Protokoll der Sitzung vom 30.09.2016

Tagesordnungspunkt 17

Beratung

Sozialpädagogische Arbeit an Schulen langfristig sichern

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/373

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/410

Einbringerin wird die Abg. Frau Bull sein. Sie haben das Wort, Frau Bull.

Sehr geehrte Damen und Herren! Vielfalt ist Normalität und Vielfalt ist auch willkommen. Wichtig ist eine grundsätzliche und prinzipielle Wertschätzung für unterschiedliche Lebenslagen, für die unterschiedliche kulturelle und religiöse Herkunft, wichtig sind demokratische und respektvolle Lösungen von Konflikten. Es geht um Teilhabe, um Individualität und letztlich um nicht mehr und nicht weniger als darum, Vielfalt für Lernprozesse produktiv zu machen. - Eine Nummer kleiner wird es nicht zu haben sein.

Das ist eine große Herausforderung; das haben wir schon gestern in der Debatte um Inklusion und die Förderschulen festgestellt. Das ist eine große Herausforderung für gemeinsames Lernen in der Kita, in der Schule, in der Berufsschule und in den Hochschulen.

Insbesondere in den Schulen braucht es dafür unterschiedliche Professionen, einfach deshalb, weil unterschiedliche Professionen auch immer unterschiedliche Blickwinkel auf Kinder und Jugendliche mitbringen, zum Ersten, um besondere Stärken und Potenziale von Kindern freizulegen, zum Zweiten, um Entwicklungshemmnisse zu suchen, und zum Dritten, um festzustellen, welche der Benachteiligungen und Barrieren tatsächlich in den Strukturen liegen, damit man diesen nachspüren und sie abbauen kann.

Schulsozialarbeit ist dabei e i n Baustein im pädagogischen Gefüge, ein gewichtiger und Gott sei Dank mittlerweile etablierter Baustein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Was können Schulsozialarbeiter, was Lehrkräfte nicht oder - sagen wir es so - nicht ohne Weiteres können? Diese Frage wird relativ oft gestellt.

Ich würde sagen: Sie haben eine relative Unbefangenheit und Parteilichkeit für Schülerinnen und Schüler. Die Leistungsorientierung kann bei der Schulsozialarbeit auch einmal in den Hintergrund treten. Es besteht ein Stück weit ein anderes Ver

trauensverhältnis; das Verhältnis ist etwas distanzärmer. Das Unterrichtsgeschehen ist nicht der bestimmende Kontext. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter haben andere Zeitressourcen und sie haben auch einen anderen Methodenvorrat als Lehrkräfte.

Man kann es vielleicht so bezeichnen: In gewisser Weise ist Schulsozialarbeit ein notwendiger und hilfreicher Gegenhorizont, hilfreich nicht nur für Schülerinnen und Schüler - keineswegs -, sondern auch hilfreich für die Arbeit von Lehrern und Lehrerinnen. Sie verändert den Blick auf Kinder und Jugendliche, sie lässt einen auch die eigenen Strategien, den eigenen Standpunkt überdenken.

Wir haben in der Schulsozialarbeit in SachsenAnhalt seit einigen Jahren ca. 360 Kolleginnen und Kollegen; die Zahl hat sich immer mal verändert. Wir haben ein EU-Programm „Schulerfolg sichern“ mithilfe finanzieller Mittel der Europäischen Union und wir haben dieses - ich bezeichne es arbeitstechnisch einmal so - Schulsozialarbeiterprogramm auch schon vielfach evaluiert.

Nach meinem Dafürhalten ist es jetzt höchste Zeit, dass man ein Stück weit aus diesem Rechtfertigungsmodus, ob oder ob nicht, herauskommt. Forschung und Evaluation sollten sich tatsächlich darauf konzentrieren, welche Erkenntnisse praktisches sozialpädagogisches Handeln uns liefert, um den Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern zu sichern.

Das ESF-Programm wird im Jahr 2021 oder im Jahr 2023 auslaufen. Wenn wir uns - zumindest in diesen drei Fraktionen; so war meine Wahrnehmung auch im Wahlkampf und darüber hinaus - darin einig sind, dass die Schulsozialarbeit auch künftig ein fester Bestandteil der Arbeit in der Schule sein soll, und das möglichst flächendeckend, dann müssen wir uns jetzt um die Zukunft kümmern, dann müssen wir beginnen, Vorbereitungen zu treffen, dann müssen wir mit den einschlägigen Akteurinnen und Akteuren verhandeln, dann müssen wir miteinander diskutieren.

Was sollen die Grundprämissen für die Zeit nach 2021 oder 2023 sein?

Die erste Prämisse. Ich denke, ein wesentliches Ziel des Programms ist und bleibt die Senkung der Quote der Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss. Diese ist zunächst etwas gesunken, im letzten Jahr aber, wie den Medien zu entnehmen war, wieder etwas gestiegen.

Ich möchte aber sagen: Misst man das Programm und die Arbeit von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern ausschließlich an dieser Zahl, dann müsste man sagen, dass wir hierbei insgesamt gesehen nicht wirklich weitergekommen sind.

Die hohe Zahl bzw. der vergleichsweise große Umfang von schulischen Misserfolgen liegt eben nicht allein in der Ab- oder Anwesenheit von Schulsozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern begründet. Umgekehrt gilt aber auch: Der Erfolg von Schulsozialarbeit lässt sich bei Weitem - bei Weitem! - nicht nur daran messen, dass die Misserfolgsquote sinkt.

Das ist eine Frage des Systems von Schule selbst und von Schule insgesamt; denn Schulsozialarbeiter sind kein Notnagel, nach dem Motto: Lehrkräfte verweisen die - in Anführungsstrichen - Problemfälle an die Schulsozialarbeit, ein bisschen nach dem Motto: eine Pädagogik zu Pferd und eine Pädagogik zu Fuß - eine Pädagogik für die Guten und vermeintlich Problemlosen und eine Pädagogik für die schwierigen Fälle. So nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Wichtig ist, Schwierigkeiten und Herausforderungen nicht irgendwohin zu delegieren, sondern sich ihnen kollektiv und kooperativ zu stellen und durchaus auch notwendige eigene Veränderungen, zum Beispiel im Unterrichtsgeschehen, in den Blick zu nehmen.

Die zweite Prämisse. Die Zielstellung bleibt: Es geht um die Verbesserung des Lernklimas im weitesten Sinne. Es geht um einen Perspektivenwechsel, um einen kollegialen Austausch darüber, auch um neue Formen sozialen Lernens. Es geht um Einzelberatung in ganz besonderen Konfliktlagen. Es geht um Kompetenztransfer, und zwar um Kompetenztransfer zwischen Schulsozialarbeitern und Lehrkräften bzw. umgekehrt.

Es geht um ein anderes, erfolgreiches Herangehen an die Zusammenarbeit mit Eltern, also insbesondere darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen, und das in einer wertschätzenden Form.

Nicht zuletzt sollen sich zumindest diese beiden Professionen - eigentlich alle - auch verändern.

Die dritte Prämisse. Das ist ein Punkt, über den wir hier im Parlament schon des Öfteren diskutiert haben. Es geht um die Frage oder die Erwartung, dass es uns gelingen muss, die Arbeits- und die Einkommensverhältnisse der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter wie auch der Netzwerkkoordinatorinnen und -koordinatoren zu verbessern.

Ich möchte es einmal so sagen: Ein richtig großer Schritt - davor hatte ich richtig Respekt - war die Verbesserung der Einkommensverhältnisse und die Angleichung an den TVöD in der letzten Legislaturperiode. Das hat uns allen nicht nur Beifall beschert. Es gab heftige Widerstände, es gab gruselige Voraussagen, es hat ordentlich geknirscht

im Getriebe - und trotzdem muss man sagen: Es war richtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Es war richtig, es war erfolgreich, es war ein erster Schritt und nun müssen weitere kommen. Die hohe Arbeitsplatzunsicherheit ist auch ein Thema, das bei der Frage der Arbeitsbedingungen einen großen Raum einnimmt. Diese Unsicherheit ist momentan noch in der Befristung begründet, die die EU-Förderung gewissermaßen zwangsläufig mit sich bringt.

Damit bin ich bei der vierten Prämisse. Die Schulsozialarbeit muss herausgeführt werden aus dem Status des Sonderprogramms. Das EU-Programm war ein programmatischer Weg - das ist unbestritten -; denn wir wollten die finanziellen Mittel der Europäischen Union nutzen, weil die eigenen zu knapp waren. Das hat aber auch erhebliche Nachteile mit sich gebracht. Damit erzähle ich Ihnen nichts Neues; das wissen Sie.

Für die Zukunft haben wir drei Optionen.

Option Nr. 1: Wir nehmen die Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter in die Landesträgerschaft. Das ermöglicht in der Tat Sicherheit und Augenhöhe. Ich denke aber, das ginge einher mit einem Verzicht auf den Einfluss des Systems der Kinder- und Jugendhilfe. Erfahrungsgemäß ist es so: Wenn zwei so unterschiedliche Systeme aufeinandertreffen, dann knirscht es natürlich auch im Gefüge, aber das ist immer auch sehr produktiv. Diese Verschiedenheit ist durchaus eine Bereicherung.

Option Nr. 2 wäre ein unbefristetes Landesprogramm. In Berlin und Brandenburg ist das in ähnlicher Weise realisiert worden.

Option Nr. 3 wäre ein unbefristetes Landesprogramm mit kommunaler Beteiligung und Unterstützung, insbesondere für die finanzschwachen Kommunen. Ich denke, das wäre eine vernünftige Alternative für Sachsen-Anhalt. Das würde die finanziellen Belastungen teilen und das würde auch die Verantwortung für erfolgreiche Bildungsprozesse auf mehr Schultern und Zuständigkeiten verteilen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Schulsozialarbeit hat die Bildungsarbeit - so möchte ich sie einmal bezeichnen - an vielen Schulen etwas erfolgreicher gemacht. Sie hat den Blick auf Kinder und Jugendliche erweitert. Sie wird mittlerweile von vielen Pädagogen, von Schulleitern wertgeschätzt; sie halten sie für unverzichtbar.

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen und trotz der schwierigen Ausgangslage - das Schulsystem ist eher ein konservativer Tanker, den man wirklich schlecht bewegen kann - ist es, denke ich, jetzt angesagt, weitere Investitionen in

diesen Bereich zu tätigen, und zwar in Form von finanziellen Mitteln, von Personal, von Qualitätsentwicklung und auch in Form öffentlicher Debatten.

An dieser Stelle möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen, in den Netzwerkstellen und in der zentralen Koordinierungsstelle in Magdeburg aussprechen. Ich finde, sie haben schon über viele Jahre hinweg einen richtig guten Job gemacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind nun gefragt, die Bedingungen für die Zukunft zu diskutieren, unter denen sie ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen und weiterentwickeln können. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Abg. Bull. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Tullner.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sie schauten so streng; das irritierte mich etwas. Aber es war gar nicht auf mich bezogen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Schulsozialarbeit ist eines der Themen, die uns in diesem Hohen Hause schon länger umtreiben. Es gab Zeiten, in denen wir keine Schulsozialarbeit hatten. Dann war die Finanzierung nicht gesichert. Jetzt haben wir eine Situation, in der man sagen kann: Danke, Europa, dass ihr uns dabei helft, die Mittel für dieses Programm zu sichern.

Ich denke, es ist ein Erfolg, dass wir diese Förderung seit 2008/2009 auf eine mittelfristig sichere Grundlage gestellt haben. Frau Bull hat in ihrem Eingangsbeitrag bereits darauf hingewiesen, dass wir bis 2021 bzw. 2023, wenn man die Logik „n plus 2“ anwendet, Zeit haben, uns zu überlegen, wie es danach weitergeht.

Das haben die Koalitionäre - ich habe den Bildungsbereich nicht mitverhandelt; deshalb sage ich es - in ihrer bildungspolitischen Weisheit alles schon gesehen. Deshalb steht es im Koalitionsvertrag, dass wir dies tun wollen, um uns rechtzeitig darauf vorzubereiten, was wir nach 2021 bzw. 2023 tun.

Wenn man einen Blick auf das wirft, was es alles an Projekten im Land gibt, dann können wir feststellen, dass wir derzeit im Bereich der Schulsozialarbeit 352 Projekte haben mit insgesamt 413 Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag dafür zur Verfügung stehen. Das ist, glaube ich, ein beachtlicher Erfolg, den wir hierbei erreicht haben, wobei man den Erfolg natürlich nicht als