Protokoll der Sitzung vom 08.07.2020

und Staatsanwälte und auch eine Beantwortung möglich; denn allein die Weiterleitung kann als konkludente Aufforderung, dazu Stellung zu nehmen, erscheinen.

Wir wissen aber auch, dass es sich um strafrechtliche Ermittlungsverfahren handelt, bei den Richtern - ich nehme an, dass das Gegenstand sein wird - um gerichtliche Verfahren, die anderen Kriterien als Verwaltungsakten gehorchen und dass die Richter und Staatsanwälte jeweils sehen müssen, inwieweit sie zur Beantwortung der Fragen beitragen können.

Ich will alles dafür tun, dass eine Beantwortung der Fragen möglich ist und dass diese Möglichkeit wahrgenommen werden kann. Aber ich kann mich nicht außerhalb der geltenden Gesetze stellen. Dabei sind neben der Landesverfassung die Strafprozessordnung und letztlich die RiStBV zu beachten.

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die Stunde ist vorbei. Ich habe die Frage noch beantworten lassen. Die Zeit ist aber schon überzogen worden.

Jetzt stelle ich die Frage an das Plenum: Wollen wir die Stunde verlängern?

(Zurufe)

- Ich höre mehrfach Nein. Damit ist die Befragung der Landesregierung leider zu Ende. - Vielen Dank.

Ein kleiner Hinweis: Es sollte ehrlich betrieben werden. Ich finde es nicht gut, wenn man nur aus Jux dazwischenruft. - Herr Abgeordneter, Sie wissen, wer gemeint ist?

Wir kommen nunmehr zum

Tagesordnungspunkt 2

Erste Beratung

Deutsche Ratspräsidentschaft für den notwendigen Neustart der EU nutzen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/6257

Der Einbringer steht schon bereit. Herr Abg. Gallert, Sie können gleich nach vorn kommen. Das Pult ist schon gereinigt. Sie haben das Wort. Bitte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beglücke diesen Landtag wieder mit einem Antrag zur Europapolitik und zur Situation innerhalb der Europäischen Union. Ich sehe, wie mir die Begeisterung aus allen Knopflöchern förmlich entgegenschlägt. Ich will das nutzen, weil das natürlich für das Land

Sachsen-Anhalt eine der wichtigen Stellschrauben dafür sein wird, wie wir uns in den nächsten Jahren nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und im ökologischen Bereich entwickeln werden.

Die letzten Wochen und Monate haben durch die Coronapandemie internationale Konflikte und Probleme aufgezeigt. Sie haben sie zugespitzt und sie haben uns noch einmal deutlicher vor Augen geführt, mit welchen substanziellen Problemen wir es auf der internationalen Bühne zu tun haben.

Zu nennen sind die drohende bipolare Auseinandersetzung zwischen den USA auf der einen Seite und China auf der anderen Seite, aber auch - darüber will ich heute reden - die strukturelle Krise in der Europäischen Union.

Erinnern wir uns kurz, wie die Situation Anfang März dieses Jahres war. Zu diesem Zeitpunkt gewöhnte man sich in Europa und auch in der Bundesrepublik Deutschland langsam an die Coronaberichte, die aus China zu uns herüberstrahlten. Politiker und Medienvertreter empörten sich über die diktatorischen Maßnahmen des diktatorischen chinesischen Regimes, um diese Pandemie einzudämmen, und sprachen darüber, welche

Grundrechtsverletzungen tagtäglich in China an der Tagesordnung waren. Kurz danach, als die Ausgangssperren zusammen mit dem Ausbruch der Pandemie in Europa realisiert worden sind, erinnerte man sich an diese Kommentare nicht mehr.

Am Anfang war das allerdings noch nicht so. Während in Ischgl trotz massiver Hinweise aus Nordeuropa fröhlich weitergefeiert wurde, begann langsam die Katastrophe in Norditalien. Erste Bilder kombiniert mit den Berichten aus dem Elsass, aus Zentralspanien und England ließen die politischen Verantwortungsträger innerhalb der EU aufwachen bzw. hochschrecken.

Das zentrale Problem dieser Europäischen Union bestand darin: Wir hätten diese Pandemiebekämpfung innerhalb der Europäischen Union eindeutig als europäisches Projekt begreifen müssen. Was aber geschah, war eine brachiale Bankrotterklärung der Europäischen Union; nichts kam aus Brüssel. Die neue EU-Kommissionschefin aus Deutschland tauchte ab. Die gesamte Kommission tauchte ab. Das, was wir mitbekommen haben, waren die nationalen Reflexe aus den einzelnen Hauptstädten der Europäischen Union.

Ich sage noch einmal ganz klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das war ein Desaster der Europäischen Union und führt uns vor Augen, wie strukturell die Probleme innerhalb der Europäischen Union sind.

(Beifall)

Es wurden erst einmal Grenzen geschlossen, obwohl sämtliche Fachleute gesagt haben: Unter diesen Bedingungen Grenzen zu schließen nützt nichts gegen die Ausbreitung dieses Virus. Aber klar, so national oder nationalistisch der Reflex: Die Gefahr muss immer von außen kommen, und ich kann mich davor bewahren, wenn ich die Grenzen schließe. - Das war das eine.

Fast noch schlimmer war aber etwas anderes. Als auf einmal in den Hauptstädten der Europäischen Union Panik ausbrach, kam sofort der nächste Reflex: Alle medizinischen Ressourcen, vor allen Dingen materielle Ressourcen, wie Schutzkleidung, medizinische Geräte, durften schlagartig nicht mehr die Grenzen passieren.

Dabei brauchen wir übrigens nicht auf unsere Nachbarstaaten zu schauen. Die Bundesrepublik mit Herrn Spahn in der Verantwortung hat genau solche Maßnahmen beschlossen, und zwar am 3. und am 12. März 2020. Diese Maßnahmen verhinderten übrigens, dass medizinisches Gerät nach Italien exportiert werden konnte, was dort hätte Leben retten können und was wir hier bis heute nicht gebraucht haben.

Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass sich die Situation, zum Beispiel in Norditalien, aber auch in Zentralspanien oder im Elsass, zugespitzt hat. Dort sind Menschen gestorben, die bei einer vernünftigen Arbeit der Europäischen Union nicht hätten sterben müssen. Das dürfen wir nicht vergessen.

(Beifall)

Die Situation war dann so, wie sie war. In Nordeuropa haben die Bürgermeister die Europaflaggen von ihren Rathäusern geholt; die Zustimmung zur Europäischen Union sank radikal. Wir haben die Situation gehabt, dass chinesische Flugzeuge und russische Militärkonvois medizinische Hilfsmittel dorthin gebracht haben, wo EU-Nachbarstaaten per Regierungsbeschluss untersagt haben, dass medizinisches Material dorthin kommt.

Sie können mir glauben: Diese Bilder haben sich in das kollektive Bewusstsein dieser Regionen eingebrannt. Das ist ein Desaster.

(Beifall)

Wenn wir diesen fast irreversiblen Schaden - fast irreversiblen Schaden! - wieder zurückdrehen wollen, dann müssen wir Vertrauen aufbauen. Dazu kann die deutsche Ratspräsidentschaft dienen, wenn sie drei strategische Ziele verfolgt:

Erstens. Die EU muss für die Menschen einen spürbaren Mehrwert haben; sie muss eine soziale Schutzfunktion ausüben.

Zweitens. Wir brauchen ein wirkliches Wiederaufbauprogramm für den schwersten wirtschaftlichen

Einbruch seit der Gründung der Europäischen Union.

Drittens. Wir brauchen eine Europäische Union der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, die das Sterben an ihren Außengrenzen verhindert, statt diesen mit Zynismus in Kauf zu nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Leider ist das Grundverständnis der Europäischen Union noch immer das einer Freihandelszone mit sozialpolitischer Ignoranz. Die schwarze Null und möglichst hohe Profite schaffen aber keine Identifikation mit der Europäischen Union - übrigens dem Wirtschaftsraum, von dem die Bundesrepublik Deutschland am meisten profitiert. Sage und schreibe 30 % der Wertschöpfung der Bundesrepublik Deutschland werden dadurch möglich, dass sie EU-Grenzen überschreitet.

Wir profitieren von dieser Europäischen Union, die bei den Menschen zurzeit massiv delegitimiert worden ist. Sie ist unter anderem deswegen delegitimiert worden, weil sie auf dem sozialpolitischen Auge blind ist - nicht nur blind, nein, sie hat in verschiedenen Ländern sozialpolitisch die Situation massiv verschärft.

Allein in den Jahren von 2011 bis 2018 ist Italien von der Europäischen Kommission 68 Mal aufgefordert worden, ihre Kapazitäten im Bereich des Gesundheitswesens herunterzufahren, zu verringern bzw. zu privatisieren. Und ja, die Europäische Kommission hatte damit Erfolg. Sie hatte einen solchen Erfolg damit, dass in Norditalien die medizinische Gesundheitsversorgung zusammenbrach, weil genau das gemacht worden ist, was die Kommission gefordert hatte. Das ist etwas, was sich nie mehr wiederholen darf, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Es geht aber weiter. Unmittelbar nach dieser Pandemie bzw. im Zuge dieser Pandemie wurde deutlich, wie stark die von mir genannten Länder, vor allen Dingen an der Südflanke der Europäischen Union, vom wirtschaftlichen Einbruch betroffen waren. Natürlich kam die Frage: Wie kommen wir da wieder heraus? Dazu gab es die Debatte um die Coronabonds. Das wären - das will ich noch einmal klar sagen, weil es Leute gibt, die das nicht verstehen - Schulden gewesen, die diese Länder aufgenommen hätten, und dies zu Konditionen, die die gesamte Euro-Gruppe sozusagen garantiert hätte.

Das bedeutet im Endeffekt, dass diese Länder für diese Schulden weniger Zinsen bezahlt hätten, und das bedeutet auch, dass die Bundesrepublik Deutschland etwas mehr bezahlt hätte.

Übrigens gibt es dazu Sachverständigengutachten. In denen wurde ausgeführt, dass die Bundesrepublik Deutschland bei diesen Coronabonds am Ende in etwa einen Zinsverlust von 1,8 bis 2 Milliarden € erlitten hätte. Das ist eine lächerliche Summe gegenüber dem, was jetzt notwendig sein wird.

Es war ein blöder und antieuropäischer Reflex aus Berlin, aber auch aus Wien und natürlich der sogenannten Sparsamen Vier, die so sparsam gar nicht sind, die Coronabonds sofort wieder unter dieser Überschrift zu streichen: Wir stehen nicht für eure Schulden gerade!

Diese Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird uns teuer, und zwar sehr teuer zu stehen kommen.

(Beifall)

Nun gibt es allerdings - das will ich nicht verhehlen - erste Lebenszeichen aus Brüssel. Wir brauchen einen europäischen Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre, der deutlich höher sein wird als das mit 1 % anvisierte Bruttonationaleinkommen. Daneben gibt es jetzt den Vorschlag in Bezug auf den Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden €; wenigstens eine Lehre, dass man aus diesem Austeritätskreislauf nach unten herauskommen muss.

Ich sage ausdrücklich: Wir haben in Sachsen-Anhalt ein elementares Interesse daran, dass dieses Wiederaufbauprogramm zustande kommt. Wir haben ein elementares Interesse daran, dass die Ausgaben für diesen Wiederaufbaufonds in Form von Zuschüssen und nicht in Form von Krediten vergeben werden. Wir haben ein elementares Interesse daran, dass nicht wieder die gleichen Fehler gemacht werden und die Vergabe dieser Mittel daran geknüpft wird, dass die betroffenen Länder ihr Sozialsystem schreddern.

Wir als Sachsen-Anhalt profitieren von diesem Wiederaufbauprogramm für die betroffenen Regionen, weil nur so eine Europäische Union in den Augen der Menschen und ökonomisch zusammenwachsen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.