Ich danke Herrn Kohl für die Berichterstattung. Es gibt keine Fragen, Herr Kohl. - Für die Landesregierung spricht der Minister Herr Richter. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Abschaffung der Straßenausbaubeiträge hatten wir unter den verschiedensten Aspekten schon mehrfach auf der Tagesordnung. Wir haben bei der Berichterstattung gerade mitbekommen, wie ausführlich es schon im Einzelnen behandelt worden ist.
Soweit es um das Anliegen der Volksinitiative „Faire Straße - gemeinsam gegen Straßenausbaubeiträge in Sachsen-Anhalt“ geht, liegt dem Landtag, wie wir gerade im Einzelnen gehört haben, die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Petitionen vom 1. Dezember 2020 vor. Darin
werden die Eckpunkte des heute in zweiter Lesung anstehenden Gesetzentwurfes der Regierungsfraktionen zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge umrissen und insoweit zum Ausdruck gebracht, dass sich damit die Kernforderung der Volksinitiative erledigt hat.
Ich komme daher sogleich auf diesen Gesetzentwurf zu sprechen, der am 10. September 2020 von den Koalitionsfraktionen in den Landtag eingebracht worden ist. Mit ihm soll in unserem Land ebenso wie bereits in Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die Beitragserhebung gegenüber Grundstückseigentümern und ihnen gleichgestellten Personen für erforderliche Straßenausbaumaßnahmen abgeschafft werden, und zwar rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres. Dies gilt auch für die wiederkehrenden Beiträge.
Neben diesem zentralen zeitlichen Eckpfeiler knüpft der Gesetzentwurf inhaltlich an das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an. Das bedeutet, dass die Gemeinden keine Möglichkeit zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen mehr haben, wenn die sachliche Beitragspflicht erst nach dem 31. Dezember 2019 entstanden ist. Wesentlich für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist die Beendigung der Baumaßnahme. Anders als in Bayern, wo als zentraler Anknüpfungspunkt die Beitragsfestsetzung angeordnet worden ist, gestaltet sich die Abschaffung der Beitragserhebung also nicht abrupt.
Die skizzierten Prämissen haben Änderungen des Kommunalabgabengesetzes zur Folge, die in Artikel 1 des Gesetzentwurfes enthalten sind. Bestimmte Regelungen und Abläufe, die bislang im Kommunalabgabengesetz für das ordnungsgemäße Verfahren bis zur Beitragserhebung vorgesehen sind, werden nun obsolet, weil es unter den genannten Bedingungen nicht mehr zur Beitragserhebung kommt. Davon umfasst sind insbesondere die Vorgaben zur Bürgerbeteiligung vor einer Straßenausbaumaßnahme.
Hat nun eine Gemeinde in dem Fall, dass die sachliche Beitragspflicht nach dem 31. Dezember 2019 entstanden ist, bereits Beiträge im Laufe dieses Jahres festgesetzt, so wird sie nach dem Gesetzentwurf dazu verpflichtet, diese Beiträge an die Betroffenen zurückzuerstatten.
Für eine Übergangszeit, in der die sachliche Beitragspflicht vor dem 1. Januar 2020 zwar entstanden ist, die Gemeinden aber noch keine Beiträge festgesetzt haben, soll ihnen durch eine Änderung im Kommunalabgabengesetz wie durch eine Ausnahmeregelung im Bereich der im Kommunalverfassungsgesetz verankerten Einnahmebeschaffungsgrundsätze ein breites Ermessen hinsichtlich einer noch möglichen Beitragserhebung eingeräumt werden.
Die Einnahmeausfälle, die die Gemeinden infolge der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge für begonnene sowie in diesem Jahr beendete Baumaßnahmen, bei denen die sachliche Beitragspflicht nach dem 31. Dezember 2019 entstanden ist, zu verzeichnen haben werden, sollen im Wege der Spitzabrechnung vom Land ausgeglichen werden. Insofern tritt also das Land an die Stelle der Beitragszahler.
Für Baumaßnahmen, für die erst ab dem 10. September dieses Jahres das Vergabeverfahren für die Bauleistung eingeleitet wurde bzw. für die das Vergabeverfahren eingeleitet wird, sieht der Gesetzentwurf die Einführung eines neuen Fachgesetzes, nämlich des sogenannten Mehrbelastungsausgleichsgesetzes, vor. Danach sollen die Gemeinden ab dem Jahr 2022 jährlich einen Mehrbelastungsausgleich in Höhe von 15 Millionen € als Ausgleich dafür erhalten, dass sie keine Straßenausbaubeiträge mehr erheben dürfen. Dieser Mehrbelastungsausgleich soll in Form einer Pauschale vom Land an die Gemeinden gezahlt werden. Die Verteilung der Mittel soll nach dem Verhältnis der Siedlungsflächen der Gemeinden erfolgen. Maßgebend für die Berechnung ist daher die Größe der jeweiligen Siedlungsfläche am 31. Dezember 2019.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Nähere sowohl für die Durchführung der in Form der Spitzabrechnung vorgesehenen Erstattung als auch zum Mehrbelastungsausgleich zugunsten der Gemeinden durch zwei Verordnungen geregelt werden soll. Zudem ordnet das Mehrbelastungsausgleichsgesetz eine Evaluierung an, wonach die Landesregierung die Regelung des Mehrbelastungsausgleichsgesetzes im Hinblick auf die Ausgabenblöcke der Ausgleichszahlungen bis zum 1. Januar 2024 evaluiert und dem Landtag darüber spätestens bis zum 30. Juni 2025 berichtet.
Angesichts der von mir soeben dargelegten Leitplanken des Gesetzentwurfes wird man nicht ohne Weiteres geneigt sein, sofort in allzu große Euphorie zu verfallen. Sicherlich dürfte das Gesetz bei der betroffenen Personengruppe für große Erleichterung sorgen. Aber machen wir uns nichts vor, so zufrieden die einen sein werden, so werden wir sicherlich mit dem Ärger derjenigen zu rechnen haben, die auch nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes mit Beitragsbescheiden konfrontiert werden.
Gesetzliche Regelungen mit Stichtagen rufen immer das Unverständnis derjenigen hervor, die gerade nicht von der mit dem Stichtag verbundenen Begünstigung betroffen sind.
Auch die Gemeinden werden die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge nicht einheitlich bewerten. Einige Gemeinden werden das Gesetz begrüßen,
weil sie vor Ort den Ärger und Protest von Grundstückseigentümern leid sind und sich durch die bisherige Erhebungspflicht in ihrer Eigenständigkeit zu sehr eingeschränkt gesehen haben. Andere Gemeinden wiederum dürften die Abschaffung kritisch sehen, weil sie unsicher sind, ob die über Jahrzehnte praktizierten Beitragserhebungen in finanziell auskömmlicher Weise durch die Ausgleichszahlungen des Landes ersetzt werden.
Wir können nicht in die Glaskugel schauen. Ob die Verteilung nach Maßgabe des neuen Mehrbelastungsausgleichsgesetzes gerecht vorgenommen wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand klar und eindeutig beantworten. Dies wurde schon in der Landtagssitzung am 10. September nüchtern festgestellt. Daher kommt der Evaluierung eine ganz besondere Bedeutung zu.
Zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE sowie zu deren Anträgen verweise ich auf die Beschlussempfehlungen der Ausschüsse für Inneres und Sport und für Finanzen vom 9. Dezember dieses Jahres. Hierzu ist die Haltung der Regierungsfraktionen eindeutig, sodass ich an dieser Stelle eigentlich keine weiteren Ausführungen dazu machen wollte.
Lassen Sie mich abschließend aber noch einige Worte zu den Anträgen der Fraktion DIE LINKE bezüglich des sogenannten Beitragsmoratoriums sagen. Die Fraktion DIE LINKE hat offenbar ein normales Vorgehen im parlamentarischen Prozess nicht abwarten wollen. Mit den Anträgen sollte erreicht werden, dass die Landesregierung durch ein Beitragsmoratorium kurzfristig die Aussetzung der Erhebung der Straßenausbaubeiträge ermöglicht. Eine solche Aussetzung würde aber im klaren Gegensatz zur derzeit geltenden Rechtslage stehen, die wir nun einmal alle zu beachten haben, bis sie geändert wird. Wie ich bereits erwähnt habe, wird mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes und ungeachtet der darin angeordneten Rückwirkung die Beitragserhebung nicht zwingend von heute auf morgen beendet sein.
Das Recht und der Rechtsstaat sind nicht beliebig. Die Durchführung des Rechts und der Gesetze erfolgt im Rechtsstaat nicht unverbindlich oder nach politischer Stimmungslage. Die Rechtsunterworfenen müssen und dürfen sich im Rechtsstaat darauf verlassen, dass geltendes Recht gilt und nicht zur spontanen Disposition gestellt wird. Die Exekutive ist verfassungsrechtlich an Recht und Gesetz gebunden und darf nicht willkürlich handeln.
Will man eine andere Rechtslage schaffen, dann müssen dafür im parlamentarischen Prozess Mehrheiten gewonnen werden, die dann eine entsprechende Änderung der Gesetze beschließen. Solche Prozesse dauern manchmal etwas länger. Das haben wir bei dem hier vorliegenden Gesetz
entwurf der Regierungsfraktionen erlebt. Nun ist man aber auf der Zielgeraden. Blicken wir zuversichtlich in die Zukunft.
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen sagen. Mit dem Entschließungsantrag wird die Erwartung verbunden, dass die Pauschalen von den Gemeinden auch überjährig verwandt werden können und dass die Finanzierung zum Beispiel auch durch Kreditaufnahmen möglich ist. Die Landesregierung soll dafür Sorge tragen, dass diesem Anliegen entsprochen werden kann, auch wenn sich die Gemeinden in der Haushaltskonsolidierung befinden.
Ich gehe davon aus, dass dieses Anliegen auf der Grundlage der bestehenden Vorschriften im Wege der Verwaltungspraxis erreicht werden kann. Dennoch wird die Landesregierung diese Fragen noch einmal genau prüfen. Sollte danach eine Gesetzesänderung erforderlich sein, wird die Landesregierung einen entsprechenden Regelungsvorschlag unterbreiten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Präsident. Keine Frage, sondern eine Kurzintervention, was Sie daran erkennen können, dass ich hier stehe.
Herr Minister Richter, ich rechne es Ihnen einmal an, dass Sie erst wenige Tage das Amt des Innenministers bekleiden und deswegen nur verlesen, was Ihnen aufgeschrieben worden ist. Ansonsten müsste man es wohl als Frechheit bezeichnen, was Sie hier gesagt haben.
Unsere Anträge zum Moratorium beziehen sich nicht auf eine falsche Auslegung des Gesetzgebungsverfahrens, sondern vielmehr auf einen Prozess, der die Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen die Gemeinden in unserem Land immer wieder verunsichert hat; denn es war vor allen Dingen Ihre Koalition, die nach dem Einbringen unseres Gesetzentwurfes mit immer wieder neuen Daten und Ideen zur Abschaffung der
Straßenausbaubeiträge bzw. mit einem Nein Ihres Amtsvorgängers die Bürgerinnen und Bürger verunsichert hat. Um der Koalition diesen Diskussionsprozess einräumen zu können, haben wir die Anträge zu einem Moratorium gestellt, weil klar war, es wird parlamentarische Mehrheiten für die Abschaffung geben, aber die Frage ist, wie.
In einem laufenden Prozess, in dem Gemeinden Bescheide erlassen und Bürgerinnen und Bürger Dispositionen treffen müssen, war das Moratorium die angemessene Forderung.
Insoweit halte ich es für unangemessen, uns ein Unverständnis parlamentarischer Prozesse vorzuwerfen. Vielmehr ist festzustellen, dass es seitens der Koalition ein großes Unverständnis bezüglich der Prozesse in unserem Land gab.
Herr Knöchel, trotzdem ändert das nichts an der Rechtslage, die wir im Augenblick noch haben, bis mehrheitlich ein Gesetz verabschiedet wird.
Es gibt keine weiteren Fragen. Ich danke Herrn Minister Richter für die Stellungnahme der Landesregierung. - In der Debatte der Fraktionen spricht jetzt für die SPD-Fraktion die Abg. Frau Schindler. Frau Schindler, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Birkner! Sehr geehrter Herr Kühn! Es ist geschafft, möchte ich heute sagen. Es ist geschafft, die Straßenausbaubeiträge werden abgeschafft.
Ein langer Prozess führt zu einem glücklichen Ende. Die Straßenausbaubeiträge werden in Sachsen-Anhalt in Zukunft der Vergangenheit angehören. Wir hören und sehen die Erleichterung bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land, wenn dieses geschieht und sie nicht mehr damit rechnen müssen, dass sie für den Ausbau ihrer Straße bezahlen müssen.
Wir haben lange und auch sehr ausgiebig diskutiert und uns sehr intensiv darum gestritten, warum wir die Straßenausbaubeiträge abschaffen.
Wir verabschieden uns mit der heutigen Beschlussfassung von dem althergebrachten Vorteilsbegriff für die Grundstückseigentümer. Das war etwas, das man den Bürgern langsam nicht mehr erklären konnte. Es war und ist nicht mehr
begründbar gewesen, inwieweit sie durch den Ausbau der vor ihnen liegenden Straße bevorteilt sind. Das zeigten auch die vielen Bürgerinitiativen, Petitionen und auch Volksinitiativen, die auch heute wieder vertreten sind.
Wir werden mit dem Beschluss der Gesetzvorlage heute auch Ihre Volksinitiative für erledigt erklären; aber das habe ich bereits in der Einbringung gesagt. Ich denke, das geschah auch im großen Übereinstimmen mit Ihnen. Die Stellungnahmen zu unserem Gesetzentwurf zeigen, dass es natürlich weiterhin Nachfragen gibt, und vor allen Dingen besonders viel Skepsis, wie es auch der Minister gerade gesagt hat, bei den Kommunalverwaltungen besteht. Die Skepsis besteht vor allen Dingen zu den Fragen der Refinanzierung der Ausgaben, die bei den Gemeinden vorhanden sind.
Auf der Grundlage unseres Entschließungsantrags, der Ihnen heute vorgelegt worden ist, werden wir auch weiterhin darauf achten, dass dieses Geld den Kommunen für den Straßenausbau zur Verfügung steht.
Ich möchte an der Stelle auch noch einmal darauf hinweisen, was mir selbst in meiner Kommunalvertretung passiert ist, dass gesagt worden ist: Wir haben jetzt keine Straßenausbaubeiträge mehr und gleichzeitig wird die Förderung über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz abgeschafft. Dieses Geld ist nicht verloren, sondern in die Kommunalinvestitionsprogramme übergegangen; 40 Millionen € sind darüber bereitgestellt worden. Das muss aber vor Ort auch immer wieder ehrlich erwähnt werden und nicht nur die eine Seite.
In dem Gesetz wird jetzt auch der Verteilungsschlüssel festgelegt. Bei der Einbringung haben wir noch diskutiert, wie dieser am besten geregelt werden kann. Für den Mehrbelastungsausgleich schlagen wir jetzt die Verteilung nach der Siedlungsfläche vor. Das empfinde ich als einen richtigen und gerechten Verteilungsschlüssel, weil das nicht nur die Länge der Gemeindestraßen umfasst, sondern auch die im Gemeindegebiet bestehenden klassifizierten Straßen. In der Vergangenheit mussten natürlich auch für die Nebenanlagen Straßenausbaubeiträge gezahlt werden. Deshalb kann nicht nur die Gemeindestraße ausschlaggebend sein, sondern die Siedlungsfläche.
Ich bin anders als der Minister der Auffassung, dass der Verteilungsschlüssel zu überprüfen ist. Deshalb haben wir die Evaluierungsklausel aufgenommen. Die ersten überschlägigen Berechnungen zeigen, dass dieser Verteilungsschlüssel dem der Einnahmen durch die bisherigen Straßenausbaubeiträge durchaus ähnlich ist und fast übereinstimmt. Wir denken, dass es gerecht ist.