Protokoll der Sitzung vom 30.01.2014

Genau das sind aus meiner Sicht die Schnittstellen, über die wir noch einmal sprechen müssen. Deswegen lehnen wir den Antrag nicht ab, sondern enthalten uns der Stimme. Wir denken, Sie machen eine interessante Debatte auf, die wir in der Tat an einer anderen Stelle führen sollten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Weitere Anfragen liegen nicht vor. Wir fahren in der Debatte fort. Für die SPD-Fraktion spricht deren Vorsitzende Frau Abgeordnete Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dalbert, das ist so mit Koalitionen: Die großen Schritte im Bund als Koalitionspartner sind so wie die großen Schritte in Hessen als grüner Regierungspartner.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: So ist das!)

Das ist halt so in Koalitionen. Deshalb will ich einige Sätze klar sagen. Ich hoffe, dass sich das schwarz-rote Krokodil nicht an der Aufgabe verschluckt, zumindest diesen Teil der Änderung des Grundgesetzes gemeinsam durchzubringen. Das wurde in den Koalitionsgesprächen angeboten. Ehrlicherweise muss man sagen, dass die SPD gesagt hat, alles oder gar nichts. Deshalb wurde das auch nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen.

Wenn man aber bestimmte Dinge wie die Grundfinanzierung für die Hochschulen, die in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, in Angriff nehmen will, dann muss man möglicherweise als SPD zumindest für diese Legislaturperiode im Bund einen Schritt zur Seite treten und sagen:

Gut, wir wissen, dass wir den Bereich Bildung, obwohl es notwendig wäre, nicht über die Aufhebung des Kooperationsverbots und über die Änderung des Grundgesetzes geregelt bekommen. Es wird bei der Grundgesetzänderung keinen großen Schritt geben. Dennoch nehmen wir das Angebot ernst, das seitens der CDU und CSU zum Thema der Grundfinanzierung der Hochschulen gemacht wurde, weil wir wissen, wir können das nur nachhaltig, verlässlich und strukturell auch ordentlich für uns durchführen, wenn eine Änderung des Artikels 91b des Grundgesetzes erfolgt.

Deshalb haben wir unseren Antrag auf diesen Aspekt konzentriert. Deshalb werden wir - das hat Frau Dr. Pähle bereits ausgeführt - die anderen Anträge nicht annehmen können und den Antrag

auch nicht erweitern können, obwohl viele Dinge nach wie vor offen sind, wie beispielsweise die Themen Bafög, Schulsozialarbeit, Finanzierung von Ganztagsschulen und Deutschlandstipendium, das auch wir nicht für ideal halten. Herr Lange, auch ich würde allerdings nicht nur eine Breitenförderung fordern. Vielmehr würde ich explizit beides fordern, nämlich Breitenförderung und Elitenförderung. Wir brauchen in Deutschland beides, auch eine vernünftige Breitenförderung. Dem wird das Deutschlandstipendium nicht gerecht. An dieser Stelle muss sich etwas verändern.

In diesem Punkt sind wir aber zu keinem Konsens gelangt. Das wird das schwarz-rote Krokodil im Bund leider nicht ausspucken. Wir möchten aber insbesondere vor dem Hintergrund der Debatte, die wir in den nächsten Jähren über die Finanzierung unserer Hochschulen und unserer Hochschulstruktur zu führen haben, die Aspekte aufgreifen und auch beschleunigen, von denen wir wissen, dass es dazu eine Gesprächsbereitschaft gibt.

Deshalb lehnen wir die anderen Anträge ab. Wir werden an dem Antrag der Koalitionsfraktionen festhalten, wohl wissend, dass über viele darin enthaltene Themen weiterhin diskutiert werden muss. Wir wissen aber auch, dass viele Aspekte unseres Antrages in der jetzigen großen Koalition in Berlin nicht den Widerhall finden werden, den sie hoffentlich bei uns in Sachsen-Anhalt finden werden.

Wir als Sozialdemokraten - ich nehme an, die CDU macht das auch - werden uns auch über die ostdeutschen Länder hinweg darüber abstimmen, wie wir uns eine solche Änderung des Grundgesetzes vorstellen, und zwar im Interesse der ostdeutschen Hochschulstandorte; denn wir wissen, dass es einige Besonderheiten im Bereich der Grundfinanzierung gibt. Dieses Problem stellt sich zwar auch in den westdeutschen Bundesländern, tritt aber aufgrund der Finanzsituation in den ostdeutschen Ländern verstärkt auf.

Deshalb können wir Ihren Anträgen auch aus inhaltlichen Gründen nicht zustimmen. Wir wissen, dass wir das gegenwärtig nicht umsetzen können. Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir das, was machbar ist, gemeinsam angehen, nämlich die Änderung von Artikel 91b des Grundgesetzes. Die Regierung sollte beauftragt werden, diesen einen Schritt, der bereits sehr viel bringt, zu befördern und gemeinsam zu gehen.

Das ist die Grundlage unseres Antrages. Wir wissen, dass viele Wünsche und viele Notwendigkeiten nicht in den Koalitionsvertrag auf der Bundesebene aufgenommen worden sind. Aber das ließ sich trotz der vielen Debatten nicht ändern. Deshalb plädieren wir dafür, das Machbare zu machen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke schön. - Weitere Wortmeldungen gibt es nicht. Wir können die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt schließen und in das Abstimmungsverfahren eintreten. Eine Überweisung eine der vorliegenden Drucksachen wurde nicht beantragt.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag in Drs. 6/2730 abstimmen. Danach stimmen wir über den Änderungsantrag in Drs. 6/2735 ab. Anschließend erfolgt die Abstimmung über den veränderten oder unveränderten Ursprungsantrag in Drs. 6/2718.

Wer dem Änderungsantrag in Drs. 6/2730 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Niemand. Damit hat der Änderungsantrag nicht die erforderliche Stimmenmehrheit erhalten.

Wir stimmen nun über den Änderungsantrag in Drs. 6/2735 ab. Wer möchte diesem zustimmen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt gegen den Änderungsantrag? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit hat der Änderungsantrag nicht die erforderliche Mehrheit erhalten.

Nunmehr stimmen wir über den Ursprungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in Drs. 6/2718 ab. Wer stimmt dem Antrag zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? - Der Abgeordnete Herr Rothe. Wer enthält sich der Stimme? - Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit hat der Antrag die erforderliche Mehrheit der Stimmen erhalten. Wir schließen den Tagesordnungspunkt 2 ab.

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Angst, ich predige nicht.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Beratung

Freizügigkeit und Integration in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2708

Änderungsantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/2732

Als Einbringer des Antrages erhält Herr Striegel das Wort. Herr Striegel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zum Jahreswechsel von Politikerinnen und Politikern aus CSU und CDU losgetretene Kampagne gegen - in ihren Unworten - „Armutszuwanderung“ und „Sozialtourismus“ zeigen zwei Dinge sehr deutlich auf:

Erstens. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antiziganismus und Nationalismus sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Stereotype über vermeintlich Fremde, Vorurteile und Klischees bestimmen politische Debatten. Sie können abgerufen und mobilisiert werden. Die Leserbriefspalten der Zeitungen, die Kommentare in sozialen Netzwerken oder unter Online-Artikeln zeugen auf hässliche Weise davon. Gerade wenn es gegen Gruppen wie die Sinti und Roma geht, die als sogenannte Zigeuner über Jahrhunderte verfolgt und verächtlich gemacht wurden und werden.

Zweitens. Es gibt mitten im 21. Jahrhundert Politiker von vorgestern, die sich nicht zu schade sind, diese rassistischen, antiziganistischen und nationalistischen Klischees zu bedienen und diese zur Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern sowie als Anstachelung zum Hass gegen Fremde zu gebrauchen.

Mich beschämt dieses Treiben. Mich beschämt, wie in diesem Land von Teilen des politischen Establishments mit Menschen umgegangen wird und wie europäische Werte mit Füßen getreten werden. Menschwürde und die europäische Einigung sind zu wichtig, um sie derart zu behandeln.

(Beifall bei den Grünen - Zustimmung bei der LINKEN)

Ich bin dem Innenminister Holger Stahlknecht - er ist gerade nicht im Raum - dankbar dafür, dass er für die von seinen Parteifreunden angestoßene Debatte deutliche Worte gefunden hat. Es ist in der Tat falsch, ein Klima der Feindseligkeit zu schaffen. Sachsen-Anhalt, so der Innenminister, freue sich über jeden Ausländer, der sich integrieren, hier arbeiten und Deutsch lernen wolle. Das stimmt.

Ich ergänze: Wir freuen uns nicht nur, wir brauchen Zuwanderung in unser Land. Angesichts des demografischen Wandels, über den wir heute Nachmittag noch debattieren wollen, angesichts von Überalterung und Fachkräftemangel, braucht dieses Bundesland Menschen, die hier ihre Lebenschancen verwirklichen und die gemeinsam mit den hier schon Wohnenden dieses Land gestalten wollen.

Statt unsere Türen und Herzen vor Not leidenden Menschen oder solchen zu verschließen, die auf der Suche nach wirtschaftlichen oder beruflichen Chancen nach Sachsen-Anhalt oder in die Bun

desrepublik Deutschland kommen wollen, müssen wir unser Land fit für Zuwanderungen machen; denn Sachsen-Anhalt schrumpft im Bundesvergleich stärker als alle anderen Bundesländer. Jedes Jahr nimmt unsere Bevölkerung um einen knappten Prozentpunkt ab.

Sachsen-Anhalt ist das Bundesland mit dem geringsten Migrationsanteil. Nur jeder 50. Mensch im Land hat hierzulande nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Und 85 % der Zuwanderer, die nach Sachsen-Anhalt kommen, sind nach fünf Jahren wieder weg. Hier, im für Zuwanderung unattraktiven Sachsen-Anhalt, liegt unser eigentliches Problem und nicht in einer herbeifantasierten Armutsmigration.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Sachsen-Anhalt und die Bundesrepublik Deutschland profitieren von Zuwanderung. Wir profitieren massiv von der europäischen Einigung und auch der damit einhergehenden Freizügigkeit. Freizügigkeit für alle und der damit einhergehende notwendige Zugang auch zu Sozialleistungen gefährden das Projekt der europäischen Einigung nicht. Sie sind dessen Bedingung.

Dass diese Freizügigkeit nicht zum Nulltarif zu haben ist und in einigen wenigen Kommunen, alle außerhalb Sachsen-Anhalts, dazu geführt hat, dass es punktuell zu Schwierigkeiten kam, will ich weder verleugnen noch herunterreden. Die betreffenden Kommunen brauchen Unterstützung, damit auch dort das Zusammenleben der unterschiedlichsten Menschen gelingen kann, soziale Ungleichheit verringert und gesellschaftliche Integration, hier besonders von Angehörigen der Volksgruppe der Sinti und Roma, befördert werden kann. Dort, wo engagierte Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker und gut arbeitende Verwaltung zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren tätig sind, gelingt das bereits heute.

Die Debatte über Zuwanderung in diese Städte braucht jedoch auch die Anerkennung, dass Sinti und Roma in ihren Herkunftsländern und auch hierzulande Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind. Wir müssen anerkennen, dass unter ihnen häufig eine weitgreifende Perspektivlosigkeit herrscht und entsprechend der Weg ins europäische Ausland als vielversprechende Möglichkeit gesehen wird, sich und den eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Dieser Wunsch ist verständlich und nachvollziehbar.

Ein so überaus reiches Land, wie es die Bundesrepublik Deutschland ist, muss und kann damit leben, dass Menschen schlichtweg auch hierher kommen, weil sie sich bessere Chancen zum Leben und Arbeiten erhoffen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie uns in Sachen Zuwanderung vor allem einen Blick auf

die Fakten werfen. In diesem Fall wird schnell klar, dass eine Armutszuwanderung in einem nennenswerten Umfang in den vergangenen Jahren nach Deutschland nicht stattgefunden hat - von Sachsen-Anhalt ganz zu schweigen.

Nach Angaben des Landkreistages sind im Jahr 2012 knapp 75 000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland gekommen. Im Jahr 2011 waren es rund 60 000, wobei in beiden Fällen - auch das ist wichtig zu sagen - unklar bleibt, wie viele davon im betreffenden Jahr oder später wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind. Studien gehen hierbei von einer relativ hohen Fluktuation aus.

Diejenigen, die als Migranten aus EU-Ländern zu uns kommen, sind häufig hochqualifiziert. Unter ihnen befinden sich prozentual mehr Hochschulabsolventen als unter den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern. Knapp 25 % der erwachsenen Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien besitzen einen akademischen Abschluss, unter den Zuwanderern aus der EU insgesamt sind es 29 %, innerhalb der Gesamtbevölkerung bei uns aber nur 19 %.

An diesen Zahlen sehen Sie: Das Problem ist gar nicht bei uns anzutreffen, sondern das Problem entsteht vielmehr für die Herkunftsländer; denn dort ziehen wir den akademischen Nachwuchs und damit die gesellschaftlichen Eliten ab, indem wir hier attraktive Bedingungen bieten.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Schauen wir auf die Sozialversicherung. Unter allen im Ausland geborenen Personen ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland zwischen 2005 und 2011 von 37 auf 42 % gestiegen. Unter den in Rumänen und Bulgarien Geborenen beträgt dieser Anteil aktuell 39 %. Damit liegen sie deutlich vor den 35,5 % sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Deutschland geboren wurden.

Ich sage, Migrantinnen und Migranten müssen sich in Sachen Arbeitsmarkt nicht verstecken. Sie finanzieren solidarisch die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit. Ohne ihre Beiträge würde das System schnell an seine Grenzen stoßen.