Protokoll der Sitzung vom 26.02.2015

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Damit hat der Wahlvorschlag die geforderte qualifizierte Mehrheit der Mitglieder des Landtages erreicht.

(Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

Herr Professor Dr. Florian Steger ist somit vom Landtag zum Mitglied im Beirat bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gewählt worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir, Herrn Professor Dr. Steger in Ihrer aller Namen dazu Glückwunsch auszusprechen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Damit ist der Tagesordnungspunkt 2 beendet und wir müssten nach unserem Plan in die Mittagspause eintreten.

Ich unterbreche die Sitzung für die Dauer von einer Stunde.

Unterbrechung: 12.36 Uhr.

Wiederbeginn: 13.35 Uhr.

Meine Damen und Herren! Die vom Landtagspräsidenten anberaumte Pause von 60 Minuten geht in dieser Minute zu Ende. Das heißt, wir fahren jetzt in der Tagesordnung fort, nachdem Sie sich hoffentlich alle gut gestärkt und entschleunigt haben.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung

Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Gewalt im (Fußball-)Sport in Sachsen-Anhalt

Große Anfrage Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2704

Antwort der Landesregierung - Drs. 6/3149

Für die Aussprache zur Großen Anfrage wurden die Debattenstruktur D, also eine 45-Minuten-Debatte vereinbart. Die Redezeit beträgt demnach für die Fraktion der SPD acht Minuten, für die Fraktion DIE LINKE neun Minuten, für die Fraktion der CDU zwölf Minuten und für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vier Minuten.

Gemäß § 43 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung erteile ich zunächst der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Abgeordneter Herr Striegel, bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wort habe ich, ob ich auch Zuhörerinnen und Zuhörer finde, weiß ich noch nicht.

(Frau Niestädt, SPD: Ja!)

Wir schenken Ihnen unsere Aufmerksamkeit.

Ich hoffe, der Saal füllt sich noch. Allerdings gibt es bei allen Fraktionen ein paar engagierte Zuhörerinnen und Zuhörer. - Das Thema verdient eigentlich mehr Aufmerksamkeit. Denn Sportlerinnen und Sportler mögen vielleicht die schnelleren, die weiter und höher springenden oder zielgenauer werfenden Mitglieder unserer Gesellschaft sein, bessere Menschen sind sie keinesfalls. Der Sport ist ein Spiegel der Gesellschaft. Das heißt nichts anderes, als dass sich gesellschaftliche Probleme wie Gewalt, Rassismus, Homophobie usw. auch im Sport wiederfinden.

Dass das Thema bewegt, zeigte sich am 11. Februar 2015 im Rahmen unseres gut besuchten Fachgesprächs zum Thema „Gewalt und Homophobie im Fußballsport“. Wir diskutierten mit Vertretern des Projektes „Mut - Menschlichkeit und Toleranz im Sport“ vom Landessportbund, einem Vertreter des Roten Stern Leipzig e. V., mit aktiven Sportlerinnen, mit Vertretern des Lesben- und Schwulenverbandes, der Polizeigewerkschaft und weiteren mit den Themen Befassten.

Einhelliges Fazit war: Bei der Bekämpfung von Diskriminierung im Sport liegt noch ein weiter Weg vor uns. Die von der Landesregierung vorgelegten Antworten zeigen vor allem, dass wir über Diskriminierung im sachsen-anhaltischen Sport noch viel zu wenig wissen. Viele Betroffene trauen sich nicht, ihre Erfahrungen offenzulegen. Das, meine Damen und Herren, muss sich ändern. Daran müssen wir, Sport, Gesellschaft und Politik, arbeiten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf einige Punkte unserer Großen Anfrage und auf die Antwort der Landesregierung eingehen. Sportlerinnen und Sportler sind als Menschen Trägerinnen und Träger von Vorurteilen und Ressentiments. Sportarten wie Fußball bauen auf traditionellen Rollen- bzw. Männlichkeitsbildern, ja im Falle von Fußball sogar auf einer Ästhetisierung und Überhöhung von Männlichkeit. Gerade dort spielen deshalb Gewaltakzeptanz, Homo- und Transphobie eine größere Rolle.

Immer wieder werden wir mit der Problematik „Gewalt im Sport“ konfrontiert. Besonders betroffen ist dabei der Fußballsport, der wegen gewalttätiger und häufig auch rassistischer Auseinandersetzungen auf dem Platz oder in der Halle selbst und zwischen rivalisierenden Fans auch in SachsenAnhalt in die Schlagzeilen gerät. Auch wenn die weitaus überwiegende Zahl von Fußballspielen in Sachsen-Anhalt friedlich verläuft, möchte ich auf

zwei konkrete Beispiele aus den letzten Monaten eingehen.

Ein Duell zwischen dem Verein Roter Stern Halle und der TSG Wörmlitz-Böllberg endete im Oktober 2014 mit einem Polizeieinsatz, weil es nicht nur zu einem Stoß gegen Spieler des Roten Sterns gekommen war, sondern weil auch fremdenfeindliche Äußerungen gegenüber Spielern und Fans erfolgten.

Auch an die Ereignisse im Landkreis Jerichower Land und in Magdeburg Anfang Januar 2015 sei erinnert. Dort kam es bei einem Hallenfußballspiel in Gommern zunächst zu einem Spielabbruch, weil ein als in der rechten Szene als aktiv bekannter Mann in der Halle gegen einen Schiedsrichter gewalttätig geworden sein soll und es im Anschluss eine Prügelei im Publikum gegeben hat, die von Spielern des FC Ostelbien Dornburg ausging.

Am selben Abend erfolgte ein rechter Angriff in einer Magdeburger Diskothek, an dem auch Mitglieder der rechten Gruppierung BWSE bzw. des Fußballvereins Ostelbien Dornburg beteiligt gewesen sein sollen, in dem sich auch der Verdächtige der ersten Straftat engagiert. Noch prüfen Polizei und Staatsanwaltschaft mögliche Zusammenhänge.

Der Landessportbund und der Fußballverband Sachsen-Anhalt nehmen zahlreiche Gewaltphänomene wahr, wie Tätlichkeiten zwischen Spielern, verbale und körperliche Angriffe gegen Schiedsrichter, Fanausschreitungen, verbale Attacken mit rassistischem, antisemitischem und rechtsextremem Hintergrund, Gewalt von Fangruppierungen der Vereine, Vorkommnisse mit Zuschauern.

Die Polizei hat in der vergangenen Saison insgesamt mehr als 38 000 Mannstunden allein für die Spiele des HFC und des FCM aufgewandt. Damit war die Bereitschaftspolizei rund drei Arbeitswochen nur für Fußballspiele im Einsatz. Wir sehen in diesem Bereich aber eine rückläufige Tendenz und dürfen ebenfalls feststellen, dass die allermeisten Fußballspiele in diesem Land keine Polizeibegleitung benötigen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Stadion ist ein Wohlfühlort, auch für Neonazis und Rassisten. Im Jahr 2014 wurden dem LSB insgesamt 55 Gewaltdelikte bekannt. Davon ordnete der LSB 26 Fälle rassistisch motivierter Gewalt zu. Auch die Zahl der Fälle im Zusammenhang mit in Sachsen-Anhalt ausgetragenen Fußballspielen, in denen Personen mit rechten Parolen beschimpft wurden, stieg deutlich an. In den Jahren 2011 und 2012 hat es jeweils zwei Vorfälle gegeben. Im Jahr 2013 waren 13 Vorfälle und im Jahr 2014 waren 26 Vorfälle zu verzeichnen.

Diese Zahlen sind sicherlich nicht per se ein Anzeichen für die Zunahme solcher Vorfälle, sondern

vielmehr das Resultat einer steigenden Sensibilisierung. Es muss unser aller Ziel sein, unsere Aufmerksamkeit auf Gewalt im Fußballsport zu lenken, Diskriminierungen zu erkennen, den Opfern Gehör zu schenken. Hieran muss das vom Land Sachsen-Anhalt mitfinanzierte Projekt des LSB „Menschlichkeit und Toleranz im Sport“ weiter ansetzen.

Das Ziel des Mut-Projektes ist die Stärkung der demokratischen Strukturen des Sports sowie die Minimierung extremistischer Tendenzen durch Bildungsarbeit, Beratung und Aufbau eines eigenen Netzwerks.

Laut dem Landeskoordinator Mut-Projektes Helge Tiede sind zwischen 2011 und 2014 rund 150 Vorträge mit ca. 2 700 Trainern, Übungsleitern, angehenden Übungsleiterinnen und Übungsleitern, Vereinsmanagerinnen und Vereinsmanagern und Bundesfreiwilligendienst-Leistenden mittels der Bildungsveranstaltung organisiert worden. Das ist unglaublich wichtig, muss aber weiter ausgebaut werden.

Unter dem Dach des LSB und seiner 47 Landesfachverbände in Sachsen-Anhalt sind knapp 330 000 Menschen in rund 3 100 Sportvereinen organisiert. Sie sehen daran die Größe der Aufgabe.

Vergegenwärtigt man sich das abnehmende Budget des Projektes Mut - im Jahr 2013 standen 220 300 € und im Jahr 2014 204 300 € zur Verfügung; im Jahr 2015 sind es noch 156 000 € -, dann wird klar, dass die Bildungs- und Beratungsarbeit angesichts knapper werdender Ressourcen zukünftig an Grenzen stoßen könnte. Das kann nicht unser Ziel sein.

Das Mut-Projekt ist eine wichtige Säule im Kampf gegen Rechtsextremismus, Homophobie, Rassismus und Diskriminierung im Sport. Ich erwarte, dass der Bund und das Land sich hierbei auch weiterhin finanziell engagieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sehe aber auch, dass der Sport selbst, insbesondere der Fußballverband Sachsen-Anhalt sich hier noch stärker finanziell einbringen muss. Noch fehlt es beim Thema an Sensibilität bei den Verantwortlichen, besonders beim Fußballverband. So ist der FC Ostelbien Dornburg eben kein Verein wie jeder andere. Es ist ein Verein mit einer massiven Konzentration von Neonazis und von durch rechte Straftaten auffällig gewordenen Personen. Er hätte nie zum Spielbetrieb zugelassen werden dürfen.

(Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Ich hätte mich gefreut, wenn der LSB das auch gerichtlich durchgefochten hätte. Die Haltung des Fußballverbandes, der hierbei bis heute vor allem

durch Wegschauen auffällig wird, ist mir unverständlich.

(Zuruf von Herrn Wunschinski, CDU)

Meine Damen und Herren! Diskriminierungsfreiheit darf nicht nur von oben gefordert werden, sondern muss auch von unten gelebt werden. Wir müssen Diversität entwickeln und leben, Unterstützungsstrukturen schaffen und unseren Blick für Diskriminierung schärfen. Das heißt für mich, ein Monitoring für Diskriminierung im Sport aufzubauen und es weiter zu verbessern. Zudem muss Heteronormativität im Fußballsport hinterfragt werden.

Das Coming-out von Thomas Hitzlsperger Anfang 2014 war eine Nachricht, die in allen Medien Berücksichtigung fand und sogar die Kanzlerin zu einer Stellungnahme bewogen hat.

Doch was hat sich seitdem im Fußballsport verändert? - Bei den Männern leider wenig. Noch immer hat sich kein aktiver Profikicker aus der Bundesliga geoutet. Noch immer leiden schwule Fans unter den Pöbeleien auf den Rängen, unter homophoben Transparenten, Schmähgesängen und Beschimpfungen. In Sachsen-Anhalt bleibt Homophobie häufig unbeachtet.

Die Landesregierung, der LSB und der FSA berichten, dass homophobe Vorkommnisse im Sport nicht bekannt seien. Auf die Frage, welche Projekte des sachsen-anhaltischen Fußballverbandes und der Vereine sich mit dem Phänomen homophober und transphober Gewalt auseinandersetzen, hat der FSA lediglich mitgeteilt, dass er personelle Maßnahmen vorhalte sowie personelle Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit leiste. Seit Kurzem setzt das Projekt Mut einen eigenen Workshop-Baustein um. Das ist wichtig und sehr zu begrüßen.