Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Ich will noch einmal ganz deutlich sagen: Ich glaube kaum, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so lange streiken würden, wenn sie in einer solchen Wellnessoase arbeiten würden. Dann läge auch die Fluktuation nicht bei 30 %, 29 % oder 26 %. Das ist alles viel zu hoch. Vielmehr gäbe es dann ein konstantes Betriebsklima, bei dem es mehr Bewerbungen auf freie Stellen gäbe als Menschen, die versuchten, anderswo einen Arbeitsplatz zu finden.

Ich sage es auch ganz deutlich: Streik ist das letzte Mittel, zumal mit einem solchen Durchhaltever

mögen, wie es die Kolleginnen und Kollegen sowie die Gewerkschaft dort beweisen und beweisen müssen. Das ist auch für die Gewerkschaft Ver.di nicht einfach.

Wenn man sich vor Augen führt, dass aus der Streikkasse die Löhne zu 100 % ersetzt werden und nicht wie sonst üblich ein prozentualer Anteil, dann sieht man ganz klar, wie niedrig die Löhne dort sind. Das macht auch keine Gewerkschaft gern 100 Tage lang. Also, ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen.

Wellnessoase hin, Wellnessoase her - lassen Sie uns ein kleines Gedankenexperiment machen. Stellen wir uns einmal vor, wir säßen nicht im Plenarsaal, die Decke wäre nicht 10 m hoch, sondern im Durchschnitt 3 m hoch, wie es bei Standardbauten so ist, und hier säßen nicht 105 Abgeordnete, sondern doppelt so viele Menschen - die benötigen alle einen Stuhl, einen PC und ein Telefon - und es redet nicht eine hier vorn und ein paar andere dazwischen, sondern diese Menschen reden alle zur gleichen Zeit ganz laut und ununterbrochen.

Das geht nicht nur fünf Minuten lang so, sondern acht Stunden am Tag, jeden Tag, jede Woche, das ganze Jahr hindurch. Sie müssen dabei immer noch freundlich bleiben, weil am anderen Ende des Telefons Kunden sind, manchmal auch nervige Kunden, denen sie den Service bieten sollen. Es geht um das Geld der Kunden, es geht um die Kontoführung, um Transaktionen, um Wertpapiere und um Geldanlagen.

Stellen Sie sich weiter vor, wenn Sie ein dringendes Bedürfnis haben, könnten Sie nicht einfach Bescheid sagen und zur Toilette gehen, sondern dann müssten Sie um Erlaubnis bitten und bekämen ein Zeitfenster zugeteilt. Ich finde, diese Beschreibung der Arbeitssituation entspricht keiner Wellnessoase. Ich glaube, niemand von uns möchte unter solchen Bedingungen arbeiten müssen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Stellen Sie sich weiterhin vor, Sie bekommen einen Lohn von 7,38 € pro Stunde, und zwar bei vielen unverändert seit 1996. Wenn es nach dem Willen der Geschäftsleitung gegangen wäre - der Druck hat schon ein bisschen Erfolg gezeitigt, aber noch lange nicht den, den er erreichen muss -, dann würde der Lohn auch weiterhin so bleiben.

Stellen Sie sich schließlich vor, dieser Arbeitsplatz wäre nicht einmal sicher und neben Ihnen arbeiten Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeitsverhältnis befristet ist, die schon den Nachfolger einarbeiten, der dann wieder auf der unteren Stufe entlohnt werden kann und nicht befördert werden muss.

Und dieses Unternehmen ist keine Billigklitsche, bei der man sagt: O Gott, schreckliche Arbeitsbedingungen. Vielmehr ist S Direkt ein Tochterunternehmen der Sparkassen, das die bundesweite Servicenummer der Sparkassen betreut. Es ist ei

ne Tochterfirma der Sparkassen, die mit dem Slogan „Top-Beratung statt 08/15“ wirbt.

Ich finde, an dieser Stelle sollte unsere Vorstellungskraft aufhören. Deshalb gibt es auch diesen Antrag. Deshalb wird heute auch darüber geredet. Ich finde das nicht nur unvorstellbar, ich finde das unfassbar. Vorne wirbt man mit Qualität und hinten werden die Leute ausgebeutet. Das ist einer Sparkasse nicht würdig.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Das ist nicht Top-Beratung statt 08/15, das ist 19. Jahrhundert statt drittes Jahrtausend.

Ich finde durchaus, Herr Striegel - falls Sie mich das auch fragen wollen -, das ist ein Skandal. Ich denke, dieses Wort ist richtig. Eigentümer dieser Art dürfen solche Arbeitsbedingungen nicht dulden und nicht solche Löhne zahlen. Da darf man das Wort schon einmal in den Mund nehmen.

Meine Redezeit zu diesem Thema neigt sich dem Ende zu. Deshalb will ich noch eines klar sagen: Die Tarifpartner sollten die Verhandlungen wieder aufnehmen. Ich appelliere ernsthaft an die Geschäftsführung, auf die Beschäftigten und auf die Gewerkschaft zuzugehen. Der neue Sparkassenslogan sollte dann heißen „8,50 € statt 08/15“. Das wäre für den Callcenter-Bereich eine richtig gute Sache.

(Zustimmung bei der SPD)

Noch ein Wort zur Tarifautonomie. Die funktioniert in vielen Bereichen Gott sei Dank noch, Herr Rotter, zum Beispiel im Bereich Metall, Chemie und Bergbau, um nur die großen zu nennen. Sie funktioniert auch in vielen anderen Bereichen. Sie funktioniert aber in vielen Bereichen nicht. Nicht nur nicht mehr, in manchen Bereichen wie den Callcentern und den ganzen Branchen, die sich neu sortieren müssen, hat sie noch nie funktioniert.

Wir im Osten, alle neuen Bundesländer, haben lange Jahre damit geworben, dass hier niedrigere Löhne bezahlt werden, dass die Unternehmen zum Teil nicht tarifgebunden sind und dass sie nicht im Arbeitgeberverband sind. Wir, die ostdeutschen Länder, haben dazu beigetragen, dass die Tarifautonomie großflächig geschwächt worden ist.

(Zurufe von der CDU)

Insofern bin ich immer ganz vorsichtig damit, das hehre Wort „Tarifautonomie“ zu bemühen. Ich hätte es gern, dass es wieder so wäre wie vorher.

(Herr Rotter, CDU: Ich auch!)

- Ich weiß, dass Sie das auch so sehen. - Alle DGB-Gewerkschaften haben für sich beschlossen, keine Abschlüsse mehr unter 8,50 € zu akzeptieren. Wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn einführen könnten und das so schnell wie möglich mit einer großen breiten Mehrheit, und zwar nicht nur

im Land, sondern im Bund, dann wäre das eine gute Sache zur Unterstützung der Tarifautonomie. Denn dann gäbe es eine untere Grenze, auf der die Gewerkschaften aufsetzen und die Löhne weiter entwickeln könnten.

Man muss nicht einer Meinung sein. Ich finde, das wäre eine gute Sache. Ich hoffe, dass sich an dieser Stelle noch ganz viel bewegt im politischen Raum. - Herzlichen Dank für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin Budde. - Als letzter Redner in der Debatte spricht für die Fraktion DIE LINKE der Fraktionsvorsitzende Herr Gallert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf zwei Dinge eingehen, und zwar auf die Redebeiträge von Herrn Rotter und von Frau Budde.

Herr Rotter, Sie sagten, dass Sie beim Lesen unseres Antrages hell empört waren, vor allem bei dem ersten Punkt. Über Ihre Ausführungen zur Alterung von Wein will ich jetzt nichts weiter sagen.

Wissen Sie, wir haben tatsächlich einen Antrag geschrieben, der darauf abzielt, ein möglichst breites Bündnis im Landtag als Zeichen der Solidarität mit den Menschen vor Ort zu setzen. Deswegen haben wir darauf verzichtet, die Landesregierung aufzufordern, sie möge irgendetwas tun. Stattdessen wollen wir ein Zeichen der Solidarität setzen.

Dieser erste Punkt bezieht sich auf Folgendes: Ja, die Tarifautonomie - ich komme gleich noch einmal auf das Problem zu sprechen - ist gut und schön. Aber wer verhandelt über die Tarife im Bereich der öffentlichen Unternehmen? - Das ist auf der einen Seite die Arbeitnehmervertretung und auf der anderen Seite ist es die Politik.

Wir sagen, die Tarifpartner sollen diese Löhne von mindestens 8,50 € organisieren. Das ist bei uns in der Partei längst hart umstritten. Man müsste viel höher rangehen. Herr Bischoff hat doch Recht, wenn er sagt, dass man mit Löhnen unter 11 € auf die Altersarmut zusteuert. Aber in einem ersten Schritt sollte man wenigstens 8,50 € anstreben.

Wer ist denn der Tarifpartner, der das in öffentlichen Unternehmen verhindert? - Das ist die Politik. Das sind die Politiker, die die Tarifverhandlungen in diesem Bereich organisieren oder delegieren. Wir als Landtag fordern uns als Politiker dazu auf, die Tarifverhandlungen so zu führen, dass die Leute einen ordentlichen Lohn bekommen. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann höre ich von der CDU - ich meine, das hat der Ministerpräsident schon seit Ewigkeiten er

zählt; Herr Rotter, Sie machen das auch -: Ja, wir sind gegen Lohndumping; wir wollen das bekämpfen. Punkt. - Hm?

(Lachen bei der LINKEN)

Nichts. Wie wollen Sie das denn bekämpfen? - Der nächste Satz lautet: Aber die Tarifautonomie darf nicht angefasst werden.

Nun schauen wir uns einmal an, wie es im Callcenter-Bereich mit der Tarifautonomie aussieht. Frau Budde ist ja kurz darauf eingegangen. Nach Aussagen des Geschäftsführers von S Direkt - ich habe das nicht kontrolliert - sind im Bereich Halle sage und schreibe 95 % der gesamten CallcenterBranche ohne Tarif.

Da gibt es keine Tarife, da gibt es auch keine Tarifautonomie, weil es keine Belegschaft gibt, die sich organisieren kann, die die Kampfkraft hat, Tarife durchzusetzen. Das ist das Problem. Das liegt doch nicht daran, dass sich die Politik dort eingemischt hätte, dass sie gesagt hätte: Liebe Belegschaft oder lieber Arbeitgeber, du darfst hier keine Tarife machen.

Nein, die politische Verantwortung liegt ganz woanders. Das habe ich beim letzten Mal schon gesagt. Wir haben es organisiert über die entsprechenden Hartz-Gesetze, dass die Belegschaften in den Callcentern so agieren, wie sie es tun, und nicht die Kraft haben, Tarife durchzusetzen. Darin liegt das Problem begründet.

Deswegen ist die Argumentation, man wolle Lohndumping bekämpfen, aber man wolle nichts dafür tun und man wolle eine Tarifautonomie, die in diesem Bereich gar nicht existiert, schützen, nicht ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Rotter, CDU: Das ist doch Quatsch! - Zuruf von Herrn Schröder, CDU)

Das ist nicht ehrlich. Es gab keine Aussage von Ihnen, wie Sie es denn wirklich machen wollen.

(Herr Schröder, CDU: Tarifkommission!)

Jetzt komme ich zu Frau Budde. Ja, Frau Budde, alles, was Sie gesagt haben, ist richtig. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Sie waren dort, ich war dort. Unsere Reden waren wahrscheinlich bis auf meine Auszüge über die SPD identisch. Der Kollege Gabriel konnte auch nichts anderes sagen. Und Frau Dr. Sitte, die nun permanent vor Ort war, hat auch nichts anderes gesagt.

Aber das ist das Problem mit dem Alternativantrag. Wissen Sie, was das Problem ist? Wir haben auch beide mit dem Geschäftsführer geredet. Wissen Sie, was der mit dem Alternativantrag machen könnte? - Ihn unterschreiben, und zwar sofort.

(Herr Lange, DIE LINKE: Genau!)

Er sagt: Wir haben ja keine prekären Arbeitsbedingungen; die Löhne sind bei uns angemessen; wir haben den sozialen Frieden; unsere Mitarbeiter sind viel besser gestellt als in anderen Callcentern, und natürlich sehen wir auch unsere Verantwortung als Sparkasse, dass wir mit den Leuten ordentlich umgehen; deswegen machen wir es ja; deswegen schreiben wir ja Briefe, in denen steht, dass es eine Wellnessoase ist. Das ist alles ganz klasse zwischen den Grünpflanzen.

Damit hat er überhaupt kein Problem. Natürlich sagt er, man gehe mit den Leuten ganz hervorragend um und befristete Arbeitsverhältnisse gebe es nur dann, wenn die Leute es wollten, und Teilzeitarbeitsverhältnisse gebe es auch nur dann, wenn die Leute es wollten. - Das sind doch alles Dinge, die der Geschäftsführer gesagt hat.