Protokoll der Sitzung vom 26.04.2013

Meine Damen und Herren! Betrachtet man nun die momentan auf Bundesebene geführte Debatte zur Kostenrechtsmodernisierung, fällt schon beim ersten Blick auf, dass Handlungsmaxime der Bundesregierung jedoch die folgenden Punkte sind:

Erstens. Mit den Änderungen im Beratungs- und Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilferecht sollen vermeintlich weit verbreitete - das ist jetzt ein Zitat - missbräuchliche Inanspruchnahmen verhindert werden.

Zweitens. Zum anderen soll auf die aus der Sicht der Bundesregierung seit den Jahren 2003 bis 2005 gestiegenen Aufwendungen für Prozesskostenhilfen reagiert werden. Im Klartext: Diese Aufwendungen sollen reduziert werden.

Schaut man nun auf die Internetseiten des Bundestages, kann man feststellen, dass sich auch unsere Justizministerin bereits kritisch zur geplanten Reform zu Wort gemeldet hat. So ist dort zu lesen, dass auch sie eine Modernisierung des Kostenrechts für dringend erforderlich erachtet, die von der Bundesregierung vorgeschlagene Neuregelung jedoch aus ihrer Sicht zu einer weiteren Verschlechterung des Kostendeckungsgrades in der Justiz, also im Landeshaushalt führen wird.

Zugleich forderte sie eine Steigerung der Gerichtsgebühren um 20 % des bisherigen Standes, um eine angemessene personelle Ausstattung zu gewährleisten. Sie äußerte: Wir haben ernsthaft Sorge, ob wir den Justizgewährleistungsanspruch auch weiterhin leisten können.

Mit Blick auf die von Ihnen gewollte Schuldenbremse kann ich diesen Einwand sogar verstehen. An der getätigten Aussage irritieren mich jedoch mehrere Aspekte.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Ministerin im Rahmen der Haushaltsdebatten bzw. im Rahmen der Diskussion um das Personalentwicklungskonzept den Einwand, dass der Justizgewährleistungsanspruch gefährdet sei, jemals vorgetragen hätte. Dass das so ist, mag korrekt sein. Doch allein mit dem Finger auf andere zu zeigen, reicht eben nicht aus. Man muss auch überlegen, welche Folgen die eigenen Handlungen haben.

Des Weiteren beunruhigt mich ein weitaus wesentlicherer Aspekt: Auch für unsere Justizministerin scheint vor allem das Geld im Vordergrund zu stehen und nicht etwa der bzw. die Rechtsuchende, also der verfassungsgemäße Anspruch auf Zugang zur Justiz. Ich erwarte jedoch von einer

Justizministerin, dass sie sich zuallererst vor die Interessen der Rechtsuchenden stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Diesen Lösungsansatz konnte ich bisher nicht erkennen, aber vielleicht wird die heutige Debatte etwas Licht ins Dunkel bringen. Denn aus meiner Sicht ist die Justizministerin nicht nur Dienstherrin, sondern vor allem und zuallererst Hüterin des Grundgesetzes bzw. unserer Landesverfassung.

Die gestrige Runde hat nunmehr ein bisschen Freiheit für den Landeshaushalt gebracht. Die Gerichtsgebühren sollen um 18 % erhöht werden und nicht, wie es der Gesetzentwurf vorsah, um 11 %.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle auch den Hinweis auf eine Antwort zu meiner Kleinen Anfrage zu einer möglichen gesetzlichen Gebührensteigerung bei Anwältinnen und Anwälten durch eine Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. Hierbei ging es aus der Sicht der Justizministerin ebenfalls ausschließlich um den Landeshaushalt. Sprich: Vergütungen sollten nicht erhöht werden, solange sie den Landeshaushalt belasten. Das ist aus meiner Sicht ein recht einseitiger Blick.

Meine Damen und Herren! Anwältinnen und Anwälte sind ebenfalls wichtige Bestandteile der Rechtspflege. Auch sie gewährleisten den Zugang der Menschen zum Rechtsstaat. Das sollten wir nicht vergessen. Wir sollten sie nicht allein als Kostenfaktor ansehen.

Uns allen muss dabei Folgendes klar sein: Findet an dieser Stelle keine Anpassung der Gebührensätze statt - die letzte Anpassung erfolgte im Jahr 1994; das ist mittlerweile fast 20 Jahre her; die Anwaltsvereine werden dieses Jubiläum im nächsten Jahr sicherlich feiern -, wird dies unweigerlich zu einer Erhöhung der Anzahl der Honorarvereinbarungen führen. Dies wird gerade in einem Land wie unserem auf den Schultern der Rechtsuchenden erfolgen.

Natürlich stellt auch meine Fraktion fest, dass die Ausgaben bei den Titeln Beratungshilfe sowie Prozess- und Verfahrenskostenhilfe im Haushaltsplan des Landes stetig steigen. Auch wenn dies nach dem Wechsel im Justizhaushalt zur Kosten- und Leistungsrechnung nicht mehr ganz genau nachvollzogen werden kann, kann man das erkennen. Auch wir wollen eine Ursachenforschung betreiben und wollen einer solcher nicht im Wege stehen.

Auch wir verschließen nicht die Augen davor, dass es Missbrauch geben kann. Aber aus unserer Sicht steht ganz klar fest, dass ein solcher Missbrauch zunächst nachgewiesen werden muss. Man sollte nicht von Vornherein davon ausgehen, dass ein Großteil der Rechtsuchenden Missbrauch begeht. Eine Behauptung ins Blaue hinein als einfache Erklärung für die steigenden Kosten ist mehr

als fahrlässig und stellt alle Hilfesuchenden unter einen Generalverdacht.

Wir möchten wissen, welche Probleme es an unseren Gerichten bei der Prüfung der entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen gibt. Denn, meine Damen und Herren, auch das Land trägt unmittelbar Verantwortung, der wir im Sinne der Rechtsuchenden gerecht werden müssen und der wir nicht mit dem Sparzwang im Nacken begegnen dürfen.

Dabei möchte ich namentlich auf die Antragstellen für Beratungshilfescheine an unseren Amtsgerichten verweisen. Nicht selten erleben Rechtsuchende hier, dass sie mit einem mündlichen Nein abgespeist werden. Konkret bedeutet das, dass für den jeweiligen Rechtsuchenden somit keine schriftliche Entscheidung über seinen Antrag ergangen ist. Er hat also nichts in der Hand, wogegen er sich auch mit Mitteln des Rechtsstaates wehren kann.

Doch seien wir ehrlich: Was würde ihm der Bescheid denn helfen? - Das Rechtsmittel einschließlich Begründung müsste er selbst anfertigen; denn dafür kann er sich keines Anwalts bedienen, da ihm genau dieses Geld fehlt. Das ist ein bemerkenswerter Kreislauf, der zumindest für eines sorgt: für Arbeitserleichterung bei den Gerichten.

Für uns von höchstem Interesse sind natürlich auch die unterschiedlichen Berechnungen vom Bund und vom Land, die seitens der Ministerin auch kritisiert wurden. Die Bundesregierung kommt durch die Reform des Kostenrechts zu Mehreinnahmen. Unser Justizministerium hat ein Defizit und zusätzlich einen Mehrbedarf beim Personal errechnet.

Die letzte Annahme teile ich ausdrücklich. Dies müssen wir dringend klären, da das gegebenenfalls auch Auswirkungen auf den kommenden Haushaltsplan bzw. auch auf das Personalentwicklungskonzept haben kann.

Am 13. März 2013 fand im Rechtsausschuss des Bundestages eine Anhörung zur Reform des Kostenrechts statt. Erlauben Sie mir, aus einigen Stellungnahmen zu zitieren.

Die Neue Richtervereinigung führte aus: Sie werden mit der vorgelegten Überarbeitung der Prozesskostenhilfe einen Kreis Bedürftiger, der an der Armutsgrenze lebt, aber möglicherweise noch nicht darunter, spürbar mehr belasten. Familien, die sich trennen, drohen zu verarmen, und die vorgesehene Verlängerung der Zahlungspflicht fördert demotivierende Dauerverschuldungen, statt sie abzuwenden. Einige der vorgesehenen Maßnahmen, um einem gemutmaßten Missbrauch entgegenzutreten, insbesondere die Befugnis, Auskünfte bei Arbeitgebern und Banken einzuholen, sind grob unverhältnismäßig.

Letzteres - so habe man sich gestern in der Runde der Berichterstatter gemeinsam mit dem BMJ geeinigt - soll wahrscheinlich nicht beschlossen werden. Das ist auch gut so.

Weitere Anzuhörende waren die Bundesrechtsanwaltskammer bzw. der Deutsche Anwaltsverein. Sie trugen vor: Einsparpotenziale dürfen nicht zulasten des rechtsuchenden bedürftigen Bürgers gehen. Ebenso wie bei der Definition der Mutwilligkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe fehlt es an klaren Kriterien, wann die Inanspruchnahme von Beratungshilfe mutwillig ist.

Schließlich ein Zitat des Deutschen Juristinnenbundes:

„Die beabsichtigte Reform wirkt sich auf die Rechte der beteiligten kostenarmen Menschen im Familienrecht besonders stark aus, vor allem für die bis heute schlechter verdienenden Frauen, hier insbesondere die alleinerziehenden Frauen … Außerdem trifft die geplante Änderung überproportional Anwältinnen in ihrem berechtigten Interesse an einer angemessenen Vergütung, weil sie besonders oft in Familiensachen tätig sind und häufig Frauen vertreten.“

Ich finde, dass das auch aus gleichstellungspolitischer Sicht wesentliche Fakten sind.

Zudem fordere ich die Landesregierung namens meiner Fraktion auf, sich auf der Bundesebene für den Justizgewährleistungsanspruch stark zu machen und hierbei nicht nachzulassen. Ich bedauere ausdrücklich, dass sie das bisher ausschließlich aus Kostengründen getan hat und dass das Rechtsstaatsprinzip unserer Verfassung leider nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Doch dies kann sich im Verlauf der Debatte noch ändern. Das heißt, wir können durchaus noch einen neuen Blickwinkel bekommen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau von Angern. - Für die Landesregierung spricht nun Ministerin Frau Professor Dr. Kolb. Bitte schön, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass wir zum Thema Justizgewährleistungsanspruch und darüber, was uns die Justiz in Sachsen-Anhalt wert ist, in diesem Hohen Haus diskutieren.

Frau von Angern, ich muss Ihnen widersprechen. Das, was gestern von den Berichterstattern im Hinblick auf die geplante Änderung der bundes

gesetzlichen Regelungen vereinbart worden ist, verschafft uns eben keine Freiheit im Landeshaushalt. Wir waren nach dem Regierungsentwurf davon ausgegangen, dass die Mehrkosten pro Jahr 8 Millionen € betragen.

Auch wenn die Gebühren nun etwas angehoben worden sind, führen die anderen Dinge, die wieder zurückgenommen wurden, dazu, dass wir quasi wieder bei der Ausgangslage angelangt sind, nämlich dass mit diesem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz Mehrkosten für den Landeshaushalt verbunden sind.

Es ging uns auch nie um Einsparpotenziale. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Wir haben uns das sehr oft im Ausschuss angeschaut, sowohl bei den Haushaltsberatungen als auch im Zusammenhang mit den Auslagen in Rechtssachen, wenn wir versucht haben herauszufinden, was die Ursache für die Kostenentwicklung in den letzten Jahren ist.

Diese Kostenentwicklung ist oftmals nicht vorauszuberechnen. Mal sind die Kosten explosionsartig angestiegen, mal gab es eine Stagnation; dann stiegen die Kosten wieder an, dann sanken sie wieder leicht. Das ist nicht planbar. Aber insgesamt haben wir eine Entwicklung, die zeigt, dass in Sachsen-Anhalt zunehmend mehr Bürger Prozesskosten- und Beratungshilfe in Anspruch nehmen.

Wenn man auf der anderen Seite sieht, dass die Verfahrenszahlen rückläufig sind, dann muss man sich genau anschauen, woher diese Kostensteigerungen rühren. Wieso wird in bestimmten Verfahren zunehmend Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen?

Wir haben das analysiert. Das betrifft nicht etwa die Verfahren vor den Sozialgerichten, bei denen in den letzten Jahren ein Anstieg zu verzeichnen ist. Darauf ist der Anstieg der Prozesskostenhilfe ausdrücklich nicht zurückzuführen. Vielmehr lässt es sich in der Tat auf die Familierechtsverfahren zurückführen. Wir haben festgestellt, dass 80 % aller Scheidungen in Sachsen-Anhalt unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durchgeführt werden.

Wenn man sich einmal die Einkommenssituation der Betroffenen anschaut, dann stellt man fest, dass die Einkommen nicht in dem Bereich liegen, der uns beiden, Frau von Angern, am Herzen liegt. Es geht uns nicht um diejenigen, die Sozialleistungen empfangen und nicht in der Lage sind, die Kosten für derartige Prozesse zu tragen. Vielmehr ist auch im Bereich des Mittelstandes eine zunehmende Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe zu verzeichnen.

Ein Ziel unserer Änderungsvorschläge, die wir in den Bundesrat eingebracht haben, zielt auf Folgendes ab: Wir sehen ein, dass es Situationen

gibt, in denen für eine bestimmte Zeit eine Bedürftigkeit vorhanden ist; das ändert sich aber oft, nachdem die Trennungssituation überwunden ist. Wir wollten die Möglichkeit erleichtern, diese Kosten über Ratenzahlungen zurückzufordern.

Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht über die geplanten Änderungen im Einzelnen referieren. Nach dem, was gestern vereinbart wurde, sind all die Dinge, die seitens der Länder vorgeschlagen wurden, aus dem Gesetzentwurf herausgenommen worden. Wir werden uns auf der Ebene der Länder damit auseinandersetzen müssen. Das heißt, hierzu wird es eine Debatte im Bundesrat geben. Wir werden uns natürlich auch im Kabinett darüber verständigen müssen, wie wir uns als Sachsen-Anhalt im Bundesrat zu diesem Gesetzentwurf verhalten.

Es ist kein Gesetzentwurf, der zustimmungspflichtig ist, aber wir hätten die Möglichkeit, über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu versuchen, das in den Gesetzentwurf aufzunehmen, was wir ursprünglich wollten.

Ich bin ausdrücklich offen für die Ursachensuche, die Sie angesprochen haben. Wir können uns das gern noch einmal anschauen. Es gab verschiedene Bund-Länder-Arbeitsgruppen, die nicht nur für Sachsen-Anhalt, sondern auch für andere Bundesländer versucht haben, die Ursachen herauszufinden. Wir können uns aktuell die Situation der Entwicklung in diesem Bereich noch einmal ansehen. Darüber berichte ich auch gern im Ausschuss.

Ich denke, spätestens zu den Haushaltsberatungen wird dieses Thema wieder hochaktuell sein. Ich werde dann natürlich auch im Vorfeld der Haushaltsberatungen Rede und Antwort stehen in Bezug auf die entsprechenden Ansätze in den jeweiligen Kapiteln. - Vielen Dank.

Vielen Dank, Frau Ministerin. - In der nun beginnenden Fünfminutendebatte spricht als Erster Herr Borgwardt für die CDU. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ende Januar dieses Jahres wurde im Bundestag der Gesetzentwurf zur Änderung der Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe in erster Lesung eingebracht. Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe bedeuten auch weiterhin Hilfe in der Not.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zugang zum Recht ist durch den Gleichheitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip und den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verfassungsrechtlich im Grundgesetz verankert. Dieser Maßstab ist für uns unabdingbar und steht auch nicht zur Disposi