Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn all denen danken, die seit der ersten Lesung dieser Gesetzesnovelle Klarstellungen und Verbesserungen in dem Gesetzentwurf vorgenommen haben. Der Dank der SPD-Fraktion gilt insbesondere dem Kultusminister und seinen Fachleuten sowie allen Fachpolitikern dieses Hauses, die Sachverhalte und Formulierungen hinterfragt und neue Vorschläge eingebracht haben.
Ich möchte einige Verbesserungen herausgreifen. Der praxisorientierte Unterricht ist im Gesetz so verankert worden, dass er den erforderlichen Spielraum für die Schaffung von Angeboten in der Schule entsprechend den örtlichen Möglichkeiten bietet.
Weiterhin wird durch § 5b klargestellt, dass der Unterricht in der Gemeinschaftsschule in der Regel im Klassenverband erfolgen soll. Das heißt, dass die innere Differenzierung Vorrang vor der äußeren Differenzierung hat.
Ich komme zum Thema Inklusion. Die Inklusion wurde als wichtiges schulpolitisches Ziel im Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention explizit als Aufgabe für alle Schulen und damit natürlich auch für die Gemeinschaftsschule in das Gesetz aufgenommen.
Ich denke, dass die in den §§ 84a und 84b explizit festgelegten Verfahren zur Datenerfassung und zum Datenschutz bei der amtlichen Schulstatistik sowie zur wissenschaftlichen Langfristauswertung
von anonymisierten Bildungsverläufen nunmehr den datenschutzrechtlichen Bestimmungen entsprechen und dass damit unsere anfänglich zugegebenermaßen vorhandenen Bedenken bezüglich des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Schüler und deren Eltern ausgeräumt werden konnten. Wir haben vorhin schon gehört, dass der Datenschutzbeauftragte diesen Prozess gut begleitet hat.
Auch die Ganztagsbetreuung für die Schulen für geistig Behinderte ist nunmehr gesetzlich geregelt. Man kann hinsichtlich der Interpretation unterschiedlicher Auffassung sein; Frau Kollegin Bull hat gerade Ihre Version dargelegt. Ich bin der Meinung, dass wir hierbei im Kontext der Inklusion sehr wohl ein Stück vorangekommen sind. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen aus dem Sozialausschuss - für meine Fraktion war Verena Späthe als behindertenpolitische Sprecherin zugegen - dafür, dass sie an dieser Lösung sehr produktiv mitgewirkt haben.
Das waren einige Beispiele für die Weiterentwicklung des ersten Entwurfs einer 14. Novelle zum Schulgesetz, dessen Kernstück die Einführung der Gemeinschaftsschule ist.
Meine Damen und Herren! Mit der Einführung der Gemeinschaftsschule verwirklicht die Koalition, insbesondere die SPD, eines ihrer wichtigsten Projekte in dieser Legislaturperiode. Die Gemeinschaftsschule wird unsere Bildungslandschaft reicher werden lassen. Die Gemeinschaftsschule wird gleichberechtigt neben den bisherigen Schularten Grundschule, Sekundarschule, Gesamtschule und Gymnasium stehen.
Sie ist der mittleren und älteren Generation der hier Geborenen vertraut; denn Eltern und Großeltern kennen das längere gemeinsame Lernen noch aus der eigenen Schulzeit. Aktuelle Erkenntnisse der Bildungsforschung und die positiven Erfahrungen vor allem in den Ländern, die bei den internationalen Pisa-Tests immer wieder ganz weit vorn zu finden sind, zeigen, dass dieser Weg richtig ist.
Die Gemeinschaftsschulen werden auch einen neuen Schub für eine bessere Bildung in unserem Land geben; denn die Gemeinschaftsschule eröffnet zum einen die Chance für die Verwirklichung neuer pädagogischer Konzepte und zum anderen neue Chancen hinsichtlich des sozialen Aspekts der Bildung. Wie oft hören wir von der Wirtschaft Klagen über die mangelnde soziale Kompetenz.
Wenn sich die Schülerinnen und Schüler künftig nicht mehr schon im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern entscheiden müssen, welche Schullaufbahn sie einschlagen, dann wird es gerechter,
Wir eröffnen damit mehr jungen Leuten die Möglichkeit, das Abitur zu erreichen. Nicht zuletzt erfährt die individuelle Förderung eines jeden Schülers durch die Gemeinschaftsschule neue Impulse.
Meine Damen und Herren! Ich bin vom pädagogischen Konzept der Gemeinschaftsschule überzeugt. In meiner Schulzeit haben ich und meine Mitschüler die Erfahrung gemacht, dass das Lernen immer dann Spaß gemacht hat, wenn es den Lehrkräften gelungen ist, den Unterrichtsstoff mit Begeisterung zu vermitteln und uns Erfolgserlebnisse zu verschaffen.
Wenn man sich heute in den Schulen umschaut, die nach den Konzepten der Gemeinschaftsschule arbeiten, dann muss man sagen: Diese Pädagogik begeistert und ein ganz großer Teil der Mädchen und Jungen an solchen Schulen ist hochmotiviert. Fehlende Lust auf die Schule gibt es kaum; Schulverweigerung kommt ebenfalls kaum vor. Das, meine Damen und Herren, sollte doch das entscheidende Ziel sein.
Der Zusammenhang zwischen der Lust am Lernen und dem Lernerfolg ist durch die Hirnforschung längst bewiesen. Wir alle im Raum wissen, dass die Hirnforschung mittlerweile auch stärker im Fokus jeglicher Entwicklung steht. Kürzlich hat das Team um den Neurowissenschaftler Professor Dr. Düzel an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg wissenschaftlich nachweisen können, dass Dopamin die Überlebenschancen von Gedächtnisinhalten verbessert. Dopamin wird gemeinhin als Glückshormon bezeichnet. Es wirkt auf jenen Teil des Langzeitgedächtnisses, der dem Menschen konkrete Ereignisse in Erinnerung ruft, an denen er persönlich beteiligt war.
Was bedeutet das für den Unterricht? - Wer will, dass das Wissen der Schülerinnen und Schüler nicht nur bis zur nächsten Klassenarbeit präsent ist - böse Zungen nehmen auch das Wort Klausurbulimie in den Mund -, der erhöhe den Dopaminspiegel der Schüler, sorge also für mehr Glückshormone im schulischen Leben. Diese entstehen in einem guten Schulklima, das durch die Förderung von Wissbegierde, durch den selbständigen Wissenserwerb, durch die Sicherung von Erfolgserlebnissen, durch Gelassenheit im Umgang mit den Unterschieden der Schülerschaft - Stichwort Heterogenität - und durch gegenseitiges Vertrauen gekennzeichnet ist.
Es ist richtig, dass das in jeder Schulform machbar ist und Ziel sein sollte. Das ist keine Frage. Dabei liegen wir nicht weit auseinander. Aber am konsequentesten ist das in einer Gemeinschaftsschule
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute mehrheitlich für diese Schulgesetznovelle entscheiden, dann können zum kommenden Schuljahr die ersten Gemeinschaftsschulen an den Start gehen. Das Interesse dafür ist groß, wie man hört.
Ich höre natürlich auch, dass Ängste artikuliert werden. Das bleibt uns nicht verborgen. Es gibt etwa Vorurteile und Vorbehalte hinsichtlich einer möglicherweise unzureichenden Förderung von Gymnasialschülern in der Gemeinschaftsschule. Es besteht die Befürchtung, dass mangelnder Leistungsdruck die schulischen Ergebnisse mindere. - Bei den Betreffenden sind offensichtlich die Ergebnisse der Hirnforschung noch nicht ganz angekommen. Mir ist jedenfalls nicht klar, wie durch Leistungsdruck Glücksgefühle ausgelöst werden sollen.
Eltern von leistungsschwächeren Schülern befürchten durch das längere gemeinsame Lernen eine Überforderung ihrer Kinder. Hierbei wird offensichtlich unterschätzt, dass Kinder von Kindern und mit diesen lernen und sich so gegenseitig verbessern und bereichern können.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es liegt selbstverständlich auch in unserer Verantwortung als Abgeordnete, Vorurteile gegenüber der Gemeinschaftsschule auszuräumen und zu verhindern, dass dieses Modell schlechtgeredet wird. Dieser Verantwortung können wir insbesondere dadurch nachkommen, dass wir auf die Erfolge in anderen Bundesländern, etwa Thüringen, verweisen. Einhellig wird dort davon berichtet, dass Eltern, die die neue Lernkultur kennengelernt haben, schnell von deren pädagogischen Ansätzen überzeugt werden konnten, auch wenn sie in der Anfangszeit eine gewisse Skepsis hegten.
Aus der Arbeit in unseren Wahlkreisen wissen wir, dass es Eltern begrüßen, dass ihre Kinder länger zusammenbleiben können, also auch nach der 4. Klasse mit den ihnen aus der Grundschule bekannten Mitschülern zusammen lernen können. Weiterhin legen Eltern grundsätzlich auch Wert auf kurze Fahrzeiten zur Schule für ihre Kinder. Im ländlichen Raum sind diese Wünsche immer öfter nur dann zu erfüllen, wenn sich ein solches Modell etabliert.
Der Gründung einer Gemeinschaftsschule werden unterschiedliche Motive zugrunde liegen. Während die einen von der neuen Lernkultur und dem offenen Unterricht überzeugt sind, wollen die anderen ihren Schulstandort erhalten und sehen in der Gemeinschaftsschule eine Möglichkeit, um das zu erreichen. Ich meine, beides ist legitim.
Entscheidend ist: Funktionierende Gemeinschaftsschulen können nicht angeordnet werden. Neue Lernkulturen entwickeln sich nun einmal nur auf der Basis der inneren Überzeugung sowie des persönlichen Engagements der Beteiligten vor Ort, insbesondere natürlich der Lehrkräfte. Ich halte sehr viel vom Prinzip der Freiwilligkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird ihren Beitrag dazu leisten, dass im Land ein breiter Dialog über die Gemeinschaftsschule geführt wird. Wir wollen mit Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie kommunalen Entscheidungsträgern in einer offenen Gesprächsatmosphäre über die Vorbehalte diskutieren und die fachlichen Argumente dazu austauschen.
Wir werden zeigen, wie eine lebendige Gemeinschaftsschule entwickelt werden kann, welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen und wie andere Schulen diesen Weg bereits erfolgreich gemeistert haben. Dabei kann aufgezeigt werden, welche Chancen eine in die Kommune eingebettete Gemeinschaftsschule bietet.
An dieser Stelle möchte ich erneut auf die Erfahrungen der Thüringer hinweisen, nämlich auf das Thüringer Bildungsmodell „Neue Lernkultur in Kommunen“. Dort gibt es ein sogenanntes Begleitprogramm unter dem Namen „nelecom“. Es lohnt sich, dieses einfach einmal anzuschauen und mit Kommunalvertretern den Austausch zu suchen.
Nur eine lebendige, offene Kommunikation ist in der Lage, Vertrauen vor Ort aufzubauen. Es gilt die Vorteile der Gemeinschaftsschule herauszuarbeiten, ohne mögliche Nachteile oder Ängste zu verschweigen. Eine authentische Kommunikation führt eher zum Ziel als eine Überhöhung der einen oder anderen Schulform.
Schließlich ist es sinnvoll, eine gemeinsame Vision einer lebendigen Gemeinschaftsschule zu schaffen, auf die sich Eltern, Schüler und Lehrkräfte freuen können. Dann kommt auch der wichtigste Helfer des schulischen Erfolgs ins Spiel - Sie können es sich vorstellen -: Dopamin.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, sich am Prozess der Einführung von Gemeinschaftsschulen in Sachsen-Anhalt aktiv zu beteiligen. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Ansätze. Wir haben viele Diskussionen geführt. Ich finde das auch völlig normal, hat doch jede Partei, jede Fraktion ihre schulpolitischen Grundüberzeugungen und Lösungsstrategien.
Klug wäre es jedoch, die Chancen dieser 14. Novelle zu erkennen und zu sagen: Wir haben zwar eine eigene Vorstellung zum längeren gemeinsamen Lernen in Sachsen-Anhalt, aber wenn sich die
ersten Schulen in Sachsen-Anhalt auf den Weg zur Gemeinschaftsschule machen, dann verdienen diese auch unsere uneingeschränkte Unterstützung.
Abschließend bitte ich Sie um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung. Machen Sie den Weg frei für die Bereicherung der Schullandschaft in Sachsen-Anhalt um einen weiteren Schultyp, die Gemeinschaftsschule. - Vielen Dank.
Danke schön, Frau Kollegin Reinecke. Es gibt eine Anfrage der Frau Kollegin von Angern. Möchten Sie diese beantworten?
Das ist keine Frage zur Gemeinschaftsschule. Frau Kollegin Reinecke, können Sie mir erklären, warum Sie als Bildungspolitikerin Ihrer Fraktion dem Vorschlag des Rechtsausschusses nicht gefolgt sind, die Ordnungswidrigkeit aus § 84 Abs. 1 Nr. 1 des Schulgesetzes zu streichen? Können Sie mir darüber hinaus erklären, welchen pädagogischen Wert die Verhängung von Geldbußen bzw. deren Umwandlung in Beugearrest für Schulschwänzer hat? Sind Sie der Auffassung, dass dies tatsächlich ein Problem der Justiz ist und deswegen in deren Zuständigkeit fallen sollte?
Frau Kollegin von Angern, Sie wissen, ich bin im Bereich der Straffälligen- und Bewährungshilfe ehrenamtlich tätig. Ich denke, fachlich brauchen wir uns an dieser Stelle nicht auseinanderzusetzen. Wir sind bildungspolitisch einfach an dem Punkt, dass wir sagen: Dieses komplexe Thema gehört in einen Gesamtkontext. An diesen Lösungswegen werden wir auch arbeiten.
Danke schön. - Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN deren Vorsitzende Frau Professor Dr. Dalbert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der große Tag gekommen. Die SPD wird eines ihrer großen Wahlversprechen einlösen. Die Regierungskoalition wird einen wichtigen Punkt im Koalitionsvertrag abarbeiten. Frau Reinecke, wenn ich mir die Begeisterung im Saal ansehe, dann muss ich sagen: Vielleicht sollte man hier ein bisschen Dopamin verteilen.