Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Die Antwort auf die Große Anfrage der GRÜNEN hat zum Zeitpunkt der Erfassung der Daten deutlich gemacht, dass unser Land bei der Betreuung und Unterbringung Asylsuchender sehr erfolgreich ist und dass vor Ort gute Arbeit geleistet wird.

Trotz möglicher Verbesserungsbedarfe im Detail, sind wir zu dem Erfassungszeitpunkt bei der schnellen und damals noch überwiegend dezentralen Unterbringung sogar in einer Vorreiterposition gewesen.

(Zuruf von der CDU: Stimmt!)

Aber die derart zunehmende Intensität bei der Einreise von Asylsuchenden und Flüchtlingen stellt uns vor eine gewaltige Herausforderung. Es ist gut möglich, dass die Prognosezahl von 23 000 Flücht

lingen in diesem Jahr vielleicht noch weiter steigt und bis auf 30 000 Flüchtlinge anwächst.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts dieser Dynamik müssen wir Probleme auch benennen können.

(Beifall bei der CDU)

Ich fürchte, es reicht nicht, hier vorn romantisierend zu stehen und aus der Hymne der Europäer „Alle Menschen werden Brüder“ zu zitieren.

(Beifall bei der CDU)

Ich fürchte, das reicht nicht. Politik braucht eben nicht nur Optimismus, Politik braucht vor allen Dingen Realitätssinn.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Herrn Herbst, GRÜNE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich dachte, dass Herr Sören Herbst als Einbringer zu dieser Thematik diese Debatte als eine Grundsatzdebatte führen will. Deshalb will ich sagen, der Konsens, Zuwanderung für dieses Land als Chance zu begreifen, ist doch längst da. Der Unterschied in der gesellschaftlichen Debatte besteht nicht darin, ob Zuwanderung eine Chance für Sachsen-Anhalt sein kann. Diese Frage ist längst mit Ja beantwortet.

Es geht um das gesellschaftspolitische Konzept. Habe ich Willkommenskultur so auszudeuten, habe ich Chance so zu interpretieren, dass ich für ein Bleiberecht aller bei offenen Grenzen votiere? - Unserer Meinung nach nicht. Vielmehr ist Zuwanderung aus der Sicht der CDU-Landtagsfraktion dann eine Chance, wenn wir die Möglichkeit haben, sie nach unseren Interessen steuern, regeln und gestalten zu können. Dann ist Zuwanderung eine Chance für Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung bei der CDU)

Lassen Sie mich Fragen formulieren, nur Fragen. Darf man öffentlich von einer Krise reden, wenn es tatsächlich eine Flüchtlingskrise gibt? Oder werden sofort wieder rechte Stereotype von Abschottung usw. bemüht? Wie lange können wir uns denn auf die Hilfsbereitschaft der Menschen tatsächlich verlassen, ohne gleichzeitig Solidarität in Europa durchzusetzen? Ist das Asylrecht noch das gewollte Schutzrecht vor Verfolgung? Oder lassen wir die Überdehnung dieses Instruments durch humanitäre Zuwanderung auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen zu?

Kann Politik - der Innenminister hat dazu ausgeführt - noch der Frage ausweichen, welche kulturelle und gesellschaftspolitische Dimension es hat, wenn die Flüchtlingszahlen in Deutschland die Geburtenzahlen übersteigen?

Wie erklären wir einerseits die notwendige Konsolidierung öffentlicher Finanzen - darum ging es

heute beim ersten Tagesordnungspunkt -, wenn wir gleichzeitig in der Welt als reiches Land des „Tischlein-deck-dich“ gelten?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit wir uns richtig verstehen: Der humanitäre Flüchtlingsschutz bleibt richtig und notwendig. Wir müssen die Menschen, die zu uns kommen, menschenwürdig unterbringen und versorgen. Auch die Integration derjenigen mit Bleibeperspektive wird uns in den kommenden Jahren viel stärker beschäftigen müssen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

Die Landesregierung handelt gemeinsam mit den Kommunen. Pragmatische Hilfe wird vielerorts über Freiwillige organisiert. Das ist gut so. Aber mit der bloßen Verteilung der Menschen im Land ist es nicht getan. Deutschland darf eben nicht nur reagieren, wir müssen auch agieren. Wir müssen Herr der Lage bleiben.

(Zustimmung bei der CDU)

Die CDU hat in Magdeburg eine Position entwickelt und mit den Vorsitzenden aller Landtagsfraktionen in Deutschland beschlossen, um diesen Prozess auch in Zukunft gestalten und beherrschen zu können.

Ein Schlüssel für die Bewältigung der Krise bleibt die klare Unterscheidung zwischen wirklich

Schutzbedürftigen und denen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen wollen. Die wirtschaftliche Notlage vieler mag ein verständliches Motiv für die Migration sein, sie ist aber kein Asylgrund.

Für die momentane Situation - das wissen wir - gibt es keine schnelle Lösung. Wir wissen, dass eine dauerhafte Antwort nur innerhalb der europäischen Gemeinschaft gefunden werden kann und dass die Bekämpfung der Fluchtursachen viel stärker in den Fokus rücken muss.

Trotzdem will ich in gebotener Kürze die Positionen der CDU vortragen:

Erstens. In der europäischen Flüchtlingspolitik ist eine Verständigung auf gemeinsam finanzierte Aufnahmezentren an den Außengrenzen und verbindliche Verteilquoten zwischen den Staaten unausweichlich. Ich denke, perspektivisch werden wir auch ein europäisches standardisiertes Leistungspaket für die ersten Monate für diesen Personenkreis benötigen.

Zweitens. Das ist der Flaschenhals. Unabhängig davon, wer dem Bundesamt in Zukunft vorstehen wird, müssen wir bei der Schaffung sächlicher und personeller Voraussetzungen für die Beschleunigung der Verfahren rasch vorankommen. Wir können das auf der Bundesebene nur einfordern. Natürlich kann das Land aber auch seinen Teil dazu beitragen. Zum Beispiel der Gesetzentwurf zur Än

derung der gerichtlichen Zuständigkeiten ist, zugegebenermaßen ein kleiner Schritt, aber es ist ein Baustein.

Drittens. Die Ermöglichung des längeren Verbleibs in der Erstaufnahmestelle bis zur Entscheidung über den Aufenthaltsstatus sowie die Ermöglichung einer Rückführung vor der Aufteilung auf die Kommunen bleibt das Ziel der CDU-Landtagsfraktion. Vermehrte Sachleistungen statt Geldleistungen sind durchzusetzen, so wie es die Koalition auf der Bundesebene am 6. September beschlossen hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Viertens. Albanien, Montenegro und der Kosovo sind endlich als sichere Herkunftsländer einzustufen. Lange genug wurde darüber geredet. Ich denke, das sollte jetzt auch geschehen.

Fünftens. Es ist ein Wiedereinreiseverbot abgelehnter Asylbewerber für mindestens drei Jahre zu schaffen. Ich weiß, dass das ein schwieriges Kapitel ist. Aber die Kapazitäten für die wirklich Schutzbedürftigen sollen nicht durch die hohe Zahl sogenannter Folgeantragsteller blockiert werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir für die wirklich Schutzbedürftigen die Kapazitäten vorhalten. Die Unzulässigkeit von Folgeanträgen ist für einen gewissen Zeitraum eine Forderung, die wir erheben.

(Zustimmung von Herrn Bommersbach, CDU, und von Herrn Zimmer, CDU)

Sechstens. Die konsequente Durchsetzung von Ausreisepflichten ist ein unpopuläres Thema, aber es gehört dazu, künftig auch mit Unterstützung der Bundespolizei. Ich sage es deutlich: Wir wollen als CDU-Landtagsfraktion zentrale Abschiebungen ermöglichen.

(Zustimmung von Frau Brakebusch, CDU, und von Herrn Rotter, CDU)

Siebentens. Wir brauchen eine schnellere Integration anerkannter Asylbewerber durch mehr Integrations- und Sprachkurse, die Erteilung von Arbeitserlaubnissen. Ich begrüße es außerordentlich - das ist vielleicht untergegangen; es war in der Anfrage und im Antworttext der Landesregierung dabei -, dass bereits Vermittler der Arbeitsagentur mit Sprachmittlern in den Erstaufnahmestellen unterwegs sind und Befragungen durchführen, ob Fachkräfte unter den Flüchtlingen sind, die gebraucht werden, ob man bei der Vermittlung helfen kann. Diese Dinge begrüßen wir.

Achtens. Übrigens ist auch, was die Gesundheitskarte und Arbeitserlaubnisse insgesamt betrifft, ganz klar, dass man das, was man auf der Bundesebene vereinbart hat, auch umsetzt. Aber soweit es mir bekannt ist, sind das eben Zugeständnisse, die man macht, wenn die Bleibeperspektive geklärt ist. Also nicht vom ersten Tag an, sondern

erst dann, wenn die Bleibeperspektive für die Asylbewerber klar ist, kann man diese Dinge machen.

Neuntens. Zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements sind kurzfristig Stellen im Bundesfreiwilligendienst zu schaffen, so wie es der Koalitionsausschuss auf der Bundesebene festgelegt hat. Dort ist von 10 000 zusätzlichen Stellen die Rede.

Zehntens. Wir brauchen einen Bürokratieabbau im Sinne pragmatischer Hilfe beim Bau-, Vergabe- und Planungsrecht. Der Bund wird ein Gesetzespaket dazu vorlegen. Wir haben heute ermöglicht, dass das Vergabegesetz ausgesetzt wird, um schnelle Lösungen zu finden. Das unterstützt meine Fraktion ausdrücklich; sie hat es auch mit eingebracht.

Elftens. Wir brauchen die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten des Flüchtlingsschutzes. Ich denke, das ist auch Konsens.

Ich will für uns noch einmal sagen, dass wir uns in der Koalition darüber einig sind, dass wir die Bundesmittel 1 : 1 an die Kommunen weiterleiten. Mit dem Nachtragshaushalt werden wir unsere Kommunen weiter entlasten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Die CDU-Landtagsfraktion unterstützt das Unterbringungskonzept der Landesregierung einschließlich der neuen ZASt-Kapazitäten, der Landesgemeinschaftsunterkünfte und der kurzfristigen Zwischenlösungen für eine schnelle und sichere Unterbringung in den Wintermonaten. Wir unterstützen die Angebote der Erstorientierung, um sich in dem neuen Alltag möglichst schnell zurechtfinden zu können.

Die Landesregierung handelt, wir handeln! Wir müssen aber aufpassen, dass wir diesen Prozess steuerbar halten. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch geregelte Verfahren durchsetzen. Das heißt, wenn wir geregelte Verfahren durchsetzen, müssen wir auch Grenzen setzen. Alles, was keine Grenzen hat, zerfließt, auch die Freiheit. - Danke.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Mi- nister Herrn Stahlknecht)

Herr Kollege Schröder, es gibt eine Frage von Herrn Gallert. Würden Sie sie beantworten? - Bitte sehr, Herr Gallert.

Herr Schröder, es gibt bei diesem Thema tatsächlich ein interessantes Problem, und zwar: Wo trägt

man politische Differenzen aus und wo demonstriert man Einigkeit? - Das ist bei diesem Thema nicht unwichtig.