Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

uns nehmen, die Ehre nicht“, dann weiß man, wie mutig, stolz und wichtig dieses demokratische Bekenntnis war.

Die Erinnerung an die Durchsetzung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft im Jahr 1933 bildet einen wichtigen Schwerpunkt der Arbeit des Kultusministeriums in diesem Jahr.

Die Stiftung Gedenkstätten hat bereits im Januar verschiedene Veranstaltungen zum Gedenken an die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur im Jahr 1933 durchgeführt. Die Gedenkstätten setzten sich insbesondere am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, mit den Geschehnissen in der Region auseinander. Beispielhaft will ich hier die Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie Bernburg erwähnen, in der die Ausstellung „Bernburg 1933“ eröffnet wurde, die einen wichtigen Beitrag zur lokalen Geschichtsaufarbeitung leistet.

Die Zerstörung des Rechtsstaats und der Terror in den ersten Jahren der NS-Diktatur sind darüber hinaus ein wichtiger Teil der langfristigen Arbeit der Gedenkstätten. Insbesondere die im Dezember 2011 eröffnete Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin widmet ihre Arbeit dieser Thematik.

Anlässlich der Ankunft der ersten Häftlinge vor 80 Jahren wird am 12. Juni 2013 das neue Besucherleitsystem auf dem Schlossgelände eingeweiht. Aus Anlass des 60. Todestages von Ernst Reuter am 29. September ist eine Gedenkveranstaltung geplant. Ich werde mich in wenigen Tagen mit Edzard Reuter treffen, um mit ihm auch über diese Dinge zu reden.

Die Gedenkstätte Roter Ochse setzt sich seit Jahren unter anderem im Rahmen der Ausstellung „Justiz im Nationalsozialismus“ mit der auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes geschaffenen nationalsozialistischen Terrorjustiz auseinander. Ihre Forschungen, Publikationen und Bildungsangebote genießen weithin hohes Ansehen.

Neben der Unterstützung vielfältiger Aktivitäten zur Erinnerung an die Ereignisse vor 80 Jahren ist die Zurückdrängung und Bekämpfung aktueller menschenverachtender Einstellungen und Verhaltensweisen ein zentraler Schwerpunkt der Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung SachsenAnhalt. Zur Koordination des landesweiten Netzwerks für Demokratie und Toleranz ist im vergangenen Jahr die Federführung für das neue Programm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit hinzugekommen.

Aus der Fülle der Vorhaben will ich drei an dieser Stelle ganz besonders hervorheben. Im April dieses Jahres veranstaltete die Landeszentrale mit der Zeitzeugin Zippora Feilbowitsch eine Rundreise durch fünf Städte in Sachsen-Anhalt. Frau Feil

bowitsch überlebte als Jugendliche die Konzentrationslager Auschwitz und Mauthausen sowie den Todesmarsch in der Altmark. Ihre eindringlichen Schilderungen zeigen, zu welchen Verbrechen die 1933 an die Macht gelangten Nationalsozialisten fähig waren.

Am Vorabend des 80. Jahrestages der nationalsozialistischen Machtübernahme führte die Landeszentrale gemeinsam mit dem Ensemble „Poetenpack“ und dem Verein „Pro Kultur e. V.“ eine Aufführung des Theaterstücks „Mein Kampf“ von George Tabori durch. Diese Aufführung war der Auftakt für eine Tournee durch zehn Spielorte in Sachsen-Anhalt, an denen in der zweiten Jahreshälfte pädagogisch begleitete Aufführungen für Schüler gezeigt werden sollen.

Erwähnen möchte ich auch das Programm „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“. Seit es vor zehn Jahren in Sachsen-Anhalt etabliert wurde, haben 83 Schulen den mit weitreichenden Selbstverpflichtungen verbundenen Titel verliehen bekommen. Ziel der Kampagne ist die Stärkung von Zivilcourage, Toleranz und Konfliktfähigkeit in der Schule.

Ich weiß, viele von Ihnen haben sich bei dieser Kampagne „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ selbst beteiligt, einige Landtagsabgeordnete sind auch Paten dieser Schulen. Ich danke an dieser Stelle herzlich für Ihr Engagement.

Vor allem will ich die Gelegenheit nutzen, all denen zu danken, die im Landesprogramm, in den Gedenkstätten, in der Landeszentrale für politische Bildung und an vielen anderen Stellen für diese Themen kämpfen, dafür arbeiten, sich für sie einsetzen, damit wir immer wieder die Auseinandersetzung mit alltäglicher Diskriminierung auf allen Ebenen führen, um junge Menschen für die Bedrohung von Menschenrechten und Menschenwürde zu sensibilisieren.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wissen heute, dass im März 1933, als Otto Wels seine mutige Rede vor dem Reichstag hielt, tatsächlich nur noch die Ehre der demokratischen Parteien in Deutschland gerettet werden konnte. Die Diktatur der Nationalsozialisten war nicht mehr zu verhindern.

Heute können wir den Anfängen wehren, indem wir Intoleranz, Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus aktiv bekämpfen. Die Verteidigung des Rechtsstaates und die Verbreitung einer politischen Kultur, die die Menschenwürde und die Menschenrechte achtet, sind zentrale Anliegen, denen wir uns mit aller Kraft und auch mit Mitteln zu widmen haben. - Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir fahren fort in der Debatte. Als Nächste spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Dr. Klein.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei den Kollegen der SPD bedanken, dass sie diese Aktuelle Debatte heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir halten es für wichtig, dass auch solche historischen Ereignisse, die zu einer entscheidenden Zäsur im Leben der Deutschen und Europas wurden, nicht untergehen und nicht nur in der sehr wichtigen Arbeit der Gedenkstättenstiftung und der Landeszentrale gewürdigt werden, sondern auch in diesem Hause.

(Beifall im ganzen Hause)

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich wurde eine entscheidende Zäsur auf dem Weg zur Durchsetzung einer bis dahin unbekannten Herrschaft von Gewalt und Terror geschaffen. Die Reichsregierung erhielt fast unbeschränkte Befugnisse zum Erlass von Gesetzen. Sie benötigte keine parlamentarische Zustimmung mehr. Die Kontrolle oder eine Einspruchsmöglichkeit bei der Erarbeitung von Gesetzen war nicht mehr vorgesehen.

Die Reichstagsfraktionen aller bürgerlichen Parteien stimmten am 23. März ausnahmslos und teilweise mit nationalistischen Bekenntnissen dem Ermächtigungsgesetz zu. Die 94 Abgeordneten der SPD - die anderen 26, Frau Budde hat es bereits gesagt, waren verhaftet oder auf der Flucht - stimmten trotz des massiven SA- und SS-Aufgebotes rund um die Kroll-Oper gegen das Gesetz. Der Fraktionsvorsitzende Otto Wels bekannte sich in seiner Rede zur parlamentarischen Demokratie.

Die am 5. März 1933 gewählten 81 Abgeordneten der KPD konnten an dieser Sitzung nicht mehr teilnehmen. Ihre Mandate waren am 9. März de facto annulliert worden. Entsprechend einer bereits vorliegenden Verhaftungsliste waren sie entweder verhaftet, auf der Flucht oder untergetaucht.

Mit dieser zunächst stillschweigenden Annullierung bekam die NSDAP die Mehrheit im Reichstag. Trotzdem benötigte sie Stimmen der bürgerlichen Parteien, um eine Verfassungsänderung dieses Ausmaßes durchzubringen.

Zu den großen Mythen der offiziellen Geschichtsschreibung und der Publizistik gehört die These, dass die Weimarer Republik durch das Handeln ihrer Feinde am äußersten linken und rechten Rand der Gesellschaft gescheitert sei.

Ja, die KPD hat trotz des heroischen Einsatzes Zehntausender ihrer Mitglieder im Kampf gegen

den Faschismus nicht alles getan, um die Machtübernahme der Faschisten zu verhindern. Ihre fehlgeleitete Strategie, das Festhalten an einem weltrevolutionären Konzept, auch ihr Kampf an falschen Fronten, besonders gegen die SPD, schwächten die Kraft und die Glaubwürdigkeit.

Davon abgesehen, auch die SPD hielt zu diesem Zeitpunkt an einem schon von der Wirklichkeit überholten Glauben an die Legalität um jeden Preis fest. Erinnert sei an die Tolerierung des Brüning-Kabinetts als das kleinere Übel oder die Unterstützung von Hindenburg bei den Reichspräsidentenwahlen 1932.

Beide Parteien, KPD und SPD, und mit ihnen die anderen antifaschistischen Kräfte, mussten ihre Unfähigkeit, miteinander einen demokratischen und antifaschistischen Konsens zu finden, mit hohen Opfern bezahlen; denn die Nazis unterschieden nicht nach Parteizugehörigkeit.

Angesichts des damaligen Kräfteverhältnisses wäre der Erfolg eines Generalstreiks gegen das Hitler-Regime fraglich gewesen. Aber - an dieser Stelle möchte ich Willy Brandt zitieren, seit 1931 Mitglied der SAP - die Zukunft Deutschlands und Europas hätte anders ausgesehen, wenn die Nazis nicht nahezu kampflos das Feld hätten übernehmen können.

Doch davon abgesehen, es waren eben nicht die Arbeiterparteien, es waren andere, denen die Weimarer Republik nicht passte und die aus einer Splitterpartei, welche die NSDAP noch 1928 war, eine der stärksten Parteien Deutschlands machten. Insbesondere die Vertreter der DNVP, für die Hitler eigentlich nicht standesgemäß war, sahen Ende 1932 keine andere Möglichkeit mehr, um ihren Kurs fortzusetzen, als mit der NSDAP zusammenzuarbeiten.

Die Zeit der Präsidialkabinette war vorbei, die Probleme der Weltwirtschaftkrise waren nicht kleiner geworden und eine Militärdiktatur stand zu diesem Zeitpunkt nicht zur Debatte. Auch die Führungen des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei erklärten letztlich ihre Bereitschaft, an Koalitionen mit Hitler teilzunehmen.

Zwei Tage vor der Reichstagssitzung am 23. März 1933, beim sogenannten „Tag von Potsdam“, jubelten Tausende dem neuen Kanzler zu. Ein Großteil der Bevölkerung, ebenso wie die übergroße Mehrheit der Parlamentarier des Reichstags und der Landesparlamente, gab die Weimarer Demokratie auf. In ihren Augen fehlte ihr inzwischen die Legitimation für das politische Handeln, und es fehlte das Vertrauen, die schweren sozialen Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise aufzulösen.

Die Weimarer Republik hat nicht alternativlos zum Faschismus geführt. Es gab Chancen einer demokratischen Entwicklung, doch die Ergebnisse des

Ersten Weltkrieges, die Zerstrittenheit der Arbeiterbewegung und der politische Wille der konservativen Kräfte, die Weimarer Republik zu bekämpfen, haben das verhindert.

Mit der Rückschau auf die Geschichte, auf die Bildung der Hitler-Regierung und das, was folgte - da stimme ich den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion voll und ganz zu -, muss der Blick auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtet sein. Zwar sind wir weit von Weimar entfernt, aber auch im Landtag von Sachsen-Anhalt saßen schon Vertreter der DVU, in einigen unserer Kreistage sowie in Stadt- und Gemeindevertretungen sitzen Abgeordnete der NDP.

Im Januar marschierten Neonazis in Magdeburg, im März in Dessau-Roßlau und im August wollen sie es in Sangerhausen tun.

Neofaschistische, antisemitische und rassistische Ideologien kommen inzwischen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie sind in vielen Regionen der Bundesrepublik und auch in unserem Land schon Bestandteil der Alltagskultur, und es sind eben nicht nur sozial Schwache und Entrechtete, die marschieren.

Es sind, wie wir inzwischen wissen, Menschen aus dem Mittelstand. Es können unsere Kinder sein, die Nachbarn oder der freundliche Herr von Gegenüber. Rechtsradikale kommen heute in einem neuen Outfit. Sie haben dort gute Chancen, wo sich demokratische Strukturen, Institutionen des Sozialstaates und die Kräfte der Zivilgesellschaft zurückziehen.

Wir haben in der letzten Landtagssitzung über die Formen des Widerstandes gegen diese Aufmärsche debattiert. Für geradezu verheerend hält meine Fraktion die Verurteilung von Menschen, die sich den Nazis widersetzen.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aus meiner persönlichen Erfahrung reicht Wegsehen als Form der Missachtung ebenso wenig wie Kerzen.

Tim H., der im Januar 2013 vom Amtsgericht Dresden zu 22 Monaten Haft verurteilt worden ist, weil er beim Aufmarsch der Nazis im Februar 2011 einen Durchbruch durch eine Polizeikette organisiert haben soll, hatte schlechte Karten.

Dem Pfarrer Lothar König, dessen Verfahren ursprünglich am 19. März, also fast genau auf den Tag 80 Jahre nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, vor dem Amtsgericht Dresden beginnen sollte, wird anlässlich dieses Aufmarsches im Jahr 2011 schwerer aufwieglerischer Landfriedensbruch vorgeworfen.

Das macht betroffen - mich jedenfalls. Menschen, die sich dagegen wehren, dass die Nazis mar

schieren, auch wenn es nach Recht und Gesetz ist, dass sie marschieren dürfen, wird dies verboten.

Aber seien wir ehrlich, wir hier in unserem warmen Landtag werden doch unglaubwürdig, wenn wir sagen, wir wollen Intoleranz, Rassismus und Rechtsextremismus bekämpfen, und auf der anderen Seite werden Menschen, die Zivilcourage zeigen, verurteilt. Wer entscheidet, wo die Unbotmäßigkeit anfängt?

(Herr Schröder, CDU: Der Rechtsstaat!)

In diesem Zusammenhang muss ich natürlich auch etwas zum NPD-Verbot sagen. Ja, auch die LINKE fordert ein Verbot der NPD. Wir wissen aber, allein damit wird das Problem des Rechtsextremismus, des Rassismus und des Antisemitismus nicht gelöst werden.

Ein Verbot aber steht für eine gesetzliche Ächtung und ein Verbot verhindert staatliche Unterstützung für die Strukturen der extremen Rechten. Insofern halten wir den Rückzug der Bundesregierung aus dem NPD-Verbotsverfahren für äußerst problematisch.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)