Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

Dabei geht es auch um den Bereich des Katastrophenschutzes. Hier brauchen wir noch nicht einmal bei null anzufangen. Es gibt in SachsenAnhalt bereits Notfallverbünde, auch länderübergreifend, die als Basiszusammenschlüsse von Kulturinstitutionen das Ziel verfolgen, sich einerseits im Katastrophenfall personell und materiell beizustehen und andererseits den Erfahrungsaustausch im Rahmen einer Städteweiterbildung anzubieten. Unter dieser Maßgabe haben sie sich zusammengeschlossen.

Diesen Verbünden fehlt es an vielen Stellen an der notwendigen Unterstützung für Übungen und Veranstaltungen, da sie nicht Teil des Katastrophenschutzgesetzes sind. Eine rechtliche Stärkung der Stellung dieser Verbünde würde mit null oder wenig Geld sehr viel bewerkstelligen.

Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE, der an einer Stelle das Thema Digitalisierung aufgreift. Digitalisierung ist wichtig für die Sichtbar- und Zugänglichmachung für Forschung, Lehre, Bildung und Ausbildung, kann aber ein Originaldokument nicht ersetzen.

Auch hier sind die Kosten nicht zu unterschätzen, fallen doch für die Pflege und den Erhalt der Daten enorme Summen an. Aus diesem Grunde lehnen wir auch den zweiten Punkt des Änderungsantrags ab. Bei einer Gewichtung zwischen Sicherung und Digitalisierung könnte man schnell in eine Debatte verfallen, die unter den Bibliotheken und Archiven längst abgeschlossen ist.

Der sächsische Rechnungshof hat sich bereit vor zehn Jahren mit der Idee ins Abseits begeben, dass man alle Originale sehr viel kostengünstiger digitalisieren könnte, anstatt in ihren Erhalt zu investieren. Es wurde ausreichend diskutiert, dass die digitale Langzeitarchivierung auf Dauer teurer ist als der Schutz der Originale, ganz abgesehen von den Verlust des Materials und der Möglichkeit des Anfassens. Davon ist gar nicht zu reden.

Für uns steht fest: Digitalisierung ist ein Baustein vor allem zur Sicherung des Zugangs. Für die Sicherung der Güter müssen andere Maßnahmen ergriffen werden.

Die beiden anderen Punkte des Änderungsantrags sind aus unserer Sicht zwar nicht zwingend, aber sinnvoll. Wenn es der Fraktion DIE LINKE wichtig ist, insbesondere den Bibliothekenverband aufzunehmen - wobei ich denke, dass ein solches Konzept nur im Zusammenspiel mit allen Verbänden, Museumsverband etc., zu bewerkstelligen ist -, dann können wir damit umgehen.

Eben weil das so ist und weil es um unterschiedliche Maßnahmen geht, die hier im Konzept aufgelistet sind, würden wir an dieser Stelle eine getrennte Abstimmung über die Punkte aus dem Änderungsantrag beantragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Konzept, das wir heute im Hohen Haus beantragen, hat auch deshalb eine so kurze Vorlaufzeit, weil wir die Ergebnisse brauchen, um dann tatsächlich in den Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2019 darüber reden und entscheiden zu können, ob wir dann anfangen, einen ersten Schritt bei dieser großen Aufgabe zu gehen, ob wir anfangen wollen, eine Mammutaufgabe mit einem ersten kleinen Stein ins Rollen zu bringen.

Ich hoffe sehr auf die Zustimmung im Hohen Haus. Wir alle erwarten dann ganz gespannt sowohl das Konzept als auch die Diskussion im Innen-, im Bildungs- und im Wissenschaftsausschuss. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine Fragen. Daher danke ich Frau Dr. Pähle für die Ausführungen.

Bevor wir in der Debatte fortfahren, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler der Clausewitz-Europaschule Burg sowie polnische Gastschüler in unserem Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause - Minister Holger Stahlknecht steht bereits am Rednerpult)

- Einen Moment, Herr Minister. - In der Debatte sind fünf Minuten Redezeit je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht, wie wir sehen, Herr Minister Stahlknecht. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, herzlichen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, jeder von uns hat schon einmal ein Buch aus den 20er- oder 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts in der Hand gehabt oder eine Zeitung aus der unmittelbaren Nachkriegszeit gesehen oder gar gelesen. Beide Publikationen haben rein äußerlich betrachtet gemein, dass sie vergilbt sind. Beide haben auch an Elastizität verloren. Wenn der Leser nicht aufpasst, brechen die Seiten und das Schriftstück ist für immer zerstört. Ähnliche Probleme treten auch bei jeder Unterlage auf, die Sie und ich zu Hause aufbewahren: Familienbilder vergilben; die Briefe unserer Vorfahren werden immer fragiler.

Was man im privaten Leben eventuell als weniger schön bewertet, aber letztlich hinnehmen muss, ist für die öffentlichen Archive und Bibliotheken unseres Landes ein riesiges und tendenziell - meine Vorrednerin hat es gesagt - zunehmendes Problem.

Zehntausende Dokumente und Bücher, die dort aufbewahrt worden sind, sind in ihrer Substanz bereits heute erheblich gefährdet oder bereits ganz oder teilweise zerstört. Diese Situation ist, ohne zu übertreiben, dramatisch. Es ist fünf vor zwölf. Es gilt, Maßnahmen einzuleiten, die dem Papiersterben wirkungsvoll entgegenwirken; denn den Archiven droht, dass sie ihre Funktion als das Gedächtnis der Gesellschaft zumindest teilweise

verlieren. Auch der Wissensverlust in den Bibliotheken wäre, wenn wir nicht gezielt entgegenwirken, immens, von dem Untergang enormer kultureller Schätze ganz zu schweigen.

Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig. Zunächst ist die veränderte Papierherstellung seit 1850 zu nennen. Das industriell hergestellte Papier wurde und wird in der übergroßen Zahl noch heute mit Leim versetzt, der über die Jahrzehnte säurehaltige Stoffe aussondert, sodass das Papier sauer wird und sein ph-Wert kontinuierlich sinkt. Die Säure zerstört die Struktur des Papiers und zersetzt es letztlich. Doch auch die Lagerung unter klimatisch ungünstigen Bedingungen führt zu unwiederbringlichen Schädigungen von Papier durch Feuchtigkeit und Schimmelbildung.

Die vom Bund finanzierte Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes führte im Jahr 2013 eine bundesweite Erhebung zur Ermittlung der Situation beim Bund und in den Ländern durch. Diese kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass ca. die Hälfte des Archivbestandes säuregefährdet ist.

Lassen Sie es mich so sagen: Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs und der Brand Anna-AmaliaBibliothek lösten ein riesiges Medienecho aus. Der schleichende Prozess des Papierzerfalls wird auf Dauer deutlich schwerwiegendere Folgen haben, wenn wir dem nicht entgegenwirken.

Die Palette der möglichen Gegenmaßnahmen reicht von der einfachen Verpackung der Akten oder den Schutzhüllen für die Bücher bis zur Massenentsäuerung und -restaurierung.

Für die Durchführung dieser Maßnahme wurde aufgrund der Umfrageergebnisse von 2013 für die öffentlichen Archive und Bibliotheken unseres Bundeslandes ein Kostenvolumen von 188 Millionen € ermittelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass längst nicht alle betroffenen Einrichtungen an der Umfrage teilgenommen haben.

Diese Zahlen müssen uns alarmieren, aber nicht mutlos machen. Doch allen Beteiligten muss klar sein, dass wir, das heißt, der Bund, die Länder, die Kommunen, die Kirchen und natürlich auch die betroffenen Einrichtungen, nur gemeinsam diese riesige kulturpolitische Aufgabe meistern können.

Der Bund hat zusätzlich zu seiner seit mehreren Jahren erfolgenden Modellprojektförderung im laufenden Jahr erstmals ein Sonderförderprogramm für substanzerhaltende Maßnahmen in Höhe von 1 Million € aufgelegt. Auch Archive und Bibliotheken in Sachsen-Anhalt profitieren hiervon.

Der Bund hat inzwischen signalisiert, dass er bereit sei, seine Mittel in den nächsten Jahren deutlich aufzustocken. Doch die Bundesmittel sind das

eine. Wichtig ist auch, dass wir uns im Land darüber verständigen, wie wir den Verlust von unwiederbringlichem Kulturgut und damit kultureller Identität verhindern. Hierzu benötigen wir sicherlich zusätzliches Personal und Geld, aber zunächst Strategien und Konzepte.

Deshalb befürworte ich im Namen der Landesregierung diesen Antrag uneingeschränkt. Ich finde ihn auch deshalb so gut, weil Sie als Gesetzgeber über den Haushalt des Landes und damit auch über die für den Erhalt des schriftlichen Kulturgutes einzusetzenden Mittel entscheiden.

Unser Ziel sollte es nach meiner Auffassung sein, dafür zu sorgen, dass jährlich 1 % des betroffenen Schriftgutes durch Erhaltungsmaßnahmen gesichert wird. Das ist - das weiß ich - anspruchsvoll. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von Wolfgang Aldag, GRÜNE)

Ich sehe keine Fragen. Daher danke ich Minister Stahlknecht für die Ausführungen. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die AfD spricht der Abg. Herr Dr. Tillschneider.

(Zustimmung bei der AfD)

Herr Dr. Tillschneider, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Diesem Antrag der Koalitionsfraktionen kann die AfD-Fraktion ohne Abstriche zustimmen.

(Zurufe: Oh!)

- Auch das kommt vor.

(Heiterkeit)

Sie wollen die schriftlichen Dokumente in unseren Archiven vor dem fortschreitenden Verfall schützen - zur Abwechslung ein echtes Problem. Die Antragsbegründung geht auf den Zerfall von Originaldokumenten durch Säurefraß und unsachgemäße Lagerung ein. Das ist richtig.

Prinzipiell gilt aber auch, dass Dokumente, die nur im Original vorliegen, immer durch Wasserschäden, Diebstahl, Brandkatastrophen oder auf andere Weise unwiederbringlich verloren zu gehen drohen. Der gesamte Archivbestand muss deshalb schnellstmöglich konserviert, abgelichtet, gespeichert und als historisches Forschungsmaterial für nachfolgende Generationen gesichert werden.

Das Einzige, was ich kritisch anmerken will, ist, dass die Ziele ruhig etwas ehrgeiziger sein könnten. Wenn mittlerweile schon 50 % des Archiv

materials beschädigt sind, Sie aber pro Jahr nur 1 % des Materials konservieren wollen, dauert es 50 Jahre, bis nur die zum heutigen Zeitpunkt schon beschädigten Teile bearbeitet sind. Bis dahin dürfte einiges unwiederbringlich verloren sein; auch Teile des heute noch unbeschädigten Bestandes dürften bis dahin Schaden genommen haben.

Das Ziel sollte deshalb schon sein, pro Jahr mindestens 2 % bis 3 % des Materials zu konservieren, also in weniger als 25 Jahren den heute schon beschädigten Bestand konserviert zu haben und binnen zwei Jahren den gesamten Bestand zu digitalisieren.

Seien Sie also bitte nicht knickrig und nehmen Sie genug Geld in die Hand, um sicherzustellen, dass die schriftliche Dokumentation unserer Geschichte erhalten bleibt.

(Beifall bei der AfD)

DIE LINKE begehrt mit ihrem Änderungsantrag, Dokumente vor allem auf Mikrofilm zu sichern, weil der langfristige Erhalt elektronischer Daten eben nicht 100-prozentig sicher sei. - Das kann man so sehen. Wichtiger aber wäre aus meiner Sicht, dass wir die Bestanderhaltung als Chance nutzen, um zugleich mehr Öffentlichkeit und Transparenz im Archiv- und Bibliothekswesen durchzusetzen. Im Moment herrscht dort nämlich ein eigenartiges Goldgräberdenken.

Wenn ein Wissenschaftler einen Bestand an Dokumenten erst einmal bearbeitet, lassen viele Bibliotheken niemand anderen mehr an diesen Bestand, der also wie eine Art Claim abgesteckt ist. Das ist in höchstem Maße kindisches und irrationales Denken, mit dem wir brechen sollten. Deshalb finde ich, dass jedes wiederhergestellte Dokument abgelichtet und dann ins Netz gestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss. Damit sinkt auch die Wahrscheinlichkeit eines Datenverlustes. Wie wir wissen, vergisst das Netz nicht. Die radikale Veröffentlichung ist der beste Beitrag zum Erhalt der Daten.

Da es ansonsten wenig zu diesem Antrag zu sagen gibt, will ich die Zeit nutzen und kurz darauf eingehen, weshalb wir mit historischen Überresten, Quellen und Denkmälern so überaus behutsam umgehen, sie zu bewahren trachten und das für ganz selbstverständlich halten.

Interessanterweise nämlich widmet die islamische Kultur der Geschichte, auch und gerade ihrer eigenen, bei Weitem keine derartige Aufmerksamkeit. Erst die Orientalisten, die im 19. Jahrhundert den Orient bereisten, haben sich der Geschichte der islamischen Literatur angenommen und historische Handschriften gesammelt, die sie nicht selten aus Müllhaufen ziehen mussten oder bei Altpapierhändlern zu Spottpreisen erstanden.

Noch vor wenigen Jahren klagte ein Kollege mir gegenüber, dass in Kairo in den Archiven Manuskripte in Müllsäcken vor sich hin schimmeln und niemand sich ihrer annimmt.

Auch bei uns war das vor Aufklärung und Romantik nicht anders. Erst im Durchgang durch diese beiden Epochen, durch Aufklärung und Romantik, entstand der historische Sinn, der auch speziell uns Deutsche auszeichnet.