Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Mitglieder des Hohen Hauses! Ich eröffne die 92. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Dazu möchte ich alle Mitglieder und Gäste des Hohen Hauses herzlich begrüßen.
Am vergangenen Donnerstag erreichte mich die Mitteilung, dass das ehemalige Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt Herr Hans-Jochen Tschiche im Alter von 85 Jahren in Magdeburg verstorben ist. In Trauer nehmen wir Abschied von einem Kollegen, Weggefährten, Freund und auch Streitpartner, der die jüngste Geschichte unseres Landes aktiv mitgestaltet und nicht unmaßgeblich beeinflusst hat.
Hans-Jochen Tschiche, geboren im Jahr 1929, wurde in seinen Kinder- und Jugendjahren von den Abgründen und Wendepunkten der deutschen Geschichte entscheidend geprägt. Nach dem Studium der evangelischen Theologie gehörte er zu den Menschen in der noch jungen DDR, die sich weder Denken noch Sprechen noch Handeln von ideologischen Schranken oder von staatlichen Autoritäten verbieten lassen wollten.
Seine offene Kritik an der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 oder auch sein aktiver Einsatz als Studienleiter der evangelischen Akademie zu Magdeburg für wegen ihrer Überzeugung Bedrängte in der DDR sind wichtige, aber nur einige Beispiele seiner Aufrichtigkeit in einem auf Konformität ausgerichteten System. Damals gehörte Mut dazu, Mut, den weniger Menschen hatten, als es sich nach 1990 mancherorts manchmal anhörte.
In den 80er-Jahren wurden die kritischen Stimmen, die die Zustände im sogenannten real existierenden Sozialismus der DDR anprangerten, vielfältiger und lauter. Hans-Jochen Tschiche gab als Organisator der Bürger- und Friedensbewegung zahlreichen Menschen Halt und Hilfe bei der Artikulation ihres Unmuts oder dessen, was sie bewegte. Im Spätsommer 1989 gehörte er neben Bärbel Bohley zu den Mitbegründern des Neuen Forums.
Hans-Jochen Tschiche kämpfte für Veränderungen in einem nicht reformfähigen System, wie es seine Weggefährtin Bohley formulierte. Wiederholt erhob er seine Stimme, so auch vor zehntausenden Demonstranten hier, unmittelbar vor dem heutigen Parlament auf dem Domplatz in Magdeburg im Herbst 1989, der zum Frühling einer aufbrechenden Demokratie in diesem Teil Deutschlands wurde.
Als Mitstreiter und aktiver Gestalter der friedlichen Revolution fand er den Weg vom runden Tisch des Bezirkes Magdeburg in die Politik. Als Abgeordneter der einzigen frei gewählten DDR-Volkskammer sowie kurzzeitig auch als Mitglied des Deutschen Bundestages setzte er sich wortgewaltig für die Ideale der Bürgerrechtsgruppen ein.
Nach der Wiedergründung des Landes SachsenAnhalt im Oktober 1990 gestaltete Hans-Jochen Tschiche den Aufbau unseres Bundeslandes mit. Zunächst als Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und seit der zweiten Wahlperiode auch als Alterspräsidenten des Landtages lernten wir Hans-Jochen Tschiche als streitbaren und unerschrockenen Redner in diesem Hause kennen.
Gegen zahlreiche Widerstände von innen und außen blieb er seinen Überzeugungen treu. Ohne Zweifel gehörten Debatten unter seiner Beteiligung zu den merkwürdigen Momenten unserer Parlamentshistorie. Denn er war oft unbequem, er war pointiert, nicht zimperlich, aber leidenschaftlich, weniger detailverliebt als grundsätzlicher Natur. Sie werden uns deshalb auch in Erinnerung bleiben.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament blieb Hans-Jochen Tschiche die kritische Stimme aus Satuelle. Ein entspanntes Leben als Pensionär widersprach offensichtlich seiner Grundüberzeugung. Er setzte sein ehrenamtliches Engagement im politischen und im sozialen Bereich bis zuletzt weiter fort. Erst im vergangenen Jahr wurde er, 84-jährig, in den Kreistag des Bördekreises gewählt.
Unvergessen wird auch sein leidenschaftliches Engagement gegen Fremdenhass, gegen Alltagsrassismus und Intoleranz bleiben. Er redete nicht drum herum - das war nicht seine Art -, sondern er benannte oft auch ungeschminkt nicht gern gehörte Wahrheiten und veranlasste so Handeln, wo Worte nicht mehr reichen. Im Netzwerk für Demokratie und Toleranz des Landes Sachsen-Anhalt engagierte er sich bis zuletzt. Dafür danke ich ihm im Namen des Landes Sachsen-Anhalt.
Hans-Jochen Tschiche wurde für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse sowie mit dem Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung ausgezeichnet. Aber ihm ging es niemals um Ehrungen und Auszeichnungen am Revers. Hans-Jochen Tschiche ging es um die Sache, um Demokratie und Freiheit. Mit seinem Tod hat unser Land einen engagierten, charismatischen Demokraten verloren.
Er wählte selten den bequemsten Weg, sondern lebte seine Ideale aufrichtig. Wenn nachfolgende Generationen sich mit der Rolle der Bürgerbewegung auf dem Weg zur deutschen Einheit und mit den demokratischen Neuanfängen in diesem Teil
Deutschlands befassen, wenn die Anfänge parlamentarischer Demokratie in Sachsen-Anhalt nach 1990 in Erinnerung gerufen werden, wird HansJochen Tschiche zu den herausragenden Personen gehören, welcher man sich erinnert.
Wir nehmen Anteil an der Trauer und sprechen seiner Familie und seinen Angehörigen unser Beileid aus. Ich bitte Sie, sich zum Gedenken an Hans-Jochen Tschiche von den Plätzen zu erheben.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir suchen miteinander eine politische Zukunft, damit Parlament und Demokraten glaubwürdig bleiben; das ist doch das, worauf es ankommt. - Ein Satz, der typisch für Hans-Jochen Tschiche ist. Ein großer Demokrat ist von uns gegangen.
Als Pfarrer war Bruder Tschiche, wie er sich bisweilen selber vorstellte, zu DDR-Zeiten Leiter der evangelischen Akademie in Magdeburg. Im Jahr 1989 gründete er zusammen mit anderen die Bürgerrechtsbewegung Neues Forum. In Magdeburg saß er mit am runden Tisch. Im Jahr 1990 sammelte er erste parlamentarische Erfahrungen in der frei gewählten Volkskammer. Hier im Hohen Hause, im Landtag von Sachsen-Anhalt, saß er von der ersten Stunde an. Von 1990 bis 1998 war er Vorsitzender der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Nachdem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahr 1998 nicht wieder in den Landtag gewählt worden waren, gründete er zusammen mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern den Verein Miteinander, das Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt, einen Verein, der sich bis heute aktiv für eine offene und demokratische Gesellschaft in Sachsen-Anhalt einsetzt und sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit engagiert. Bis zu seinem Tod war HansJochen Ehrenvorsitzender meiner Partei.
Hans-Jochen war ein Mahner, ein exzellenter Redner und ein kämpferischer Demokrat, und er war mutig, wenn es um die richtige Sache ging. HansJochen Tschiche war ein Freigeist. Er war widerständig - in der DDR und in der Bundesrepublik. Er blickte zurück und er blickte nach vorn. Im Parlament setzte er sich von der ersten Stunde an vehement für eine Aufarbeitung des DDR-Unrechts ein, um damit einen Grundstein für eine erfolgreiche Gestaltung der Zukunft Sachsen-Anhalts zu legen.
das Magdeburger Modell auf den Weg zu bringen. Damit hat er aus tiefster Überzeugung gezeigt, dass Vergangenheit, nämlich der Kampf für Demokratie, Verpflichtung für die Zukunft ist und Stillstand eben keine Option. Er hat damit gezeigt, dass eine linke Regierung in Sachsen-Anhalt möglich ist, und er hat damit den eigenen Leuten, den Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern und den Opfern der Diktatur der DDR in und außerhalb der eigenen Partei viel zugemutet.
Hans-Jochen wollte Visionen ermöglichen, und an seine Vision, dass eine andere, eine gerechtere, eine friedlichere Welt, ein Leben der Menschen im Einklang mit der Schöpfung möglich ist, hat er geglaubt, unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus in der DDR ebenso wie im wiedervereinigten Deutschland nach 1990. Für diese Vision hat er gestritten.
Demokratie war für ihn mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nicht endgültig erkämpft. Es galt, die Demokratie auch unter den Bedingungen des Kapitalismus zu verteidigen und leben zu lassen.
Ich weiß, dass wir hier im Hohen Haus das Magdeburger Modell ganz unterschiedlich bewerten. Aber wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sind dankbar, dankbar für den Mut, den Hans-Jochen Tschiche und Reinhard Höppner hatten. Dass wir heute noch eine Spitzenposition in der Zukunftsbranche der erneuerbaren Energien einnehmen, wäre ohne den streitbaren Demokraten Hans-Jochen Tschiche und ohne Heidrun Heidecke, die damalige Umweltministerin, undenkbar.
Sein Vermächtnis ist uns Verpflichtung. HansJochen Tschiche kämpfte für die Würde jedes Menschen. Er kämpfte, wo Menschen unter die Räder zu kommen drohten. Dort war Hans-Jochen bei ihnen, ganz nah. Sein Eintreten für die Ausgegrenzten, für die an den Rand Gedrängten, wie wir es zum Beispiel zuletzt in Insel erleben durften, behalten wir in Erinnerung. Dankbar erinnern wir uns an seinen Mut und seine Kompromisslosigkeit, wo es galt, gegen Menschenfeindlichkeit einzustehen.
Menschenfeindlichkeit, ob in Insel oder Tröglitz, gilt es entschieden entgegenzutreten. Demokratie muss jeden Tag neu erkämpft werden, auch wenn das unbequem ist. Gerechtigkeit für alle Menschen hier bei uns im Land muss oberste Richtschnur für unser Handeln sein. Hans-Jochen Tschiche - er wird uns fehlen.
Danke schön, Kollegin Dalbert. - Die Beisetzungsfeierlichkeiten finden am Freitag um 14 Uhr in Magdeburg auf dem Westfriedhof statt.
Es sind immer Brüche mentaler Art, wenn man nach der Erinnerung an das, was unser aller Lauf ist, dann doch wieder zu dem übergehen muss, was Pflichten und Tagesgeschäfte erfordern.
Ich teile mit, dass Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung vorliegen. Mit Schreiben vom 24. Juni bat die Landesregierung, für die 45. Sitzungsperiode folgende Mitglieder zu entschuldigen: Herr Minister Bullerjahn ist am Donnerstag ab 12 Uhr wegen der Teilnahme an einer Sitzung des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Berlin entschuldigt. Frau Ministerin Professor Dr. Kolb ist am Donnerstag und Freitag ganztägig entschuldigt wegen der Teilnahme an der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister sowie der -senatorinnen und -senatoren der Länder in Berlin.
Die Tagesordnung für die 45. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat fristgemäß ein Thema zur Aktuellen Debatte eingereicht, das unter Punkt 24 a) in die Tagesordnung aufgenommen wurde und gemäß einer Übereinkunft im Ältestenrat am Freitag an erster Stelle behandelt werden soll. Hierzu schlagen die parlamentarischen Geschäftsführer die Rednerreihenfolge GRÜNE, CDU, LINKE und SPD vor.
Die Fraktion DIE LINKE hat ebenfalls fristgemäß ein weiteres Thema zur Aktuellen Debatte eingereicht, das unter Punkt 24 b) in die Tagesordnung aufgenommen wurde und im Anschluss behandelt werden soll. Hierzu schlagen die parlamentarischen Geschäftsführer die Rednerreihenfolge DIE LINKE, SPD, Bündnisgrüne und CDU vor.
Gibt es hierzu noch Wortmeldungen, Anmerkungen, Änderungswünsche? - Das sehe ich nicht. Dann können wir so verfahren wie mitgeteilt, und es gilt als beschlossen.
Zum zeitlichen Ablauf der 45. Sitzungsperiode. Am Donnerstag, dem 2. Juli, also morgen, findet um 20 Uhr im Innenhof des Landtagsgebäudes der Parlamentarische Abend statt, zu dem die Mitglieder des Hohen Hauses herzlich eingeladen sind, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und der Verwaltung, die den Parlamentsbetrieb täglich sehr professionell gewährleisten. Auch die Mitglieder der Landespressekonferenz sind herzlich eingeladen. Die morgige 93. Sitzung des Landtages beginnt um 9 Uhr.
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2015/2016 (Nachtragshaus- haltsgesetz 2015/2016)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon schwierig, jetzt von Hans-Jochen Tschiche zum Haushalt überzugehen. Ich danke ausdrücklich Frau Professor Dalbert und dem Präsidenten für ihre Worte. Ich hatte das Glück, mit Wulf Gallert noch bei seinem Geburtstag zu sein.
Wissen Sie, was mir fehlen wird? Dieses schelmische Lächeln. Da sitzt ein älterer Mann vor mir, der scheinbar alles nicht so richtig ernst nimmt, sich am allerwenigsten. Wenn er heute hier gesessen hätte, und er hätte gehört, was Sie über ihn sagen, hätte er gedacht: Die meinen gar nicht mich, sondern jemand anderen.
Diese Art, sich selbst zu sehen, habe ich an Jochen immer sehr geschätzt. Glauben Sie mal nicht - wir sind hier unter uns -, dass er immer nur lieb war. So ist es ja nicht. Er konnte auch anders - wie wir alle -, und auch das ist Jochen. Deshalb ist es gut, dass wir ihm gedenken und am Freitag noch einmal unsere Aufwartung machen.
Das macht es mir jetzt nicht leichter, zum Haushalt zu kommen, aber ich wollte noch einmal Danke sagen und ihn würdigen, denn so viele solcher „Typen“ gibt es nicht mehr. Das waren noch Typen.
Jetzt zum Haushalt. Ich gebe ehrlich zu: Ich hätte vor Monaten noch nicht gedacht, dass ich ein halbes oder ein Dreivierteljahr vor der Landtagswahl hier noch den Haushalt einbringe. Das sind ja immer die Dinge, die man vermeidet. Aber es gibt immer etwas, das dazwischenkommt.
Sie alle kennen die Diskussionen und die Nachrichten um die Flüchtlingstragödien, gerade rund um das Mittelmeer, und ich denke, wir sind uns alle einig - bei allem Streit über Themen, das werden wir in den nächsten drei Tagen auch ausleben -: Den Flüchtlingen muss geholfen werden, schnell und unbürokratisch.
Ich habe es - damals konnte ich noch nicht ahnen, welche Ausmaße das alles annimmt - in den Haushaltsberatungen auch gesagt: Am Geld wird es nicht scheitern. Lassen Sie uns nicht spekulieren, was im nächsten und übernächsten Jahr ist, sondern lassen Sie uns das dann beherzt tun, wenn wir einigermaßen wissen, was an Hilfe notwendig ist: Wir sollten aufhören, dauernd über Geld zu sprechen, sondern wir haben über Inhalte zu sprechen, wie wir diese Menschen aktivieren, ihnen bei der Sprache helfen und ihre Alltagsprobleme lösen können. Das ist im Prinzip das Wichtige. Klar muss