seine Kreisstraßen in Ordnung hält. Das sollte an die Adresse der Kreisstraßenlobbyisten gesagt werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben noch während unserer Beratung Hinweise des Landesverfassungsgerichts zur Kenntnis zu nehmen. Ich bin sehr gespannt, was uns das Landesverfassungsgericht zum bisherigen Finanzausgleichsgesetz Anfang Oktober ich hoffe nicht ins Stammbuch schreiben, aber an wertvollen Hinweisen geben wird. Auch das wird sicherlich die Diskussion in den Ausschüssen bereichern. Ich freue mich darauf. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Erben. - Fragen gibt es nicht. Damit können wir die Debatte abschließen.

Wir kommen somit zum Abstimmungsverfahren. Beantragt wurde in der Debatte die Überweisung in den Ausschuss für Finanzen zur federführenden Beratung und in den Ausschuss für Inneres zur Mitberatung. Das würde dann den Gesetzentwurf und den Änderungsantrag betreffen. Wer dem so folgen möchte, den bitte ich um ein Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist die Überweisung in den Finanzausschuss und zur Mitberatung in den Innenausschuss einstimmig beschlossen worden. Wir schließen damit Tagesordnungspunkt 1 ab.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Beratung

Thüringer Mindestlohn-Initiative

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1426

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/1451

Für die Einbringer nimmt der Fraktionsvorsitzende Herr Gallert das Wort.

Guten Morgen, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

(Zuruf von der SPD: Mahlzeit!)

- Gut. Zum zweiten Tagesordnungspunkt darf man das heute noch sagen, finde ich. Es wird ein langer Tag, insofern - -

(Frau Budde, SPD: Das ist Qualität, nicht Quantität!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute einen Antrag vor uns liegen bzw. wir haben einen Antrag eingebracht, der dazu führen soll, dass der Landtag der Thüringer Mindestlohninitiative, einer Bundesratsinitiative aus unserem Nachbarland, seine Zustimmung erteilt. Das ist insofern schon erstaunlich, als diese Thüringer Mindestlohninitiative von einer CDU-SPD-Landesregierung gestartet wird und wir trotzdem als LINKE uns heute hinstellen und von diesem Landtag nichts weiter wollen, als dass er diese Mindestlohninitiative für den Bundesrat unterstützt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, können Sie eigentlich einmal positiv bewerten.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Denn - das sage ich auch mit aller Deutlichkeit - dies ist bei uns ein durchaus nicht ganz so einfach diskutierter Schritt eines Kompromisses, weil wir der Meinung sind, wenn wir uns unsere eigenen Forderungen anschauen, dass dieser Schritt der Thüringer Mindestlohninitiative sehr vorsichtig ist, sehr klein ist, während wir eigentlich der Meinung sind, dass wir einen Mindestlohn von 8,50 €, wobei sich der Betrag schnell in Richtung 10 € entwickeln müsste, sehr wohl in ein Gesetz hineinschreiben können.

Aber wir sagen auch: Die Situation im Niedriglohnbereich in der Bundesrepublik Deutschland ist so akut, ist so krass, dass wir auch diesen kleinen Schritt im Sinne eines Kompromisses unterstützen und deshalb heute um Ihre Zustimmung bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Frau Niestädt, SPD)

Ja, die Situation im Niedriglohnbereich der Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor krass, sie ist ausgesprochen bedrückend und sie ist für ein Land mit so hoher Arbeitsproduktivität aus unserer Perspektive skandalös. Es ist eine Situation, mit der wir uns als Politiker nicht abfinden dürfen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN, von Frau Budde, SPD, und von Frau Niestädt, SPD)

Die Zahlen, die man für diese Einschätzung heranziehen kann, liegen auf dem Tisch, und gerade in den letzten 14 Tagen sind uns reihenweise wieder Dokumentationen übergeben worden, die diese Einschätzung stützen. Wir haben - das ist schon eine absolute Besonderheit und volkswirtschaftlich auf die Dauer nicht durchzuhalten - trotz einer deutlichen Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten zehn Jahren eine absolute Stagnation in der Reallohnentwicklung.

Das heißt, die Kaufkraft der durchschnittlichen Löhne insgesamt ist seit zehn Jahren nicht gestiegen, obwohl die Arbeitsproduktivität gestiegen ist, und das bedeutet eine Reichtumsumverteilung weg von den Leuten, die den Wohlstand schaffen. Das bedeutet, ihnen ist ihr Arbeitseinkommen zum Teil genommen worden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Frau Budde, SPD)

Das Problem besteht aber nicht nur darin, dass wir insgesamt eine Stagnation beim Lohneinkommen haben. Das Problem besteht auch darin, dass innerhalb dieser Stagnation eine Polarisierung stattfindet.

Die neuen Zahlen aus dem Bundessozialministerium belegen das sehr deutlich: In den letzten zehn Jahren mussten wir leider feststellen, dass die unteren 40 % im Lohnbereich zusätzlich einen deutlichen Kaufkraftverlust hinnehmen mussten, während die oberen 10 % der Einkommensbezieher in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren ein Plus von sage und schreibe 16 % verzeichnen konnten. Also bei einer Stagnation der durchschnittlichen Lohnhöhe werden die unteren Löhne niedriger, während die Einkommen ganz oben steigen; somit gibt es zusätzlich eine Polarisation.

Stagnation und Polarisation, das ist zurzeit das Problem der Lohnfindung in der Bundesrepublik Deutschland, und damit dürfen wir uns nicht abfinden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn dieses System führt dazu, dass wir nicht nur eine ökonomische Polarisation in unserer Gesellschaft haben, dass die Kaufkraft nicht wächst und damit natürlich auch Wachstum verhindert wird; sie führt auch zu einer sozialen Polarisation in unserer Gesellschaft. Sie führt letztlich dann auch zu einer kulturellen und zu einer politischen Polarisation in unserer Gesellschaft.

Dieser Prozess führt dazu, dass der Kitt unserer Gesellschaft nicht mehr hält, die Kompromiss- und die Konsensfindung in unserer Gesellschaft untergraben wird. Deswegen ist dieses System ein hochpolitisches, brisantes System, das wir endlich angehen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nicht zuletzt untergraben die Stagnation im Lohnbereich und die Polarisation die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland und auch das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme. Erst die Zahlen von Frau von der Leyen haben viele aufgeweckt. Dass wir tatsächlich, wenn alles so bleibt, bei einer Bruttolohnhöhe von unter 2 500 € schnurstracks auf die Altersarmut zulaufen, ist gerade für unser Land Sach

sen-Anhalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine dramatische Nachricht.

Im Jahr 2025 wird etwa ein Drittel der Bevölkerung in unserem Land im Rentenalter sein. Wir wissen, wie viele Menschen in Sachsen-Anhalt dann eine ununterbrochene Erwerbsbiografie haben werden, bei der sie mehr als 2 500 € brutto, umgerechnet auf die Maßstäbe von 2012, verdient haben: Das wird bei diesem Drittel die absolute Minderheit sein. Wenn wir nicht endlich etwas tun, laufen wir auf eine Altersarmut zu - gerade in SachsenAnhalt; deswegen übrigens auch noch einmal die Aktuelle Debatte morgen dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen müssen wir politisch eingreifen. Deswegen brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn.

Nun kenne ich auch die Debatten, die besagen: Das ist Tarifautonomie. Da darf sich Politik nicht einmischen. Wir sind mit der Tarifautonomie immer gut gefahren.

Da sage ich erst einmal: Der Befund ist ein völlig anderer. Wenn wir mit der Tarifautonomie immer gut gefahren wären, dann wäre die Situation jetzt nicht so, wie ich sie beschrieben habe.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, lohnt sich einmal ein Blick, seit wann und warum dieses System offensichtlich nicht mehr funktioniert. Dazu sage ich: Die Tarifautonomie bzw. das Funktionieren dieses Systems ist durch politische Entscheidungen massiv untergraben worden. Das System ist in eine Situation geführt worden, in der es in weiten Teilen der Gesellschaft nicht mehr funktioniert.