warum die Wissenschaftsministerin dieses Thema nicht schon 2011 auf die Tagesordnung gebracht und uns informiert hat. Eine Regierung darf durchaus auch einmal proaktiv sein. Wir müssen ihr nicht immer im Internet hinterherpuzzeln.
Ich komme zu einem letzten, sehr ernsten Punkt. Mir als Wissenschaftlerin - im Übrigen: als Naturwissenschaftlerin - liegt es fern, in die Freiheit der Wissenschaft einzugreifen. Warum haben wir trotzdem die Frage nach dem Inhalt der Studie gestellt? - Darüber kann man sicherlich streiten und der Ausschuss wäre genau der richtige Ort dafür gewesen.
Die Nationale Kohorte ist ein auf 20 bis 30 Jahre angelegtes Projekt. Nicht auf zehn Jahre! Der Bund-Länder-Vertrag läuft über zehn Jahre. Uns wurden heute ja auch genug Homepage-Inhalte vorgelesen. Dieses Projekt ist eine einmalige Gelegenheit. Das macht die Nation nicht täglich, dass sie Hunderttausende von Menschen mit biologischen oder anderen Diagnoseinstrumenten untersucht, um Gesundheit und Krankheit zu betrachten.
Vor diesem Hintergrund empfinde ich es schon als eine Aufgabe der Politik - nicht den Wissenschaftlern ins Handwerk zu pfuschen; die müssen schon selber wissen, was sie machen und wie sie das machen -, Fragen zu stellen und zu prüfen, ob bestimmte Aspekte, die zum Beispiel gerade für uns in Sachsen-Anhalt wichtig sind - etwa die Frage von Armut und Reichtum oder die Frage, wie sich prekäre Lebensverhältnisse auf die Gesundheit auswirken -, ausreichend berücksichtigt wurden. Solche Fragen müssen doch erlaubt sein. Und dann möchte ich gerne die Antworten der Wissenschaftler hören, wie diese Fragen berücksichtigt werden.
Das ist unser Anliegen. Nach den Informationen, die uns vorliegen, sehen wir da eine Schieflage. Die Diskussion, ob es tatsächlich eine Schieflage gibt, gehört in den Ausschuss.
Ich sehe uns schon in der Verantwortung, dazu beizutragen, dass so ein einmaliges Projekt auf einen guten Weg gebracht wird. Das ist nun einmal keine kleine Studie von ein, zwei oder drei Jahren, sondern das ist eines der - ich sage es einmal so salopp - dicken Dinger, die sich die Bundesrepublik Deutschland in der Frage von Gesundheits- und Krankheitsforschung erlaubt.
Auch wenn Sie es sicherlich nicht so gemeint haben, Frau Ministerin - Sie haben das vermutlich nur auf den Schwerpunkt in Halle bezogen -, so ist doch schon klar, dass man, wenn man eine solche Studie auf den Weg bringt, das, was man am Anfang versäumt, nur sehr schwer nachholen kann. Was ich am Anfang nicht mit in den Blick nehme, kann ich nach zehn oder 20 Jahren nicht mehr
daraufhin untersuchen, ob es bestimmte Auswirkungen gehabt hätte. Deswegen ist gerade die Zeit am Anfang so wichtig.
Von daher hätte ich mir eine rechtzeitige Information des Ausschusses mit anschließender Debatte gewünscht. Offensichtlich wäre eine solche auch schon direkt nach der Wahl möglich gewesen. Dann hätte man das gleich entsprechend in den Blick nehmen und Fragen stellen können. Wie gesagt, ich finde schon, dass man die Wissenschaftler fragen und dass man auch sagen darf, dass wir als Politik uns wünschen würden, dass dieses oder jenes möglicherweise stärker in den Blick genommen wird. Darin sehe ich keinen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft. - Herzlichen Dank.
Ich habe keine Überweisungswünsche gehört. Deswegen stimmen wir jetzt über den Antrag in der Drs. 6/1413 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Regierungsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist niemand. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.
Zunächst erhalten die einbringenden Fraktionen das Wort, Abgeordneter Herr Herbst zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordnete Frau Tiedge zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. Daran wird sich eine verbundene Debatte anschließen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie muss es sich anfühlen, wenn man sich in Deutschland befindet und einen jeden
Tag aus der Heimat Nachrichten über Trauer, Terror und Tod erreichen? Alle Menschen aus Syrien, die hier mit uns leben, sind derzeit in dieser Situation.
Ich habe mich vor einigen Tagen mit syrischen Doktoranden der Uni Magdeburg unterhalten, die mir berichtet haben, was sie nicht erst heute, sondern bereits seit vielen Monaten bewegt. Jeder von Ihnen kennt jemanden, der im laufenden Bürgerkrieg verletzt oder getötet wurde, bei manchen in der eigenen Familie.
Wut und tiefe Trauer sind die beherrschenden Gefühle in einer Situation emotionaler Anspannung, in die wir uns nicht hineinversetzen können. Wir können aber zuhören.
Unfassbar ist es, mit anzusehen, wie ein diktatorisches Regime in seinem Überlebenskampf ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung alles mit ins Grab reißt, was sich nicht retten kann. Im Wissen um die Tatsache, dass das Assad-Regime keine Zukunft hat, steigert es den Blutzoll seines Machtverlusts ins Unermessliche.
Erst gestern berichteten die Medien, dass Assads Truppen die Städte und Dörfer gezielt unter flächendeckendes Feuer nehmen, die sie aufgeben müssen. Ganz bewusst werden Wohngebiete aus der Luft und vom Boden aus angegriffen, um die Zivilbevölkerung zu bestrafen - Terror gegen Zivilisten für das vermutete Unterstützen von sogenannten Rebellen.
Die Bevölkerung leidet, trauert und flieht. Während der Flüchtlingsstrom in Gänze kaum zu beziffern ist, wissen wir, dass seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Jahr 2011 insgesamt 4 700 Syrerinnen und Syrer in Deutschland Asyl beantragt haben. Erst 100 davon wurden bisher als politische Flüchtlinge anerkannt.
Der Bürgerkrieg in Syrien geht auch uns etwas an. Wir haben die Verantwortung für die Kriegsflüchtlinge, die hierherkommen und die nicht mehr wünschen, als Leib und Leben zu retten, wie es jeder Mensch in einer ähnlichen Situation tun würde. Diese Menschen haben in ihrem Land leider auf längere Zeit wahrscheinlich keine Perspektive mehr.
Auch wenn die Bundesländer wie aktuell den Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge um ein halbes Jahr verlängert haben - wer geht denn ernsthaft davon aus, dass sich die Lage in Syrien in einem halben Jahr so gebessert haben wird, dass sie wieder zurückkehren wollten oder könnten?
Deshalb ist es unsere Verantwortung, diesen Menschen eine Perspektive zu geben. Wir beantragen, den syrischen Flüchtlingen nach dem Ablauf der Halbjahresfrist eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen. Das ist nach unserer Meinung die einzige nachhaltige und verantwortbare Lösung.
Ich möchte keinem Menschen aus Syrien, sei es einem Kriegsflüchtling oder einem Studierenden, sagen müssen, dass er oder sie in einem halben Jahr oder nach Abschluss des Studiums den Weg in ein Land antreten muss, das vom Krieg und Hass zerfressen ist und in dem im schlimmsten Fall der Tod auf ihn oder sie wartet.
Dass diese Vermutungen keine Übertreibungen sind, wissen wir von den Berichten syrischer Menschen, die in Sachsen-Anhalt leben. Das sind auch die etwa 120 Studierenden und Doktoranden, die durch den Bürgerkrieg noch in eine ganz andere Notlage geraten sind. Ihnen ist der Geldhahn zwangsweise zugedreht worden, weil sie die Mittel aus Stipendien syrischer Universitäten aus verschiedenen Gründen nicht mehr erreichen.
Die ersten Universitäten mussten ihre Zahlungen übrigens bereits im November 2011 einstellen, wie mir berichtet wurde, weitere folgten im März 2012 und im Mai 2012. Spätestens seit dem Zeitpunkt im Mai 2012 sind viele Syrer in Sachsen-Anhalt, die davon betroffen sind, in einer echten Notlage.
Ich sprach vorgestern mit einer betroffenen Familie in Magdeburg, die selbst seit Mai kein Geld mehr erhält. Ein syrischer Doktorand an der Uni Magdeburg berichtete mir von Freunden, die sich über mehrere Tausend Euro privat verschulden mussten.
In ihrer Not suchen Einzelne Kontakt zur Universitätsleitung, zu den Studentengemeinden und den Studierendenräten. Von diesen wurde ihnen auch Hilfe angeboten. Die Uni konnte mit ihnen einige Hiwi-Jobs vereinbaren. Doch laut Aufenthaltsgesetz dürfen ausländische Studierende nur 120 Tage im Jahr arbeiten.
Die Studentengemeinde konnte anfangs auf einen Hilfsfonds der Diakonie Mitteldeutschland zurückgreifen. Diese Mittel sind jedoch längst ausgegeben.
Es kann daher in keiner Weise die Rede davon sein, dass die Probleme gelöst seien, wie es laut dem Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Wirtschaft am 6. September 2012 von Ministerin Frau Professor Dr. Wolff geäußert worden ist.
Auch die übrigen Ausführungen der Ministerin zu diesem Thema zeichnen ein Trugbild, wenngleich dies sicherlich nicht absichtsvoll herbeigeführt wurde. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dies mit einem Mangel an Informationen zu tun hat.
Fakt ist, dass an den Unis in Magdeburg und Halle etwa 120 Studierende aus Syrien eingeschrieben sind. Laut Aussage derjenigen, mit denen ich gesprochen habe, ist ein Großteil von der finanziellen Not betroffen, die durch den Krieg in Syrien bedingt ist.
Es kommt hinzu, dass unter den Studierenden aus Syrien Angst herrscht - Angst vor Denunziation durch die Regimetreuen unter ihnen, die Informationen über kritische Äußerungen weitergeben. Die syrischen Studierenden sind untereinander ziemlich gut vernetzt und wissen, auf wen der Vorwurf zutrifft, ein Spitzel zu sein.
Das ist für uns wichtig zu wissen, um besser gewichten zu können, weshalb die syrischen Studierenden extrem sensibel mit ihrer derzeitigen Notlage umgehen und nicht lauter auf sich aufmerksam machen. Daraus zu schließen, es gäbe nur einige Einzelfälle, die betroffen wären, ist falsch.
Die Ängste haben einen sehr realen Hintergrund. Der Hintergrund ist die Angst um die eigenen Angehörigen daheim.
Im Februar 2012 ist in Syrien ein Gesetz in Kraft getreten, wonach bei Negativäußerungen über das Regime die gesamte Familie des Betroffenen wegen Unterstützung des Terrorismus verhaftet wird. Was das in der derzeitigen Lage in Syrien bedeutet, das brauche ich hier wohl nicht näher auszuführen.
Auch deshalb ist es nun allerhöchste Zeit, dass wir als Land Verantwortung für die Betroffenen übernehmen. Darum geht es uns in dem Antrag. Hochschulen sind Landessache. Wir dürfen das Schicksal der syrischen Menschen in unserem Land nicht dem Zufall überlassen und nicht dem Vorstelligwerden bei der einen oder anderen Institution, die die Notlage kurzfristig vielleicht etwas abfedern kann.
Deswegen, Frau Ministerin Wolff, muss Ihr Ministerium eine koordinierende Rolle einnehmen. Sie müssen erheben lassen, wie viele Betroffene es wirklich gibt, welche Maßnahmen bereits durch wen getroffen worden sind und wie wir den individuellen Notlagen planvoll entgegenwirken können.
Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir haben den Punkt 1 unseres Antrags bewusst offengelassen und ihn sehr allgemein formuliert, um Ihnen den ganzen Spielraum der Möglichkeiten einzuräumen.
Frau Ministerin, die Lage der Betroffenen ist wirklich ernst. Unsere sozialen Sicherungssysteme und sonstigen bestehenden Instrumente greifen in diesem Fall nicht. Eine finanzielle Unterstützung muss deshalb so ausgelegt sein, dass sie angemessen und zuverlässig erfolgt, sodass den Betroffenen die Möglichkeit gegeben wird, ihr Leben weiter so zu gestalten, wie es vor dem Entstehenden der Notlage der Fall gewesen ist, für die sie nicht selbst verantwortlich sind.