Es ist eine Mär, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Ende des Zivildienstes eine Krise bei den zivilen Einsatzstellen entstanden wäre. Derzeit sind etwa 100 000 Dienstleistende in den verschiedenen Freiwilligendiensten im Einsatz. Das entspricht fast der Zahl der Jugendlichen, die in den Jahren vor 2011 zum damaligen Zivildienst einberufen
wurden oder im Freiwilligendienst eingesetzt waren. Entscheidend ist, dass die Nachfrage heute bereits größer ist als das Angebot an Plätzen.
Dazu zitiere ich Aussagen von der Seite des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben über den Bundesfreiwilligendienst. Dort wird auf die Frage, wie viele freie Plätze es für den Bundesfreiwilligendienst denn gibt, wie folgt geantwortet:
„Der Bundesfreiwilligendienst ist ein enormer Erfolg. Aufgrund der starken Nachfrage ist es aber notwendig geworden, die Neubesetzung der noch freien Plätze stärker zu steuern. Das heißt: Im laufenden Jahr können nicht mehr alle freien BFD-Plätze sofort besetzt werden. Wer also einen BFD absolvieren möchte, muss eventuell damit rechnen, dass sein Traumplatz nicht direkt verfügbar ist: […] Das verbleibende Kontingent an freien Plätzen wird von den Zentralstellen verwaltet.“
Die gleiche Situation finden wir auch beim Freiwilligen Sozialen Jahr. Die Anzahl der Plätze ließe sich nach der Einschätzung der Sozialverbände zwar weiter steigern, aber nur, wenn dafür auch die entsprechenden Fördermittel zur Verfügung gestellt würden.
Dann wäre es ja noch einfach. Aber selbst mit mehr Geld wird die maximale Ausbaugrenze bei höchstens 200 000 Plätzen gesehen. Das wäre dann schon wesentlich mehr, als jemals zuvor in zivilen Einsatzbereichen eingesetzt waren.
Mit einem Pflichtdienst für alle Jugendlichen würden gegenwärtig aber bis zu 700 000 junge Männer und Frauen herangezogen. Wenn es dabei gerecht zugehen soll - das Thema hat bei der Wehrpflicht eine Rolle gespielt -, müssten die anderen 500 000 Pflichtdienstleistenden bei der Bundeswehr untergebracht werden, und davon mindestens 200 000 Frauen, wenn alle herangezogen werden sollen. Die Bundeswehr hat aber eine Mannschaftsstärke von 150 000 Soldatinnen und Soldaten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie müssen ernsthaft zugeben, dass das absurde Vorstellungen sind. Als Alternative zur Absurdität und zur Undurchführbarkeit solcher Pläne bleibt nur die Ungerechtigkeit bei der Verpflichtung. Aber gerade das hat zur Aufhebung der Wehrpflicht geführt.
Selbst bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten könnte nicht einmal jeder dritte dienstverpflichtete junge Mensch überhaupt herangezogen werden. Wenn man das nicht alles einfach wegdrücken will und sagt „Die kommen irgendwoher.“ - es gibt sie nicht; es gibt den Bedarf nicht und es gibt diese Plätze nicht, jedenfalls nicht ansatzweise in dieser Größenordnung -, dann kann ich beim besten Willen nicht erkennen - ich habe dazu noch nie etwas gehört -, dass sich diejenigen, die das fordern, irgendwelche ernsthaften Gedanken darüber machen, was die Umsetzung eines solchen Pflichtdienstes in der Praxis tatsächlich bedeutet. Das nennt man Populismus. Das ist wirklich Show.
So werden die unsinnigsten Argumente hervorgeholt, um die Pläne dennoch zu begründen. Was haben Sie zum Beispiel für ein gruseliges Bild von unserer Jugend? - Nach Ihren Vorstellungen müssen erst einmal alle ein Jahr lang nach staatlichen Vorgaben lernen, wie man dient, damit sie sich zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft entwickeln können. Dazu sage ich: Das habe ich in meiner frühen Jugend auch mal bei einer gewissen Gelegenheit gehört. Das ist ein kleines Déjà-vu, muss ich mal an der Stelle sagen.
Was, frage ich Sie, sollen eigentlich 16- oder 18-Jährige der Gesellschaft zurückgeben? Was haben sie bisher erhalten, außer dass sie geboren worden sind,
- Ja, wir haben eine Schulpflicht. Sie können es sich nicht einmal aussuchen. Und dann streiten wir uns hier
Wie inkonsequent sind Ihre Klagen darüber, dass die jungen Menschen dem Arbeitsmarkt zu spät zur Verfügung stehen? Eine permanente Klage gerade der Wirtschaft. Nach Ihren Vorstellungen sollen Hunderttausende junge Menschen,
die ihren Weg ins Berufsleben zielstrebig und schnell finden, erst einmal eine Ehrenrunde im Pflichtdienst drehen. Wie absurd ist das? Und wie fahrlässig
ist Ihr Umgang mit dem Fachkräftemangel? - Der Öffentlichkeit einzureden, mit ungelernten Schulabgängern könnten Lücken bei den technischen Hilfsdiensten, in der Pflege oder in sozialen Einrichtungen geschlossen werden, ist schlicht.
Wie verlogen ist es, mit Pflichtdienstleistenden dem Fachkräftemangel besonders in den Bereichen beikommen zu wollen, die von schlechten Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind, weil es ganz überwiegend Frauenarbeitsplätze sind? - Genau dafür wollen Sie jetzt auch noch die jungen Frauen zum kostengünstigen Einsatz verpflichten.
Das sind im Übrigen auch jene Arbeitsbereiche, deren Ausübung auf einem hohen Maß an Empathie beruht. Niemand kann sich wünschen, dass Leistungen, etwa in der Kinder- und Jugendhilfe oder in der Altenpflege, von Menschen erbracht werden, die man hierzu dienstverpflichtet hat.
Das Problem des Fachkräftemangels in den sozialen Bereichen ist hausgemacht. Es muss über die Schaffung besserer Rahmenbedingungen, insbesondere auch bei der Entlohnung, gelöst werden.
Von den angeblichen Argumenten, liebe Kolleginnen und Kollegen, für einen Pflichtdienst in zivilen Einsatzbereichen bleibt bei genauer Betrachtung nichts übrig. Was übrig bleibt, ist die mangelnde Begeisterung junger Leute für eine militärische Laufbahn bei der Bundeswehr.
Das muss einen nun aber auch nicht wirklich wundern, wenn sich herumgesprochen hat, dass man eine solche Berufswahl mit Kriegstraumata oder auch dem eigenen Leben bezahlen kann.
Wir werden mit aller Konsequenz dagegen stehen, dass junge Leute wieder zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden und in einer Interventionsarmee dienen müssen, zu deren Aufgaben
Was wir brauchen, sind vor allem bessere und attraktivere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in allen sozialen Einrichtungen. Wir brauchen viel mehr personelle und finanzielle Unterstützung für ehrenamtliche Tätigkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wenn es der Bedarf erfordert, können und sollen wir die bestehenden Freiwilligendienste stärken und ausbauen.
Was wir nicht brauchen, ist das Wiederaufleben der Wehrpflicht. Wir brauchen auch keinen zivilen Pflichtdienst. Was wir ganz und gar nicht brauchen, sind junge Menschen, deren Einstieg in die Arbeit der Erwachsenenwelt durch Zwang geprägt ist. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Dank.