Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern war der Internationale Kindertag. Er ist zugleich ein politischer Kampftag, welcher die Bedürfnisse von Kindern in das öffentliche Bewusstsein rücken soll. Meines Erachtens sollte dies nicht nur einmal im Jahr passieren, sondern 365 Tage lang.
Entschuldigung, sehr geehrte Abgeordnete. - Es ist der letzte Tagesordnungspunkt. Ich bitte Sie, der Einbringerin zuzuhören. Ich weiß, dass Sie auf das Sommerfest gespannt sind, aber gedulden Sie sich noch etwas.
Danke schön. - In Sachsen-Anhalt lebt jedes vierte Kind in einem Hartz-IV-Haushalt. Im Juni 2015 waren das 65 000 Kinder unter 15 Jahren. Dass Sachsen-Anhalt im bundesweiten Vergleich von Kinderarmut besonders betroffen ist, zeigt eine Datenauswertung meiner Kollegin Sabine Zimmermann aus der Bundestagsfraktion anlässlich des Internationalen Kindertages.
1,54 Millionen unter 15-Jährige Hartz-IV-Leistungen, also jedes siebente Kind. In Sachsen-Anhalt war es mit 21,8 % jedes fünfte Kind unter 15 Jahren. Das ist deshalb so alarmierend, weil in keinem anderen Land die Bildungschancen so sehr von der sozialen Herkunft abhängig sind wie in Deutschland, speziell auch in Sachsen-Anhalt.
Nun soll das Ganze mit dem sogenannten Rechtsvereinfachungsgesetz der Bundesregierung noch getoppt werden. Mehr als 40 000 Unterschriften hat eine Online-Petition gegen die Kürzungen bei den Alleinerziehenden in kürzester Zeit erbracht. Auch Sachverständige äußerten sich kritisch zu der geplanten Kürzung von Leistungen des Kinderregelbedarfs bei Alleinerziehenden, wenn sich das Kind vorübergehend bei dem umgangsberechtigten Elternteil befindet. Ihr Fazit: Das ist eine deutliche Verschlechterung gegenüber der aktuellen Praxis. Diese Petition wurde übrigens am Montag im Rahmen der Anhörung zu dem Gesetz im Bundestag übergeben.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sachverständigen haben sich ebenfalls am Montag im Ausschuss für Arbeit und Soziales insgesamt kritisch zu dem Gesetz geäußert und diesem ein miserables Zeugnis ausgestellt. Verschlechterungen für Leistungsberechtigte und Mehraufwand für die Behörden statt Vereinfachung - so ihr Fazit.
Prof. Stefan Sell, Sozialwissenschaftler und Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz, führt an: Das Gesetz macht viele Dinge komplizierter, belastet Leistungsberechtigte zusätzlich, verschärft die heute schon vorhandene Unwucht zuungunsten der Leistungsberechtigten und führt vor allem nicht nur zu einer erkennbaren Belastung der Jobcentermitarbeiter, sondern wird deren Belastung in der Summe weiter erhöhen.
Auch die Bundesagentur für Arbeit kommt bezüglich der ursprünglichen Gesetzesintention zu dem Ergebnis, dass keine Entlastung für die Jobcenter und ihre Beschäftigten zu erwarten ist. Nach all diesem Wissen und den Informationen über diese vielen Baustellen im Gesetz ist es doch nur folgerichtig, dieses vermeintliche Rechtsvereinfachungsgesetz im Bundesrat abzulehnen. Des
halb kann ich nicht nachvollziehen, warum die Koalition dieses in ihrem Alternativantrag nicht fordert.
Sehr geehrte Damen und Herren! Unter Punkt 2 unseres Antrages fordern wir die Landesregierung auf, sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative für eine umfassende Reform des SGB II mit folgenden Prämissen einzusetzen:
Erstens. Die Sanktionen in der Grundsicherung sowie Ersatzansprüche aufgrund sozialwidrigen Verhaltens gehören abgeschafft. Eine Sanktion entspricht einer Kürzung von Grundrechten. Im Übrigen bin ich davon überzeugt: Grundrechte kürzt man nicht.
Jede Sanktion wirkt kontraproduktiv, weil sie die Betroffenen entmutigt und in die Resignation führt. Im Übrigen gab es auch zu dieser Kürzungspraxis, sprich zu den Sanktionen, eine Petition, die von 90 000 Menschen unterstützt wurde.
Zweitens. Die Konstruktionen der Bedarfsgemeinschaften werden zugunsten von Individualansprüchen beendet und sämtliche Sonderregelungen für unter 25-jährige Erwachsene aufgehoben. Es ist positiv zu bewerten, dass die Koalition in ihrem Alternativantrag zumindest in Ansätzen unsere Forderungen unterstützt. Auch die Forderung nach einem Passiv-aktiv-Transfer läuft bei uns bekanntlich offene Tore ein. Alle Bundesländer außer Bayern und Sachsen haben diese überfällige Reform auf der Bundesebene angemahnt.
Drittens. Die Regelsätze von Kindern und Jugendlichen müssen sich am tatsächlichen Bedarf orientieren und sollen unter dieser Maßgabe zu einer Kindergrundsicherung ausgebaut werden. Hierbei sind eigenständige Regelsätze in der Problematik der Mehrbedarfe von Trennungskindern dem umgangsberechtigten Elternteil zuzuordnen, ohne die Regelsätze des Elternteils zu kürzen, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat.
Kinder getrennt lebender Eltern brauchen viel mehr, sogar doppelt so viel, gerade weil sie in zwei Haushalten leben. Denn das heißt, das Bett muss zweimal da sein, Kleidung, Spielzeug und andere Alltagsutensilien. Deshalb kann man das nicht kürzen.
Das neue Gesetz sollte eigentlich Bürokratie abbauen. Wir befürchten jedoch, dass das Gegenteil der Fall sein wird; denn die jeweiligen Jobcenter wären mit dem Abzug und der Zahlung der Beträge beschäftigt. Die Alleinerziehenden müssten im Voraus angeben und später dokumentieren, wann und wie lange sich das Kind bei dem anderen
Elternteil aufgehalten hat. Das ist ein groteskes Verfahren, das die Alltagspraxis für alle Beteiligten erschweren wird.
Schon jetzt mussten Alleinerziehende mit Einbußen rechnen, wenn ihr Kind Zeit mit dem anderen Elternteil verbringt. Doch das wurde von den Kommunen unterschiedlich gehandhabt und meist nicht umgesetzt; und das war auch gut so. Während meiner Tätigkeit im Petitionsausschuss hatten wir lediglich eine Petition zu diesem Thema. Ich sage deshalb noch einmal sehr deutlich: Es gibt kein Einsparpotenzial bei alleinerziehenden Hartz-IV-Familien.
Deshalb werden wir als Fraktion auch die Forderungen des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Dietmar Bartsch nach einem Fünfjahresplan gegen Kinderarmut mit aller Kraft unterstützen.
Viertens. Die Praxis der Zwangsverrentung wird beendet. Ebenso ist auch der Verweis darauf, dass Hartz-IV-Leistungsberechtigte vorzeitig mit Abschlägen in Rente gehen müssen, gleichermaßen eine massive Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen und ein administrativ aufwendiges Verfahren.
Wir alle wissen, dass die Zwangsverrentung nichts anderes ist als ein gigantisches Rentenkürzungsprogramm. Eine erzwungene Frühverrentung bedeutet Abschläge in Höhe von 0,3 Prozentpunkten pro Monat auf die Rentenleistungen bis zum Lebensende. Die Renten werden auf Dauer um bis zu 14,4 % gekürzt, wenn die Rente erst ab 67 voll greift. Das ist völlig unannehmbar.
Mit der Rente ab 63 bzw. 65 will die große Koalition den Zugang für Menschen, die 45 Jahre lang versichert waren, abschlagsfrei ermöglichen. Gleichzeitig werden Hartz-IV-Beziehende mit horrenden Abschlägen in die vorzeitige Rente gezwungen.
Die Mehrzahl der Sachverständigen ist sich darin einig, dass die Zwangsverrentung abgeschafft werden muss. Der DGB lehnt diesen Verschiebebahnhof als gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ab. Die Caritas wirft den Jobcentern vor, sich ihrer gesetzlichen Pflicht zur besonderen Förderung und Eingliederung älterer Arbeitnehmer zu entziehen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich hätten wir in unseren Antrag noch weitere Punkte aufnehmen können. Ich bin froh, dass unsere Bundestagsfraktion schon seit Jahren unermüdlich mit parlamentarischen Initiativen gegen dieses Unrechtssystem ankämpft.
Zusammenfassend kann ich sagen: Wir haben heute einen Antrag zum SGB II eingebracht, weil wir als LINKE weiterhin hartnäckig gegen das
Hartz-IV-Santkionssystem kämpfen. So wie wir beim Mindestlohn konsequent waren, so werden wir auch in diesem Fall keine Ruhe geben, bis das Hartz-IV-Sanktionssystem abgeschafft und durch öffentlich geförderte Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt worden ist.
Zum Schluss zu unserem Abstimmungsverhalten. Wir werden eine Direktabstimmung fordern, und zwar aus dem einfachen Grund: Das Gesetz soll noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden. Daher macht eine Überweisung in den Ausschuss keinen Sinn. Sollte unser Antrag abgelehnt werden, werden wir uns bei der Abstimmung über den Alternativantrag der Koalition der Stimme enthalten. - Danke.
Vielen Dank, Frau Abg. Hohmann. Für die CDUFraktion spricht - - Entschuldigung, ich habe das wieder nicht - - Ich will immer gleich die Abgeordneten sprechen lassen, dabei haben wir auch noch unsere Landesregierung.
Heute spricht für die Landesregierung in Vertretung der Ministerin Frau Grimm-Benne der Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung Herr Felgner als Experte zu diesem Thema.
Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. - Verehrte Abgeordnete! Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, auch Ministerin Grimm-Benne hatte sich vom Reformwerk mehr versprochen, als die Bundesregierung nun vorgelegt hat.
Mit Blick auf den Umfang meiner Vorbereitung und mit Blick auf die Uhr rücke ich gleich zur Gesamtbetrachtung vor. In der Gesamtbetrachtung komme ich zu dem Schluss: Die Reformen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind dringend notwendig und auch in vielerlei Hinsicht richtig, da sie sowohl den Betroffenen als auch den Jobcentern helfen. Dies betrifft vor allem die Schnittstelle zur Ausbildungsförderung, die Nachbetreuung nach der Arbeitsaufnahme sowie den ersten Schritt in Richtung eines sozialen Arbeitsmarkts, aber auch Neuerungen wie die Förderung schwer zu erreichender junger Menschen und den Wegfall von Schadensersatzforderungen beim Abbruch von Bildungsmaßnahmen.
Gesetzentwurfs gibt es keine Veranlassung. Im Hinblick auf den weiteren Reformbedarf ist ein passender Zeitpunkt abzuwarten. Jetzt Aktionismus zu entfalten, würde die erreichten Zwischenziele unnötig gefährden. - Vielen Dank.