Protokoll der Sitzung vom 26.02.2015

Der Missbrauch war vielfältig. Er bestand zum Beispiel darin, dass Frauen öffentlich bloßgestellt wurden, dass sie das Haus nicht verlassen durften, dass sie eingesperrt wurden, dass sie wider ihren Willen pornografische Filme anschauen mussten, dass ihnen Gewalt angedroht oder tatsächlich angetan wurde.

Die Ergebnisse dieser Erhebung können und dürfen wir als Politikerinnen und Politiker nicht ignorieren. Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung. Diese Gewalterfahrungen haben meist nicht nur weitreichende negative Auswirkungen auf die Frauen selber, auf ihre körperliche und seelische Gesundheit, sie beeinträchtigen auch ihre familiären und sozialen Beziehungen. Insbesondere die Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, haben häufig ein Leben lang darunter zu leiden.

Frauenhäuser - das ist heute zentraler Gegenstand der Debatte - sind eine zentrale Säule beim Schutz gegen Gewalt an Frauen. Sie sind Zufluchtstätten, die misshandelten Frauen und bedrohten Kindern zu jeder Tages- und Nachtzeit offen

stehen, ihnen Schutz und Hilfe vorbehaltlos gewähren. Sie sind Orte, wo Bedrohung, Angst und Gewalt im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür bleiben.

In Sachsen-Anhalt suchten im Jahr 2013 688 schutzsuchende Frauen eines der 20 Frauenhäuser auf, begleitet von 551 Kindern. Diese Frauen und Kinder benötigen spezielle und vor allem parteiliche Hilfe. Es bedarf einer fachkundigen persönlichen Beratung und Unterstützung. Leider fehlt es trotz dieser wichtigen fundamentalen Aufgabe und trotz der Tatsache, dass es auch schon in diesem Hohen Hause mehrmals Thema war und in jedem - das muss man zugestehen - Grußwort der Frau Ministerin anklingt, noch immer an einer verlässlichen Finanzierung und einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Frauenarbeit in diesem Land.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Tatsache ist, dass wir nach wie vor über mangelnde Finanzierung zu klagen haben. Tatsache ist, dass wir noch immer uneinheitliche Standards verzeichnen müssen. Tatsache ist, dass wir uns beim effektiven Schutz für Frauen ein Defizit leisten. Tatsache ist, dass sich niemand um die betroffenen Kinder kümmert.

Stichwort: einheitliche bundesweite Frauenhausfinanzierung. Hier passiert das, was die Bevölkerung uns Politikern oft pauschal vorwirft: Die Zuständigkeit wird vom Bund auf die Bundesländer, von den Bundesländern auf die Kommunen, die Gemeinden und Landkreise und von dort wiederum auf die Länder und den Bund verschoben. Das geht seit mehr als 30 Jahren so, seit das erste Frauenhaus in der Bundesrepublik eröffnet wurde. Über die finanzielle Absicherung der Frauenhäuser wird seitdem kontinuierlich diskutiert, aber effektiv passiert ist nichts.

Auch die aktuelle Bundesregierung hat bislang nichts unternommen, um Frauenhäuser von der Bundesseite aus zu unterstützen. Zwar wollen sie laut Koalitionsvertrag - ich zitiere - „Gewalt an Frauen und Kindern konsequent bekämpfen, Schutz und Hilfe für alle Betroffenen gewährleisten und Lücken im Hilfesystem schließen“, doch das sind bis dato leere Worte. Man scheut die Kosten für den Bund und beharrt darauf, dass die Länder diese Aufgabe wahrnehmen.

An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, hilft auch ein bundesweit durchfinanziertes Hilfetelefon nichts, wenn dann die Einrichtungen, die vor Ort die Hilfe leisten sollen, diese Aufgabe nicht wirklich wahrnehmen können. Es reicht eben nicht aus, die Schwierigkeiten bei der Frauenhausfinanzierung zur Kenntnis zu nehmen und zu benennen. Wir brauchen eine Reform der Frauenhausfinan

zierung, ja, wir brauchen überhaupt erst einmal eine einheitliche bundesweite Finanzierung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Wir brauchen hohe qualitative Standards, die eine ausreichende finanzielle Ausstattung nach sich ziehen, und zwar bundesweit und bedarfsgerecht. Daher fordern wir die Landesregierung nicht zum ersten Mal, heute jedoch mittels eines Entschließungsantrags auf, sich auf der Bundesebene für eine solche einheitliche gesetzlich verankerte Frauenhausfinanzierung mit bundesweit identischen Standards einzusetzen und im Bundesrat dazu tatsächlich aktiv zu werden. Nur mit ausreichenden Mitteln können genug Plätze bereitgestellt und Qualitätsstandards eingehalten werden.

(Zustimmung von Frau von Angern, DIE LINKE)

- Danke, Frau von Angern. - Apropos Qualitätsstandards: Der Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder zeigte bereits im August 2012, also noch unter der letzten Bundesregierung, dass Art und Qualität des Schutzes für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder außerordentlich unterschiedlich sind. Es ist abhängig davon, in welchem Landkreis man lebt, in welcher Stadt man lebt, ob man einen deutschen Pass hat, welchen Aufenthaltsstatus man genießt, ob man eine Behinderung hat und, wenn ja, welche, ob man Kinder hat oder nicht.

Auch in Sachsen-Anhalt unterscheiden sich die Standards von Frauenhaus zu Frauenhaus stark. Lediglich zwei von 20 Frauenhäusern sind barrierefrei, nämlich die Häuser in Magdeburg und in Zeitz. Nur sieben der Frauenhäuser können innerhalb eines regionalen Hilfenetzwerks auf kostenfreie Unterstützung hoffen, wenn notwendige Dolmetscherleistungen in Anspruch genommen werden müssen. Nur sieben haben die Möglichkeiten, über Kreisvolkshochschulen, Hochschulen, Ausländerbehörden oder eine spezielle Beratungsstelle solche Dolmetscherleistungen in Anspruch zu nehmen.

Wenn wir uns die Arbeit mit Kindern angucken, ist es noch trauriger. Lediglich das Frauenhaus in Halle mit einer halben VbE, wie es so schön heißt, und Magdeburg mit einer Personalstelle können hier gezielt tätig werden. Die regionale Verfügbarkeit ist sehr unterschiedlich. Manche Häuser müssen regelmäßig wegen Platzmangels in ein anderes Frauenhaus verweisen, manche gar nicht.

Die berufliche Qualifikation ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Hier finden wir alles, von der Fachkraft für soziale Arbeit bis zum Hochschulabschluss.

Was die Ergebnisse in der Großen Anfrage sehr verfälscht, ist, dass dort auch Fachkräfte aufgeführt werden, die dort nur in Ein-Euro-Jobs, also nur kurzzeitig und nicht über den regulären Personalschlüssel, arbeiten.

Die Sprachkenntnisse habe ich eben schon angesprochen. Es gibt vier Frauenhäuser, die lediglich deutsche Sprachkenntnisse anbieten können.

Ebenfalls eine äußerst große Spannweite hat der Sanierungsbedarf. In der Antwort auf die Große Anfrage ist zu lesen, dass vier Frauenhäuser einen hohen bzw. umfangreichen Sanierungsbedarf aufweisen. Die Rücksprache mit den Frauenhäusern hat aber ergeben, dass es hier offensichtlich zwischen dem Ministerium und den Häusern eine sehr unterschiedliche Interpretation dessen gibt, was geplanter, notwendiger und dringender Sanierungsbedarf ist. Ich habe mich beispielsweise sehr gewundert, was ich über das Frauenhaus in Dessau lesen musste.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daher sind unsere Forderungen, die wir in unserem Entschließungsantrag aufgestellt haben, relativ klar. Sie liegen auf der Hand. Es bedarf eines Konzeptes, das es ermöglicht, traumatisierten Kindern und Jungendlichen in Frauenhäusern schnell und adäquat Hilfe zur Verfügung zu stellen. Der rechtliche Weg über die Jugendämter ist ein zu langer Weg. Selbst dann, wenn Leistungen bewilligt werden, finden wir in vielen Gegenden dieses Landes keine niedergelassenen Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen, die diese Aufgabe schnell übernehmen könnten.

(Frau Hampel, SPD: Das ist so!)

- Ja, das ist so.

Deswegen schlagen wir als grüne Landtagsfraktion vor, ein mobiles Team mit zwei Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen ins Leben zu rufen, das dann exklusiv für die Kinder und Jugendlichen in den Frauenhäusern dieses Landes zur Verfügung steht. Zusätzlich fordern wir eine halbe Stelle beim Personalschlüssel für Erzieherleistungen.

Das mobile Team soll herumfahren - ich denke, das ist zumutbar - und dann gezielt diese Therapie Kindern anbieten. Ich glaube, das ist adäquater, als wenn jedes Haus das anbieten würde. Das würde nicht gewährleisten, dass Aufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Das würde auch nicht wirtschaftlich sein.

Ich glaube, dass die Betreuung und Begleitung von Kindern, die zeitweilig mit ihren Müttern in einem Frauenhaus leben, im Moment nicht gesichert ist; denn wir haben zu wenig Personal, erst recht zu wenig pädagogisches Personal.

Insbesondere dann, wenn der Kita- oder Schulbesuch unterbrochen werden muss, weil vielleicht

ein Ortswechsel stattgefunden hat, wenn Probleme beim Kontakt mit dem Kindsvater bestehen, ist es ganz wichtig, frühzeitig tätig zu werden. Man muss schließlich auch berücksichtigen, dass sich die Mütter in einer Ausnahmesituation befinden und deshalb nicht leisten können, was sie sonst leisten müssen. Insbesondere in den ersten Wochen können sie das nicht leisten. Ich glaube, deswegen ist es unerlässlich, pädagogisches Personal für die Frauenhäuser zur Verfügung zu stellen.

Aus der Forschung kennen wir seit Längerem die Gewaltspirale. In der Kindheit erlebte Gewalterfahrungen werden reproduziert und dann insbesondere bei Jungen in ihrem späteren Erwachsenenleben weiter fortgelebt. Ich halte es für dringend notwendig, diesen Kreislauf zu unterbrechen.

Ein weiteres Problem ist die Barrierefreiheit. Barrierefreiheit brauchen wir an vielen Stellen dieses Landes. Wir haben oft über dieses große Problem gesprochen. Nichtsdestotrotz ist seit 2009 die UNBehindertenrechtskonvention gesetzliche Grundlage, die auch für die Frauenhäuser dieses Landes zugrunde gelegt werden muss. Es ist inakzeptabel, dass nur zwei Frauenhäuser Barrierefreiheit aufweisen.

Die eingeschränkte Mobilität von Frauen mit Behinderungen und die Sorge, das stützende soziale Umfeld und den Arbeitsplatz zu verlieren, gegebenenfalls die Kinder aus der Schule nehmen zu müssen, sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden zu müssen, ist gerade für Frauen mit Behinderungen quasi eine doppelte Bestrafung.

Schließlich zur Situation der Beschäftigten in den Frauenhäusern. Eine tarifgerechte Entlohnung, angelehnt an den TVöD, ist hier ein großes Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben sich für den bundesweiten Mindestlohn eingesetzt, was ich als GRÜNE natürlich sehr unterstütze und auch sehr mit vorangetrieben habe. Überlegen Sie sich aber einmal, was das für eine Situation ist, wenn man einen 35-Stunden-Arbeitsvertrag hat, alle 14 Tage Rufbereitschaft am ganzen Wochenende leisten muss, einen Hochschulabschluss haben soll und dafür 1 750 € brutto bekommt. Ich glaube, das ist nicht akzeptabel.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE sagen. Für meine Begriffe enthält dieser sehr viel Lyrik. Die Aussage stimmt aber überein mit dem, was in unserem Entschließungsantrag steht: einheitliche gesetzliche Grundlage, auf Dauer angelegte und gesicherte Finanzierung, tarifgerechte Bezahlung, kontinuierliche sozialpädagogische Betreuung, räumlich und personell gute und barrierefreie Ausstattung. Das ist deckungsgleich in unseren

beiden Entschließungsanträgen. Insofern sind beide Anträge zustimmungsfähig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Finanzierung der Frauenhäuser muss dringend im Interesse der misshandelten Frauen und ihrer Kinder verlässlich, unabhängig von wechselnden Haushaltslagen und politischen

Mehrheiten ein für alle mal geklärt werden. Wir müssen den Weg mutiger Frauen aus bestehenden Machtverhältnissen heraus, die sich in ein gewaltfreies Leben aufgemacht haben, unterstützen und sie und ihre Kinder begleiten.

Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. Ich glaube und bin ganz sicher, Gewalt gegen Frauen und Kinder ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Daraus erwächst die gesellschaftliche Verantwortung, diesem zu begegnen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. - Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Kolb. Bitte schön, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vor wenigen Tagen, am 14. Februar 2015, sind weltweit Frauen und Mädchen auf die Straße gegangen, um ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen zu setzen. „One Billion Rising“ erreicht von Jahr zu Jahr mehr Menschen und das ist wichtig.

Frau Lüddemann hat es eben bereits ausgeführt: Ein Drittel aller Frauen erlebt in ihrem Leben häusliche Gewalt. Die wenigsten zeigen ihren Peiniger an oder finden den Weg hinaus aus dieser Spirale der Gewalt.

Die Kriminalitätsstatistik 2013 weist für SachsenAnhalt 3 024 Frauen als Gewaltopfer aus. Das ist nur die Spitze des Eisberges. Wie viele genau betroffen sind, wissen wir nicht. Die Dunkelziffer ist hoch.

Deshalb ist es mir wichtig - ich weiß, dass es auch diesem Hohen Haus wichtig ist -, viele Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren, aber nicht nur am 14. Februar und nicht nur am 25. November. Letzten Endes trägt auch diese Debatte dazu bei.

Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für diese Große Anfrage dankbar, weil es nicht leicht ist - Frau Kollegin Lüddemann hat es beschrieben -, die Vorstellung, die wir von einer adäquaten Ausstattung der Frauenhäuser haben, auch praktisch umzusetzen.

Ich werde gleich noch meine ganz persönlichen Erfahrungen in dieser Hinsicht im politischen Bereich schildern. Insoweit ist es wichtig, dass wir uns in diesem Haus zu den Defiziten und zu dem Handlungsbedarf klar bekennen. Die Ist-Situation ist hier sehr deutlich beschrieben worden.

Ich sage das ganz deutlich: Ja, wir brauchen verlässliche, erreichbare und finanziell auskömmlich ausgestattete Unterstützungsangebote. Ich bin froh darüber, dass wir es in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren geschafft haben, unser System der Unterstützungseinrichtungen zu erhalten.

In anderen Ländern hat es in diesem Bereich Einschnitte gegeben. Uns ist es zumindest gelungen, die Finanzierung auf dem bisherigen Niveau zu halten und keine Kürzung vorzunehmen. Deshalb bin ich ein Stück weit stolz darauf, dass wir in Sachsen-Anhalt 20 Frauenhäuser haben, davon acht mit ambulanten Beratungsstellen, sieben Frauenzentren, vier Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt, vier Interventionsstellen, die Landeskoordinierungsstelle LIKO sowie die Beratungsstellen Vera und ProMann.

Außerdem gewährleisten wir - das ist in Deutschland nicht mehr in jedem Bundesland selbstverständlich - jeder Frau Zugang zu diesen Hilfeeinrichtungen. Es gibt mittlerweile einige Bundesländer, in denen beispielsweise Studentinnen, weil sie keinen Zugang zu den Sozialleistungssystemen haben, keine Möglichkeit haben, ein Frauenhaus aufzusuchen.

Frau Lüddemann, in den Frauenhäusern kümmern wir uns auch um die Kinder. Ich weiß um das Problem, dass wir dafür keine adäquate Lösung haben, dass wir hierfür spezielle Kräfte in allen Frauenhäusern zur Verfügung stellen müssen. Ich weiß aber, dass sich die Kolleginnen und Kollegen natürlich auch intensiv um die Kinder kümmern.