Der zweite Knackpunkt ist das Investor-Staat-Klageverfahren. Ausländischen Investoren werden damit weitgehende Schutzrechte zugesichert, die vor ungerechtfertigter Behandlung, Diskriminierung, Einschränkung des Kapitalverkehrs sowie direkter oder indirekter Enteignung schützen sollen.
Ursprünglich war das für Staaten mit mangelhafter Gerichtsbarkeit eingeführt worden. Aber diese Schiedsverfahren haben in den letzten Jahren vor allem gezeigt, dass hier außerhalb jeglicher Mitsprache Vereinbarungen getroffen wurden, um Staaten zu belasten. Denn nur die Investoren können gegen den Staat klagen, aber umgekehrt funktioniert das nicht.
Bis Ende 2012 gab es weltweit 514 solcher Verfahren. In rund 30 % der Fälle gewinnen die Kläger, in 30 % aller Fälle wird ein Vergleich abgeschlossen und in 40 % der Fälle gewinnt der beklagte Staat. Das klingt gut. Aber wenn man eins und eins zusammenrechnet, heißt das, dass in 60 % der Fälle der Staat auf der Verliererstraße ist und die Steuerzahler die Investoren mit ihren Steuermitteln bezahlen müssen.
In Deutschland wird geklagt: Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg oder gegen zu hohe Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk in HamburgMoorburg. Nach unserer Auffassung würde der geplante Investitionsschutz den demokratischen Rechtsstaat untergraben, da er Unternehmen die Möglichkeit bietet, über private Schiedsgerichte nationale Gesetze und Gerichte zu umgehen.
Nun hat der Bundesrat der Bundesregierung mehrheitlich empfohlen, in Gesprächen mit Brüssel darauf hinzuwirken, dass diese Vereinbarungen aus dem Verhandlungspapier gestrichen werden. Das sieht EU-Handelskommissar De Gucht jedoch anders.
Zwar soll klargestellt werden, dass Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzauflagen keine Benachteiligung ausländischer Konzerne oder indirekte Enteignungen darstellen. Aber darauf verzichten will Herr De Gucht dennoch nicht, da nach seiner Auffassung die nationalen Gerichte in den USA ausländischen Investoren oft keinen ausreichenden Schutz bieten. - Deshalb wäre es doch wesentlich zielführender, zuerst über Rechtsstaatlichkeit in den USA zu verhandeln und dann über die Dinge, die danach kommen sollen.
Auf zwei Zielgruppen in den Verhandlungen möchte ich noch mal besonders hinweisen. Das ist einmal der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Hierzu finden wir gerade in den Statements aus der kommunalen Familie sehr viele Hinweise auf Gefahren, die mit der weiteren Liberalisierung von Dienstleistungen wie der Wasserversorgung, der Bildung und der Gesundheit einhergehen. Zahlreiche Belege zeigen, dass die profitorientierte Vermarktung dieser Dienstleistungen eben nicht mit Preissenkungen, sondern oftmals mit Preissteigerungen verbunden war, dass es Qualitätsverluste oder auch die Auszehrung der kommunalen Infrastruktur gab.
Die zweite Zielgruppe ist unser einheimischer Mittelstand, der zu 95 % unsere Wirtschaft prägt. Da ist die Frage zu stellen, was er eigentlich von diesem Freihandel hat. Ich bin auf die Ausführungen des zuständigen Ministers dazu sehr gespannt. Schließlich sind nicht alle Firmen in Sachsen-Anhalt Zulieferer von Automobilkonzernen, Pharma- oder Chemieunternehmen.
Unsere Wirtschaft würde im eigenen Heimatmarkt in direkter Konkurrenz zu exportstarken Unternehmen mit niedrigen Sozialstandards und damit mit niedrigerer Kostenstruktur stehen, ohne mit diesen am amerikanischen Markt konkurrieren zu können. Es gefährdet doch die Wirtschaftsentwicklung, wenn nicht alle Wettbewerber auf dem lokalen Markt auch den lokalen günstigen Standards unterworfen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wachstums- und Arbeitsplatzeffekte sind beim TTIP, wie es in der Fachsprache heißt, marginale Effekte, obwohl gerade diese für die Begründung herhalten müssen. Also muss es doch andere Prinzipien geben, deren Vereinbarung wesentlich wichtiger ist als diese einleuchtenden Argumente, die immer wieder als Totschlagargument gegen kritisches Denken vor sich hergetragen werden.
Wieso soll die Hauptfrage, wie wollen wir künftig leben, was wollen wir künftig konsumieren und unter welchen Bedingungen sollen unsere Produkte hergestellt werden, durch das TTIP nur noch auf die Definition marktfähiger Produkte und Dienstleistungen reduziert werden? Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden für uns das TTIP und die dazugehörigen Verhandlungen eines der zentralen Themen für die Europawahl am 25. Mai dieses Jahres sein.
Man kann allen Abgeordneten, die dafür kandidieren, die Frage stellen: Wie stehst du dazu? Wie wirst du dich dazu einbringen? Denn das Europäische Parlament hat nur die Möglichkeit, entweder Ja oder Ja zu einem ausverhandelten Abkommen zu sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere politische Forderung lautet deshalb, über den Freihandel alternativ zu verhandeln als ein globales
Konzept, bei dem es nicht viele Verlierer, sondern vor allem Gewinner gibt. Wir wollen eben weltweit Lohn-, Sozial- und Umweltdumping verhindern. Wir wollen hohe Qualitätsstandards für Konsumgüter und Dienstleistungen in den USA und in der Europäischen Union. Wir wollen Unternehmen für Verstöße gegen diese Standards auch weiterhin zur Rechenschaft ziehen können.
Deshalb sollte unsere Forderung nach einem Stopp der Geheimgespräche und nach einer Vereinbarung anderer Handlungsmandate verständlich sein. Ich hoffe, dass Sie deshalb unserem Antrag mit breiter Mehrheit zustimmen können. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Thiel, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Möllring. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Grundziel der transatlantischen Freihandelsabkommen ist es, durch die Schaffung einer Freihandelszone zwischen den USA und der Europäischen Union Arbeitsplätze garantieren, zu generieren und Wirtschaftswachstum zu fördern. Dieses Ziel soll durch den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen sowie durch die Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung schutzwürdiger Standards verwirklicht werden.
Die Verhandlungen über die sogenannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft - abgekürzt TTIP - werden aufseiten der EU von der Europäischen Kommission geführt. Die Grundlage dieser Verhandlungen ist ein vom Rat erteiltes Verhandlungsmandat.
Während der gesamten Verhandlungen hält die EU-Kommission die EU-Mitgliedsstaaten im Rat und das Europäische Parlament über die Entwicklung auf dem Laufenden. Vorgestern wurden die Leiter der Landesvertretungen in Brüssel informiert.
Die EU-Kommission und die Bundesregierung haben zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um Wirtschaftsverbände, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Vertreter anderer gesellschaftlicher Interessengruppen vor und während der Verhandlungen über das geplante Abkommen zu informieren, Einschätzungen zu erhalten und Positionen zu erfragen. Gestern ist auch eine entsprechende Internet-Seite eingerichtet worden.
So hat die EU-Kommission bereits im Vorfeld der Verhandlungen mehrere Konsultationen durchgeführt. Auch vor, während und nach jeder Verhand
lungsrunde organisiert sie Anhörungen sowie Informationsveranstaltungen und veröffentlicht entsprechende Positionspapiere.
Allerdings vertritt die Bundesregierung auch die Position, dass die Verhandlungen auf der Basis von vertraulichen Unterlagen vertraulich geführt werden müssen; denn wenn die europäischen Verhandlungsstrategien und Rückfallpositionen vorab veröffentlicht werden würden, dann wären sie wertlos. Es macht jeder so, dass er bei Verhandlungen nicht gleich seine Grenzlinie aufschreibt.
Meine Damen und Herren! In mehreren Entschließungen wurde die Bundesregierung vom Bundesrat aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die Bundesländerinteressen insbesondere dann, wenn Länderkompetenzen tangiert werden, in den Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen hinreichend berücksichtigt werden.
In einer weiteren Entschließung forderte der Bundesrat die Bundesregierung zudem auf, dafür zu sorgen, dass auch die Bundesländer über die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen umfassend und kontinuierlich informiert werden. Diese Forderung wird auch durch den vorliegenden Alternativantrag unterstützt. Das Gleiche findet übrigens in den USA statt. Die Mitgliedstaaten der USA verlangen das natürlich entsprechend auch. Inzwischen kommt die Bundesregierung diesem Ansinnen nach.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie wird auf der nächsten Wirtschaftsministerkonferenz über den aktuellen Stand des Freihandelsabkommens berichten. Anfang April findet darüber hinaus im Bundeswirtschaftsministerium ein Gespräch zum aktuellen Verhandlungsstand mit den Landwirtschaftsministerien statt.
Bisher haben vier Verhandlungsrunden zwischen der EU und den USA stattgefunden. Die letzte Verhandlungsrunde fand vor zwei Wochen in Brüssel statt, also vom 10. bis 14. März 2014. Die nächste Verhandlungsrunde sowie eine Bestandsaufnahme sind vor der Sommerpause 2014 vorgesehen. Der weitere Zeitplan hängt natürlich von den kommenden Verhandlungen ab.
In Bezug auf die Verhandlungspraxis können wir durchaus von Fortschritten sprechen. Das ist mit Blick auf die Krim-Krise auch nicht verwunderlich. Unabhängig davon bewegt sich die EU-Kommission inzwischen auf die Kritiker des Freihandelsabkommens zu. So will sie, um nur ein Beispiel zu nennen, den umstrittenen Investorenschutz eng begrenzen und vor allem auch transparenter gestalten. Auch die vielen Sorgen in Sachen Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz, die Sie gerade angesprochen haben, sollen berücksichtigt werden.
„Über Standards und Regulierungen spricht die EU mit den USA allerdings nur unter einer strikten Bedingung: dass wir unsere in Europa erreichten Schutzmechanismen nicht aufgeben oder verwässern. Das gilt für Gesundheit und Umwelt genauso wie für den Verbraucherschutz; so ist beispielsweise Hormonfleisch in der EU nicht zugelassen, und daran wird sich auch mit dem geplanten Handelsabkommen nichts ändern. Rechtsangleichungen und gegenseitige Anerkennung werden nur dann möglich sein, wenn auch eine echte Übereinstimmung in den erforderlichen Sicherheits- und Umweltstandards garantiert ist.“
Das ist natürlich selbstverständlich; denn wir können zum Beispiel im Agrarbereich die Verbreitung nicht kennzeichnungskonformer Produkte oder die Behandlung mit umwelt- und gesundheitsgefährdenden Stoffen usw. durch dieses Handelsabkommen nicht akzeptieren. Das ist selbstverständlich. Darauf muss auch geachtet werden. Die EU hat das zugesagt. Ich hoffe, dass die Zusagen auch eingehalten werden; ansonsten könnte man dem nicht zustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Minister Möllring, welches Landesinteresse hat Sachsen-Anhalt denn an dem Freihandelsabkommen? Zweite Frage: Sind Ihnen Produkte bekannt, die Sachsen-Anhalt gern aufgrund des Freihandelsabkommens in die USA liefern würde?
Zur ersten Frage. Die USA sind nach China das zweitwichtigste Exportland, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Auf Drängen der Bundesländer hat die EU-Kommission gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen entsprechende Verabredungen getroffen.
Es kann für uns nur gut sein, wenn wir weniger Restriktionen haben, weil gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die in Sachsen-Anhalt vorherrschend sind und die sich eben nicht mit großer Bürokratie befassen wollen, besser in die USA exportieren können.
Herr Minister, im Juni des vorigen Jahres wurden im Bundesrat zwei Resolutionen zum TTIP verabschiedet. Das betrifft zum einen die allgemeinen Standards, die man auf Antrag einiger Länder setzen wollte. Die zweite Entschließung bezog auf das Herauslassen des audiovisuellen und kulturellen Bereichs.
Der zuletzt genannten Entschließung haben Sie als Regierung zugestimmt. Meine Frage lautet: Warum haben Sie sich der Stimme enthalten, als es darum ging, dafür zu sorgen oder der Bundesregierung mit auf den Weg zu gehen, dass hohe Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz einzuhalten sind? Warum haben Sie sich an dieser Stelle der Stimme enthalten?
Das weiß ich nicht. Ich kenne das Abstimmungsverhalten der Landesregierung Mitte des letzten Jahres im Bundesrat nicht. Da ich nicht weiß, wie sie damals abgestimmt hat, kenne ich auch die Motive nicht. - Das tut mir wirklich Leid.
Vielen Dank. - Dann treten wir jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Zuerst spricht für die SPD-Fraktion Herr Tögel. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, Herr Dr. Thiel, dass Sie die Initiative für diese Debatte heute hier ergriffen haben. Wir hatten auch mit dem Gedanken gespielt, das Thema in Form eines Antrages auf die Tagesordnung zu setzen, haben es aber erst einmal zurückgestellt, weil als wichtiges EU-Thema die Regierungserklärung von Minister Robra vorgestern auf der Tagesordnung stand. Insofern bestand das Interesse, diese Debatte zu führen, auch auf unserer Seite.
Allerdings ist dies eine Debatte, die nicht auf wesentliche Kompetenzen des Landtages abstellt. Handelsfragen obliegen der alleinigen Zuständigkeit der EU, also der EU-Kommission und, was ich sehr gut finde, des Europäischen Parlaments. Wir haben auch im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung über die Demokratisierung und über die verstärkten Aufgaben, die das EP hat,
Wir haben den Alternativantrag auch deshalb vorgelegt, weil wir Handels- und auch Freihandelsabkommen nicht per se als schädlich oder als nicht nützlich bezeichnen wollen. Wir sehen durchaus eine Chance, bestehende Handelshemmnisse zu verändern. Deswegen haben wir das in Punkt 1 unseres Alternativantrages aufgenommen.