Protokoll der Sitzung vom 03.11.2020

(Beifall - Zurufe)

Ich teile ausdrücklich nicht die Auffassung, dass eine solche Krise ohne ein Parlament zu managen ist. Ich teile auch ausdrücklich nicht die Auffassung, dass man die Krise lediglich mit den Koalitionsfraktionen managen kann. Das verstößt gegen unsere Landesverfassung, in der die Rechte der Opposition festgeschrieben sind.

Herr Ministerpräsident, Sie sind vor diesem Parlament auf die Verfassung vereidigt worden. Ich

erwarte, dass Sie diese Verfassung wahren und dass Sie der Diskriminierung der Opposition ein Ende setzen.

(Beifall)

Ich erinnere mich noch gut daran: In der Regierungsbefragung in der letzten Sitzungsperiode haben Sie Ihre verfassungsrechtliche Beurteilung der Sache so beschrieben, dass vieles über die Verordnungen in den Ländern zu realisieren sei. Sie haben erläutert, dass die Zuständigkeit der Länder gegeben sei und dass dies eben nicht die Parlamente seien, weil es lediglich um die Exekutierung von Bundesrecht gehe. Die Einzigen, die Sie korrigieren könnten, seien die Verwaltungsgerichte.

Dazu, Herr Ministerpräsident, sage ich ganz deutlich: Dieses Demokratieverständnis bereitet mir Unbehagen. So etwas wie Halle dichtzumachen - im Übrigen gab es dagegen auch von Ihnen berechtigterweise Widerspruch - ist keine bürokratische Verordnung, sondern das ist Politik. Das ist eine politische Entscheidung. Sie betrifft die Menschen ganz konkret. Ich finde es befremdlich, dass ich das hier erklären muss.

(Zustimmung)

Sie verkennen und ignorieren auch, dass maßgebliche Verfassungsjuristen unserer Republik mehr und mehr Zweifel an diesen Verfahren äußern. Sie ignorieren auch eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 28. August 2020. Ich möchte gern aus diesem Urteil zitieren, weil ich möchte, dass das auch protokollarisch festgehalten wird. Es heißt:

„Das Erfordernis einer parlamentarischen gesetzlichen Grundlage ist auch keine verzichtbare bloße Formalität. Während Verordnungen wie jene zur Bekämpfung der Coronapandemie bis zu ihrer Veröffentlichung im Wesentlichen im Internum der Exekutive erarbeitet, beraten und beschlossen werden und Bürgerinnen und Bürger damit vor die vollendete und geltende Regelung gestellt werden, gewährleistet ein parlamentarisches Gesetz die Debatte von Für und Wider vor dem Forum der Öffentlichkeit und damit ein wesentliches Element der repräsentativen Demokratie. Daher mag in einer Notsituation, in der kurzfristiges Handeln einer Regierung zwingend erscheint, die Verordnung auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten Ermächtigung ein notwendiges und wichtiges Instrument der Staatsleitung sein. Je länger grundrechtliche Belastungen von Bürgerinnen und Bürgern indessen andauern, desto wichtiger wird es indessen, die Regelung ihrer Grundlagen und Grenzen dem ohne

hin originär verantwortlichen parlamentarischen Gesetzgeber zu überlassen.“

Es muss auch deutlich gesagt werden - das kommt bei den Menschen draußen anders an -, dass ein Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, auch wenn die Kanzlerin daran beteiligt ist, eben lediglich eine Absichtserklärung ist, auch wenn darin mit Worten wie „tritt in Kraft“ und „gilt verbindlich“ hantiert wird.

Meine Damen und Herren! Es ist in unser aller Interesse und es ist zum Erhalt unseres Verfassungsstaates, des Vertrauens in den Rechtsstaat und - das steht ganz vorn - der Akzeptanz der Maßnahmen dringend nötig, all jenen Stimmen zu folgen, die eine Parlamentarisierung der Pandemiebekämpfung für unumgänglich halten.

Wir LINKE fordern: Folgen Sie dem Rat des Bundestagspräsidenten in seinem Schreiben an die Bundestagsfraktionen oder auch gern dem Rat des linken Ministerpräsidenten Thüringens in seiner Protokollnotiz zu dem Beschluss von 28. Oktober 2020.

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

- Das können Sie mich nachher fragen, Herr Borgwardt, dann erkläre ich es Ihnen.

Mit unserem Antrag in der Drs. 7/6786 haben wir Vorschläge unterbreitet, wie das Parlament seinen ihm durch die Verfassung zugewiesenen Platz wirksam einnehmen kann.

Nun sind Sie am Zug, Herr Borgwardt, Frau Dr. Pähle und Frau Lüddemann. Zeigen Sie, dass Sie überzeugte Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind, und nutzen Sie die einzigartigen Möglichkeiten des parlamentarischen Verfahrens, um für die Legitimation zu sorgen. Denn saft- und kraftlose Fernsehansprachen werden dies nicht ersetzen.

(Beifall)

Wir brauchen einen mittelfristigen Plan. Denn wir müssen den Menschen sagen, was im Dezember, was im Januar oder auch im Juni des nächsten Jahres auf sie zukommen kann.

(Zurufe)

Wir müssen uns endlich in ein Boot setzen. Im Grunde sitzen wir ohnehin bereits gemeinsam in diesem Boot, ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Denn die Lage - diese Auffassung teile ich ausdrücklich - ist ernst. Alle, die wir hier sitzen, tragen Verantwortung für dieses Land. Ich halte den befristeten Teil-Lockdown für unumgänglich.

(Zuruf)

Ich weiß aber auch, dass diese Gesellschaft einen hohen Preis dafür zahlen wird.

(Zuruf)

Deshalb müssen wir neben dem Schutz der Gesundheit der Menschen die Hilfen für die von den Maßnahmen Betroffenen in den Fokus stellen. Deshalb liegt Ihnen unser Antrag in der Drs. 7/6787 vor mit dem Ziel des solidarischen Schutzes und der zielgenauen Hilfsmaßnahmen.

Wir müssen weiter alles daran setzen, dass Kitas und Schulen offenbleiben können. Denn es war eine kluge und richtige Entscheidung, sie dieses Mal offenzuhalten. Und ja, wir brauchen zeitnah ein Förderprogramm für Luftfilteranlagen. Es kann doch nicht sei, dass mal eben Mittel in Höhe von 9 Milliarden € zur Rettung der Lufthansa da sind, diese 1 Milliarde € für die Schulen aber fehlt.

Es geht uns nicht darum, das von jetzt auf gleich umzusetzen,

(Zurufe)

sondern es geht darum, das nach und nach, Stück für Stück zu realisieren. Ich kann Ihnen sagen, dass wir natürlich bei unserer Forderung nach einem Kinder- und Familiengipfel bleiben werden, um sämtliche Maßnahmen immer auch daraufhin zu checken, was sie für die Kinder und Jugendlichen und die Familien in diesem Land bedeuten.

(Beifall)

In unseren Pflegeeinrichtungen sind in den vergangenen Monaten bereits kreative und sehr wirksame Hygienekonzepte entwickelt worden. Wir müssen gemeinsam alles daran setzen, dass keine zweite Vereinsamungswelle in unseren Pflegeeinrichtungen für unsere älteste Generation gibt.

Wir brauchen natürlich unverzüglich - das ist schon angesprochen worden - eine Erhöhung und Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und eine finanzielle Unterstützung von Studierenden. Diese dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Es gibt Studierende, die darauf angewiesen sind, über einen Job ihr Einkommen aufzubessern, um überhaupt studieren zu können.

Im Rückblick auf die erste Welle ist auch klar festzustellen, dass wir alle in der Landeserstaufnahmeeinrichtung untergebrachten Personen unverzüglich dezentral unterbringen müssen. Das ist nicht nur ein wichtiger humanitärer Akt; es darf nicht noch einmal geschehen, dass Kinder und ihre Familien auf so engem Raum unter Quarantäne stehen. Wir sollten auch selbst ein Interesse daran haben, um Infektionsketten zu unterbrechen.

(Beifall)

Ganz klar, als LINKE sagen wir ganz deutlich: Wir wollen das Land der Dichter - gern: „Dichte

rinnen“ - und Denkerinnen bleiben. Wir wollen, dass es heute und auch im nächsten Jahr eine vielfältige Künstlerinnenlandschaft in SachsenAnhalt gibt. Ich stimme dem Bundespräsidenten zu, der gesagt hat, wir brauchen die Kultur jetzt mehr denn je.

(Beifall)

Tatsache ist doch, dass wir ihnen durch den derzeitigen Lockdown ein weiteres Mal ihre Lebensgrundlage entziehen, ohne dass die Folgen des ersten Lockdowns für sie tatsächlich ausgestanden sind. Es ist gut und richtig, dass sich jetzt viele Kulturschaffende öffentlich zu Wort melden und öffentlich auf ihre Situation aufmerksam machen. Alarmstufe Rot, das ist kein Mediengag, das ist bitterer Ernst für viele Künstlerinnen und Künstler und Kulturschaffende in unserem Land.

Zur Kultur gehören selbstverständlich auch Klubs und Diskotheken. Wir dürfen diese und ihre Betreiberinnen nicht im Stich lassen.

(Beifall)

Gleiches gilt für die Gastronomie und das Beherbergungsgewerbe. Gerade in diesem Bereich haben wir erleben dürfen, wie eigenverantwortlich, ohne den Staat, vorbildliche Hygienekonzepte entwickelt worden sind. Wir müssen uns dringend für eine Öffnungsstrategie einsetzen. Die Kontaktverfolgung kann doch nicht abgeschafft werden, nur weil sie nicht funktioniert hat. Wir wissen doch alle, sie ist erforderlich. Wir brauchen sie. Wir müssen sie stattdessen qualifizieren und dürfen nicht sagen, sie kann weg. Also, wir brauchen eine Öffnungsstrategie für das Gast- und Hotelgewerbe.

(Beifall)

Vor dem Hintergrund all dieser Forderungen, die Sie, Herr Ministerpräsident, gestellt haben, und auch der Maßnahmen, die Sie durchführen, stellt sich für uns hier in diesem Haus natürlich auch eines Tages die Kostenfrage. Sie haben dazu nichts gesagt. Wir sind ja auch der Haushaltsgesetzgeber. Natürlich ist zu fragen, wer irgendwann einmal dafür zahlt.

Die Junge Union hat heute entschieden, Friedrich Merz soll Angela Merkel beerben. Ich hörte, dass auch die CDU Sachsen-Anhalt seine Kandidatur unterstützen würde. Meine Damen und Herren! Mit Friedrich Merz ist der Weg klar: Es geht um Sozialabbau und Verschärfung der sozialen Frage.

Friedrich Merz wird mit der gewohnten Arroganz, die der eine vielleicht mag, die ich abstoßend finde, diejenigen für die Krise zahlen lassen, die jetzt schon für die Krise zahlen: das Pflegepersonal, die Verkäuferinnen und die Rentnerinnen.

Angela Merkel hat viele Fehler in ihrer Amtszeit gemacht, gerade bei der Sozialpolitik. Aber ich sage Ihnen, wir werden sie noch vermissen, wenn wir irgendwann Friedrich Merz im Kanzleramt begrüßen dürfen.

(Beifall)

Als Ostdeutsche und Sachsen-Anhalterinnen werden wir sie vor allem dann vermissen, wenn es darum geht, dafür zu kämpfen, dass die Renten nicht weiter gekürzt werden.

DIE LINKE sagt ganz klar, ja, wir wollen es die Superreichen zahlen lassen, nicht diejenigen, die den Laden am Laufen halten. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass auf der einen Seite Arbeitslosigkeit und die Zahl der Kurzarbeitenden gestiegen sind und dass auf der anderen Seite enormer Reichtum bei Einzelnen entstanden ist. Ja, es gibt Gewinner der Krise.

Meine Fraktion hat kürzlich durch eine Umfrage herausgefunden, dass 62 % der Menschen in Sachsen-Anhalt für eine einmalige Vermögensabgabe gemäß Artikel 196 des Grundgesetzes stimmen. Sie wissen, das ist kein Teufelszeug, das ist Verfassung.