Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

Dabei darf es auf keinen Fall Abstriche geben. Alles andere, wie etwa die Überlegung, die Anstalt an die neu zu bauende Großanstalt in Halle anzugliedern, hat in höchstem Maße negative Auswirkungen auf die Jugendlichen. Ich hoffe sehr, sehr geehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, dass Sie sich dieser fachlichen Erwägung anschließen.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer wesentlicher Punkt des Gesetzentwurfes ist die sozialpädagogische Diagnostik, die in einem individuel

len Förderprogramm münden soll, etwas, was bisher in diesem Bereich überhaupt nicht stattfindet. Konsequenterweise bedarf es in der Arrestanstalt eines komplett neu aufgestellten Teams, beginnend mit einer sozialpädagogischen Leiterin, die sich dann auch auf Augenhöhe mit der Vollzugsleiterin befindet. Wir brauchen neben dem AVD dringend sozialpädagogisch ausgebildetes Personal. Nur so kann das aufgestellte Förderprogramm tatsächlich umgesetzt werden.

Dies darf zudem keinesfalls mit Ende der Zeit im Jugendarrestvollzug enden, sondern muss dann Hand in Hand und im günstigsten Fall mit den Eltern, dem Jugendamt und der Schule bzw. der Ausbildungsstätte weiter betrieben werden. Daher auch die Neuimplementierung einer sogenannten Arrestvollzugskonferenz, die mit weitreichenden Rechten und Pflichten ausgestattet sein soll. Hierbei sind all jene gefragt und vor allem in der Verantwortung, die für die Jugendlichen Verantwortung übernommen haben. Es können nur in der Gemeinsamkeit nachhaltige Strategien für die Erziehung und Förderung der Jugendlichen entwickelt werden.

Meine Fraktion schlägt darüber hinaus ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich der Hülle des Jugendarrestes, hinsichtlich der Vollzugsform vor. Jugendarrestvollzug hat nicht den Auftrag, die Allgemeinheit vor den Jugendlichen zu schützen. Daher sollte allen klar sein, dass es Gittern vor den Fenstern oder hohen Mauern nicht bedarf. Jugendarrestvollzug muss auch nicht als Vorstufe der Jugendanstalt verkauft werden; denn das abschreckende Moment ist gescheitert.

Insofern ist es sinnvoll, ähnlich vorzugehen, wie wir es in Schweden sehen konnten, und meines Erachtens sollten wir auch darüber hinausgehen und neue Formen testen. Meines Erachtens haben wir in diesem Bereich nichts mehr zu verlieren, sondern können nur noch hinzugewinnen. Wir können Jugendlichen frühzeitig helfen, ihren Weg in ein straffreies Leben zu finden; umso höher ist der gesellschaftliche Nutzen und, ja, auch der später eintretende Einspareffekt.

Meine Damen und Herren! Der Vollzug des Warnschussarrestes muss unserer Ansicht nach allerdings in getrennten Räumlichkeiten vollzogen werden. An dieser Stelle zeigt sich ganz deutlich die Systemwidrigkeit dieser Sanktionsform. Ein gemeinsamer Vollzug ist ausgeschlossen, weil wir es mit einer ganz anderen Klientel zu tun haben.

Zum Abschluss noch eine kurze Bemerkung zu unserer geplanten folgerichtigen Änderung des Schulgesetzes, welche für Sie sicherlich keinen neuen Neuheitswert hat. Unsere Position bzw. die Position aller rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der im Landtag vertretenen Parteien ist hinlänglich bekannt. Der Durchsetzung der Schul

pflicht gegenüber Schülerinnen und Schülern mit administrativen Zwangsmaßnahmen standen und stehen wir mehr als kritisch gegenüber. Wir lehnen diese klar als untaugliches Mittel ab.

Diese Auffassung wurde in der Anhörung von allen Expertinnen und Experten geteilt. Im Vordergrund muss stets eine nachhaltige pädagogische und sozialpädagogische Arbeit stehen. - Jetzt übergebe ich an meine Kollegin Frau Hohmann.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin von Angern. - Die Einbringung wird durch die Abgeordnete Frau Hohmann fortgesetzt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits bei der öffentlichen Anhörung in der 17. Sitzung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung am 7. September 2012 konnte man aus sehr interessanten Stellungnahmen der Fachexpertinnen und Fachexperten ableiten, dass ein Umdenken beim Vollzug des Jugendarrestes in Sachsen-Anhalt angesagt ist. Was wir heute benötigen, ist eine ressortübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit, so die Meinung der Fachleute.

Mit unserem Antrag haben wir dieses Anliegen aufgegriffen und wollen in Sachsen-Anhalt neue, pädagogisch moderne Wege beim Vollzug des Jugendarrestes gehen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die beabsichtigten erzieherischen Effekte des Jugendarrests, welche der § 90 Abs. 1 JGG enthält, sind nach unserer Auffassung derzeit sehr umstritten. Schaut man sich die aktuelle Situation in der Jugendarrestanstalt Halle an - Frau von Angern erwähnte es -, in der momentan nur eine Teilzeitstelle für eine Sozialpädagogin existiert, ist klar festzustellen, dass der Erziehungsgedanke im Jugendarrest in Sachsen-Anhalt keine Rolle spielt.

Freiheitsentziehende Maßnahmen bei Jugendlichen und Heranwachsenden müssen aus unserer Sicht immer einhergehen mit einer intensiven pädagogischen Betreuung. Diese wichtige und auch schwierige Aufgabe muss von hochqualifizierten pädagogischen und therapeutischen Fachkräften aus der Jugendhilfe geleistet werden.

Meine Damen und Herren! Die Praxis verfügt schon heute auf anderen Gebieten über ausgezeichnete geeignete sozialpädagogische Methoden und Rahmenbedingungen. Deshalb möchten wir diese in modernen, offenen Vollzugsformen initiieren. Dabei ist uns eine aus pädagogischer Sicht räumliche, wirtschaftliche und personelle Trennung von

den Einrichtungen des übrigen Strafvollzuges sehr wichtig.

Auch die stärkere Implementierung sozialpädagogisch-therapeutischer Kompetenz im Vollzug des Jugendarrestes ist für den Umstrukturierungsprozess unumgänglich. Deshalb halten wir es für notwendig, Alternativprojekte einzurichten und zu fördern, um eine individuelle Intensivbetreuung der Jugendlichen sicherzustellen. Dazu bedarf es einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit von Institutionen, wie dem Jugendamt, der Jugendgerichtshilfe, Beratungsstellen und dem Allgemeinen Sozialen Dienst, während des Arrestes.

Ein Konzept der pädagogischen Ausgestaltung ist zwischen Justiz und Jugendhilfe unerlässlich. Dieses soll sozialpädagogische Standards und Methoden, die den speziellen Rahmenbedingungen sowie Vollzugszielen und Grundsätzen des Jugendarrestes gerecht werden, beinhalten und nicht mit der Entlassung der Jugendlichen enden.

Obwohl in § 87b SGB VIII von einer sechsmonatigen Nachsorge gesprochen wird, können wir konstatieren, dass an dieser Stelle noch erhebliche Ressourcen vorhanden sind. Deshalb sollten den Jugendlichen gerade in der Zeit nach dem Arrest gezielte Hilfen und breite Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden. Das setzt voraus, dass die Arresteinrichtung schon sehr früh stabilisierende Kontakte und Anlaufstellen schafft und auf diese Weise die weitere Betreuung durch Schulen, Ausbildungsbetriebe, Arbeitsagenturen, Beschäftigungsprojekte und Beratungsstellen gewährleistet. Netzwerkarbeit ist hierbei zwingend notwendig.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen: Die Ursachen und Probleme, die Jugendliche mit dem Gesetz in Konflikt geraten lassen, sind nicht mehr allein vom Fachressort Justiz zu bewältigen. Wir brauchen verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Instanzen, die Erfahrungen der anderen Disziplinen, aber auch die finanziellen Ressourcen zur Bewältigung der gemeinsamen Aufgabe.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf Punkt 8 unseres Antrages lenken. Wir sehen in der Umsetzung des Auftrages des JGG, namentlich einer Personalunion aus Jugend- und Familienrichtern einen sinnvollen Schritt, bisher wenig genutzte Möglichkeiten im Jugendstrafverfahren nutzbar zu machen.

Ich habe mir an dieser Stelle ein Beispiel notiert, an dem dies sehr gut deutlich wird, aber aufgrund der Zeit werde ich es zu Protokoll geben.

Ich möchte erwähnen, dass wir in Sachsen-Anhalt die Ressourcen der Personalunion kaum nutzen. Der Antwort auf die Kleine Anfrage in der Drs. 6/1723 ist zu entnehmen, dass sich im Jahr 2012

von insgesamt 40 Jugendrichtern und 54 Familienrichtern gerade einmal vier Richter in einer Personalunion befanden. Dies sind eindeutig zu wenig und dies geht auch ganz klar am Willen des Gesetzgebers vorbei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nutzen wir die Chance, auch in Sachsen Anhalt neue Wege beim Vollzug des Jugendarrestes zu gehen. Lassen Sie uns Modelle entwickeln, die für die betroffenen Jugendlichen Perspektiven bieten und das Rückfallrisiko langfristig minimieren. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Landesregierung spricht nunmehr Frau Ministerin Professor Dr. Kolb.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Frau von Angern, ich gebe Ihnen Recht: Der Jugendarrest ist ein Stück weit das Sorgenkind im Bereich des Jugendstrafvollzuges.

Wir haben einen modernen Jugendstrafvollzug in einer modernen Jugendanstalt. Wir haben uns in den letzten Jahren intensiv bemüht, unser Behandlungskonzept für den Jugendarrest zu verbessern. Mittlerweile habe ich allerdings die Befürchtung, dass wir inhaltlich in diesem kleinen Bereich ausgestalten können, ohne etwas Positives für die Jugendlichen zu bewirken.

Denn ein Freizeitarrest beträgt meist lediglich ein Wochenende, eine Woche, zwei Wochen, ein Dauerarrest maximal vier Wochen. Wenn man dies mit dem Erziehungsgedanken verknüpft, der besagt, dass in diesen vier Wochen ein Umdenken bei den Jugendlichen erreicht werden soll, dann ist das ein Problem.

Meine Damen und Herren! Es handelt sich zumeist um Jugendliche, die schon mehrere Straftaten begangen haben und bei denen der Jugendrichter zu der Auffassung kommt, dass der Betroffene noch nicht in eine Jugendanstalt soll und man es erst einmal mit einem Jugendarrest versuchen sollte.

Man darf bei der ganzen Debatte auch nicht vergessen, über wie viele Personen wir hierbei reden. Die Jugendarrestanstalt ist in den letzten Jahren durchschnittlich mit 14 Jugendlichen belegt gewesen. Für diese 14 Jugendlichen stehen 14 Planstellen zur Verfügung, die auch besetzt sind. Die Personalausstattung beträgt somit einen Mitarbeiter auf einen Probanden. Ich gestehe ehrlich, dass dies eine Personalausstattung ist, die ich mir in anderen Bereichen wünschen würde. Gleichwohl

erreichen wir nicht das, was wir erreichen wollen, nämlich ein Umdenken, eine Verhaltensänderung bei den Jugendlichen.

Wenn man sich die Zahlen anschaut - 40 % der Arrestanten sind zum zweiten Mal dort -, dann belegen diese ganz deutlich, dass dieses Instrument nicht das bringt, was es bringen soll.

Wenn man in die Geschichte zurückgeht und überlegt, woraus der Arrest entstanden ist, dann stellt man fest, dass es sich hierbei um den Karzer gehandelt hat. Dort sind diejenigen, bei denen der Rohrstock in der Schule nicht ausgereicht hat, eingesperrt worden. Dies ist mit der Vorstellung geschehen, dass diese Maßnahme hilft und sie sich in Zukunft im Rahmen des Unterrichtes adäquat verhalten.

Wir haben mit Blick auf die Behandlungskonzepte in den letzten Jahren viel getan. Wir haben die Ausstattung des Jugendarrestes verändert. Aber ich sage ganz deutlich: Unsere Möglichkeiten sind beschränkt.

Richtig ist auch - an dieser Stelle kann ich Frau Hohmann nur beipflichten -: Die Justiz allein kann dies nicht richten. Wir brauchen ein umfassendes Netz von Hilfsangeboten. Wenn man in diesen 14 Tagen die Möglichkeit hat herauszufinden, welches Problem der Jugendliche hat, woraus resultiert, dass er straffällig geworden ist, dann ist es schon viel, wenn man am Ende des Jugendarrestes diese Diagnose stellen kann und vielleicht feststellt, dass diese oder jene Behandlungsmaßnahme erfolgreich sein könnte.

Aber wie sieht denn die Realität aus? - Die meisten Maßnahmen nach dem SGB VIII sind in den letzten Jahren von den Kommunen zurückgefahren worden. Ich bin letztes Jahr unterwegs gewesen und habe Gesprächsrunden mit Jugendrichtern und mit Mitarbeitern der Jugendämter vor Ort geführt. Es ist nicht mehr möglich, dass die Maßnahmen, die der Jugendrichter anordnet - sei es ein sozialer Trainingskurs, sei es ein Antigewalttraining - dann noch umgesetzt werden, weil die Kommunen behaupten, sie haben dafür schlicht kein Geld, sodass die Dinge dann auch aus Personalgründen nicht stattfinden.

Wir haben uns auf Bundesebene in der Arbeitsgruppe als Justizministerinnen und Justizminister beim Bundesjustizministerium dafür stark gemacht, dass der Katalog im SGB VIII erweitert wird. Da weigern sich die Kommunen schlicht. Sie weigern sich, dass eine Regelung aufgenommen wird, nach der ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe zumindest bei der mündlichen Verhandlung in der Jugendstrafsache anwesend ist.

(Herr Borgwardt, CDU: So ist es! Nur anwe- send!)

Insoweit haben wir, was die Ausgangsbedingungen für dieses Netzwerk betrifft, das wir uns auch wünschen, das dann nach dem Jugendarrest weitergeführt wird, eine Ausgangssituation, die alles andere als positiv ist.

Wir bemühen uns weiter. Wir haben auch versucht, über unsere freien Träger der Straffälligenhilfe Angebote zu unterbreiten. Wir haben ein Antigewalttraining im Rahmen des Sozialen Dienstes entwickelt, das wir auch in diesem Bereich anbieten. Das sind Bausteine, die zu einem Gesamtkonstrukt zusammengebaut werden müssen. Deshalb bin ich insoweit für den Antrag dankbar, als er uns die Möglichkeit gibt, im Ausschuss intensiv zu diskutieren, was wir eigentlich mit dem Jugendarrest erreichen wollen bzw. erreichen können.

Deshalb, Frau von Angern, verstehe ich das auch nicht. Das ist ein Stück weit inkonsequent. Sie lehnen auf der einen Seite den Jugendarrest generell ab, legen jedoch auf der anderen Seite ein Gesetz vor, um eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, ihn auszugestalten.

Wir haben, anders als beim Bundesstrafvollzugsgesetz, hierbei eben nicht das Verfassungsgericht im Nacken, weil das nicht Gegenstand der Entscheidung war. Ich plädiere dafür, dass wir uns die einzelnen Bausteine anschauen und gemeinsam mit den Kommunen überlegen, wie wir die Gesamtsituation im Bereich Jugendstrafrecht und Prävention von Jugendkriminalität verbessern können.

Natürlich müssen wir uns auch, was die Anbindung des Jugendarrests betrifft, im Rahmen der anstehenden Justizvollzugsstruktur überlegen, wo das sinnvoll möglich ist, wo man Anhaltspunkte bzw. Anknüpfungspunkte hat, einerseits was schon bestehende Netzwerke von ehrenamtlichen Unterstützern betrifft, andererseits eine Anbindung an eine Einrichtung, die es ermöglicht, dann personellen Ersatz zu stellen, wenn Personal krankheits- oder urlaubsbedingt ausfällt. Insoweit verweise ich auf die Anhörung, in der die Kolleginnen und Kollegen der Jugendarrestanstalt eingeschätzt haben, dass eine völlig freischwebende Anstalt ohne Anbindung an eine andere Einrichtung nur sehr schwer zu realisieren ist.

Ich glaube, wir haben hiermit ein großes Aufgabengebiet vor uns. Wir haben eine Reihe von Fragen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen müssen - auch beschäftigen wollen. Ich bin gern bereit, mich weiter auf Bundesebene für die Regelungen einzusetzen, die notwendig sind, damit wir den Jugendlichen das bieten können, was tatsächlich hilft, was notwendig ist, um eine Abkehr von einem strafrechtlich relevanten Verhalten zu gewährleisten.

Aber ich gestehe auch: Wir brauchen in diesem Diskussionsprozess auch Unterstützung von ande

rer Seite. Deshalb müssen wir hierbei intensiv die Kommunen einbeziehen; denn die Möglichkeiten der Justiz sind begrenzt. Ich stelle - leider - einmal wieder fest, dass die Justiz immer dann gefordert ist, wenn es eigentlich schon zu spät und das Kind in den Brunnen gefallen ist.