Protokoll der Sitzung vom 12.12.2014

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen müssen zügig zu Ende geführt werden. Die Staatsanwaltschaft ist dabei auf die Hilfe der Polizei angewiesen. Ich bedaure, dass angesichts der Tragweite die Ermittlungen zunächst vom örtlichen Polizeirevier geführt wurden und erst zu einem späteren Zeitpunkt die überörtliche Ebene die Verantwortung übernommen hat, um jede partei- und regionalpolitische Einflussnahme oder Zurückhaltung von vornherein auszuschließen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält auch eine Abgabe der Ermittlungen an Externe für sinnvoll.

Auf der Landesebene ist nun die Frage zu stellen, ob das bisherige Briefwahlsystem die Wahlfälschung begünstigt hat und es deshalb reformiert werden muss. Hier stellt der Antrag der LINKEN in seinem zweiten und dritten Teil die richtigen Fra

gen, auch wenn ich davor warne, das Kind mit dem Bade auszuschütten und wegen des Missbrauchs der Möglichkeit zur Briefwahl in Stendal dieses von vielen Bürgerinnen und Bürgern geschätzte Instrument ganz abzuschaffen.

Es ist deshalb zielführend, dass wir in den zuständigen Ausschüssen über gesetzgeberische Konsequenzen aus den Stendaler Wahlfälschungen beraten. Diese sollten gegebenenfalls noch rechtzeitig vor der Landtagswahl 2016 auf den Weg gebracht werden.

Die juristische Aufarbeitung der Wahlfälschung in Stendal ist Sache der Justiz. Wir erwarten, dass denjenigen, die sich an der Demokratie versündigen, kein Rabatt gegeben wird. Wahlfälschung muss konsequent bestraft werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der politische Schaden, meine Damen und Herren, ist durch das Agieren der CDU entstanden. Dafür muss sie politisch zur Verantwortung gezogen werden. In Demokratien geschieht das durch Wahlen. Diese müssen nun schnellstmöglich stattfinden, um den unhaltbaren Zustand eines nicht ordnungsgemäß zustande gekommenen Kommunalparlaments zu heilen. Stendal hat einen demokratisch gewählten Stadtrat verdient.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Mit der Fälschung der Kommunalwahlen im Jahr 1989 verspielte die SED den letzten Kredit. Auch die Fassade einer Deutschen Demokratischen Republik war damit nicht mehr zu halten.

(Herr Kurze, CDU: Ganz oder gar nicht, Mensch!)

Demokratie heute darf nicht zur Fassade werden. Das engagierte Vorgehen gegen Wahlfälscher und das Engagement für eine streitbare Demokratie, in der unterschiedliche politische Konzepte debattiert werden und der Wechsel von demokratischen Mehrheiten das einzig Konstante ist, muss uns einen.

Machtverlust - das muss man Ihnen, meine Damen und Herren, vielleicht einmal sagen - ist der Regelzustand in der Demokratie. Niemand darf versuchen, den seinigen durch Fälschung von Wahlen zu verhindern. Es gilt, in Stendal den demokratischen Normalzustand wiederherzustellen. Wahlfälscher gehören in die Produktion, aber nicht in Stadt- und Kreistage. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung spricht Staatsminister Robra.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nach Artikel 38 des Grundgesetzes und Artikel 42 unserer Landesverfassung allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl ist ein konstitutives Grundelement der parlamentarischen Demokratie. Jede unlautere Einflussnahme auf eine Wahl gefährdet die Demokratie in ihren Grundfesten. Sie ist daher streng zu ahnden. Alle Demokraten sollten entschieden auf Distanz zu Wahlfälschern gehen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Weil Sie, Herr Abgeordneter Striegel, sich so viel Mühe gegeben haben, in jedem zweiten Satz die drei Buchstaben „C“, „D“ und „U“ zu erwähnen, sage ich ganz eindeutig, die CDU ist auf Distanz zu Wahlfälschern gegangen und sie wird auf Distanz zu Wahlfälschern gehen, wenn sich weitere Verdachtsgründe ergeben. Für uns ist das ganz klar. Das sollte eigentlich für alle Parteien gelten; davon gehe ich aus.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Das war ein CDU- Beitrag!)

Ich schiebe das ein - ich habe es ja erklärt, lieber Herr Czeke -, weil Herr Striegel sich so viel Mühe gegeben hat, immer wieder die CDU in den Mittelpunkt zu stellen.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von Herrn Cze- ke, DIE LINKE)

- Da sage ich auch Ihnen, Herrn Czeke, einmal: Der wegen Anstiftung zur Wahlfälschung rechtskräftig verurteilte Hans Modrow ist immer noch Vorsitzender Ihres Ältestenrats. Und dann erklären Sie uns einmal den Umgang damit in Ihrer Partei.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der CDU, von den GRÜNEN und von Herrn Czeke, DIE LINKE)

- Ja, damit müssen Sie sich auseinandersetzen. Es ist auch nicht Aufgabe der Landesregierung, sich damit zu befassen.

Lassen Sie mich zur Sache zurückkommen. Schon der substanziierte Fälschungsverdacht in Stendal hat das Wahlsystem empfindlich getroffen und droht, und zwar zu Unrecht, die Briefwahl als Ganzes in Misskredit zu bringen.

Ich möchte jedoch ausdrücklich hervorheben, dass Stendal ein Einzelfall ist, der auf erhebliche kriminelle Energie zurückzuführen ist und wahrscheinlich durch eine Verwaltungspanne in der Stadtverwaltung Stendal begünstigt wurde. Mehr als tausend Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres verliefen rechtmäßig und reibungslos. Es besteht daher kein Anlass für eine Verallgemeinerung der Angelegenheit und für Kritik am gesamten Wahlsystem oder an den wahlrechtlichen Vorschriften insgesamt.

Hinzu kommt, dass die Stärke der Demokratie nun gerade darin liegt, dass sie Rechtsverstöße schonungslos aufklärt und eben nichts unter den Teppich kehrt. Mit den zulässigen Rechtsmitteln und von den zuständigen Akteuren werden die Verstöße untersucht und das Wahlverfahren zu einem geordneten Abschluss geführt. Genau dies geschieht derzeit auch.

Die Wahlorgane vor Ort, die - auch das ist aus guten Gründen so - unabhängig und nicht weisungsgebunden sind, klären den Fall wahlrechtlich, Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen den Fall strafrechtlich. Diese Differenzierung zwischen Wahlrecht und Strafrecht und den handelnden Akteuren ist von großer Bedeutung, um die verschiedenen Handlungsstränge zu verstehen und nachzuvollziehen.

Lassen Sie mich diese daher kurz darstellen. Zunächst zu den wahlrechtlichen Vorkommnissen in der Stadt Stendal. In Vorbereitung der Stadtratswahl in Stendal am 25. Mai 2014 wurden in 189 Fällen - entgegen der in § 25 Abs. 6a der Kommunalwahlordnung Sachsen-Anhalt getroffenen Regelung - jeweils mehr als die erlaubten vier Briefwahlunterlagen an Bevollmächtigte herausgegeben.

Zehn dieser Wählerinnen und Wähler sind am Wahltag in den Wahllokalen erschienen, um zu wählen. Ihre Briefwahlunterlagen wurden noch am selben Tag für ungültig erklärt. Die verbliebenen 179 Fälle sind in das damalige Briefwahlergebnis eingeflossen. Der Stadtrat hat als Wahlprüfungsbehörde daher die Ungültigkeit dieser Briefwahl festgestellt und ihre Wiederholung verfügt.

Die Wiederholung der Briefwahl fand am 9. November 2014 statt. Inwieweit hier Wahlfehler vorliegen, die im Wahleinspruchsverfahren geltend gemacht werden und auch eine Ergebnisrelevanz haben, ist noch offen. Das Wahlrecht kennt keine abstrakten Ungültigkeitsgründe einer Wahl, also keine Gründe, die ohne Rücksicht auf ihre Auswirkungen im konkreten Einzelfall zur absoluten Ungültigkeit einer Wahl führen.

Der Wahlausschuss hat erst am 27. November 2014 das endgültige Wahlergebnis festgestellt, das am 10. Dezember 2014 veröffentlicht wurde. Hiergegen kann nunmehr innerhalb von zwei Wochen Wahleinspruch von jedem Wähler, dem Wahlleiter und der Kommunalaufsichtsbehörde eingereicht werden.

Der Wahlleiter legt von Amts wegen Widerspruch ein, wenn er bei seiner Überprüfung für das Wahlergebnis erhebliche Wahlfehler feststellt. Erst nach Ablauf der Wahleinspruchsfrist kann dann der Stadtrat als allein zuständiges Wahlprüfungsorgan eine Entscheidung über die Gültigkeit oder die Ungültigkeit der Wahl treffen. Dies muss im Januar 2015 erfolgen. Sollte der Stadtrat die Wieder

holung der Briefwahl vom 9. November 2014 ebenfalls für ungültig erklären, wäre die gesamte Stadtratswahl zu wiederholen.

Meine Damen und Herren! Ich komme nun zur wahlrechtlichen Bewertung der Kreistagswahl Stendal. Der Kreistag hatte zur Wahl am 25. Mai 2014 den bereits dargestellten Wahlfehler in Bezug auf das Wahlgebiet der Stadt Stendal bejaht, jedoch in Bezug auf das Wahlergebnis des Kreistages des wesentlich größeren gesamten Landkreises Stendal eine Ergebnisrelevanz verneint.

Diese Wahlprüfungsentscheidung des Kreistages über die Gültigkeit der Kreistagswahl wurde nicht angefochten. Das Wahlergebnis nebst Wahlprüfungsentscheidung ist damit bestandskräftig und das Wahlverfahren für die Kreistagswahl abgeschlossen.

(Herr Borgwardt, CDU: So ist es!)

Der dritte Punkt ist die strafrechtliche Bewertung der Angelegenheit. Jeder Wahlvorgang ist - wie bereits erläutert - unter einen besonderen Schutz gestellt, um eine verfassungskonforme Abwicklung zu gewährleisten.

Wahlfälschungshandlungen unterliegen daher den Strafrechtsbestimmungen nach § 107a StGB und zumindest bei Briefwahlen nach § 267 des Strafgesetzbuches; bei Letzterem geht es um Urkundenfälschung. Die strafrechtlichen Ermittlungen laufen selbstverständlich unabhängig vom wahlrechtlichen Verfahren.

Die Staatsanwaltschaft Stendal führt derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Wahlfälschung gemäß § 107a StGB anlässlich der Wahl des Stendaler Stadtrats am 25. Mai 2014 durch. Die Ermittlungen wurden auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Stendal zunächst vom Polizeirevier Stendal geführt und werden derzeit aus den bereits öffentlich gemachten Gründen bei der Polizeidirektion Nord unter aktiver Beteiligung des bisherigen leitenden Ermittlers des Polizeireviers in Stendal fortgeführt. Es ist also kein Informationsverlust damit verbunden gewesen.

Im Zuge der Ermittlungen werden weitere Zeugen zu vernehmen und sichergestellte Unterlagen sowie Speichermedien auszuwerten sein. Im Anschluss daran werden die Beschuldigten angehört. Zu weiteren Einzelheiten verweise ich auf die noch ausstehende Antwort zu Frage 12 der heutigen Fragestunde.

Die Ermittlungen dauern also noch an. Ihre Ergebnisse bleiben abzuwarten, bevor sie inhaltlich gewürdigt werden können. Bis auf Weiteres gilt - das sage ich im Hinblick auf manche Vorverurteilung auch durch Sie, Herr Striegel -

(Zuruf von Herrn Striegel, GRÜNE)

auch in diesem Fall die Unschuldsvermutung. Das ist ebenfalls ein rechtsstaatliches Grundprinzip,

über das man sich auch als Landtagsabgeordneter nicht so einfach hinwegsetzen darf.

(Beifall bei der CDU)

Wer meint, das Ergebnis der Ermittlungen stehe schon fest, der bringt damit zum Ausdruck, dass er diese Ermittlungen nicht braucht und letztendlich auch auf eine richterliche Würdigung der Tat verzichtet; das darf man in einem Rechtsstaat nicht.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend einen Blick auf die geltenden Rechtsvorschriften der Kommunalwahlordnung und die Prüfung einer Anpassung dieser Rechtsvorschriften in Bezug auf die Briefwahl werfen. Einleitend ist zu bemerken, dass die Rechtsvorschriften zur Briefwahl bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt bereits ein im Ländervergleich hohes Niveau an Schutz gegen Manipulation gewährleisten.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Briefwahl als solche bereits mehrfach als verfassungskonform und mit dem Grundgesetz vereinbar beurteilt, darunter auch in der Ausgestaltung, wie sie derzeit in der Kommunalwahlordnung zu finden ist. Sie soll eine möglichst weitgehende Beteiligung an Wahlvorgängen ermöglichen, auch für diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer das Wahllokal nicht aufsuchen können.

Schon vor der Kommunalwahl 2014 wurde aufgrund der ständigen Auswertung von Wahlen durch das Innenministerium die sogenannte Vierer-Regelung gemäß § 25 Abs. 6a der Kommunalwahlordnung eingeführt. Danach sind an jeden Bevollmächtigten maximal vier Briefwahlunterlagen auszuhändigen und für den Fall, dass Wahlscheine und Briefunterlagen an eine andere Anschrift als die Wohnanschrift übersandt werden sollen, mit einer sogenannten Kontrollmitteilung an die Wohnanschrift zu versehen.

Damit ist in Sachsen-Anhalt, anders als in einigen anderen Bundesländern, die Durchführung der Briefwahl bereits deutlich sicherer gestaltet worden, und zwar - ich sage es noch einmal - bevor es zu dem Vorfall in Stendal gekommen ist, nicht als Reaktion darauf.

Diese Norm verhindert, dass theoretisch denkbare Briefwahlmissbräuche durch Massenvollmachten, bei denen eine Person eine Vielzahl von Wahlberechtigten vertreten will, auftreten können. Zudem grenzt sie die Herausgabe an andere Personen als den Wahlberechtigten auf einen kleinen Personenkreis von vier Wählerinnen oder Wählern ein. Diese Regelung findet sich auch so im Bundes- und im Europawahlrecht und in unserem Landeswahlrecht wieder und hat sich bei zahlreichen Wahlen bewährt.