Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich gehöre - das dürfte bekannt sein - keineswegs zu denjenigen, die die Idee der Inklusion auf eine Ressourcenfrage beschränken, nach dem Motto: Erst die Ressourcen sicherstellen und dann können wir inklusive Bildung organisieren. Ich denke, das ist es nicht. Ich wiederhole meinen schon sehr oft formulierten Satz: Inklusion ist in erster Linie eine Frage der inneren Haltung, meine Damen und Herren.
- Richtig. - Begegne ich Kindern und Jugendlichen gleich welcher Herkunft mit Wertschätzung? Wie gehe ich selbstkritisch mit den eigenen Vorurteilen um? Denn ein vorurteilsfreies Leben ist ebenso wenig im Angebot wie eine vorurteilsfreie Erziehung. Es geht um eine kritische Selbstreflexion.
Aber ohne die nötigen Ressourcen ist wiederum Gefahr im Verzug. Das erleben die Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker aller Fraktionen, wenn sie in Diskussionen und in Streit mit Lehrerinnen und Lehrern geraten. Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich überfordert. Eltern fürchten um das Angenommenwerden ihrer Kinder in den Schulen. Die Schülerinnen und Schüler selbst, für die sich
Das alles hat bei Weitem nicht nur mit fehlenden Ressourcen zu tun. Aber ernst nehmen muss man es und handeln muss man, Schritt für Schritt und auch mit Bedacht. Natürlich besteht auch immer ein Stück weit die Option des Scheiterns bei einzelnen Vorhaben. Uns ist - ich glaube, das ist Konsens - immer das Gespräch vor Ort, mit denen, die es umsetzen müssen, wichtig.
Nun zu unserem Antrag selbst. Wir verbinden damit zweierlei Anliegen. Zum einen ist es einmal mehr der Versuch, den Tunnelblick, den ich am Anfang kritisiert und geschildert habe, zu weiten, eben weg vom Blick allein auf den gemeinsam Unterricht - steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Zum anderen geht es darum, Vorschläge zu machen und damit auch den Druck in SachsenAnhalt zu erhöhen; denn deutschlandweit, aber auch in Sachsen-Anhalt hinken wir der Entwicklung hinterher. Auch Sachsen-Anhalt ist keineswegs ein Vorreiter.
Ich will auf einige wenige Vorschläge eingehen, wenngleich ich der Auffassung bin, dass eine solche Diskussion über einzelne Vorschläge am besten in den Ausschüssen für Bildung und Kultur sowie für Arbeit und Soziales aufgehoben ist. Ich will damit sagen, dass wir gern eine Überweisung des Antrags in die Ausschüsse hätten.
Ich möchte ausdrücklich mit Punkt 3 unseres Antrags beginnen. Lehrerinnen und Lehrer, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung, vor allem diejenigen, die sich in diese schwierige Aufgabe hineinbegeben haben.
Meine Damen und Herren! Es gibt die guten Schulen und es gibt erfolgreiche Entwicklungen. Das macht Mut. Es sind Erfolge, die die Aussagen, die man auch nicht zu knapp vernimmt, ad absurdum führen, nämlich dass das alles nicht zu machen sei und dass das doch gar nicht gehe.
Es ist und bleibt eine Herausforderung, aber, wie gesagt, eine, der sich viele Pädagoginnen und Pädagogen bereits stellen - ich möchte auch sagen: das ist ein Knochenjob -, dafür herzlichen Dank.
Unter Punkt 4 machen wir konkretere Vorschläge. Ich denke, einer der Dreh- und Angelpunkte ist die Frage des Personals. Auch wenn Sie diesbezüglich zur Vernunft kommen sollten, werden die Ressourcen knapp bemessen sein. Davon, dass Sie ein Stück weit zur Vernunft gekommen sind, zeugt die am heutigen und am gestrigen Tag schon viel
diskutierte Entscheidung, den Einstellungskorridor für Lehrer zu erweitern. Darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Deshalb wiederholen wir unseren Vorschlag, die Verteilung des Personals nicht mit der Gießkanne zu steuern, sondern es vor allem dorthin zu geben, wo es in der Tat gebraucht wird.
Das muss wahrscheinlich verbunden sein - das ist uns klar - mit einer vorsichtigen Konzentration derjenigen Kinder, die stärkere Hilfen brauchen. Ich möchte ausdrücklich einräumen, dass das nicht völlig ohne Risiken ist. Wir haben eine solche Strategie im Bereich der sogenannten integrativen Kindertagesstätten. Und nach 20 Jahren integrativer Tagesstätte muss man ein Stück weit selbstkritisch konstatieren, dass diese Einrichtungen auf eine bestimmte Art und Weise auch wieder Sondereinrichtungen geworden sind. Denn dort sind wir über den Anteil von 11 % nicht hinausgegangen. Ich kann auch nicht erkennen, dass wir an dieser Stelle auf dem Weg zu einem Durchbruch wären.
Das Prinzip ist nicht unbekannt. Ich erinnere an das Modell der Grundschulen mit den integrativen Klassen. Das einzige Argument, das ich bisher dagegen gehört habe und das bisher dagegen sprach, war das des fehlenden Personals, meine Damen und Herren. Das kann und das darf nicht sein.
Dabei rede ich nicht von Wunschträumen. Wir brauchen ein multiprofessionelles Team. Es geht zum Beispiel um die Frage der Integrationshelfer gemäß SGB XII. Diese müssen wir unkompliziert zur Verfügung stellen. Dabei geht es um pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; insbesondere im gemeinsamen Unterricht werden diese an Grundschulen und an Sekundarschulen gebraucht.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem thematisieren. Das sind die Horte in den sogenannten Brennpunktgebieten. Was ist das Problem? - Das Problem ist Folgendes: Wir haben eine ganze Reihe Kinder, die vor allen Dingen in solchen Stadtteilen leben, die man gemeinhin als Brennpunkte bezeichnet, Kinder, die aus schwierigen Verhältnissen kommen und die oftmals von emotionalen und sozialen Problemen geprägt sind. Wir nennen das manchmal „Verhaltensoriginalität“. Ich möchte das Problem allerdings in keiner Weise verharmlosen.
Diese Kinder erhalten am Vormittag in ihrer Schule neben der präventiven Grundversorgung gegebenenfalls auch sonderpädagogische Förderung, und diese ist immer mit zusätzlichen LehrerinnenStunden verbunden. Am Nachmittag, wenn die gleichen Kinder den Hort besuchen, sind sie allerdings keine Kinder mit Behinderungen im Sinne des SGB XII mehr. Ich füge hinzu: Das sollen sie
Das Problem ist nur: Dadurch, dass sie keine Grundanerkenntnis im Sinne des SGB XII bekommen, ist dort auch kein zusätzliches Betreuungspersonal für Bildungsangebote am Nachmittag für die Kinder vorhanden. Wir sind der Auffassung, dass das in Horten, die in Brennpunktgebieten arbeiten, ein riesiges Problem ist, das insbesondere zu Überlastungen führt. Hierfür braucht es Möglichkeiten im Rahmen des Kinderförderungsgesetzes.
Ein letzter Punkt, den ich explizit aufgreifen möchte, weil er wenig bekannt ist, ist die Arbeit mit dem Index für Inklusion. Hierbei geht es sehr viel mehr um Schulentwicklung als um irgendeine Form von Zertifizierung. Der Index für Inklusion kommt aus dem englischsprachigen Raum. Er ist in SachsenAnhalt - schon vor einigen Jahren - von Andreas Hinz und Ines Boban an der Martin-Luther-Universität ins Deutsche übersetzt worden. Es gibt inzwischen mehrfache Überarbeitungen und es gibt auch einen Index für Inklusion beispielsweise für die Kitas, für Kommunen und vieles andere mehr.
Ich empfinde das als ein wunderbares Angebot, Schulentwicklung zu betreiben, nämlich den Diskurs vor Ort, in den Schulen, in den Kindertagesstätten, wo auch immer, zu organisieren und sich einer kritischen Debatte an der Institution selber zu nähern und zu schauen, was man erreicht hat.
Ich wiederhole: Dabei geht es in der Tat nicht nur um die sogenannte Zuführung von Kindern mit Behinderung, sondern es geht auch um die Frage: Wie gehen wir an der Schule miteinander um? Es geht darum: Welche Möglichkeiten demokratischer Teilhabe haben Schülerinnen und Schüler bei uns? Wie sieht bei uns das Lernumfeld aus? Und vieles andere mehr.
Ich finde an diesem Konzept des Index für Inklusion charmant, dass für jede Schule etwas dabei ist. Die Schule wird dort abgeholt, wo sie ist.
Es hat darüber hinaus einen großen Vorteil: Für das Kultusministerium hat das keinen Neuigkeitswert; denn es ist in der Tat so, dass es in Sachsen-Anhalt schon zehn Schulen gibt, die einen solchen Prozess initiiert haben. Eine Schule hat diesen Prozess leider abgebrochen, neun haben ihn zum Erfolg geführt. Ich finde, wir sollten ein solches Potenzial sehr viel stärker nutzen und bekannt machen.
Ich habe schon gesagt: Einen solchen Index für Inklusion gibt es mittlerweile auch in den Kindertagesstätten. Es wäre, wie ich finde, eine richtig gute Strategie, sich nunmehr der Verbesserung der Qualität in den Kindertagesstätten zu widmen.
Inklusion, wenngleich die Leidenschaften dafür vielleicht unter uns unterschiedlich verteilt sind. Aber wir sind rechtlich gesehen in der Pflicht. Ich finde, das ist der kleinste gemeinsame Nenner und keine schlechte Basis, um miteinander auf diesem Gebiet etwas voranzubringen.
Ich wiederhole: Wir schlagen vor, den Antrag in die Ausschüsse für Bildung und für Kultur sowie für Arbeit und Soziales zu überweisen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Bull, ich glaube, inhaltlich liegen wir nicht auseinander, was Inklusion angeht, was die Frage angeht, wie wichtig dieses Thema für unsere Schullandschaft ist, und auch in der Auffassung nicht, dass das ein Thema ist, das uns in den nächsten Jahren erhalten bleiben wird.
Es ist in der Tat so, dass das Thema Inklusion die Bildungslandschaft in den letzten Jahren schon erheblich geprägt hat und eine bildungspolitische Aufgabe von erheblicher Tragweite ist, auch von erheblicher Brisanz, glaube ich. Dass das noch einige Jahre so bleiben wird, ist auch klar. Es geht zum Glück nicht mehr um das Ob, es geht in der Regel um das Wie.
Wir erleben immer wieder, dass es gegen das Thema Inklusion nach wie vor Vorbehalte gibt. Ich glaube, Hubertus Hüppe - das war der frühere Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen - hat das wunderbar auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt: Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie nicht will, sucht Begründungen.
Vielleicht muss man das nicht so stark zuspitzen. Aber es geht in unserem Diskurs tatsächlich darum, Einstellungen und Haltungen zu ändern, Stärken und Kompetenzen zu fördern und nicht nur die Belastungen zu betonen, damit Inklusion gelingt und ein Gewinn für alle wird.
Mir ist in dieser Debatte wichtig zu sagen, dass wir uns immer wieder klar machen: Inklusion ist nicht nur etwas für Schule und Kitas und auch nicht nur ein Privileg der Bildungsleute, sondern Inklusion ist tatsächlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wenn das klar ist, wird es für Kitas und Schulen einfacher, diesen schwierigen, aber nötigen Prozess erfolgreich zu gestalten.
Schauen wir uns einmal die Ergebnisse der letzten Jahre in Sachsen-Anhalt an, dann ist das, was hier geschehen ist, durchaus ermutigend. Das ist auch eine gute Gelegenheit, all denen zu danken, die das seit Jahren umsetzen.
Es ist nicht einfach, sich auf diesen Weg zu machen. Viele haben das in ihrer Ausbildung nicht gehabt. Sie sind mit neuen Dingen konfrontiert; sie müssen ihr Denken ändern, ihren Blick auf Kinder ändern, ihr Verständnis von Schule ändern. Das ist an vielen Stellen im gemeinsamen Unterricht an Schulen erfolgreich gelungen. Dafür muss man, glaube ich, den pädagogischen Mitarbeitern, den Schulsozialarbeitern, aber vor allen Dingen den Lehrerinnen und Lehrern und den Fortbildnern ganz herzlich danken.
Wir haben nach intensiven Beratungen mit vielen Fachleuten Anfang 2013 erstmals ein Landeskonzept zum gemeinsamen Unterricht an allgemeinbildenden Schulen auf den Weg gebracht. Ziel dieses Konzeptes ist es, den gemeinsamen Unterricht Stück für Stück auszubauen und ihn inhaltlich und organisatorisch zu qualifizieren.
Das heißt im Umkehrschluss, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht steigen wird und dass die Zahl der Schüler an den Förderschulen, insbesondere im Lernbereich und im Sprachbereich, sinken wird.
Hierbei geht es nicht darum, Prozenten nachzujagen, sondern darum, das wirklich behutsam und mit Augenmaß zu machen und dabei sowohl auf die Sorgen und die Ängste der Eltern wie auch der Lehrerinnen und Lehrer zu reagieren.
- Frau Bull ist gerade beschäftigt -: Der Integrationsanteil liegt in Sachsen-Anhalt gegenwärtig bei 27,1 %. Vor zehn Jahren waren es nur 2 %. Wir hinken also nicht hinterher, sondern sind genau im Bundesdurchschnitt angekommen. Ich finde, das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Das sollte man zur Kenntnis nehmen.