Protokoll der Sitzung vom 12.06.2020

Nun treten wir, wie angekündigt, in die Mittagspause ein. Wir treffen uns wieder um

(Zuruf: 14:30 Uhr!)

14:20 Uhr und setzen die Beratungen dann mit dem Tagesordnungspunkt 5 fort.

Unterbrechung: 13:21 Uhr.

Wiederbeginn: 14:21 Uhr.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen die Sitzung fort.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 5

Erste Beratung

Kinder- und Familiengipfel für Sachsen-Anhalt - Kindern und Jugendlichen unter Pandemiebedingungen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/6082

Einbringerin ist die Abg. Frau von Angern. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Coronakrise hat unser aller Alltag, unser Familienleben, unsere Arbeit, unser öffentliches Miteinander verändert. Das Coronavirus zu entschlüsseln und ein Gegenmittel zu finden, zu entwickeln, das ist Aufgabe der Wissenschaft und der Virologen.

Den gesellschaftlichen, sozialen sowie auch wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus politisch zu begegnen, das ist unsere Aufgabe. Das ist die Aufgabe der Parlamente und der Regierungen, natürlich begleitet von einem öffentlichen kritischen Diskurs in der Gesellschaft.

Meine Damen und Herren! Wir müssen - das ist mir ganz wichtig - dabei aber insbesondere die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien im Auge haben, und das nicht irgendwann, sondern jetzt.

(Beifall)

Denn insbesondere in Abhängigkeit von der sozialen Lage hat die Coronakrise Kinder, Jugendliche und ihre Familien besonders hart getroffen. Ich habe das große Glück, bereits seit vielen Jahren Mitglied dieses Hohen Hauses sein zu dürfen, sodass ich viele Debatten über Kinder, Jugendliche und ihre Familien miterleben durfte.

Wir haben hier - einige von Ihnen werden sich daran erinnern, Frau Grimm-Benne auf jeden Fall - schon sehr hart diskutiert über das Thema Ganztagsbetreuung in der Kita für alle Kinder, über die Rolle von außerschulischer Jugendarbeit, über Finanznöte in den Kommunen bezüglich der sogenannten freiwilligen Aufgaben, über die Verteilung der Ausgaben des Bildungs- und Teilhabepakets, über Kinderrechte in unserer Verfassung, aber auch im Grundgesetz oder auch über dringende Betreuungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind.

Meine Damen und Herren! Ich bemühe den Vergleich nur ungern, aber dennoch: Wenn man davon ausgeht, dass Kinder das schwächste Glied einer Gesellschaft sind, dann sagt es mit Blick auf unser Land sehr, sehr viel darüber aus, welche Prioritäten wir zuweilen im Landtag in den letzten Jahren gesetzt haben.

Ich möchte beispielhaft noch einmal den Kampf um die Ganztagsbetreuung für alle Kinder in den Kitas nennen oder auch den tatsächlich 15 Jahre andauernden Kampf um die Betreuung von Kindern in Frauenschutzhäusern.

(Beifall)

Natürlich sagt das auch etwas darüber aus, welche Diskussionen wir in den letzten Wochen und Monaten geführt haben. Sie erinnern sich, wir diskutierten leidenschaftlich über den Profifußball. Es gab in der Sache möglicherweise begründete Brandbriefe unseres Ministerpräsidenten für den HFC und für den 1. FCM.

Es war gut und richtig, dass er sich dafür stark gemacht hat - verstehen Sie mich nicht falsch -, aber wo, Herr Ministerpräsident - er ist leider nicht anwesend; irgendwie bleibt er heute komplett fern -, ist der Brandbrief für die Kinder, Jugendlichen und Familien in unserem Land, in Sachsen-Anhalt?

(Beifall)

Das sage ich ganz deutlich: Ja, ich erwarte vom Ministerpräsidenten einen persönlichen Einsatz für die Rechte von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien gerade in der Zeit dieser Pandemie. Ich erwarte auch von ihm - denn das ist nicht nur Aufgabe der Sozialministerin und des Bildungsministers -, dass er beide darin unterstützt, dass wir in den Kitas und Schulen in Sachsen-Anhalt tatsächlich wieder in den Regelbetrieb eintreten können, dass er die Mittel zur Verfügung stellt, dass die sächlichen, aber vor allem auch die personellen Bedingungen geschaffen werden, damit wir unter den Pandemiebedingungen so schnell wie möglich sowohl in Kitas als auch in Schulen in einen Regelbetrieb zurückkehren können.

(Zustimmung)

Ich sage ganz deutlich, Herr Ministerpräsident, - er wird es vielleicht hören -, da erwarte ich Engagement auf Bundesebene, damit dem Land zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden können.

(Beifall)

Ich möchte es ganz deutlich sagen - der Satz tut weh -: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten auch in unserem Land Kinder weggeschlossen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das war eine richtige Entscheidung; man konnte nicht anders handeln. Aber wir haben die Rechte von Kindern und ihren Familien maßgeblich eingeschränkt zugunsten unser aller Gesundheit. Sie waren eingeschränkt in ihrem Recht auf Bildung, ihrem Recht auf Spiel mit anderen Kindern. Ihnen wurde - das möchte ich genau so zugespitzt sagen - ein Stück alltäglicher Kindheit genommen.

Meine Damen und Herren, darüber müssen wir reden. Wir müssen verantwortungsvoll damit umgehen und prüfen, welche Folgen diese Entscheidung hatte. Welche Folgen hat sie für die Kinder, Jugendlichen und Familien im Einzelnen? Ich finde es nicht anmaßend, sondern es ist unsere Pflicht, dass das Recht auf Lockerungen in den Kitas, in den Schulen und die bildungspolitischen Lockerungen mindestens einhergehen mit den wirtschaftspolitischen Lockerungen.

Das, meine Damen und Herren, - das ist das Entscheidende; deswegen fordern wir auch einen Kindergipfel - können Kinder eben nicht allein. Dafür brauchen sie uns. Dafür brauchen sie unsere Unterstützung. Deshalb hat sich meine Fraktion ganz bewusst entschieden, Kinder und ihre Familien ganz oben auf die Agenda zu setzen.

(Beifall)

Wir haben den Familien in den letzten Wochen und Monaten eine große Verantwortung übertragen. Jetzt liegt es in unserer Verantwortung, dass Kinder wieder ihre Rechte wahrnehmen können.

Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass jeder heute unterschreiben kann, dass wir alle im Alltag noch nicht wieder in der Normalität angekommen sind und dass es ein normales „Weiter so!“ so schnell auch nicht geben wird. Deswegen ist es an der Zeit, ganz schnell umzudenken. Wir müssen gemeinsam Strategien dazu entwickeln, wie wir Kinder und Jugendliche auf diesem Weg in dieser sehr schweren Zeit tatsächlich begleiten und unterstützen können.

Nun erlauben Sie mir einen kurzen Break. Sogar die „heute-show“ - das passt vielleicht nicht ganz zum Thema, aber ich möchte es trotzdem sagen - hat in ihrer letzten Sendung, die noch in der Mediathek im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einsehbar ist, treffend festgestellt, dass es zuweilen

den Anschein haben kann, dass uns Deutschen das Auto lieber ist als das Kind.

Sebastian Pufpaff - Achtung, Satire - stellte fest, dass Autos natürlich systemrelevant seien im Gegensatz zum Kind, weil Autos einen wirtschaftlichen Mehrwert bringen, Kinder nicht. Ehrlich gesagt, bis dahin wusste ich das auch nicht, es gibt tatsächlich in Deutschland eine Studie, die herausgefunden hat, dass der CO2-Ausstoß von Kindern pro Jahr größer ist als der von Autos.

Ich frage Sie allen Ernstes:

(Zuruf)

Wer gibt eine solche Studie mit einer solchen Frage in Auftrag?

(Zurufe)

Ich halte das für absurd, aber sie ist existent, und das sagt sehr viel aus. Deswegen sind wir zu dem Schluss gekommen: Wir brauchen keine weiteren Autogipfel, wir brauchen in unserem Land einen Kindergipfel.

(Beifall)

Ich schaue noch mehr öffentlich-rechtliches Fernsehen, zuweilen auch KiKA. Im KiKA ist kürzlich der Bundespräsident gefragt worden, ob den Deutschen das Auto mehr wert sei als die Kinder. Er antwortete - ich zitiere -: Das hoffe ich nicht. Kinder sind viel wichtiger als Autos, aber Kinder sind natürlich auch etwas ganz anderes.“

Ich glaube, der Nachsatz war wichtig, um die Autolobby nicht gegen sich aufzubringen. Ich hätte mir einfach ein Nein gewünscht. „Nein, Kinder sind wichtiger in unserem Land als Autos!“ - Punkt.

(Beifall)

Fakt ist, meine Damen und Herren, auch Deutschland hat im Jahr 1989 die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, hat also deren Anwendung bei uns im Land anerkannt. Ich möchte zumindest aus Artikel 3 Abs. 1 eines zitieren:

„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“

(Zustimmung)

Meine Damen und Herren! Diesem Wortlaut steht die Zahl 4,4 Millionen gegenüber, 4,4 Millionen Kinder und Jugendliche, die nach Berechnung des Deutschen Kinderschutzbundes in Deutschland, in unserem reichen Land, von Armut betroffen sind. Das ist in einem reichen Land ein Ar

mutszeugnis, und ich finde, diese Zahl sollte man so schnell nicht vergessen.