Protokoll der Sitzung vom 08.03.2018

(Zuruf von der AfD)

Der VDV und die Kommunen erwarten bei einem ÖPNV zum Nulltarif Zuwächse bei den Fahrgastzahlen von bis zu 40 %. Daher ist über mehrere Jahre im Voraus und auch über ein stufenweises Vorgehen nachzudenken. DIE LINKE im Bund hat hierzu bereits einen Dreistufenplan vorgelegt. Wir wollen erstens mit einem Modellprojekt beginnen, das besonders in den belastenden Städten gilt und unter der Überschrift „Gesundheitsschutz geht vor“ eine Bundesförderung von 90 % als Grundlage hat.

Zweitens sollen über Sofortmaßnahmen jährlich bundesweit 8 Milliarden € in den Ausbau und in die Qualitätsverbesserung für Bus und Bahn investiert werden.

Drittens wollen wir ein Bundesprogramm für eine freie Fahrt für Kinder und Jugendliche einschließlich Azubis und Hartz-IV-Bezieher, das schon ab dem Jahr 2019 auf Kosten des Bundes gelten soll. Vor diesem Hintergrund sind die Aufforderungen in unserem Antrag zu sehen.

Nun zur Finanzierung. Nur der kleinere Teil der ÖPNV-Kosten wird durch den Fahrscheinverkauf gedeckt. Spannender ist die Frage nach den bereits bestehenden Subventionen. Dieselkraftstoff war ursprünglich als Treibstoff großer Nutzfahrzeuge subventioniert. Es waren dann vorrangig deutsche Pkw-Hersteller, die den Diesel für den Individualverkehr ökonomisch attraktiv machten. Das Ergebnis war die Verbreitung großvolumiger Oberklassewagen, Pickups und als Krönung SUV für den gefährlichen Großstadtdschungel.

(Wolfgang Aldag, GRÜNE, lacht - Zuruf von der CDU)

8 Milliarden € werden jährlich für Dieselkraftstoff und 4 Milliarden € für das Dienstwagenprivileg aufgewendet. Beides ergab in der Vergangenheit eine Verkaufsförderung für die Autoindustrie, die sich dafür mit Abschalteinrichtungen revanchierte.

Wenn wir das Verursacherprinzip anwenden, ist eine Kostenbeteiligung der Hersteller das Mindeste. Wenn bei geschätzt 5 Millionen verkauften Diesel-Pkw eine Geldstrafe verhängt werden würde, wären nach unterschiedlichen Berechnungen bis zu 25 Milliarden € einzutreiben.

Berechnungen für den fahrscheinlosen ÖPNV gehen von einem Mehrbedarf in Höhe von jährlich 12 Milliarden € bis 18 Milliarden € aus. Das sollte in diesem Land machbar sein, sofern der politische Wille gegeben ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Saldiert würden die Kosten mit Einsparungen bei Gesundheitsbehandlungen und Kostensenkungen wegen geringeren Individualverkehrs, bei Straßenbau und -Unterhaltung, bei der Parkflächennotwendigkeit je Wohnung, beim Stadtgrün - ein Förderprogramm zum Stadtgrün gibt es bei uns im Lande nicht -, bei der Straßenreinigung, bei der Beleuchtung, bei der Straßenentwässerung, beim Lärm- und Klimaschutz und bei der wirtschaftlich noch zu berechnenden vergeudeten Zeit im Stau. Wir hätten weniger Unfälle, weniger Versicherungsschäden und nicht die mehr als 3 000 Unfalltoten und fast 400 000 Unfallverletzten pro Jahr.

Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung von Feinstaub aufgrund von Brems- und Reifenabrieb durch teure Mooswände, Straßenabspülungen oder vermeintlich Staub absorbierende neue und teure Baumaterialien könnten analog zum geringeren Verkehrsaufkommen vermindert werden.

Nebenbei beleben wir unsere Innenstädte, weil Parkplätze, Parkkosten und Parkzeiten an Bedeutung verlieren. Der volkswirtschaftliche Gesamtgewinn ist größer als die Kosten.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch mögliche Zwischenlösungen, wie wir sie beispielsweise aus Templin oder Wien kennen, werden von den dortigen Nutzern geschätzt. Für unser Flächenland ist Fairness gegenüber den Landkreisbewohnern wichtig. Insellösungen nur für große Städte und deren Umland genügen nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren! Schon heute finanzieren wir alle den Straßenbau samt Unterhaltung. Der MDV hat im Auftrag seiner Träger Untersuchungen zu Finanzierungsmöglichkeiten durchgeführt und Vorschläge erarbeitet. Wir fangen also nicht bei Null an. Freie Fahrt nur für Reiche wollen wir nicht.

Wenn im Windschatten der ÖPNV-Diskussion Planspiele zur Erhebung von strecken- oder tageszeitbezogenen Maut-Lösungen erfolgen, ist das perfide. Diese angeblich moderneren Lösungen sind neue Geschäftsfelder für Investoren, Einnahmeverbesserungen für den Fiskus sind es nicht. Von Toll Collect sollten wir gelernt haben.

Wenn wir vorbehaltlos die gesamten Kosten für den Individualverkehr erfassen, sehen wir, dass nach Berechnungen der TU Dresden 80 % aller Mobilitätsinvestitionen besonders dem motorisierten Individualverkehr zugutekommen. Das sind heruntergerechnet ca. 2 000 € pro Jahr an Subventionen pro Privat-Pkw. Wenn wir uns einmal vergegenwärtigen, wie viel Arbeitseinkommen der Normalbürger pro Jahr benötigt, um seinen privaten Pkw zu finanzieren, dann entspricht dies mehr als einem Monatseinkommen. Wenn wir die Verluste aus Stau und anderen Aufwendungen hinzuziehen, könnte er, anstatt seinen Privat-Pkw zu nutzen, zwei Monate unbezahlten Urlaub nehmen.

Das Autoland Deutschland, sehr geehrte Damen und Herren, verdient einen besseren ÖPNV als heute.

(Beifall bei der LINKEN)

Keine endlosen Debatten mehr. Wir benötigen konkrete Maßnahmenpläne. Darum bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen, der sehr zurückhaltend formuliert ist, der einen Maßnahmenplan gemeinsam über mehrere Jahre erarbeiten will und der nicht den Blick vor den Realitäten verschließt.

Ja, liebe Koalition, ich habe es bereits erwähnt: Ihr Alternativantrag ist ein erster kleiner Schritt; wir werden uns dem nicht verschließen. Aber ich sage es ganz ehrlich: Wir brauchen viel mehr. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Henke, warten Sie bitte. Es gibt eine Frage oder eine Intervention von der Abg. Frau Frederking. Diese kann sie jetzt realisieren. - Bitte.

Ich habe eine Frage.

Machen Sie es, wie Sie denken.

Herr Henke, welche Position haben Sie bzw. Ihre Fraktion zu der Möglichkeit, unabhängig von der erforderlichen Verbesserung des ÖPNV schon jetzt verstärkt den ÖPNV zu nutzen, und zwar besonders in den Fällen, in denen das einfach machbar ist?

Sie haben in Ihrem Redebeitrag ja auch ausgeführt, dass eine Verbesserung kommen sollte. Aber wir haben auch jetzt schon einen ÖPNV. Welche Position haben Sie dazu? Ist es nicht auch eine gewisse Pflicht, mehr Menschen zu animieren, den ÖPNV zu nutzen, bzw. eine Pflicht der Menschen, den ÖPNV öfter zu nutzen?

Sehr geehrte Frau Frederking, ich habe meine Sympathie für Frau Lüddemann bereits deutlich geäußert.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das finde ich aber schön! - Siegfried Borgwardt, CDU: Inhaltlich meint er das!)

Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage, dass wir natürlich für eine stärkere Nutzung des Vorhandenen sind. Aber eine Pflicht für eine Nutzung zu konstruieren halte ich für kontraproduktiv. Wir brauchen eine deutliche Angebotsverbesserung, eine Werbung auch im Sinne von Aufklärung dessen, was es gibt.

Ich denke, als fleißiger Eisenbahnfahrer leiste ich dazu meinen ganz persönlichen Anteil.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können mit der Debatte der Fraktionen fortfahren. Bevor Herr Büttner für die Fraktion der AfD spricht, begrüßen wir auf unserer Besuchertribüne ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Gemm-Sekundarschule Halberstadt. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Büttner, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Hohes Haus! Kostenloser Personennahverkehr klingt fantastisch; das muss man ehrlich sagen. Darum hat die Bundesregierung in einem Brief an die EU-Kommission vorgeschlagen, in Deutschland einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr einzurichten. So weit, so gut.

Doch kaum war die Idee ausgesprochen, ist sie auch schon wieder tot. Die Bundesregierung will das Projekt nämlich nicht finanzieren. Damit war klar, dass unter diesen Umständen die von der Bundesregierung vorgeschlagenen fünf Pilotstädte Reutlingen, Essen, Bonn, Mannheim und Herrenberg bei diesem Projekt nicht mitwirken. An einen kostenlosen ÖPNV waren sie ohne schlüssiges Konzept und ohne eine Gegenfinanzierung nicht interessiert.

Dabei sind wir auch schon beim Kern der Sache, bei der Finanzierung. Der Gedanke, flächendeckend kostenfreien ÖPNV genießen zu können, ist natürlich toll. Wer will das nicht, meine Damen und Herren?

Darum haben die Genossen der Fraktion DIE LINKE die Gunst der Stunde genutzt und sind auf den Zug aufgesprungen. Die Hoffnung, mit ein paar

Geschenken ein paar Wähler wieder zurückzugewinnen, ist hierbei der Motor. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass nicht einmal zu DDRZeiten, im tiefsten Sozialismus, der ÖPNV kostenfrei war.

(Zustimmung von André Poggenburg, AfD)

Dass Sie es mit Ihrem Antrag nicht ernst meinen, wird jedem klar, der Ihren Antrag liest. Nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes nehmen die Kommunen deutschlandweit pro Jahr 12 Milliarden € durch den Verkauf von ÖPNV-Fahrkarten ein. Im Antrag der Fraktion DIE LINKE findet man keine Aussage darüber, wie in Sachsen-Anhalt die finanzielle Lücke bei einem kostenlosen Angebot geschlossen werden soll. Wenn man sich den Istzustand in Sachsen-Anhalt anschaut, dann stellt man schnell fest, dass gerade im ländlich Gebiet nicht einmal der kostenpflichtige ÖPNV flächendeckend so gewährleistet ist, wie er gewährleistet sein sollte.

(Zustimmung bei der AfD)

Der momentane Sparkurs im Personennahverkehr ist das genaue Gegenteil. Ein schlechtes Angebot lockt weniger Fahrgäste, Strecken werden unrentabler und Verbindungen werden gestrichen. Auf dem Land hält oftmals nur noch der Schulbus. All diejenige, die zu alt oder zu jung sind, um selbst mobil zu sein, wissen nicht einmal, wie sie in die nächstgrößere Stadt zum Einkaufen, zum Arzt oder in die Apotheke kommen sollen.

(Zustimmung von Lydia Funke, AfD)

Wie will man denn angesichts dessen einen kostenfreien ÖPNV realisieren? Wenn mehr Menschen den ÖPNV nutzen würden, weil er kostenfrei ist, würden automatisch mehr Busse, mehr Personal, mehr Treibstoff und natürlich mehr Finanzmittel benötigt werden. Der ÖPNV müsste weiter ausgebaut werden und die Taktung müsste verbessert werden. Steuern rauf für den kostenfreien Bus - sollen alle solidarisch bezahlen für das Projekt kostenloser Nahverkehr, oder ist das ungerecht, weil die Bürger, die den ÖPNV nicht nutzen, auch bezahlen müssten?

Steuererhöhungen können auf keinen Fall der Weg zur Realisierung sein, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der AfD)

Es gibt auf kommunaler Ebene einige Ansätze für kostenfreien bzw. sehr günstigen Nahverkehr. Allen Ansätzen gemeinsam ist jedoch die inakzeptable Ungleichbehandlung zwischen Ballungszentren und ländlichem Raum, wie zum Beispiel im Luftkurort Templin. Die brandenburgische Kleinstadt bot in einem Erprobungszeitraum von 1997 bis 2002 die kostenfreie Nutzung des Busverkehrs an. Das Projekt war so erfolgreich, dass sich die Fahrgastzahlen verfünfzehnfachten.

Die Busse waren rammelvoll, Schüler sind bei schlechtem Wetter einfach den ganzen Tag im Bus herumgefahren und gar nicht mehr ausgestiegen. Es kostet ja nichts!