Meine Damen und Herren! Das haben inzwischen selbst Teile der CDU erkannt, weshalb die CDUFraktion im Brandenburger Landtag unlängst einen inzwischen erfolgreichen Vorstoß zur Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und -beamten unternommen hat. In Brandenburg wird deshalb zu Beginn des Jahres 2013 eine Kennzeichnungspflicht in Kraft treten. In Berlin ist sie bereits seit einigen Monaten in Anwendung. In Rheinland-Pfalz ist sie im Koalitionsvertrag verankert
Unsere Gesetzesinitiative macht Sachsen-Anhalt nicht zur Avantgarde. Wir bewegen uns im Mainstream der Debatten zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesem Land.
Unsere Initiative greift außerdem Forderungen von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen wie Amnesty International oder dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein auf, die nach vielen Fällen nicht aufzuklärender Misshandlungen durch Polizeibeamte immer wieder zwei zentrale Verbesserungen gefordert haben: erstens die Schaffung unabhängiger Stellen zur Ermittlung bei Vorfällen, in denen Polizeibeamte in Verdacht stehen, Straftaten oder andere Verfehlungen begangen zu haben - in Sachsen-Anhalt besteht zwar keine unabhängige, aber immerhin eine Beschwerdestelle -; zweitens die Einführung einer individuellen Kennzeichnung, die Aufklärung überhaupt erst möglich macht und sicherstellt, dass gerechtfertigte und auch ungerechtfertigte Vorwürfe rechtsstaatlich untersucht und voneinander geschieden werden können.
Auch der bereits im Jahr 2001 vom Ministerkomitee des Europarates verabschiedete European Code of Police Ethics, der als Selbstverpflichtung auch die Bundesrepublik bindet, stellt fest, dass - Zitat - „Polizeibedienstete auf allen Rangstufen persönlich verantwortlich für ihr eigenes Tun und Unterlassen sind“.
„Ohne die Möglichkeit, einen Polizeibediensteten persönlich zu identifizieren, wird der Begriff der Rechenschaftspflicht aus der Perspektive der Öffentlichkeit sinnentleert.“
Gut 2 100 Anzeigen wegen rechtswidriger Polizeigewalt gehen jedes Jahr bei den deutschen Strafverfolgungsbehörden ein, im Jahr 2010 55 allein in Sachsen-Anhalt. Zu den Zahlen ist jedoch zu ergänzen: Richten sich die Ermittlungen nicht gegen einen bestimmten, namentlich bekannten Beamten, sondern werden gegen Unbekannt geführt, tauchen sie nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes nicht in der Zählung auf.
Darüber hinaus besteht ein weiteres massives Dunkelfeld, weil viele Betroffene mangels Erfolgsaussichten oder aufgrund zu erwartender Nachteile von einer Anzeige absehen. 95 bis 98 % der Verfahren werden ohne Anklageerhebung eingestellt. Die Quote der vor Gericht erwirkten Freisprüche ist signifikant höher als bei anderen Deliktgruppen.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie reichen von schlampigen Ermittlungen über Falschaussagen oder Schweigen von polizeilichen Zeugen aufgrund falsch verstandener Solidarität mit den Kollegen bis hin zu schwierigen Beweislagen. Auch das institutionelle Näheverhältnis von Polizei und Justiz sowie die weit verbreitete Überzeugung, Polizistinnen und Polizisten würden grundsätzlich rechtmäßig handeln, sind nach der Aussage des RAV mit ursächlich für diesen Zustand.
Auch das Aufdecken unberechtigter Vorwürfe mag zur Einstellung von Verfahren gegen Polizeibeamte geführt haben. Für die überwiegende Masse der Einstellungen ist dies jedoch nicht zu erkennen.
Sachsen-Anhalts Polizei, meine Damen und Herren, genießt bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes ein hohes Vertrauen. Das ist gut so und das ist auch gerechtfertigt.
Aber auch der sachsen-anhaltischen Polizei oder vielmehr konkret einzelnen Beamtinnen und Beamten ist in der Vergangenheit vorgeworfen worden, unverhältnismäßig oder sogar rechtswidrig gehandelt zu haben. Aufklären ließen sich diese Vorwürfe nicht immer. Im vergangenen Jahr scheiterte in einem Viertel der Fälle eine Identifikation der beschuldigten Beamten.
In einem aktuellen und im Sommer medial breit diskutierten Fall - es geht um ein mutmaßliches Körperverletzungsdelikt im Amt, geschehen am 1. Mai in Halle - steht die bis heute fehlende Kennzeichnung des handelnden Beamten einer wirklichen Aufklärung der Vorwürfe entgegen.
Auch insgesamt war das Vorgehen einzelner Beamter an diesem Tag nicht geeignet, das Vertrauen in den Rechtstaat oder das Zusammenspiel von Exekutive und Legislative zu befördern.
Meine Fraktion und, wie ich denke, das ganze Haus sind dem Präsidenten des Landtages deshalb außerordentlich dankbar dafür, dass er in einem Brief an die Landesregierung die Rechte der Legislative gegenüber der Exekutive eingefordert hat.
Ich danke ausdrücklich auch Innenminister Holger Stahlknecht für seinen unlängst veröffentlichten Erlass, in dem er, für jeden Beamten nachlesbar, noch einmal die Kontrollrechte des Parlaments und seiner Abgeordneten präzisiert hat. Das erleichtert den Umgang zwischen den Verfassungsorganen und vermindert das Konfliktpotenzial beträchtlich.
Nun aber, meine Damen und Herren, geht es nicht nur um das Miteinander zwischen Landtag und Polizei, sondern auch darum, das Miteinander zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei auf noch bessere Füße zu stellen und mehr Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen.
Die nach den Vorkommnissen im Mai von mehreren Fraktionen erhobenen Forderungen nach einer individuellen Polizeikennzeichnung sind von den Polizeigewerkschaften und von einigen Beamten mit Skepsis und Ablehnung aufgenommen worden.
Meine Damen und Herren! Ich habe großes Verständnis dafür, dass Polizeibeamte, die alltäglich auch in Gefahrensituationen Dienst tun, die mit aufgebrachten und schlagenden Ehemännern ebenso zu tun haben wie mit pöbelnden und betrunkenen Frauen, die Tatverdächtige aus dem Bereich der organisierten Kriminalität festnehmen müssen, die bei Fußballspielen für Ordnung zu sorgen haben oder die im Demonstrationsgeschehen für unsere Demokratie und unsere Grundrechte den Kopf hinhalten müssen, befürchten, durch eine individuelle Kennzeichnung in Gefahr gebracht zu werden, dass sie sich sorgen, dass ihre Familien nicht mehr sicher leben könnten und dass Racheakte gegen sie und ihre Angehörigen bevorstünden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen diese Sorgen sehr, sehr ernst.
Unser Gesetzentwurf trägt diesen Bedenken Rechnung, indem er jedem einzelnen Beamten die ureigenste Entscheidung lässt, ob er je nach Einsatzlage eine anonymisierte Nummernkennzeichnung, die nur durch dazu befugte Beamte individuell zugeordnet werden könnte, oder eine Namenskennung tragen möchte.
Meine Damen und Herren! Nicht ernst nehmen können wir hingegen die Äußerung von Ministerpräsident Haseloff zur Kennzeichnungspflicht.
Mein tief empfundener Respekt gilt all denjenigen, die im Unrechtsstaat DDR Opfer von politischer Verfolgung und Willkür wurden, die in ihren Lebensentwürfen beschnitten oder aus dem Land getrieben worden sind und die zum Teil noch heute unter den Folgen der real existierenden DDRDiktatur zu leiden haben. Die zu Unrecht Verfolgten tragen durch ihr damaliges Engagement und durch ihren persönlichen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte einen maßgeblichen Anteil daran, dass wir alle heute in einem frei gewählten und demokratischen Parlament über die besten Wege für unser Land streiten können.
Herr Ministerpräsident, es ist argumentativ hilflos und wirkt infam, all diejenigen, die unter DDR-Unrecht gelitten haben, in Mithaftung für einen rhetorischen Totalausfall Ihrerseits zu nehmen.
Es geht an den historischen Befunden vorbei, wenn Sie behaupten, zu DDR-Zeiten hätte über die Personenkennzahl eine „Kennzeichnung von Menschen nach ihrer politischen Einstellung“ stattgefunden.
Es ist schäbig, wenn Sie versuchen, die diskriminierende, ja tödliche Stigmatisierung von Menschen auch nur implizit in einen Sachzusammenhang mit der individuellen Kennzeichnung an der Dienstkleidung von Polizisten zu rücken.
Durch Ihre Äußerungen relativieren Sie die Stigmatisierung und Entrechtung der Juden, wie es sie mit dem verpflichtenden Tragen des so genannten Judensterns
ab 1939 im besetzten Polen und ab 1941 im nationalsozialistischen Deutschland gab, oder Sie rekurrieren auf die Tätowierung von NS-Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion bzw. von KZ-Häftlingen.
um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, um individuelle Verantwortlichkeit im polizeilichen Handeln, um Transparenz und Kontrolle.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die Erfahrung von Unterdrückung und persönlicher Verfolgung zu DDR-Zeiten ist kein Freibrief, historischen Unsinn zu verbreiten. Der Verweis auf eigene oder fremde Verfolgung zu DDR-Zeiten kann eine fair und sachlich geführte Debatte zur Polizeikennzeichnung in der Demokratie nicht ersetzen.
Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung über einen bündnisgrünen Gesetzentwurf, der die sachsen-anhaltische Polizei aus einem unhaltbaren Zustand befreit.
Statt Sippenhaft für alle wird dem rechtsstaatlichen Prinzip individueller Verantwortung Rechnung getragen. Das stärkt all die vielen Polizistinnen und Polizisten, die täglich einen schwierigen Dienst versehen und dabei nach Recht und Gesetz handeln.