Protokoll der Sitzung vom 01.07.2015

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der CDU-Fraktion, einmal mehr zeigt sich, dass die Gesellschaft Ihnen weit voraus ist

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

und Ihre vermeintlichen Ängste und Vorbehalte eben nicht mehr gesellschaftsfähig sind. Gut so!

Meine Damen und Herren! Wenn wir nun die Debatten hierzu im Bundestag betrachten, so ist festzustellen, dass es gerade wieder die Krux der sogenannten Großen Koalition ist, die eine solche Gleichstellung verhindern will und leider wohl auch verhindern wird. Heiko Maas wird mit den Worten zitiert, eine vollständige Gleichstellung sei in der Koalition leider nur schwer realisierbar. Die CDU ihrerseits verwies flink öffentlich auf den gemeinsamen Koalitionsvertrag, der eine Öffnung der Ehe nicht vorsehe. Man wolle eine so hochpolitische Entscheidung breit in CDU und CSU diskutieren. Ich frage mich nur: Wie lange wollen Sie dies noch tun?

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Wie nicht anders zu erwarten, schweigt die Kanzlerin zu einer solch hochpolitischen Frage. Das ist wohl besser, als einem Bauchgefühl nachzugehen.

Doch klar ist, meine Damen und Herren Abgeordneten: Eine rein rechnerische Mehrheit für eine tatsächliche Öffnung der Ehe und Gleichstellung existiert im Bundestag. Die SPD wäre gemeinsam mit den LINKEN und den GRÜNEN in der Lage, ihre Ankündigung umzusetzen. Es ist natürlich kein Geheimnis: Auch dieser Antrag könnte heute hier im Haus eine Mehrheit finden.

Nun können Sie natürlich den Standpunkt vertreten, dass allein eine gesellschaftliche Mehrheit nicht rechtfertigt, dass eine bestimmte normative Handlung durch die Politik vorgenommen werden muss. Doch es gibt ein Argument für die Öffnung der Ehe, ein Argument, das auch schon vor dem irischen Referendum galt. Wir reden über nicht mehr und nicht weniger als die Durchsetzung von Menschenrechten, nämlich die Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgender. Menschenrechte sind nicht an einem Tag schick und modern und deshalb durchsetzbar. Menschenrechte gelten immer und universell.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Ich gebe dem Fraktionsvorsitzenden der CDU absolut Recht, der heute in der „Volksstimme“ damit zitiert wird, dass es sich nicht um eine Gewissensentscheidung handelt. Dennoch hätten Sie heute mehr Mut beweisen können, Herr Schröder.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch eines zum Thema Adoption sagen. Die Rolle der Familie wurde schon beleuchtet. Kinder leiden nicht, wenn sie von zwei Vätern oder zwei Müttern liebevoll erzogen werden. Sie leiden, wenn sich Eltern im Streit trennen, wenn sie zwei Mütter haben, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, wenn sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter in Armut leben. Sie leiden auch unter einer kinderfeindlichen Gesellschaft. An dieser Stelle kann und muss Politik aktiv werden. Und damit hätten wir schon genug zu tun. Lassen Sie uns also nicht die Zeit damit vergeuden, Menschen Steine in den Weg zu legen, die, in welcher Form des Zusammenlebens auch immer, bewusst und liebevoll für Kinder Verantwortung übernehmen wollen.

Frau Koch-Kupfer, Ihre Ausführungen, dass Kinder Mutter und Vater, und zwar nur Mutter und Vater, brauchen,

(Zurufe von der CDU: „Nur“ hat sie nicht ge- sagt!)

halte ich auch als Juristin für soziologisch absoluten Mumpitz.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Abendland wird durch die Öffnung der Ehe nicht untergehen. Wir sollten dies mehr als eine Chance denn als ein Risiko sehen und dies mit all unseren Möglichkeiten unterstützen. Trauen Sie sich!

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Für die SPDFraktion spricht jetzt Frau Budde. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Eva, ich glaube, DIE LINKE würde es in Brandenburg auch nicht lustig finden, wenn bei manchen Themen, bei denen die SPD vielleicht näher bei der CDU wäre, der Koalitionszusammenhalt bei der Abstimmung nicht hielte. Das will ich nur einmal dazusagen. Es kommt immer darauf an, in welcher Rolle man gerade ist.

Allerdings weiß ich auch nicht, ob ich die Blasenschwäche in meiner Fraktion komplett in den Griff bekommen kann. Das tut mir total leid. Es gibt eben Themen wie Leben und Tod, zum Beispiel bei der Sterbehilfe, bei denen das Thema über alle Fraktionen freigegeben ist. Ich finde, dass das Thema Ehe, vor allem weil Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, es so hoch hängen, auch ein solches Thema ist.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Da bin ich prinzipiell anderer Auffassung. Ich kann es zwar nicht verstehen, wenn man da diskriminiert, aber ich kann es respektieren, wenn man da unterschiedlicher Auffassung ist.

In diesem Hohen Hause ist es, weil es nicht im Koalitionsvertrag steht, eben so, dass wir dann vielleicht akzeptieren müssen - das ist mit respektieren nicht komplett identisch -, dass wir Ihrer Meinung zur Mehrheit verhelfen - obwohl es gar nicht im Koalitionsvertrag steht. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Sinn des Ganzen bei diesem Thema ist. Mir fällt es wirklich schwer, darauf jetzt noch freundlich zu reagieren, gerade nach der Rede von Frau Koch-Kupfer.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie war schon extrem polarisierend.

Man muss einfach sagen, dass es in der Tat peinlich ist, dass Deutschland in diesen Tagen etwas erreicht, was ich so nicht für möglich gehalten hätte und worauf ich gut verzichten kann. Im internationalen Vergleich erweist sich unser Land auf einem der wichtigsten gesellschaftspolitischen Fel

der, der Gleichstellung, als herausragend, aber als herausragend rückständig. Deutschland ist inzwischen wahrhaftig rückständiger als Irland und als die USA, wenn es um die gleiche Behandlung gemischtgeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Paare geht. Sie können sich nicht einmal mehr auf die Südstaaten verlassen.

An den Menschen in unserem Land liegt das nicht. Das kommt noch hinzu. Wenn zwei Menschen einander lieben und zusammenleben wollen, sagen zwei Drittel bis drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger, je nachdem, welche Umfrage Sie sich anschauen, ganz eindeutig: Unseren Segen habt ihr, und wir finden, der des Staates steht euch auch ganz selbstverständlich zu. - Sogar 58 % der CDU- und CSU-Wählerinnen und -Wähler sehen das so.

Es ist nicht das sittliche Empfinden der Bevölkerung, das der Ehe für alle entgegensteht. Ich formuliere es jetzt wirklich hart. Ich habe es mir lange überlegt, aber nach Ihrem Debattenbeitrag sage ich es so. Für mich ist das ein Identitätsproblem einer Partei, die sich und anderen nicht mehr erklären kann, was konservative Werte im 21. Jahrhundert sind, und die sich deshalb an überkommene Tabus klammert.

(Beifall bei der SPD)

Das wird nicht funktionieren. Kein Ehepaar, keine Familie bekommt das Gefühl, entsprechend unserem Grundgesetz unter einem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung zu leben, bloß weil anderen dieser Schutz verweigert wird. Der viel beschworene Schutz des Staates ist nur dann etwas wert, wenn er ganz lebenspraktische Bedeutung hat: familienfreundliche Arbeitszeitregelungen, flächendeckende Kinderbetreuung, gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, aber eben auch Regelungen, die es Partnern ermöglichen, füreinander einzustehen, und zwar nicht nur auf der Seite der Pflichten, sondern auch auf der Seite der Rechte: Erbrecht, Patientenverfügung, Adoptionsrecht.

Man kann heute - das zeigen die viel zitierten Umfrageergebnisse - niemandem mehr erklären, warum diese Rechte bestimmten Paaren zustehen sollen und anderen nicht.

Ein Argument ist nicht gekommen, auf das ich mich eigentlich eingestellt hatte, nämlich das unselige Argument in dieser Diskussion, dass Eheschließungen von schwulen und lesbischen Paaren nicht auf Fortpflanzung ausgerichtet sind. Das hat noch gefehlt. Das kommt sonst immer.

Dazu möchte ich ganz deutlich sagen: Das sticht genauso wenig wie die hier vorgetragenen. Denn seit jeher heiraten heterosexuelle Paare, die schon bei der Eheschließung wissen, dass sie keine leiblichen Kinder haben werden: alte Paare, Paare, die keine Kinder bekommen können oder zeugen kön

nen, Paare, die sich aus irgendwelchen Gründen entscheiden und schon wissen, sie wollen keine Kinder. Solche Paare habe ich in meinem Freundeskreis, mit Eheschließung. Kinder wollten sie nie. Und niemand hat je gefordert, diese Paare von dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung auszuschließen oder ihnen die Ehe zu verweigern.

Abgesehen davon gibt es sehr viele homosexuelle Paare, die sehr wohl Kinder großziehen und dafür gemeinsam ein Kind adoptieren wollen. Aber auch dafür brauchen sie die absolute Gleichstellung, die Ehe, eine Ehe für alle.

Kinder, meine Damen und Herren, haben schon ein Recht auf Geborgenheit. Sie haben ein Recht, in Geborgenheit aufzuwachsen. Aber sie haben kein Recht darauf, dass ihr Elternhaus den Klischeevorstellungen anderer oder vielleicht denen von gestern entspricht.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Wer adoptieren will, muss ohnehin seine persönliche Eignung nachweisen, seine individuelle Eignung. Die heterosexuelle Orientierung von Paaren ist bestimmt nicht per se ein Nachweis für einen pädagogischen Kompetenzvorsprung, meine Damen und Herren.

Längst sind auch die Stimmen in der CDU nicht mehr zu überhören, die die Ehe für alle möglich machen wollen. Deshalb wäre es zu wünschen, dass der Deutsche Bundestag - anders als hier im Landtag, wir konnten uns nicht darauf verständigen - den Fraktionen das Abstimmen freigibt, so wie es auch bei der Sterbehilfe ist.

(Vizepräsident Herr Miesterfeldt räuspert sich)

- Ich weiß, dass ich überziehe.

Ich bitte um Entschuldigung. - Wenn wir heute über den Antrag der GRÜNEN, den ich voll und ganz befürworte, noch nicht abstimmen, sondern ihn überweisen, dann ist das nicht sachlich erforderlich, weil es in diesem Haus tatsächlich eine klare Mehrheit gibt, wenn man individuell fragt.

Es ist auch nicht erforderlich, weil wir die Diskussionen brauchen; diese sind geführt worden. Das ist vielleicht noch eine Chance, im Ausschuss ideologiefrei zu beraten und zu diskutieren. Ich habe wenig Hoffnung darauf.

Der Ausschluss von Schwulen und Lesben von der Institution der Ehe wird bald Geschichte sein; das glaube ich fest. Was in dieser Hinsicht jetzt

passiert, sind Rückzugsgefechte. Mehr ist das nicht.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Es wird der Tag kommen, an dem ein Bundespräsident sagt: Die Ehe für alle gehört zu Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Auf wen ich damit abhebe, wissen Sie.