Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

(Zuruf von den GRÜNEN: Ach was!)

Insofern sage ich: Auch an der Stelle kann man sich eine Opferbiografie zusammendichten. Das hat nur leider mit der Realität nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann will ich noch eines sagen, Frau Dalbert: Ich bewundere das schon. Da sind Sie wahrlich nicht die Einzige. Sie sagen: Die Agenda 2010 war am Anfang ein super Erfolg. Wir haben die Arbeitslosigkeit gesenkt, jawohl. - Ich mache es noch einmal ganz deutlich: Es ist eben nicht mehr Arbeit in Sachsen-Anhalt entstanden. Proportional zur Bevölkerungsentwicklung hat sie abgenommen.

Dann kritisieren Sie faktisch jede einzelne Maßnahme, die diesen vermeintlichen Erfolg erzielt hat.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE, an die GRÜNEN gewandt: Es reicht! Hören Sie auf!)

Dazu sage ich: Irgendwann müssen Sie sich entscheiden. Fanden und finden Sie es richtig oder fanden und finden Sie es falsch? Ich sage auch: Argumente dafür oder dagegen - da hat Frau Dirlich völlig Recht; auf uns muss niemand hören -: Die 400 Wissenschaftler, die das damals, im Jahr 2002 und im Jahr 2003, schon gesagt haben, die hätte man aber hören können.

Dass die Gewerkschaften damals noch nicht für einen gesetzlichen Mindestlohn waren, ist übrigens so nicht richtig. Die IG Metall war dagegen.

Na bitte, Herr Gallert. Das hatte ich ja gesagt.

Ver.di war schon vorher dafür. Solange die IG Metall dagegen ist, ist es natürlich auch immer der DGB; das ist uns auch klar. Aber: Sei’s drum. Das war so. Es war sehr unterschiedlich.

Nur: Diese Interessenvertretungen waren absolut gegen alle anderen Maßnahmen in dem Zusammenhang, weil sie immer wussten, dass sie dadurch radikal geschwächt werden und ein Niedriglohnsektor entsteht. Das wusste man im Jahr 2002. Das wusste man im Jahr 2003. Das ist keine neue Erkenntnis, Frau Dalbert.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, lassen Sie mich auf einen Punkt in Ihren Ausführungen eingehen.

Bitte.

Ich glaube, die Welt ist nicht so einfach, wie Sie sich diese in Ihrer Argumentation machen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Frau Dirlich, DIE LINKE: O bitte! Wirklich! - Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Stimmt! - Herr Lange, DIE LINKE: Ach was!)

Was meine ich damit, Herr Gallert?

Ja, sagen Sie mir das.

Sie werfen mir vor, dass ich mir die Mühe mache, mir die einzelnen Maßnahmen oder zentrale Maßnahmen der Agenda 2010 anzuschauen, darzustellen, was wir uns damals dabei gedacht haben bzw. warum wir das eingeführt haben, und dann aus zehn Jahren Entwicklung Lehren zu ziehen und zu sagen, wo was gut und wo was schlecht war.

Das nenne ich nicht Entscheidungslosigkeit, Herr Gallert, sondern Lernen aus Erfahrung.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD - Herr Gallert, DIE LINKE, schüttelt den Kopf - Zuruf von Herrn Lange, DIE LIN- KE)

Danke schön. - Als nächster Redner in der Aktuellen Debatte spricht für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Steppuhn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich am Anfang die Rede von Herrn Gallert gehört habe, habe ich mir gedacht, es ist eigentlich ein Stück weit etwas Normales, dass eine Opposition so eine Debatte aufsetzt, um den zehnten Jahrestag der Agenda 2010 nicht zu feiern, aber um ein Stück weit Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Leider ist es bei dieser Vergangenheitsbewältigung geblieben.

Ich glaube, wir sind heute, zehn Jahre nach der Agenda 2010, weiter. Für uns als Sozialdemokraten geht es natürlich darum, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und auch nachzuvollziehen,

wo es vielleicht Fehlentwicklungen gegeben hat. Was die Menschen draußen von uns erwarten, ist aber, denke ich, dass wir Antworten für die Zukunft geben und sagen, welchen Veränderungsbedarf wir erkannt haben.

Es gibt sicherlich Bereiche in der Arbeitsmarktpolitik, von denen wir sagen, dass mittlerweile Fehlentwicklungen eingetreten sind, die man korrigieren muss. Dazu brauchen Sie nur in das neue Wahlprogramm der SPD hineinzuschauen.

Ich will daran erinnern, dass die Agenda 2010 einmal gemacht worden ist, weil wir festgestellt haben, dass es nach fast 20 Jahren Helmut Kohl einen Reformstau gegeben hat. Wir müssen jetzt leider wieder feststellen, dass es in Berlin einen Reformstau gibt.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD, und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Nun ist es so, dass wir in Berlin in der Opposition sind, aber in vielen Bereichen hätte die schwarzgelbe Bundesregierung schon handeln können. Dann hätten wir heute zum Beispiel schon einen Mindestlohn.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Wenn wir über das Thema Mindestlohn reden, dann gehört zur Wahrheit dazu, dass die Bedeutung des Mindestlohns in der Vorgeschichte zu Hartz IV

(Herr Gallert, DIE LINKE, meldet sich zu Wort)

- lassen Sie mich erst ausreden, Herr Gallert - noch nicht so gesehen wurde, wie wir das heute tun.

Ich darf daran erinnern - Frau Dalbert hat es auch gemacht; das gehört zur Wahrheit dazu -, dass es auch in den Gewerkschaften unterschiedliche Auffassungen gegeben hat. Die IG Metall ist genannt worden. Auch meine Gewerkschaft, die IG BauenAgrar-Umwelt, damals noch die IG Bau-SteineErden, hat im Jahr 1994 damit angefangen, Mindestlöhne zu vereinbaren, und zwar Branchenmindestlöhne.

Diese Branchenmindestlöhne sind mittlerweile höher als die Mindestlöhne, über die wir im politischen Raum diskutieren. Wir haben zum Beispiel im Dachdeckerhandwerk - Herr Scheurell ist gerade nicht da; er könnte dazu sicherlich etwas sagen - mittlerweile einen Mindestlohn in Höhe von 10,80 € in Ost und in West.

(Herr Schröder, CDU: Ja! Es lebe die Tarif- partnerschaft!)

Solche Entwicklungen hat man als gefährdet angesehen. Jetzt ist aber die Erkenntnis gewachsen, dass wir einen Mindestlohn brauchen, weil es in bestimmten Bereichen nicht möglich ist, zu tarif

lichen Branchenmindestlöhnen zu kommen. Deshalb brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn.

Ich kann mich erinnern, dass sich Sozialdemokraten und Gewerkschaften im Jahr 2006 geeinigt haben, gemeinsam für einen gesetzlichen Mindestlohn einzutreten. Ich muss also sagen, dass das erkannt worden ist. Wir kommen immer mehr dazu, dass es dafür auch die parlamentarischen Mehrheiten gibt. Im Moment gibt es sie in Berlin nicht. An dieser Stelle könnte man aber handeln, und Sozialdemokraten würden an dieser Stelle auch sofort handeln.

Ich will auch daran erinnern - das haben Sie auch gesagt, Herr Gallert -, dass man die Agenda 2010 natürlich nicht nur auf Hartz IV reduzieren kann. Die Agenda stand damals auch im Zusammenhang mit einem Ganztagsschulprogramm, das erstmals in Deutschland auf den Weg gebracht worden ist.

Keine Sorge: Ich halte hier keine Lobesrede. Es gehört aber zur Historie.

Die Agenda war auch der Durchbruch dafür, dass wir uns in Deutschland zunehmend den erneuerbaren Energien gewidmet haben, und die damalige Bundesregierung hat sich auch dazu bekannt, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. An diesen Stellen sind die Mittel im Bundeshaushalt damals erhöht worden.

Ich will auch sagen - das ist von Minister Herrn Bischoff auch schon deutlich gemacht worden -, ein wichtiger Baustein der Agenda 2010 war, dass wir die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammengelegt haben. Damit haben wir Armut sichtbar gemacht.

(Zuruf von Herrn Rosmeisl, CDU)

Es hat die Chance bestanden für Sozialhilfeempfänger, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Vorher hat sich doch niemand um die Leute gekümmert. Heute integrieren wir sie in den Arbeitsmarkt. Ich glaube, auch das ist eine wichtige Geschichte. Dadurch werden die Probleme aber natürlich auch entsprechend sichtbar. Das muss man auch sagen.

(Frau Take, CDU: Das war die richtige Ent- scheidung!)

Ich will noch zwei weitere Punkte ansprechen, die, glaube ich, nicht ganz unbedeutend sind. Gerade der Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist es, der immer wieder Anlass zu Kritik gibt, in dem man heute aber auch schon handeln kann.

Das Thema Minijobs: Wenn man heute durch die Geschäfte geht, insbesondere durch die Geschäfte, in denen Minijobs stattfinden, dann sieht man die Schilder: Haben Minijob zu vergeben, 175 €, 325 €.

Wenn man sich die Entwicklung der Zahl der Minijobs in den letzten Jahren anschaut - Herr Buscher vom IWH hat das in einer Verlautbarung auch noch einmal bestätigt -, dann sieht man, dass das zwar im Zusammenhang mit Hartz IV begonnen hat, dass zwischendurch aber viel passiert ist. Manche sagen, Schwarz-Gelb habe es verschlimmbessert. Die Hinzuverdienstgrenzen sind nämlich ausgeweitet worden.

Wir haben damit begonnen, dass man als Hartz-IVEmpfänger 100 € hinzuverdienen konnte, ohne dass es angerechnet wurde. Dann gab es eine Abstufung. Man konnte 400 € hinzuverdienen und davon 15 % behalten. Mittlerweile sind wir im Jahr 2011 bei einem Hinzuverdienst in Höhe von 1 000 € angekommen. Davon darf man 20 % behalten. Darüber hinaus gibt es eine Abstufung.