Dieses Defizit in Höhe von 2,3 Milliarden €, das der zentrale Ausgangspunkt der Kabinettsvorlage ist, geht von acht Jahren wirtschaftlicher Stagnation und von acht Jahren gesellschaftlicher Stagnation in Sachsen-Anhalt aus. Dass das so ist, hat Herr Haseloff, wie ich finde, in seiner Rede eben hervorragend unter Beweis gestellt.
Das ist die Differenz zwischen uns. Wir gehen von einem Land aus, das sich wirtschaftlich, sozial und ökonomisch entwickeln kann.
Punkt 3. Wir kommen zu einer weiteren Aussage in dieser Kabinettsvorlage. Darin steht tatsächlich: Wir werden bis zum Jahr 2025 voraussichtlich
440 000 Menschen in diesem Land Sachsen-Anhalt verlieren. Woher diese Zahl kommt, weiß ich nicht; die Quelle bleibt im Dunkeln.
- Die fünfte regionalisierte Bevölkerungsprognose, Herr Schröder, sagt aus, dass wir vom heutigen Zeitpunkt bis zum Jahr 2025 320 000 Menschen verlieren, nicht 440 000 Menschen.
Es gibt inzwischen eine überarbeitete, neue Bevölkerungsprognose vom ISW - normalerweise eine der bevorzugten Quellen des Finanzministers, das muss man einmal sagen.
Das ISW sagt, dass wir bis zum Jahr 2025 lediglich 220 000 Menschen verlieren, wenn wir die richtigen politischen Weichenstellungen vornehmen.
Wir möchten die richtigen politischen Weichenstellungen vornehmen, damit wir möglichst wenig Bevölkerung verlieren. Wir möchten kein Worst-CaseSzenario, bei dem wir schon einmal Infrastruktur abwickeln in der Erwartung, dass die Leute sowieso abwandern. Wir wollen die Infrastruktur erhalten in der Erwartung, dass die Leute bei uns eine Perspektive finden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es gibt eine Reihe weiterer grundsätzlicher Differenzen zur Politik der Landesregierung. Das ist insbesondere das religiöse Glaubensbekenntnis zum Schuldenabbau. Es wird nicht mehr argumentiert, sondern es wird ein Glaubensbekenntnis erhoben. Wer sich dem religiösen Bekenntnis zum Schuldenabbau nicht unterordnet, mit dem wird nicht diskutiert, sondern der wird geächtet. Nun gut, das ist für uns keine neue Erkenntnis.
Es sei denn, man selbst hebt dieses Bekenntnis wieder auf. Das kann man natürlich ganz schnell tun; das haben wir gerade erlebt. Der Kollege Schäuble hat gesagt: Na ja, Flutkatastrophe - Neuverschuldung, ist klar, das geht natürlich.
Übrigens, Herr Haseloff: Gestern waren Sie nicht hier, da habe ich Sie einmal gelobt. Ich habe Sie dafür gelobt, dass Sie sich Gedanken über die Finanzierung dieser Dinge gemacht haben. Ich fand Ihren Vorschlag, den Solidaritätszuschlag um ei
nen Prozentpunkt zu erhöhen, durchaus mutig. Ich habe auch gesagt, ich finde den von dem niedersächsischen Finanzministerium deutlich besser, der besagt: Wir müssen die Körperschaftsteuer erhöhen.
Aber zumindest haben Sie einmal die Frage gestellt, wie das finanziert werden soll; denn es muss doch über Steuern finanziert werden.
Ich sage ausdrücklich: Wir sind sehr wohl der Meinung, dass man über diese Fragen diskutieren muss. Das finden wir vernünftig. Dass Sie dafür kurz vor der Bundestagswahl keinen großen Beifall bekommen haben, war zu erwarten, aber immerhin war es ein Anstoß.
Trotz alledem - das sagen wir mit ganz deutlichen Worten -: Wir können uns einmal ein paar ökonomische Zusammenhänge erzählen, die offenbar nicht mehr ausgesprochen werden dürfen. Einer dieser ökonomischen Zusammenhänge ist, dass die Pro-Kopf-Verschuldung bei einem gleichbleibenden Schuldenstand natürlich nicht real steigen wird. Sie wird bei dem Bevölkerungsverlust, den wir haben, nur nominal steigen. Jeder Ökonom weiß aber, dass die nominale Steigerung von Schulden keine Bedeutung hat. Bedeutung hat die reale Steigerung von Schulden.
Es gibt einen ganz einfachen Zusammenhang. Die Inflationsrate in der Bundesrepublik ist seit vielen Jahren höher als der Bevölkerungsverlust von Sachsen-Anhalt. Die Inflationsrate liegt zwischen 1,5 % und 2 %; der Bevölkerungsverlust liegt bei 1 %. Jetzt können wir zwei Zahlen vergleichen: 2 größer 1. Das bedeutet, wenn wir den Schuldenstand gleich lassen, dann sinkt er bezogen auf die reale Pro-Kopf-Verschuldung. Das ist ein sehr einfacher Zusammenhang. Aber leider erreicht er nicht mehr die Köpfe der Regierungsmitglieder. Deswegen habe ich ihn noch einmal erklärt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Nächste: Wir haben kein Einnahmenproblem, wir müssen nur Ausgabenkürzungen realisieren. Wir haben kein Einnahmenproblem.
Ich sage ausdrücklich - ich habe schon beim letzten Mal etwas dazu gesagt -: Wenn wir wirklich der Meinung sind, dass nicht die Einnahmen unser Problem sind, sondern nur die Ausgaben, dann müssen wir aber ehrlich sein. Dann darf der Kultusminister nicht so tun, als würde es ihm leidtun, die Landesbühne in Eisleben zu schließen. Dann dürfen wir nicht so tun, als wäre es schade, dass
wir das Blindengeld reduzieren. Dann dürfen wir nicht so tun, als würden wir den Hochschulen das Geld unter Schmerzen wegnehmen. Nein, dann müssen wir sagen: Die Einnahmen, die wir haben, reichen völlig aus; es ist ökonomisch vernünftig und sinnvoll, die Ausgaben in diesem Bereich zu senken.
Diesbezüglich haben wir eine deutliche Differenz. Wir haben ein Einnahmenproblem. Wir können strukturelle Veränderungen bei den Ausgaben realisieren. Wir halten es aber für den falschen politischen Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu akzeptieren, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland und in Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren eine Unterfinanzierung bekommen werden, und diese einfach im Verhältnis 1 : 1 umzusetzen.
Natürlich kann man diese Argumentation, wir hätten kein Einnahmenproblem, sondern nur ein Ausgabenproblem, immer mit dem Durchschnitt begründen. Dazu haben wir inzwischen kiloweise Material bekommen. Trotz alledem sage ich: Nein, dieser Durchschnitt, vor allen Dingen in den Flächenländern West, ist nicht unser Maßstab für die öffentliche Daseinsvorsorge. Ich möchte nicht das sehr schlechte Lehrer-Schüler-Verhältnis aus Niedersachsen auf Sachsen-Anhalt übertragen.
Wir wissen bereits, dass diese Situation in Niedersachsen dazu führt, dass die Ergebnisse dort zumindest im Grundschulbereich deutlich schlechter sind als in Sachsen-Anhalt. Das kann nicht das Ziel sein. Es muss das Ziel sein, die öffentliche Finanzierung so zu realisieren, dass sich die Niedersachsen auch die guten sachsen-anhaltischen Verhältnisse leisten können, nicht aber, dass wir uns an den Schlechtesten anpassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte auch nicht, dass wir uns bei den Ausgaben für die Hochschulen an Schleswig-Holstein orientieren, die es - wie übrigens auch Bayern und Baden-Württemberg - seit Jahrzehnten schaffen, ihre Absolventen woanders ausbilden zu lassen, um sie danach wieder zurückzuholen. Das kann nicht das Vorbild für das Land Sachsen-Anhalt sein, andere die Studenten ausbilden zu lassen und sie danach wiederzubekommen. Deswegen ist diese Orientierung am Durchschnitt falsch.
Kommen wir zum nächsten Argument: Wer sich dem Glaubensbekenntnis des Schuldenvermeidens nicht unterwirft, der führt uns in griechische Verhältnisse.
Das ist eine Argumentation, Herr Haseloff, die Sie schon öfter vorgebracht haben. Dazu sage ich: Nein, wir wollen keine griechischen Verhältnisse.
- Aber glauben Sie denn wirklich, dass die griechischen Verhältnisse deswegen eingetreten sind, weil Griechenland zu viel an Bildung, an Forschung und an öffentlicher Daseinsvorsorge hatte? - Nein. Die griechischen Verhältnisse haben eine andere Ursache.
Griechenland war bis zum Jahr 2010 das Land in der OECD mit der niedrigsten Steuerquote, mit den niedrigsten staatlichen Steuereinnahmen. Griechenland hat sich die Basis für die öffentliche Daseinsvorsorge per Steuern nicht geschaffen. Das hatte einen Grund: Es gibt in Griechenland etwa 1 000 reiche Familien. Diese konzentrieren im Wesentlichen den Reichtum auf sich. Und sie haben folgenden glücklichen Umstand: Sie zahlen faktisch gar keine Steuern. Das hat zwei Gründe:
Erstens. Als die Luft dünn wurde, konnten sie ihr Geld ganz schnell in das Ausland transferieren, unter anderem in das EU-Ausland. Dagegen hatte Herr Schäuble überhaupt nichts, aber gegen die Mindestlöhne in Griechenland hat er etwas gehabt.
Zweitens. Die reichen Familien hatten, wenn sie wirklich einmal von den Steuergesetzlichkeiten in irgendeiner Art und Weise getroffen worden sind, immer noch den schönen Fakt: Sie haben jahrzehntelang unter Nea Dimokratia und Pasok ihre Parteifreunde in die entsprechenden Funktionen eingesetzt, und diese haben dafür gesorgt, dass die Reichen nie und nimmer steuerlich belastet werden.
Das sind die Ursachen für die griechischen Verhältnisse - und dass die deutsche Exportindustrie so extrem erfolgreich war. Warum war sie extrem erfolgreich? - Weil die Produktivität in Deutschland seit 15 Jahren nach oben geht und die Löhne nach unten gehen. Ja, damit kann ich die Leute herunterkonkurrieren. Das ist das Problem von Griechenland, Spanien und Portugal.
Deswegen sagen wir: Nein, wir wollen keine griechischen Verhältnisse. Aber wir wollen griechische Verhältnisse durch eine gerechte Steuer- und Lohnpolitik vermeiden und nicht durch den Abbau bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Kultur.
Zu dem nächsten Argument, dem Argument, wir würden über unsere Verhältnisse leben. Nein - man sollte sich die Argumente aus den Kabinettsvorlagen und aus dem Deubel-Gutachten ruhig einmal ordentlich anschauen -, die Ausgaben pro Kindertagesstättenplatz in Sachsen-Anhalt liegen deutlich unter dem Durchschnitt der Bundesrepublik. Die Ausgaben pro Student in SachsenAnhalt liegen unter dem Durchschnitt. Das ist übrigens ausargumentiert.
(Minister Herr Bullerjahn: Weil wir mehr Kin- der haben als alle anderen! Mach es dir doch nicht so einfach, Wulf!)