Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf alle im Hause herzlich willkommen heißen sowie einen Kollegen aus unseren Reihen besonders herzlich begrüßen und beglückwünschen. Der Abgeordnete Ulrich Thomas aus Quedlinburg hat heute Geburtstag. Wir sind zu seinen Ehren zusammengekommen. Wir gratulieren im Namen des Hohen Hauses und wünschen Glück und Gottes Segen sowie alles Gute für das neue Lebensjahr.
Wir können bei uns im Hause bereits Gäste willkommen heißen. Wir begrüßen Damen und Herren der Dekra-Akademie Haldensleben auf der Besuchertribüne. Willkommen!
Somit ist die 42. Sitzung des Landtages eröffnet. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest. Wir setzen nunmehr die 22. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen mit Aktuellen Debatten.
Ich darf eingangs noch daran erinnern, dass Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff, Ministerin Frau Professor Dr. Kolb und Minister Herr Webel sich für heute ganztägig entschuldigt haben.
Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: SPD, DIE LINKE, CDU und GRÜNE. Ich erteile zunächst für die Antragstellerin Frau Fraktionsvorsitzender Budde das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Morgen jährt sich zum 80. Mal ein Ereignis, das nicht zu den Sternstunden des deutschen Parlamentarismus gehört. Im Gegenteil: Es war wohl seine dunkelste Stunde.
Am 23. März 1933 verabschiedete der Reichstag das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich. Wir kennen es heute als das Ermächti
gungsgesetz. Einen Tag später trat es in Kraft. Mit diesem Gesetz wurde die Regierung des Deutschen Reiches unter Adolf Hitler ermächtigt, Reichsgesetze selbst zu beschließen und zu vollziehen, auch Gesetze, die nicht im Einklang mit der Reichsverfassung standen.
Der Reichstag hatte sich damit selbst entmachtet und konstitutionell den Weg in die Diktatur bereitet. Damit war das Schicksal der Weimarer Republik besiegelt und die erste deutsche Demokratie endgültig gescheitert.
Gescheitert war aber Weimar nicht nur an Hitler, nicht nur an den Nazis. Gescheitert war Weimar an vielen, an den vielen, die die Demokratie zu diesem Zeitpunkt nicht wollten, noch nicht wollten.
Weimar war zwar nicht eine Demokratie ohne Demokraten, wie es manchmal gesagt wird, aber eine Demokratie mit sehr wenigen Freunden - zu wenigen Freunden - und vielen Feinden. Dazu zählten nicht nur die radikalen Kräfte von rechts und links, sondern auch weite Teile des deutschnationalkonservativen Bürgertums, die die neue Staatsform abgelehnt hatten und zu dieser Zeit noch immer ablehnten.
Als es am Ende zum Schwur kam, waren es nur die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich geschlossen gegen das Ende gewehrt haben. Deshalb lassen Sie mich das zum 150. Geburtstag der Sozialdemokratie mit großem Stolz sagen: Das zähle ich zu den Sternstunden meiner Partei.
Das Verhalten der Frauen und Männer in der SPDFraktion nötigt mir noch heute große Hochachtung und großen Respekt ab.
Wenn man sich in ihre Lage versetzt, wird deutlich: Wochen des Terrors, der Verfolgung lagen hinter ihnen. 26 sozialdemokratische Abgeordnete waren in Schutzhaft, geflohen oder vertrieben - ein Viertel der gesamten Fraktion. Die KPD war sogar gänzlich verboten und ihrer Mandate beraubt.
Vor der Kroll-Oper waren Kolonnen von SA und SS aufmarschiert. Hinter dem Präsidium prangte die meterhohe Hakenkreuzfahne. Hitler stellte sie vor die ultimative Wahl, indem er sagte:
„Umso mehr aber besteht die Regierung auf einer Verabschiedung des Gesetzes. Sie zieht... eine klare Entscheidung vor. Sie bietet den Parteien des Reichstages die Möglichkeit einer ruhigen... Entwicklung und einer sich daraus in Zukunft anbahnenden Verständigung. Die Regierung ist aber ebenso entschlossen und bereit, die Bekundungen der Ablehnung und damit die Ansage des Widerstandes entgegenzunehmen. Mögen Sie, meine Herren,“
„Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt.“
Das Ermächtigungsgesetz bekam 94 Gegenstimmen einzig aus der SPD. Ich kann dem Historiker Heinrich August Winkler zustimmen, wenn er sagt:
„Die SPD kann stolz sein darauf, dass sie als einzige der demokratischen Parteien der Weimarer Republik dem Ansinnen Hitlers getrotzt hat. Die SPD hat damit nicht nur ihre eigene Ehre, sondern die der ersten deutschen Demokratie gerettet.“
Denn, meine Damen und Herren, die deutsche Sozialdemokratie hatte die Weimarer Republik mit Philipp Scheidemann nicht nur ausgerufen, sie hatte sich auch bis zum Schluss zu ihr bekannt. Deshalb noch einmal Otto Wels:
„Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverfahren nicht beseitigen kann...
Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit und der Freiheit und des Sozialismus.
Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten... Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.“
Dieses Bekenntnis zur Demokratie gilt für uns bis heute und es wird auch weiterhin gelten. Es ist Kern unserer politischen Identität. Wir haben uns diesbezüglich nie korrigieren müssen. Wir haben dieses tiefe Bekenntnis nicht nur in Weimar gelebt. Wir haben es in die Gründung der neuen Republik eingebracht. Deshalb, glaube ich, dürfen wir auch mit Fug und Recht sagen: Die Geschichte der Sozialdemokratie ist auch ein Teil der Geschichte der
Dieses Bekenntnis zur Demokratie hätte man sich damals auch von jenen gewünscht, die Hitler zur Macht verholfen haben. Mit den Nazis haben gestimmt: die Deutschnationale Volkspartei, die Deutsche Zentrumspartei, die Bayerische Volkspartei, die Deutsche Staatspartei, der Volksdienst, die Deutsche Bauernpartei und die Deutsche Volkspartei.
Sie haben in den Jahren vor der Machtergreifung Hitlers mit dafür gesorgt, dass der Reichstag handlungsunfähig wurde; denn das Ermächtigungsgesetz ist nur der vorläufige Endpunkt einer bereits vorher stattgefundenen Entwicklung gewesen. Die Demokratie war in weiten Teilen dieser Parteien, die dann auch für das Ermächtigungsgesetz gestanden haben, noch nicht angekommen und auch noch nicht gewollt.
Sie haben am Morgen des 23. März 1933 mit einer Geschäftsordnungsänderung dafür gesorgt, dass eine Zweidrittelmehrheit möglich wurde; dies ohne die Stimmen der SPD und ohne die annullierten Mandate der KPD, die überhaupt nicht die Chance hatte, sich dazu zu verhalten. Sie haben ferner dafür gesorgt, dass Hitler dann auch die Mehrheit bekam.
Auch wenn man denen, die vor 80 Jahren mit den Nazis gestimmt haben, vermutlich glauben muss, dass sie, nachdem der Erste Weltkrieg gerade vorbei war, ganz sicher nicht den Zweiten Weltkrieg und auch nicht den Holocaust wollten, so muss man doch sagen: Sie tragen trotzdem dafür Mitverantwortung. Sie haben nicht nur mit dem Feuer gespielt, sondern sie haben es auch mit entfacht.
Deshalb lassen Sie dies uns allen eine Lehre sein. Die Demokratie braucht Freunde. Sie braucht keine Brandstifter, sondern Freunde.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen kleinen Break machen und einmal über ein anderes Thema als das Ermächtigungsgesetz reden. Die Demokratie braucht nämlich immer Freunde. Sie braucht Freunde, die ihr auch dann treu bleiben, wenn es schwierig wird, wenn Entscheidungen erst am Ende von ganz schweren Abwägungsprozessen stehen.
Man muss ihr Freund bleiben, auch wenn man es nicht immer selbst schafft, sich mit den eigenen Überzeugungen durchzusetzen. Das ist, glaube ich, jedem schon einmal passiert. Sie braucht Akzeptanz und gegenseitigen Respekt von Parlament und Regierung. Es geht in der Demokratie nicht darum, immer nur Recht zu bekommen.
Das alles sollte uns auch in den heutigen Parlamenten Mahnung sein, sowohl dem Parlament, aber auch der Exekutive; denn um abwägen zu können, muss man sich gegenseitig zuhören und miteinander reden. Um zuhören zu können, muss man da sein, wenn die Debatten geführt werden.
Ich will nur sagen: Auch heute ist es so, dass wir eine parlamentarische Demokratie leben müssen, die am Ende nicht zu häufig, am besten gar nicht darauf hinausläuft, dass einer sagt, wo es langgeht, und die anderen nachvollziehen.
Das Schwierige an der Demokratie ist, dass es selten Schwarz-weiß-Entscheidungen gibt und in einem Abwägungsprozess immer versucht werden muss, einen vernünftigen Kompromiss zu finden.
Daran möchte ich uns heute gern erinnern; denn es geht nicht nur um das Ermächtigungsgesetz, sondern auch um das Thema Demokratie an sich. Ich glaube, wir sollten uns auch in diesem Hause sowohl auf der Seite der Legislative als auch auf der Seite Exekutive immer wieder daran erinnern, was Demokratie heißt.