Zunächst zum SPNV. Die Kollegin Lüddemann hat das ausführlich dargestellt. Von den 278 Haltepunkten sind nur 33 barrierefrei. Das ist enttäuschend. Da ist mit dem Schnittstellenprogramm eine ganze Masse gemacht worden. Der Minister ist darauf eingegangen. Da kann man auch in Zukunft noch eine ganze Masse machen. Aber es reicht eben nicht. An der Stelle muss man auch sagen: Die Bahn muss immer im Boot sein, und die Bahn ist da oft eher Bremsklotz und nicht Motor.
Zum Thema Bahnsteighöhen will ich auch nicht viel sagen. Das hat der Minister ausgeführt. Ich will nur einen Satz sagen: Damit hat man mit einem Federstrich Barrieren an Bahnsteigen, die für viel Geld schon einmal barrierefrei saniert worden sind, wieder eingeführt. Das, meine Damen und Herren, ist an dieser Stelle echt ein Stück aus dem Tollhaus.
Zum Thema ÖPNV. Ab dem 1. Januar 2022 müssen alle Haltestellen barrierefrei sein. Das ist übrigens im Jahr 2017 noch einmal verschärft worden. Es ist ein bisschen typisch Bund. Obwohl man damals schon mit einem Abstand von viereinhalb Jahren wusste, dass das baulich und geldlich nicht zu schaffen ist, hat man das verschärft. Das Land hat ab dem Jahr 2017 1 Million € für die Kommunen für den barrierefreien Umbau der Haltestellen bereitgestellt. Davon sind im Jahr 2019 ganze 331 000 € abgeflossen.
Es ist schön, dass es das Programm gibt. Ich glaube übrigens, Herr Minister, es liegt an der Öffentlichkeit. Man weiß davon in den Kommunen offensichtlich nicht. Aber wir tragen das jetzt gern weiter. Das ist auch schön, aber nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein; denn der Tropfen ist lange verdunstet, bevor er den Boden überhaupt erreicht hat. Das ist auch keine Antwort der Landesregierung auf das Problem.
Lassen Sie uns mal am Beispiel der Stadt Magdeburg über reale Zahlen reden - Conny Lüddemann hat das schon mal angedeutet -,
weil es dazu Zahlen gibt. Am 7. Juli 2020 - es geht um die Drucksache 03720/20, wer es mal nachlesen möchte - soll der Stadtrat eine Investitionsprioritätenliste für den barrierefreien Umbau der Straßenbahn beschließen. Zwei Zahlen sind besonders spannend. Es soll 93,7 Millionen € kosten und die letzte Haltestelle soll im Jahr 2089 tatsächlich in den Bau gehen. Das ist natürlich, meine Damen und Herren, völlig unakzeptabel. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das so
beschlossen werden wird. Das ist noch in der Beratungsfolge. Ende des Jahres sollte es so weit sein. Aber wie gesagt, das wird so nicht rauskommen.
Für uns hier im Landtag ist gar nicht die Jahreszahl so spannend, sondern die Zahl, die unter dem Strich steht, die 93 Millionen €. Ich will mal einfach mit 100 Millionen € weiterrechnen, weil das ein bisschen griffiger ist. Wir haben diesen Magdeburger Standard, nach dem das gemacht werden soll, im Jahr 2016 beschlossen. Damals standen unter dem Strich 75 Millionen €, 60 Millionen € für Straßenbahnhaltestellen und 15 Millionen € für Bushaltestellen. Wenn man dann die 100 Millionen € für die Straßenbahnhaltestellen gegenrechnet, sind wir heute bei 25 Millionen € für Bushaltestellen.
Mit dem Königsteiner Schlüssel gerechnet brauchen wir dafür in Sachsen-Anhalt landesweit ungefähr 230 Millionen €. Wenn ich die 100 Millionen € mal 2,5 nehme, Magdeburg und Halle und noch ein paar andere Städte, die Schienen haben, dann komme ich noch mal auf 250 Millionen €.Dann sind wir bei knapp einer halben Milliarde Euro, die wir so brauchen.
Die Kommunen werden das nicht leisten können. Aber ich finde, das sollte in zehn Jahren zu leisten sein. Und 50 Millionen € sollte auch uns als Land der Bau von barrierefreien Haltestellen wert sein. Man kann mit den Bushaltestellen anfangen. Das geht von der Planung und vom Bau her. Dann kann man nach und nach die Straßenbahnhaltestellen machen. Das muss ein langfristiges und sicheres Investitionsprogramm für die Kommunen werden. Für meine Fraktion wird das jedenfalls ein wichtiger Punkt für die Zukunft sein.
Lieber Herr Ministerpräsident, Sie sind ja jetzt da. Wir haben als Slogan das Thema „Modern denken“. Das ist immer gut und immer richtig. Beim Thema barrierefreie Haltestellen
Vielen Dank. Auch hierzu sehe ich keine Wortmeldungen. - Der nächste Debattenredner ist für die Fraktion DIE LINKE der Abg. Herr Henke. Herr Henke hat sechs Minuten Zeit für seinen Beitrag. Herr Abgeordneter, Sie dürfen jetzt an das Rednerpult. Bitte.
Geehrte Damen und Herren! Die Große Anfrage zum Umsetzungsstand bei der Barrierefreiheit im ÖPNV in Umsetzung des Personenbeförderungsgesetzes war gut und notwendig, Frau Lüddemann. Jedoch bin ich erstaunt darüber, wie zufrieden und optimistisch sich die Landesregierung nach vier Amtsjahren bezüglich der erreichten Barrierefreiheit bei diesem aufgelisteten Status quo zeigt.
Einige Beispiele. In Antwort 3 sieht die Landesregierung ausreichende Planungsvorgaben für die Barrierefreiheit im ÖPNV gegeben. Gleich danach sieht sie in Antwort 4 dafür 1 Million € als ausreichenden finanziellen Rahmen an. Der Rest wird den bekanntlich klammen Kommunen auferlegt, was für das Ziel der Erreichung der Barrierefreiheit fast als zynisch zu bezeichnen ist. Die Kommunen können meistens nicht einmal ihre Kofinanzierung aufbringen.
Auch die NASA dürfte die benannten verfügbaren Mittel in Höhe von 140 000 € für die Anpassung der Auskunftsmittel als unzureichend betrachten.
Wenn gemäß Frage 6 nur zwei von neun Fernverkehrsbahnhöfen als barrierefrei gelten und dies als zufriedenstellend eingeschätzt wird, ist das mehr als verwunderlich.
Die Antwort der Landesregierung fällt sicherlich nicht nur aus unserer Sicht mehr als sparsam aus. Sich dann aber bei der Beantwortung auf eine noch sparsamer beantwortete Große Anfrage unserer Fraktion zum Sanierungs- und Investitionsbedarf in den Kommunen zu beziehen, lässt uns hier eine fehlende Ernsthaftigkeit konstatieren.
wortlichkeiten in den Antworten auf die nächsten Fragen durchgehalten wird. Zum Beispiel ist auffällig, dass immer darauf verwiesen wird, dass die Kommunen gegenüber dem Landtag nicht verpflichtet sind, über Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung Auskunft zu erstatten. Aber wie will dann die Landesregierung objektiv einschätzen, wie es um die Situation des barrierefreien ÖPNV in unserem Lande bestellt ist?
Lediglich 33 der 260 Haltepunkte der 14 Landkreise und kreisfreien Städte gelten nach Angabe der Landesregierung als barrierefrei. Das sind weniger als 15 % bis zum heutigen Tag. In acht Landkreisen gibt es Haltepunkte ohne oder mit nur einem barrierefreien Zugang. Unverständlich, wie wir hier bis 2022 wesentliche Entwicklungen erwarten können. Seit 2013 hat das Land Sachsen-Anhalt gerade einmal eine Barrierefreiheit von nicht einmal 12 % geschaffen. Der völlige Ausbau der schienengebundenen Infrastruktur würde bei diesem Tempo demnach 58 Jahre dauern. Die überübernächste Generation darf schon mal hoffen.
Im Gegensatz dazu steht, dass mehr als zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner von Sachsen-Anhalt Senioren, Behinderte, Familien mit kleinen Kindern sind, welche auf diese Infrastruktur angewiesen sind.
Werte Damen und Herren! Was ich insgesamt diskriminierend finde - das gilt sowohl für den ÖPNV als auch für den Fernreiseverkehr -: Der Reisende mit Einschränkungen muss sich immer anmelden - bei der Bahn mindestens 72 Stunden vorher - und weiß in der Regel nicht, ob er bei Anschlusszügen, Spontanereignissen und Ähnlichem tatsächlich auch ans Ziel gelangt.
Ein weiteres Problem für Menschen mit Einschränkungen sind die engen Taktzeiten zwischen Bus und Bahn oder Bus und Bus. Die Erreichbarkeit der Umsteigeverbindung ist für Menschen mit Handicap schlicht kurz und knapp, zu kurz bemessen. Und es ist zutiefst zu bedauern, dass eine Von-Tür-zu-Tür-Beförderung durch das Anrufbussystem per Gerichtsentscheid zugunsten der Taxiwirtschaft unterbunden worden ist; denn dies war tatsächlich eine große Möglichkeit für viele, wieder am allgemeinen Leben teilzunehmen.
Auch die Abflüsse beim Bahnhofsprogramm - Frage 12 - zeigen für 2016 große Unterschiede im Vergleich zu 2019. Wie erklärt sich eine Dis
krepanz von knapp 15 Millionen €? - Die Abflüsse lediglich nominal aufzulisten, ohne eine prozentuale Erfüllungsquote bzw. die veranschlagten Mittel im Haushalt in Bezug zu setzen, ist sehr intransparent für eine Bewertung.
Widersprüchlich ist auch die Antwort auf Frage 13: Es können keine Angaben zur voraussichtlichen Dauer der Herstellung der Barrierefreiheit gemacht werden. Zuvor wurde in der Antwort auf Frage 2 der derzeitige Erfüllungsstand gelobt. Das ist nicht nur beschönigend, sondern auch unschlüssig.
Selbst die scheinbar nebensächlichen Antworten zu Mitnahmemöglichkeiten oder virtuellen Angeboten sind ebenfalls bestenfalls als karg zu bezeichnen. Welche Möglichkeit sieht die Landesregierung, die Mitnahme auch von Lastenrädern zu ermöglichen? Warum führen Sie in der Antwort zu Frage 25 nicht weiter aus, welche weiteren Onlineangebote derzeit konkret für die barrierefreie Zugänglichkeit angepasst werden? - Ein bisschen hat der Minister ja noch nachgebessert.
Aus der Anlage wird ersichtlich, dass es in Bereichen wie WC-Anlagen, Notrufsäulen oder Rampen und Aufzügen nahezu noch keine Umsetzung gibt. Und das ist ein Skandal.
Sehr geehrte Damen und Herren! Barrierefreiheit liegt nach § 5 des Behindertengleichstellungsgesetzes unseres Landes dann vor, wenn bauliche Anlagen und Verkehrsmittel geeignet sind, dass sie Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzen können.
Ich gebe noch einmal zu bedenken: Während der Anhörung zur Landesbauordnung am 25. Juni dieses Jahres hier in diesem Saal sagte Dr. W. vom Landesbehindertenbeirat etwas sehr Eingehendes: dass Barrierefreiheit aus seiner Perspektive und Bewertung kein Gnadenakt, Inklusion keine Geste der Wohltätigkeit und gesellschaftliche Teilhabe auch kein Ausdruck sozialer Fürsorge sind.
Barrierefreiheit müsse eine zeitgemäße Selbstverständlichkeit sein, die nicht unter einen Ressourcen- oder Haushaltsvorbehalt zu stellen ist. Sie ist ein hoch sensibles Indiz für das gesellschaftliche Klima.