Protokoll der Sitzung vom 20.06.2014

Im Grunde genommen steht dahinter der Gedanke: Wir wollen einen Bereich, wo sich Personen dafür entscheiden, sich technisch zu schützen - in dem Fall vor Werbung, vor individualisierter Werbung, vor Profilerstellung. Dass dieser Bereich, der technisch schon jetzt funktioniert und der im Grunde genommen auch einen Teil von Kinder- und Jugendschutz im Internet gewährleisten kann, dann wieder zum Gegenstand der Bitte gemacht wird, solche Programme nicht zu verwenden, ist seltsam.

Das Ziel ist klar: Es geht um Urheberrecht, es geht um die Werbeerlöse für kommerzielle Angebote im Netz. Aber es widerspricht sich komplett. Wenn schon, denn schon! Dann kann man auch sagen: Wir wollen komplett auf die technischen Möglichkeiten verzichten.

Probleme mit den Jugendschutzprogrammen ergeben sich zum einen aus den vertraglichen Vorgaben, zum anderen aber auch aus dem Anerkennungsverfahren der KJM; denn solche Programme werden der rasanten technischen Entwicklung, die wir derzeit erfahren, immer hinterherhinken.

Die Frage des Durchlassens kommerzieller Inhalte, von Werbung und personalisierten Daten beantworten diese Programme im Allgemeinen nicht mit. Häufig blenden wir schon heute die am häufigsten genutzte Möglichkeit zum Netzzugang aus, sprich den mobilen Bereich. Ich verweise auf Anbieter von mobilen Betriebssystemen oder gar einzelne Software-Distributoren. Also die App-Stores greifen im Vertrag nicht.

Die Frage, welche Kompetenz ein Mitgliedstaat der EU bei Anbietern mit Sitz in anderen Unionsländern hat, will ich jetzt erst einmal nur als weiteres Problem anführen. Dienst ist nicht gleich Dienst. Die Beschränkung auf Web und App dürfte heute schon längst nicht mehr reichen, zumal viele Dienste im weiteren Sinne gerade vom Usergenerated Content ihr Gefährdungspotenzial zu entwickeln scheinen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für DIE LINKE ist das Primat der Familie im Hinblick auf die Erziehung der Kinder unverhandelbar. Somit muss es auch im Bereich des Jugendmedienschutzes Eltern ermöglicht werden, selbst und in voller Kenntnis von Systemen und automatisierten Intelligenzen im Hintergrund des Netzes entscheiden zu können, welche Inhalte sie ihre Kinder in welchem Alter - wie selbstbestimmt, wie oft und wie lange? - konsumieren und im Sinne des Usergenerated Contents erstellen lassen.

Die am weitesten gehende Forderung - wie zum Beispiel von der KJM selbst vorgetragen -, auch bei Access-Providern, also Internet Service Providern bereits Jugendschutzprogramme zu installieren, widerspricht diesem Grundsatz ganz offensiv. Sie ist daher aus unserer Sicht untauglich.

Jugendmedienschutz, meine Damen und Herren, heißt für DIE LINKE nicht nur, Kinder vor welchen Inhalten auch immer zu schützen. Nein, das heißt gerade im Bereich Kinder und Jugend, diese nicht unwissend zum Verwertungsobjekt über personalisierte Werbung und Profilerstellung zu machen, sondern wie im Persönlichkeitsrecht generell auch hier einem Schutzbegehren von Bürgerinnen und Bürgern als Staat nachzukommen.

(Beifall bei der LINKEN)

An der Stelle zeigt sich meines Erachtens, dass die bisherigen Jugendschutzprogramme das nicht gewährleisten können.

Zur Situation in Sachsen-Anhalt: Die unglückliche Situation rund um die Landesstelle Kinder- und Jugendschutz seit Ende des letzten Jahres darf nicht dazu führen, wie im Sozialhaushalt über eine Neustrukturierung Sparziele zu erreichen. Dazu kommen wir beim nächsten Tagesordnungspunkt.

Auch sollen Personen, die bislang im Bereich des präventiven Jugendmedienschutzes arbeiten, als Fachkräfte im Land und in dieser Tätigkeit gehalten werden.

Meinungen, dass Jugendmedienschutz weniger gebraucht würde, da Kinder und Jugendliche heute bereits mit der Informationstechnik aufwachsen, kann ich allenfalls zynisch nennen.

Wir beantragen daher, im nächsten Doppelhaushalt mindestens die Summe für den präventiven Jugendmedienschutz wieder in Ansatz zu bringen, die bereits für das Jahr 2014 eingestellt worden war.

(Zustimmung von Frau Hohmann, DIE LIN- KE)

Im letzten Punkt wollen wir, dass die Landesregierung - vielleicht gemeinsam mit anderen Ländern und dem Bund - weiter Druck macht, damit sich das Datenschutzniveau und daran anknüpfend auch das Jugendschutzniveau innerhalb der Europäischen Union erhöhen und wir von den hohen Niveaus, die in der Bundesrepublik Deutschland zum Glück gelten, auch europaweit profitieren können.

Im Bereich des Jugendmedienschutzes wird viel zu häufig der Fokus auf kommerzielle Anbieter und ihre Interessen gelegt. Die größten sitzen nicht ohne Grund in Irland. Ordnungspolitiker würden hierbei von einer Schutzlücke reden.

Selbst wenn wir die tollsten Regelungen in Deutschland finden, sie aber aufgrund des hohen

Zulaufs zu Online-Produkten der Firmen wie Amazon, Google, Facebook oder Microsoft faktisch einen Großteil des eigens definierten Jugendschutzniveaus nicht umsetzen können, erfüllen wir als Staat letztlich unseren Auftrag im Sinne des Jugendschutzes nicht umfassend. Daher der letzte Punkt in unserem Antrag.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jugendschutzprogramme und Netzfilter außerhalb der eigenen Informationstechnik zu installieren ist ein ungeeignetes Mittel, um Kindern und Jugendlichen kinder- und jugendbeeinträchtigende Inhalte zu verwehren, gerade installiert bei Access Providern oder in Form eines Automatismus. Einer algorithmischen Untersuchung von Inhalten auf ihre Kinder- und Jugendverträglichkeit zufolge stellen sie nach der Auffassung meiner Fraktion einen Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung und aufgrund der Art und Klassifizierung von Webinhalten einen Wettbewerbsnachteil für die Masse von Inhalteanbietern dar.

(Beifall bei der LINKEN)

Das fängt bei Bloggern an. Aber selbst die öffentlich-rechtlichen Anstalten sehen Probleme beim aktuellen Verfahren, welches eine Altersklassifizierung einzelner Inhalte mit sich brächte.

Lassen wir also diesen unnötigen Punkt hinter uns und stärken wir das Schutzbedürfnis der Familien, indem wir den präventiven Jugendmedienschutz stärken, und verhindern wir unnötige Vorgaben zum technischen Jugendmedienschutz im neuen Jugendmedienschutzstaatsvertrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Robra. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag ja sein, lieber Herr Abgeordneter Gebhardt, dass der Kinder- und Jugendmedienschutz bei den Medienpolitikern nicht richtig aufgehoben ist.

(Herr Lange, DIE LINKE: Herr Wagner!)

- Ja, ja, ich spreche im Moment mit dem Medienpolitiker Ihrer Fraktion und darüber, dass er dort nicht richtig angesiedelt ist.

Aber nachdem der Netzpolitiker Wagner gesprochen hat - jetzt bin ich bei ihm -, habe ich den Eindruck, bei den Netzpolitikern ist er schon gar nicht gut aufgehoben.

(Herr Lange, DIE LINKE: War das jetzt Kri- tik?)

Deswegen will ich einleitend daran erinnern: Beim Thema Kinder- und Jugendmedienschutz geht es nicht nur um Technik oder Geschmacksfragen, sondern um die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

Kinder und Jugendliche können in den Medien - gerade im Internet - auf unvorstellbare Bilder von Pornografie, Gewalt- oder Kriegsverherrlichung und der Verletzung von Menschenwürde stoßen, die sie psychisch dauerhaft und tief verletzen. - Das ist der Hintergrund, vor dem wir über Kinder- und Jugendmedienschutz sprechen.

Das Thema Jugendmedienschutz beschäftigt den Landtag an sich regelmäßig auf der Grundlage des zweijährigen Berichts unserer Medienanstalt über die Durchführung des Jugendmedienschutzes in unserem Land. Aktuell liegt dem Landtag die entsprechende Drs. 6/2950 vom 25. März 2014 vor; die Beratung des Berichts im Medienausschuss steht noch aus.

Die Mitglieder des Landtags, die aus Anlass des heutigen Antrags den wie immer sehr umfangreichen Bericht der Medienanstalt gelesen haben, konnten feststellen, dass der Jugendmedienschutz in Sachsen-Anhalt und insgesamt in Deutschland auf der Grundlage des fortgeltenden Jugendmedienschutzstaatsvertrages - das heißt regulierte Selbstregulierung, aber auch lizenzierte Jugendschutzprogramme - durchaus funktioniert; das ist allgemeiner Konsens.

Die KJM hat in ihrem Bericht festgestellt - das greift schon einen Ihrer Punkte auf -, dass das deutsche Jugendschutzsystem Vorbildfunktion für viele Länder in Europa hat. Seit ihrer Gründung im April 2003 hat sich die Kommission für Jugendmedienschutz im Berichtszeitraum bis Frühjahr 2013 mit mehr als 5 000 Prüffällen befasst, davon 900 aus dem Bereich des Rundfunks und 4 100 aus dem Bereich der Telemedien.

Die KJM arbeitet zusammen mit der Stelle Jugendschutz.net, die von den Landesmedienanstalten und den für Jugendschutz zuständigen Ressorts der Länder auf der Grundlage des Staatsvertrages finanziert wird.

Die Stelle Jugendschutz.net ist der verlängerte Arm der KJM und versucht, Verstöße gegen den Jugendschutz im Internet aufzuspüren und zu unterbinden. Primäres Ziel von Jugendschutz.net ist es, die Beseitigung der Verstöße zu erreichen. Gelingt dies nicht, erfolgt die Abgabe des Falls an die KJM.

Im Jahr 2013 dokumentierte Jugendschutz.net allein in Deutschland 1 422 Verstöße gegen den Jugendmedienschutzstaatsvertrag. In 85 % der Fälle konnte über Kontaktaufnahme mit dem Anbieter eine Beseitigung erreicht werden. In 72 Fällen erfolgte die Abgabe an die KJM. Auch mit dem

Bundeskriminalamt arbeitet Jugendschutz.net zusammen; das ist ja manchmal unvermeidlich.

Im Unterschied zu Deutschland ist die Situation im Ausland schwieriger. Aber auch dort ist Jugendschutz.net aktiv. Gegen 6 689 Verstöße ausländischer Anbieter ging Jugendschutz.net vor, mit einer Erfolgsquote von immerhin 61 %.

Bei 178 Angeboten bat Jugendschutz.net die KJM um einen Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. 50 % dieser Fälle stammten aus den USA und rund 25 % aus den Niederlanden.

Erfolgt eine Indizierung, wird die betreffende Webadresse in das BPjM-Modul aufgenommen, das Suchmaschinen-Anbietern zur Verfügung steht, um indizierte Adressen als Fundstelle auszuschließen. Außerdem ist dieses Modul in die viel diskutierten Jugendschutzprogramme integriert

und sorgt dafür, dass diese Angebote geblockt werden.

Das ist ein kleiner Einblick in die praktische und durchaus effektive Arbeit einiger Stellen des Jugendmedienschutzes. Vor diesem Hintergrund warne ich davor zu glauben, man könnte den Jugendmedienschutz, wie es der Antrag suggeriert, allein und rein präventiv gestalten. Die repressiven Methoden sind weiterhin erforderlich.

So wichtig medienpädagogische Projekte sind - die wir auch weiter fördern und finanzieren wollen im Lande -, so wenig kann man behaupten, das wäre der Kern des Jugendmedienschutzes; denn diese medienpädagogischen Projekte sind immer altersgerecht und setzen auch einen jeweiligen Entwicklungsstand bei den Kindern, den Jugendlichen, den Heranwachsen voraus. Aber bis dahin ist auf dem Wege dorthin effektiver und repressiver Schutz erforderlich.

Zum aktuellen Sachstand beim Jugendmedienschutzstaatsvertrag kann ich noch sagen - meine Redezeit läuft dem Ende entgegen; alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren müssen -: Wir haben noch keinen ausformulierten Vertragsentwurf. Eine Online-Konsultation, die aktuell läuft, haben wir eingeleitet. Dabei geht es insbesondere um die Abstimmung der Jugendschutzsysteme des Bundes und der Länder. Auch die Kennzeichnung von Telemedienangeboten mit Altersstufen ist natürlich wieder ein Thema.

Das, was Sie vorschlagen, Herr Wagner, kann ich mir in der Praxis nicht vorstellen. Wir brauchen ein technisch funktionsfähiges Raster, mit dem die Eltern das erledigen können. Sie können nicht einzelne Adressen individuell für ihre Kinder sperren, weil sie die ganzen Angebote - Gott sei Dank - nicht überblicken können.

In diesem Zusammenhang will ich auch die Privilegierung bei freiwilliger Alterskennzeichnung er

wähnen. Derjenige, der sich diesem System anschließt, wird privilegiert.

Dann werden die Aufgaben und die Finanzierung von Jugendschutz.net im Staatsvertrag wieder eine Rolle spielen, ebenso die Weiterentwicklung des technischen Jugendmedienschutzes durch die bereits erwähnten Jugendschutzprogramme und die Verbesserung der Selbstkontrollstrukturen.

Die Online-Anhörung bleibt bis zum 15. Juli 2014 offen. Sie wird intensiv genutzt. Die Erkenntnisse, die wir dabei gewinnen, werden bei der Weiterentwicklung der Überlegungen zum Staatsvertrag berücksichtigt werden und in den Staatsvertrag einfließen. Ich hoffe, Anfang 2015 einen unter den Ländern abgestimmten Staatsvertragsentwurf vorlegen zu können, der hier im Landtag zu behandeln sein wird.