Protokoll der Sitzung vom 08.07.2020

(Zuruf: Ja!)

Auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern gibt es Probleme. Auch dort werden Fehler gemacht.

(Zurufe)

Aber sie werden dort schneller erkannt und schneller korrigiert. In Sachsen-Anhalt hat bisher nur die SPD zu erkennen gegeben, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und Konsequenzen gezogen hat.

Die CDU, Bildungsminister Tullner und Ministerpräsident Haseloff allerdings meinen, sie können so weitermachen wie bisher.

(Zuruf: Ja!)

Dem Wirtschaftsflügel der CDU muss klar werden, dass man sich nicht über mangelhafte Leistungen der Schulen beklagen darf und sich nicht über die fehlende Berufsbildungsreife der Azubis aufregen kann, wenn man sich einen solchen Bildungsminister und eine solche Schulpolitik leistet. Dann muss man die Konsequenzen auch klaglos ertragen. Von nichts kommt nichts, meine Herren.

(Zustimmung)

Ich komme jetzt zum zweiten Teil, zum Schulgesetz. Mit ihrer Schulgesetznovelle liefert uns die AfD zum Ende der Legislaturperiode noch einmal einen umfassenden Nachweis für ihr inhumanes Menschenbild.

(Beifall)

In ihren Vorstellungen von Selektion und Paukschule haben Bildungsgerechtigkeit und Demokratisierung keinen Platz. Die AfD will jeden Ansatz davon aus unserem Schulgesetz eliminieren. Selektieren und wegsperren, was nicht ihrer Vorstellung von einem gesunden Volkskörper entspricht, das gehört zur DNA der AfD.

(Zustimmung - Unruhe und Zurufe)

Pädagogik, Förderung und individuelle Entwicklung - das alles sind Fremdworte für die AfD. Förderung und Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler sind der AfD so zuwider, dass sie uns mit einem solchen Machwerk hier behelligt.

Die AfD will, dass Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf nicht mehr an Regelschulen gefördert werden dürfen, wie es ihrem Recht aus der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht. Sie sollen zwangsweise in Förderschulen eingewiesen werden. Darüber sollen Behörden entscheiden, ohne Mitsprache der Eltern und ohne förderpädagogische Gutachten. Sie sollen dort auch nur weggesperrt werden und keine regulären schulischen Abschlüsse mehr erwerben können.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde auch Schülerinnen und Schüler an Förderschulen für Körper- und Sinnesschädigungen betreffen, die heute alle schulischen Abschlüsse bis hin zum Abitur erwerben können. Was für eine perfide Vorstellung!

(Zuruf)

Es gäbe keine blinden, keine stummen oder tauben Wissenschaftler mehr. Und es gäbe auch keinen Stephen Hawking.

Sachsen-Anhalt steht immer wieder am Pranger, weil es bei uns eine extrem hohe Zahl an Schulabbrechern gibt, die die allgemeinbildenden Schulen ohne regulären Schulabschluss verlassen. Der Hauptgrund für die hohe Zahl an Schulabbrechern ist der extrem hohe Anteil an Schülern an den Förderschulen für Lernen, für Sprache und für Verhaltensauffälligkeiten.

Wenn es nach dem Willen der AfD geht, dann würden an diesen Förderschulen etwa 10 % der gesamten Schülerschaft beschult werden. Bei diesen Schülerinnen und Schülern handelt sich aber gar nicht um Behinderte. Es handelt sich fast ausschließlich um Benachteiligungen im sozialen Umfeld.

Nach dem Willen der AfD soll das Schulsystem hier keinen Ausgleich mehr schaffen dürfen. Die AfD will, dass das Schulsystem die soziale Ungleichheit verfestigt und somit zur Milieu- und Ghettobildung in der Gesellschaft beiträgt, anstatt ihr entgegenzuwirken.

(Zuruf: So einen dämlichen Quatsch muss ich hier hören!)

In Ihrer ideologischen Verblendung ist die AfD auch nicht in der Lage, die ökonomischen Auswirkungen einer Schulpolitik zu erfassen, die vor allem auf Ausgrenzung und Abstieg setzt.

(Zuruf: So einen Quatsch muss ich hier hö- ren!)

Nach dem letzten Bildungsmonitor sinkt die Zahl der höheren Schulabschlüsse, und zwar sowohl bei den Abituren als auch bei den Realschulabschlüssen, während die Zahl der Schulabbrecher steigt. Das sind extrem negative Perspektiven für die Zukunft des Landes; denn auf der einen Seite werden die jungen Leute ohne Schulabschluss Schwierigkeiten haben, ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu finden, und auf der anderen Seite wird sich für die einheimische Wirtschaft der Fachkräftemangel noch weiter verschärfen. Die Schulpolitik der AfD ist also nicht nur inhuman, sie ist auch wirtschaftsfeindlich.

(Beifall)

Mit diesem Erkenntnisdefizit ist die AfD allerdings nicht allein. Auch der Bildungsminister, und mit ihm die CDU, ist ja der Meinung, dass man die Förderung im gemeinsamen Unterricht an den Regelschulen wieder zurückfahren und stattdessen das Förderschulsystem mit mehr Schülereinweisungen stabilisieren sollte.

(Zustimmung)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, eine Überarbeitung unseres Schulgesetzes ist auch aus unserer Sicht weiterhin dringend erforderlich, aber nicht im Sinne der Antipädagogik der AfD und

nicht mehr unter der Verantwortung dieses Bildungsministers. Minister Tullner hatte ja schon bei der vorherigen Novelle weder Lust noch Ideen.

Die schulpolitische Bilanz der CDU und des Ministers ist insgesamt desaströs. Unter dem Strich gibt es lediglich die missratenen Regelungen zu den Grundschulverbünden und zum Vorbereitungsdienst für Seiteneinsteiger, die beide bisher nicht in Gang kommen. Es gibt einen Kulturkampf gegen die Gemeinschaftsschulen und ein endloses Theater um die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft, das bis heute nicht beendet werden konnte. Es gibt weder einen Plan für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zur Inklusion noch ein Konzept für das künftige Förderschulsystem.

Letztlich ist im Hinblick auf die Evaluation und Schulentwicklung in dieser Legislaturperiode alles zum Erliegen gekommen, was in den Jahren zuvor aufgebaut wurde. An unseren Schulen herrscht unter Minister Tullner im besten Fall Stillstand und Friedhofsruhe, in vielen Fällen aber Rückschritt und Resignation.

Das alles und manches mehr muss mit dem Beginn der nächsten Wahlperiode neu in Angriff genommen werden. Egal, welche Regierungskonstellation die nächste Wahl ermöglicht, man kann für Sachsen-Anhalt nur hoffen, dass die CDU nicht wieder das Bildungsministerium

(Minister Marco Tullner: Reserviert!)

(Zustimmung)

und Minister Tullner höchstens wieder der Abg. Tullner sein wird. - Vielen Dank.

(Beifall)

Herr Lippmann, möchten Sie eine Frage von Herrn Tillschneider beantworten? - Bitte, Herr Tillschneider, Sie haben das Wort.

Ich frage jetzt sehr sachlich. Sie haben auch gesagt, was immer in diesem Zusammenhang gesagt wird, dass man Kindern an Förderschulen, behinderten Kindern, einen Schulabschluss, einen Regelschulabschluss ermöglichen soll. Aber was ich daran nicht verstehe, ist, ein Schüler, ein Kind, ist aufgrund seiner Begabungsvoraussetzungen - wir sprechen jetzt nur von intellektueller Behinderung; wenn es irgendwie schwerhörig ist, dann ist es etwas anders - entweder dafür geeignet, diese Latte zu überspringen und zum Beispiel den Hauptschulabschluss zu erwerben, oder nicht. Entweder ist es dazu befähigt oder nicht.

Was wollen Sie jetzt machen, wenn es aufgrund seiner Begabungsvoraussetzungen nicht dazu befähigt ist? Wollen Sie dann den Hauptschulabschluss erleichtern? Wollen Sie einen Bonus einführen? Wie stellen Sie es sich vor?

Dann, bitte.

Herr Tillschneider, wir reden eben aneinander vorbei. Sie unterstellen sozusagen immer eine Absenkung des Abschlussniveaus. Dafür können Sie - davon gehe ich jedenfalls aus; ansonsten hätten Sie es gemacht - überhaupt nichts vorlegen. Die Abschlussprüfungen sind so, wie sie sind.

An den Förderschulen für Lernbehinderungen, die vor allem ein problematischer Fall sind, machen die allermeisten Schüler ja auch keinen Schulabschluss. Sie machen ihn an den GB-Schulen im Übrigen auch nicht. Das Thema steht also überhaupt gar nicht.

Was Sie in Ihrem Gesetzentwurf aber gemacht haben, ist - in der Großzügigkeit, mit der Sie, nehmen wir einmal an, relativ schnell darüber gegangen sind und alles, aus dem Inklusion und Förderung herausguckten, gestrichen haben -, Sie haben eben auch den Satz herausgestrichen, dass an Förderschulen - damit sind alle gemeint; das sind auch die Körperbehindertenschulen, das sind die Blinden- und Sehschwachenschulen

(Zuruf)

und damit sind auch die Schulen für Taube gemeint - - So. Das streichen Sie einfach alles heraus. So machen Sie Gesetzentwürfe, in Ihrer Gier, sozusagen alles zu eliminieren, was herausguckt.

Diese Förderschulen haben auch andere Länder, und über diese Förderschulen muss man in Zukunft auch immer wieder reden. Die GB-Schulen und die Körperbehindertenschulen, die Landesbildungszentren, die es ja sind - wir haben ja kein flächendeckendes System, wie Sie möglicherweise wissen; wir haben Landesbildungszentren -, bedürfen einer eigenen Debatte.

Was unser Förderschulsystem schwierig macht, ist das, was wir Erwachsenen an Behinderungen erfinden. Das sind die Schulen für Lernbehinderungen, das sind die Sprachheilschulen und das sind auch die Schulen für Verhaltensauffälligkeiten. Das sind alles reine Milieuschulen. Die Kinder haben Schwierigkeiten. Die Kinder haben einen besonderen Förderbedarf.

(Zustimmung - Zuruf von Minister Marco Tullner - Weitere Zurufe)

- Nein, nicht wegducken davor. - An den Körperbehindertenschulen, an den Schulen für Sinnesschädigungen finden Sie beim sozialen Hintergrund der Eltern ziemlich alles. An den Förderschulen für Lernbehinderungen finden Sie kein Kind aus einem akademischen Elternhaus.

(Widerspruch)