Protokoll der Sitzung vom 09.03.2018

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Es kann auch nicht Sinn und Zweck sein, Europa zu einer Festung auszubauen. Das bedeutet, dass sämtliche angegebenen Beziehungen und Programme, die aufgelegt wurden, damit die Menschen in den afrikanischen Ländern so unterstützt werden, dass sie nicht versuchen, massenhaft nach Europa zu kommen,

(André Poggenburg, AfD: Richtig!)

alle Quatsch sind, dass keiner daran glaubt. 25 Milliarden € pro Jahr nur für die Grenzsicherung in Europa bedeutet die Festung Europa, bedeutet das Einmauern von Europa. Ich sage, werte Kolleginnen und Kollegen, Mauern haben politische Krisen und politische Etappen nie wirklich überstanden. Das sollten wir doch wissen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen brauchen wir eine EU der Solidarität. Deswegen brauchen wir in Sachsen-Anhalt eine

EU, die nicht an nationalen Egoismen scheitert. Natürlich ist es so, dass Deutschland in einem solchen Kontext die Nation mit dem größten Nettozahlerbetrag von etwa 12 bis 13 Milliarden pro Jahr ist. Aber - das sage ich auch mit aller Deutlichkeit - diese Idee der Solidarität in der Europäischen Union ist nicht nur etwas, was Europa zusammenwachsen lassen kann, es ist auch etwas, was uns nützt.

Der Wirtschaftsminister hat vorgestern die Außenhandelsbilanz - er ist leider zu früh gegangen; ich habe es bemerkt, Herr Tullner - verkündet.

(Zuruf von Minister Marco Tullner)

Wer ist der größte ausländische Handelspartner des Landes Sachsen-Anhalt? - Es ist Polen. Polen ist eines der Länder, die am stärksten mit solchen Kohäsionsmitteln entwickelt worden sind. Das alte französische Sprichwort „Der kluge Kaufmann macht seinen Nachbarn nicht zum Bettler“ gilt auch in der EU. Entwicklungen in Polen, Rumänien und Bulgarien sind explizit Wirtschaftsförderungen, die uns etwas nützt.

Der Gedanke der Solidarität ist der Gedanke des Wachstums; der Gedanke der nationalen Abgrenzung ist der Gedanke des Niedergangs. Das ist der Unterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deshalb brauchen wir eine solidarische Union, die die Dinge entwickelt, ausdrücklich auch in unserem Interesse in Osteuropa.

(André Poggenburg, AfD: Ein Zentralorgan, eine Zentralregierung!)

Wir haben häufig darüber diskutiert, welche zentralen Probleme in Teilen unserer Wirtschaft zum Beispiel durch die Russland-Sanktionen ausgelöst worden sind. Hier haben wir das Gegenbeispiel. Die Entwicklung Osteuropas hat unmittelbar positive Konsequenzen, gerade auch für uns, die wir traditionell ohnehin stärker an den osteuropäischen Markt angekoppelt sind.

Deshalb ist das eine wichtige Sache. Sie nützt dort und sie nützt uns. Die Gedanken der Solidarität sollen hier im Mittelpunkt stehen.

Nun höre ich immer diese Debatten: Wenn die Gelder nicht erst nach Brüssel fließen würden, dann würden sie ja in Berlin zur Verfügung stehen, und Berlin würde sie dann natürlich über Ostdeutschland als vernachlässigte Region auskippen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gestern eine Debatte über die Reflexion des Ostens im Koalitionsvertrag. Dazu hat mein Kollege Höppner gesprochen.

Wir haben die Situation, dass Ostdeutschland in diesem Koalitionsvertrag überhaupt nicht mehr vorkommt, sondern nur noch unter dem Aspekt

von Regionen, die möglicherweise irgendwo besonders gefördert werden müssen. Und wir hatten eine sehr interessante Rede des CDU-Fraktionsvorsitzenden dazu, die sich übrigens massiv von der Einschätzung des Ministerpräsidenten in genau dieser Frage unterschieden hat. Wir wissen, dass wir ein ausdrückliches Problem in der Repräsentanz des Ostens auf der Berliner Ebene haben.

Zu glauben, dass das Geld, das wir vielleicht unter nationalen Egoismen in Brüssel sparen könnten, dann nach Ostdeutschland fließen würde, ist spätestens nach der letzten Debatte um den Länderfinanzausgleich und die Verteilung von Regionalisierungsmitteln für jeden ausgeschlossen. Der Ministerpräsident hat dafür übrigens auch in internen Runden sehr drastische Worte gefunden.

Wer diese Debatten kennt, der weiß, Berlin wird vieles tun, aber nicht das Geld geben, das vorher nach Brüssel gegangen ist und von dort zu uns kommt. Deshalb ist es eine Frage des politischen Pragmatismus, sich darum zu kümmern.

Nun, liebe Koalitionäre, noch ein Wort zum Alternativantrag. Ja, so gut wie nichts, was darin steht, ist falsch. Nein, das können wir alles tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie führen die politische Debatte mit solchen Sätzen wie „... die Kohäsionspolitik und die europäische Politik zur Entwicklung des ländlichen Raumes eng verzahnt bleiben müssen, um Kohärenz und Komplementarität dieser beiden Politikbereiche zu gewährleisten“. - Das ist ein Satz, der jede politische Debatte totschlägt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich brauchte drei Minuten, bis ich kapiert habe, was das soll. Vielen anderen wird es ebenso gehen. Lassen Sie uns das Thema Europäische Union einmal mit Emotion führen und nicht mit Buchhaltervokabular, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Gui- do Heuer, CDU)

Herr Gallert, ich sehe keine Fragen. Ich danke Ihnen für die Ausführungen. - Für die Debatte ist eine Redezeit von drei Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Robra. Sie haben das Wort.

Schönen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie vom Vizepräsidenten Gallert gewohnt, war es eine Rede der großen Überschrif

ten, aber auch eine Rede - Herr Gallert, sehen Sie es mir nach - der Allgemeinplätze.

Was Sie beispielsweise am Ende Ihres Beitrages zur Renationalisierungsdebatte bei den Strukturfonds gesagt haben, ist seit 15 Jahren eigentlich tot. Wir haben dieselbe Position, die Sie eben eingenommen haben, schon in vielen, vielen Dokumenten, auch der jüngeren Zeit, dargelegt. Ich höre zwar auch, dass aus Nordrhein-Westfalen wieder solche Untertöne zu vernehmen sind. Aber ich bin sehr froh, dass wir jetzt einen Koalitionsvertrag haben, in dem wörtlich „ein neuer Aufbruch für Europa“ beschworen wird. Dort heißt es:

„Wir wollen ein Europa der Demokratie und der Solidarität.

Wir wollen ein Europa der Wettbewerbsfähigkeit und der Investitionen.

Wir wollen ein Europa der Chancen und der Gerechtigkeit.

Wir wollen ein Europa des Friedens und der globalen Verantwortung.“

Unter diesen Einzelkapiteln - das habe ich gestern bedauerlicherweise nicht gehört - findet sich ein klares Bekenntnis zu einer starken Kohäsionspolitik, die auch künftig, so heißt es dort in der Randziffer 2744, alle Regionen angemessen berücksichtigt.

Wer die Diskussion - Sie haben viele Teilaspekte beleuchtet - kennt, der weiß, dass hinter der Formulierung „alle Regionen berücksichtigt“ auch ein Bekenntnis zur weiteren Förderung der Regionen steht, die wir heute als Übergangsregionen bezeichnen. Das sind beispielsweise wir.

Wer die Diskussion schon länger verfolgt, der weiß, dass wir in Sachsen-Anhalt schon damals dieses Institut der Übergangsregion erfunden haben. Beispielsweise waren Thomas Wobben als Direktor des AdR und Staatssekretär Dr. Schneider als Vorsitzender des COTER-Ausschusses des AdR, des Ausschusses der Regionen, eine große Hilfe.

Wir haben auch jetzt all diese Positionen schon weiträumig vorbereitet. Sie sagten vorhin, wer sich hineinbewegen wolle, der müsse es jetzt tun. - Nein, wer sich hineinbewegen will, der musste es vor Jahren tun. Dies haben wir getan. Die damalige Landesregierung hat schon im Juni 2015 ein Positionspapier formuliert, in dem all diese zentrale Positionen, die Sie überwiegend zutreffend beschrieben haben, enthalten sind.

Wir haben im November 2016 ein Plädoyer für eine revitalisierte Kohäsionspolitik aus Anlass der MFR-Halbzeitüberprüfung beschlossen. Wir hatten auf der MPK-Ost im Januar 2018 Erwartungen der Regierungschefinnen und Regierungschefs

der ostdeutschen Länder an die Koalitionsverhandlungen auf der Ebene des Bundes initiiert und abgestimmt, in denen all diese zentralen Positionen enthalten sind, auch das Bekenntnis zu Europa. Vieles davon ist in den Koalitionsvertrag eingeflossen.

Wir sind auch in Brüssel schon lange aktiv. Wir haben dort mit der Staatssekretärskonferenz, mit den Kollegen der GD REGIO und anderer Direktionen der Kommission verhandelt. Staatssekretär Dr. Schneider, der jetzt auch in der TimmermanTaskforce für Subsidiarität, Proportionalität und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ tätig ist, hat den AdR dort in unserem Sinne positioniert.

Für den 15. März haben wir geschlossen ein Positionspapier aller Länder mit einem sehr klaren Bekenntnis zu einer weiteren starken Kohäsionspolitik und einer weiteren Berücksichtigung auch der deutschen Regionen in diesem Kontext vorbereitet, das unser Ministerpräsident als Sprecher zu diesem Thema gegenüber Kommissionspräsident Juncker, Haushaltskommissar Oettinger und weiteren EU-Repräsentanten vertreten wird.

Also kurzum: Wir sind auf allen Ebenen unterwegs. Im April haben wir die MPK-Ost - wir haben den Vorsitz -, an der auch die Kanzlerin teilnehmen wird. Dort werden wir auch noch einmal all diese Fragen in den Mittelpunkt stellen.

Mit Blick auf die schon wieder rote Zeitangabe kann ich nur sagen: Sie können sicher sein, dass wir das bedenken. Die Ausgestaltung des mehrjährigen Finanzrahmens ist die Grundbedingung für eine weitere starke Kohäsionspolitik. Wir werden allen Szenarien entgegentreten, deren Folge es wäre, dass Deutschland mit seinen Regionen - das sind auch die strukturschwachen Regionen im Westen - nicht mehr berücksichtigt würde.

Wir wollen ein starkes Europa. Wir wollen, dass die schwachen Länder in Europa angemessen berücksichtigt werden. Im Gesamtkontext zählen wir als sogenannte Übergangsregion, die wir noch immer sind, letzten Endes auch dazu. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Herr Staatsminister, Herr Gallert hat sich zu Wort gemeldet. - Bitte.

Herr Robra, genau das ist ja das Problem. Sie erwecken den Eindruck, dass alles in trockenen Tüchern sei. Aber das ist es eben nicht.

Das weiß ich, ja.

Unter den drei Szenarien, die Juncker vorgelegt hat, sind zwei dabei, nach denen wir nichts mehr bekommen. Aber ich will Sie einmal mit der Position eines Ihrer Parteimitglieder konfrontieren, und zwar von Frau Ingeborg Gräßle. Sie kennt hier nicht jeder. Die Dame kommt aus Bayern und ist Vorsitzende des nicht unwichtigen Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlamentes und, wie gesagt, CDU-Abgeordnete.

Sie kämpft seit Monaten dafür, dass wir in Ostdeutschland in der nächsten Legislaturperiode keine Kohäsionsmittel mehr bekommen werden. Sie sitzt einem Ausschuss vor, der im Europäischen Parlament nicht unwichtig für diese Dinge ist. Deshalb will ich nicht den Eindruck zulassen, als sei alles selbstverständlich und in trockenen Tüchern. Das ist es nicht. Daher brauchen wir diese öffentliche Debatte, Herr Robra.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Staatsminister Robra, bitte.

Ich bestreite gar nicht, dass wir diese Debatte brauchen. Ich begrüße sie auch. Selbstverständlich ist im Moment noch gar nichts. Ich habe nur zu verstehen gegeben, dass wir schon etwas länger unterwegs sind. Deshalb verfolge ich auch diese Prozesse.